OGH 9Ob112/04t

OGH9Ob112/04t6.6.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rudolf W*****, geboren 25. Februar 1949, Schlosser, *****, vertreten durch Mag. Christian Hacker, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagten Parteien 1.) Rita R*****, Hausfrau, ***** und 2.) Ludwig R*****, Kraftfahrer, ebendort, beide vertreten durch MMag. Johannes Pfeiffer, Rechtsanwalt in Liezen, wegen EUR 6.000 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 8. Juli 2004, GZ 1 R 185/04d-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Liezen vom 1. März 2004, GZ 2 C 119/03v-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit EUR 530,80 (darin EUR 88,47) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung

Am 12. 6. 2001 verstarb Rosalia W*****, das Verlassenschaftsverfahren wurde armutshalber abgetan. Der Kläger ist ihr Sohn, die Erstbeklagte ihre Tochter. Der Zweitbeklagte ist der Gatte der Erstbeklagten. Neben dem Kläger und der Erstbeklagten hinterließ die Erblasserin noch fünf weitere erbberechtigte Kinder.

Mit seiner Klage vom 3. 2. 2003 begehrte der Kläger (zuletzt), die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig zu erkennen, den Betrag von EUR 6.000 sA zu zahlen, in eventu beide Beklagte zur Zahlung eines Betrages von je EUR 3.000 sA zu verurteilen. Da die Verlassenschaft armutshalber abgetan worden sei, die Erblasserin jedoch zu Lebzeiten Schenkungen (auch) an die Beklagten geleistet habe, habe er Anspruch auf Begleichung seines Schenkungspflichtteils, welcher mit einer Pflichtteilsquote von 4,7619 % zu errechnen sei. Die Erblasserin und ihr Gatte haben bereits zu Lebzeiten eine ihnen gehörige Liegenschaft samt dem darauf befindlichen Wohnhaus an die Erstbeklagte und den Zweitbeklagten übertragen. Wenngleich dies formell aufgrund eines entgeltlichen Übergabevertrags erfolgt sei, liege doch eine gemischte Schenkung vor, wobei der auf die Erblasserin entfallende Hälfteanteil, welcher als Schenkung zu qualifizieren sei, zumindest EUR 160.000 wert gewesen sei. Unter Berücksichtigung anderer Vorempfänge belaufe sich die Gesamtbemessungsgrundlage auf EUR 212.339,40, sodass dem Kläger ein Schenkungspflichtteil von EUR 10.000 zustehe, von welchem jedoch mit der vorliegenden Klage nur EUR 6.000 eingefordert werden. Als Letztbeschenkte hafteten die Beklagten dem Kläger für die Begleichung seines Schenkungspflichtteils. Die Beklagten bestritten dieses Vorbringen. Soweit man annehmen wolle, dass ein Teil des die Liegenschaft betreffenden Übertragungsgeschäftes als unentgeltlich zu beurteilen sei, liege dem eine sittliche Pflicht der Erblasserin gegenüber den Beklagten zugrunde, sodass gemäß § 785 Abs 3 ABGB eine Anrechnung nicht stattzufinden habe. Insbesondere habe die Erblasserin während der letzten siebeneinhalb Jahre vor ihrem Tod aufgrund einer schweren Krankheit der Fremdpflege bedurft, welche ihr die Erstbeklagte, unterstützt vom Zweitbeklagten, habe angedeihen lassen. Durch ihre Leistungen habe sie insbesondere die anderen Geschwister, so auch den Kläger, von deren Beistandspflicht befreit. Im Übrigen müsse sich der Kläger aber eine „Erbvorauszahlung" in Höhe von ATS 150.000 anrechnen lassen, die ihm von der Erblasserin und deren Gatten im Jahre 2001 als Vorschuss auf den Pflichtteil ausbezahlt worden sei. Dies sei vom Kläger auch akzeptiert worden.

Dem Einwand der Schenkung aus sittlicher Pflicht hielt der Kläger lediglich entgegen, dass die Beklagte für ihre Dienste gesondert entlohnt worden sei. Der Vorempfang von ATS 150.000 schmälere seine Forderungen nicht, weil es sich dabei nicht um einen Pflichtteilsvorschuss, sondern um eine Schenkung des Vaters gehandelt habe.

Das Erstgericht wies das Klagehaupt- und -eventualbegehren ab. Es traf, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, folgende Feststellungen:

Die Erstbeklagte und ihr Gatte hatten seit jeher engsten Kontakt mit der Erblasserin und deren Gatten. Sie lebten nahezu 20 Jahre in deren unmittelbarer Nachbarschaft und unterstützten die Erblasserin und ihrem Gatten seit jeher, wo es ging. Auch schon zu Zeiten, als der Gesundheitszustand der Eltern der Erstbeklagten noch keine Fremdpflege notwendig machte, waren die Beklagten diejenigen, die Kontakt hielten und in Abwesenheitszeiten das Haus hüteten und anfallende Besorgungen erledigten. Im Laufe der Jahre übernahm die Erstbeklagte immer mehr die Haushaltsführung im elterlichen Haus, weil sich der Gesundheitszustand ihrer Mutter zusehends verschlechterte. Diese hatte im Jahr 1995 einen Schlaganfall; ab diesem Zeitpunkt übernahm die Erstbeklagte auch das Kochen für ihre Eltern. 1996 wurde bei der Mutter der Erstbeklagten ein schweres Dickdarmkarzinom diagnostiziert, sodass sie ab diesem Zeitpunkt zur Gänze auf Fremdpflege und Betreuung angewiesen war. Eine Operation brachte nicht den erhofften Erfolg, sodass die spätere Erblasserin körperlich immer schwächer und gebrechlicher wurde, weshalb sie ab 1998 Pflegegeld der Stufe 2 sowie ab 2000 der Stufe 3 oder 4 erhielt. Dieses Pflegegeld reichte gerade für die Beschaffung des Pflegematerials aus. Aufgrund der Darmerkrankung litt die Mutter der Erstbeklagten auch an chronischem Durchfall und war nicht mehr in der Lage, ihren Stuhlgang zu kontrollieren, sodass sie Windeln tragen musste. Die Erstbeklagte übernahm das Wechseln der Windeln und säuberte das Haus, wenn es zu Kotverlust kam. Außerhalb des Hauses verrichtete der Zweitbeklagte diese Reinigungstätigkeiten. Ohne die Hilfe der Erstbeklagten wäre ein Verbleib der Mutter im eigenen Hauses nicht möglich, sondern eine Unterbringung in einem Pflegeheim erforderlich gewesen. Die Beklagten führten auch sämtliche für die Eltern der Klägerin erforderlichen Einkäufe und Besorgungen durch. Bis 1999 erhielt die Erstbeklagte für ihre aufwändige Hilfe von ihren Vater einen von ihr nicht verlangten Anerkennungsbetrag von ATS 1.000 monatlich. Neben seiner Unterstützungstätigkeit für die Erstbeklagte erledigte der Zweitbeklagte sämtliche im und um das Haus anfallenden Arbeiten, wie Gartenpflege, Pflasterungen, Installationsarbeiten, Reparaturen aller Art, wobei lediglich das Material vom Gatten der späteren Erblasserin finanziert wurde. Es war den übrigen Geschwistern recht, dass die Erstbeklagte und deren Gatte die alleinige Betreuung der Eltern bzw Schwiegereltern übernahmen. Mit Übergabsvertrag vom 18. 1. 2000 übertrugen die Eltern der Erstbeklagten ihre Liegenschaft mit dem darauf befindlichen, während der Ehe erworbenen Wohnhaus an die Beklagten. Als Gegenleistung wurde im Vertrag das unentgeltliche Wohnungsgebrauchsrecht für die Übergeber auf Lebenszeit in sämtlichen Räumlichkeiten, sowie deren freier Aufenthalt auf dem Grundstück vereinbart, weiters die Verpflichtung der Beklagten zur häuslichen Pflege und Betreuung der Übergeber, insbesondere im Alter, bei Gebrechlichkeit und Krankheit. Gebrauchsrecht und Betreuungspflicht wurden auch grundbücherlich sichergestellt. Zum Zeitpunkt der Übergabe war das Haus ca 40 Jahre alt und stark renovierungsbedürftig.

Mit Überweisungen vom 12. 1. 2001 erhielten alle erbberechtigten Kinder mit Ausnahme der Erstbeklagten ATS 150.000 mit der Widmung, dass es sich dabei um eine „Pflichterbteilsentfertigung" handle und Auftraggeber sowohl die Mutter als auch der Vater der Erstbeklagten sei. Diese Überweisungen erfolgten im bewussten gemeinsamen Willen der Eltern, damit Pflichtteilsvorauszahlungen für die Kinder zu leisten. Ein Sohn wollte das Geld zunächst nicht mit dieser Widmung akzeptieren, behielt es nach einem Gespräch mit dem Vater aber doch. Der Kläger behielt es kommentarlos.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, dass, soweit eine Teilschenkung durch die Übertragung des Hauses vorgelegen habe, hinsichtlich der Erstbeklagten eine sittliche Pflicht erfüllt worden sei, zumal diese jahrelang und als einzige der Geschwister eine aufwändige Pflegebehandlung der Erblasserin auf sich genommen habe. Dies könne aber dem Zweitbeklagten nicht zugutekommen. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der unentgeltliche Teil der Liegenschaftsübertragung dem vom Kläger angegebenen Wert entspreche, seien dennoch dessen Ansprüche auch gegenüber dem Zweitbeklagten erfüllt. Er müsse sich nämlich den Betrag von ATS 150.000 als Vorschuss auf dem Pflichtteil anrechnen lassen. Dies übersteige die von ihm geltend gemachte Schenkungspflichtteilsforderung. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, dass die Revision zulässig sei. Es vertrat entgegen dem Erstgericht die Rechtsauffassung, dass auch der Zweitbeklagte eine Schenkung aus sittlicher Pflicht für sich in Anspruch nehmen könne, weil er seine Gattin, die Erstbeklagte, entsprechend unterstützt und die Lasten der Fremdpflege mitgetragen habe.

Gegen dieses Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, die entgegen dem das Revisionsgericht nicht bindenden Zulassungsausspruch (§ 508a Abs 1 ZPO) ist die Revision nicht zulässig ist, weil der Revisionswerber keine erhebliche Frage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt.

Rechtliche Beurteilung

Soweit der Revisionswerber vorbringt, dass ein Vorempfang der Erstbeklagten in Höhe von ATS 100.000 unberücksichtigt geblieben sei, übersieht er, dass er diesen Umstand in der Rechtsrüge der Berufung nicht erwähnt hat. Nach der Rechtsprechung kann jedoch eine - sei es auch nur in einem Punkt - nicht erhobene Rechtsrüge nicht erfolgreich mit der Revision nachgetragen werden (RIS-Justiz RS0043573). Einen Mangel des Berufungsverfahrens glaubt der Kläger auch darin zu erkennen, dass das Berufungsgericht seine Anträge auf Einholung einer Bankauskunft und Vernehmung von Zeugen zum Beweise eines weiteren Barvermögens der Erblasserin abgelehnt habe. Dabei übersieht er, dass es sich um einen vom Berufungsgericht verneinten Mangel des Verfahrens erster Instanz handelt, welcher nicht neuerlich mit Revision geltend gemacht werden kann (Kodek in Rechberger ZPO2 Rz 3 zu § 503 mit weiteren Judikaturnachweisen).

Soweit das Berufungsgericht eine (Teil-)Schenkung auch an den Zweitbeklagten als im Rahmen einer „sittlichen Pflicht" nach § 785 Abs 3 ABGB erfolgt ansieht, bleibt diese Rechtsauffassung durchaus in dem von der Rechtsprechung abgesteckten Rahmen (RIS-Justiz RS0012972). Ob eine sittliche Pflicht bestand, kann nur aus dem konkreten Umständen des Falls ersehen werden, und ist insbesondere im Zusammenhang mit den persönlichen Beziehungen zwischen Schenker und Beschenkten, ihrem Vermögen, ihrer Lebensstellung und den erbrachten Leistungen zu beurteilen. Die Vorinstanzen haben eine derartige sittliche Pflicht gegenüber der Erstbeklagten bejaht und konnten sich dabei auf Entscheidungen mit einschlägigen Sachverhalten stützten (3 Ob 582/82, 1 Ob 46/01y uva).

Zutreffend hat das Berufungsgericht aber auch den Umstand gewichtet, dass den Zweitbeklagten als Schwiegersohn überhaupt keine familienrechtliche Beistandspflicht gegenüber seiner Schwiegermutter traf, und er dennoch, soweit ihm dies möglich war, seiner Gattin bei der Drittpflege an die Hand ging. Daneben kann aber auch nicht übersehen werde, dass die aufwändigen Pflege- und Betreuungsleistungen, welche die Erstbeklagte erbrachte, auch dem Zweitbeklagten als Ehegatten erhebliche Opfer und großes Verständnis für die zeitliche Bindung und die zusätzliche Belastung seiner Gattin abforderten. Unter diesem Aspekt ist es jedenfalls vertretbar, auch gegenüber dem Zweitbeklagten den Bestand einer sittlichen Pflicht für eine „Teil-"Schenkung anzunehmen.

Nun ist es zwar denkbar, dass Schenkung aus sittlicher Pflicht auch nur einen - angemessenen - Teil der Zuwendung erfasst (RIS-Justiz RS00108722). Ist aber - wie im vorliegenden Fall - der Bestand einer sittlichen Pflicht für eine Schenkung eingewendet und auch erwiesen worden, wäre es an dem dafür beweispflichtigen Kläger (7 Ob 304/97z = SZ 70/231) gelegen, ein Vorbringen dahin zu erstatten, dass nur ein Teil der Zuwendung angemessen gewesen wäre. Ein solches Vorbringen hat der Kläger jedoch im Verfahren erster Instanz nicht erstattet, sondern erstmals in der Berufung vorgetragen. Der Berücksichtigung dieses Vorbringens stand und steht nach wie vor das im Rechtsmittelverfahren herrschende Neuerungsverbot entgegen. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO liegt daher nicht vor. Die Beklagten haben in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des vom Kläger erhobenen Rechtsmittels hingewiesen. Dieser Schriftsatz diente daher der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung und ist zu honorieren.

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