OGH 8Ob111/04p

OGH8Ob111/04p30.5.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache des klagenden Partei Dr. Johann F*****, vertreten durch Dr. Johannes Patzak, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Rechtsanwaltskammer W*****, vertreten durch Dr. Walter Strigl und Dr. Walter Horak, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 763.275,69 sA und Feststellung (Gesamstreitwert EUR 963.275,69), über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 12. Juli 2004, GZ 14 R 36/04y-27, womit infolge Rekurse der klagenden und der beklagten Partei der Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 19. Dezember 2003, GZ 23 Cg 67/03x-23, teilweise abgeändert und teilweise bestätigt oder aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird, soweit er sich gegen die Bestätigung der Abweisung der Einrede der sachlichen Unzuständigkeit wendet, als jedenfalls unzulässig zurückgewiesen (§ 528 Abs 2 Z 2 ZPO).

2. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird, soweit er sich gegen die Zulassung der Klagsänderung richtet, gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Vorausssetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Der Kläger hat 1996 seinen Beitritt zum anwaltlichen Treuhandbuch der Rechtsanwaltskammer (RAK) Wien erklärt. Dessen Statut enthält eine Schiedsklausel.

Mit seiner Kläger begehrt der Kläger EUR 763.275,69 sA und die Feststellung, dass die Beklagte für alle zukünftigen Schäden aus dem Ausschluss aus der freiwilligen Treuhand-Revision vom 1. 6. 1999 und deren Folgewirkungen hafte. Er stützt sich zusammengefasst darauf, dass der Ausschluss unberechtigt wegen eines bereits vor seinem Beitritt behauptetermaßen im Jahre 1993 erfolgten Statutenverstoßes vorgenommen worden sei. Eine rückwirkende Wirksamkeit der als „Vertragsinhalt" zu wertenden Statuten könne nicht angenommen werden. Auch liege kein Ausschlusssgrund im Sinne dieses Statut vor. Diesen rechtswidrigen Ausschluss habe der Kläger im Rahmen eines Schiedsverfahrens bekämpft. Der Ausschluss habe aber massive Umsatzeinbußen beim Kläger bewirkt, für die die Beklagte hafte. Das Schiedgericht sei für die geltend gemachten Ansprüche nicht zuständig, weil diese nicht im Auschluss selbst, sondern den dadurch eingetreten Schaden bestünden.

Die Beklagte hat die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit erhoben und diese darauf gestützt, dass zur Entscheidung über die geltende gemachten Ansprüche das im „Statut" - der wahre Rechtscharakter bleib noch unerörtert - vorgesehene Schiedsgericht zuständig sei. In der Sache stützte die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage insbesondere darauf, dass sich aus dem „Statut" ergäbe, dass der Kläger vorsätzlich Treuhandpflichten und damit Standespflichten verletzt habe, was nach dem „Statut" ein Beitrittshindernis, aber auch ein Ausschlussgrund sei. Die Standespflichten seien auch schon vor dem „Statut" wirksam gewesen.

In einem späteren Schriftsatz hat der Kläger sein Begehren auch noch auf ein „weiteres schadenstiftendes Ereignis" gestützt. Die Beklagte habe gegen den Kläger auch eine unberechtigte, in den Medien verbreitete Strafanzeige erstattet. Dabei habe sie „in Vollziehung der Gesetze" im Sinne des § 1 Abs 1 AHG gehandelt. Der Kläger ergänzte sein Feststellungsbegehren in diesem Sinne. Die Beklagte sprach sich gegen die Zulässigkeit der Klagsänderung aus, weil dies eine erhebliche Erschwerung und Verzögerung und auch eine funktionelle Unzuständigkeit herbeiführen würde. Das Erstgericht wies mit dem hier maßgeblichen Beschluss die Einrede der fehlenden sachlichen Zuständigkeit ab. Es ging dabei davon aus, dass es sich bei den geltend gemachten Schadenersatzansprüchen nicht um Ansprüche aus dem Statut handle.

Die Klagsänderung ließ das Erstgericht nicht zu, weil sie eine erhebliche Erschwerung und Verzögerung bewirken würde. Es unterbrach das Verfahren bis zur Entscheidung des Schiedsgerichtes über die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses.

Das Rekursgericht bestätigte die Abweisung der Unzuständigkeitseinrede. Schadenersatzansprüche seien von der Schiedsgerichtsvereinbarung nicht erfasst. Diese umfasse nach dem eindeutigen Wortlaut nicht alle Ansprüche aus dem Rechtsverhältnis, sondern nur solche betreffend die Auslegung und die Anwendung des Statuts.

Die Klagsänderung ließ das Rekursgericht zu, weil keine erhebliche Erschwerung oder Verzögerung zu befürchten sei, sondern nur die Verlesung des Strafaktes und die ohnehin erforderliche Parteieneinvernahme des Klägers durchgeführt werden müssten. Den Unterbrechungsbeschluss hob das Rekursgericht auf, weil dieser ohne Erörterung in einer mündlichen Verhandlung gefasst worden war. Auch könne ja vorweg die Frage einer allfälligen Haftung der Beklagten aufgrund der behaupteten unrichtigen Strafanzeige geklärt werden.

Den ordentlichen Revisionrekurs erachtete das Rekursgericht mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage als nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten ist, soweit er sich gegen die bestätigte Abweisung der Unzuständigkeitseinrede richtet, jedenfalls, soweit er sich gegen die Zulassung der Klagsänderung wendet, aber mangels Darstellung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO unzulässig. Grundsätzlich sind übereinstimmende Entscheidungen der Vorinstanzen über die Frage der Verwerfung der Einrede der sachlichen Unzuständigkeit nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO nicht mehr bekämpfbar (vgl RIS-Justiz RS0044219 mwN etwa 7 Ob 2316/96f uva; vgl zur mangelnden Anwendbarkeit der Beschränkung des § 45 JN Mayr in Rechberger ZPO2 § 45 JN Rz 4 mwN). Die Beklagte stützt sich nun für ihre gegenteilige Ansicht auf Fasching (Zivilprozessrecht2, Rz 2016). Fasching (aaO, Rz 2017) vertritt die Rechtsansicht, dass ein Beschluss auch dann als nicht bestätigend gelte, wenn im „ersten Rechtsgang" der Beschluss des Erstgerichtes ohne Rekurszulassung aufgehoben und die Sache mit Ausspruch einer bindenden Rechtsansicht an dieses zur Erneuerung und Ergänzung zurückverwiesen wurde und dann das Erstgericht unter Bindung an die Rechtsansicht des Rekursgerichtes neuerlich entschieden hat. Er begründet dies im Wesentlichen anhand einer Analogie zu der mit der WGN 1989 aufgehobenen Bestimmung des § 502 Abs 3 Satz 2 ZPO und weil anderenfalls die Partei kein Rechtsmittel gegen die vom Rekursgericht im ersten Rechtsgang ohne Rechtskraftvorbehalt ausgesprochene Rechtsansicht haben würde. Kodek (in Rechberger ZPO2 § 528 Rz 4) hat in Zweifel gezogen, inwieweit eine Analogie zu einer bereits aufgehobenen Bestimmung noch zulässig ist.

Der Oberste Gerichtshof ist der Ansicht von Fasching teilweise gefolgt und davon ausgegangen, dass die Rechtsmittelbeschränkung des § 528 Abs 2 Z 2 ZPO dann nicht zu gelten habe, wenn der Beschluss des Erstgerichtes auf einer im Rahmen des ersten Rekursverfahrens ohne Rechtskraftvorbehalt überbundenen Rechtsansicht beruht, weil dann doch nicht die Rechtsansicht eines anderen Gerichts "bestätigt" wird (vgl nach 1989 die Entscheidungen des erkennenden Senates zu 8 Ob 63/03b und 8 Ob 115/03z; ferner OGH 5 Ob 2178/96x). Dabei hat es sich aber stets um Fälle gehandelt, in denen es im ersten Rechtsgang tatsächlich um die Entscheidung der relevanten Frage als Entscheidungsgegenstand und nicht nur als Vorfrage ging, das Rekursgericht in diesem ersten Rechtsgang einen Aufhebungsbeschluss zur Ergänzung des Verfahrens zu dieser Frage fasste und dem Rekursgericht im ersten Rechtsgang auch die Möglichkeit offen stand, den Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof zuzulassen, es diese Möglichkeit aber nicht wahrnahm und das Erstgericht mit seiner Rechtsansicht gebunden hat. In diesen Faktoren unterscheidet sich aber der vorliegende Fall von den Vorentscheidungen. Hier hat das Rekursgericht bloß aus Anlass einer Entscheidung zu einer anderen Frage, und zwar der Zulässigkeit der Verfahrensunterbrechung, als Rechtsansicht - zu einer Vorfrage - geäußert, dass die Schiedsklausel die hier geltend gemachten Schadenersatzansprüche nicht umfasse. Es hat sich auch nicht um einen Aufhebungsbeschluss gehandelt, sondern das Rekursgericht hat abschließend über die Unterbrechung entschieden. Das Rekursgericht hätte mangels Vorliegens eines Aufhebungsbeschlusses gar keinen Rechtskraftvorbehalt im Sinne des § 527 Abs 2 ZPO aussprechen können (vgl Kodek aaO § 527 Rz 3 mwN). Der Rekurs war vielmehr zufolge § 192 Abs 2 ZPO absolut unzulässig.

Der Oberste Gerichtshof übersieht nun nicht, dass das Rekursgericht im Verfahren über den Unterbrechungsbeschluss dessen ersatzlose Behebung im Wesentlichen damit begründete, dass das über das Außerkrafttreten der Schiedsklausel geführte Verfahren deshalb nicht präjudiziell im Sinne des § 190 ZPO sei, weil der gegenständliche Rechtsstreit ohnehin nicht von der Schiedsklausel erfasst sei. Eine formelle Bindung des Erstgerichtes hinsichtlich der Entscheidung über die Uunzuständigkeitseinrede kommt aber schon mangels Vorliegens eines Aufhebungsbeschlusses zu dieser Frage nicht in Betracht. Wollte man auch der aus Anlass eines zu einer anderen Frage ergangenen Rekursentscheidung Bindungswirkung etwa zur verfahrensrechtlich gesondert geregelten Frage der sachlichen Zuständigkeit zuerkennen, so wäre damit die in der Ausformung des Rechtsmittelrechts zum Ausdruck kommende funktionelle Aufgabenteilung zwischen den verschiedenen Instanzen (vgl etwa § 45 JN), aber auch die für die Beurteilung der jeweiligen Fragen vorgesehenen spezifischen Verfahrensgestaltungen durchbrochen. Im Ergebnis müsste dies konsequent etwa auch bedeuten, dass das Rekursgericht bei der Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit an seine eigene im Verfahren über den Unterbrechungsbeschluss geäußerte Rechtsansicht gebunden wäre (vgl allgemein Kodek aaO § 527 Rz 5 mwN). Während aber das Rekursverfahren betreffend Unterbrechungsbeschlüsse einseitig ist, ist jenes über die Zuständigkeitsentscheidung im Rahmen des § 521a ZPO zweiseitig. Das Rekursgericht wäre also dann in einer Frage, die nach Ansicht des Gesetzgebers der Erörterung in einem zweiseitigen Verfahrens bedarf, an eine Rechtsanschauung gebunden, die es in einem einseitigen Rekursverfahren ohne Äußerungsmöglichkeit der anderen Partei zugrundegelegt hat. Dies kann jedoch der Systematik des Gesetzes nicht entnommen werden (bei diesem Ergebnis kann unerörtert bleiben, inwieweit nicht bei bestimmten Fragen bei einer Bindung an die in einem einseitigen Rechtmittelverfahren ausgesprochene Rechtsansicht auch die Vereinbarkeit mit den Voraussetzungen des Art 6 MRK zu prüfen wäre).

Im Ergebnis ist also davon auszugehen, dass die aus Anlass der - endgültigen - Aufhebung eines Unterbrechungsbeschlusses zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht des Rekursgerichtes über die Frage der sachlichen Zuständigkeit für das Erstgericht bei der Entscheidung über die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit nicht bindend ist. Daher ist auch hier der Beschluss des Rekursgerichtes, der einen Beschluss des Erstgerichtes bestätigte, als bestätigender Beschluss im Sinne des § 528 Abs 2 Z 2 ZPO anzusehen und der Revisionrekurs jedenfalls unzulässig.

Was nun den Beschluss über die Zulässigkeit der Klagsänderung anlangt, so stellt die Frage, ob im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände eine Klagsänderung im Interesse der erwünschten endgültigen und erschöpfenden Beendigung des Streites zuzulassen ist, regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO dar, soweit nicht eine Fehlbeurteilung vorliegt, die im Interesse der Rechtsicherheit aufzugreifen wäre (vgl RIS-Justiz RS0115548 mwN etwa 8 Ob 251/02y). Angesichts der ständigen Rechtsprechung, dass Klagsänderungen tunlichst zuzulassen sind (vgl RIS-Justiz RS0039441 mwN zuletzt 7 Ob 99/04s), kann aber von einer solchen Fehlbeurteilung hier nicht ausgegangen werden. Inwieweit ein verspätetes Vorbringen unter Beachtung der Prozessförderungspflicht nach § 178 ZPO gegen die Zulassung der Klagsänderung spricht, kann nur im Rahmen der Abwägung anhand des Einzelfalles, ob die Zulassung der Klagsänderung einen weiteren Prozess erspart, ohne den ersten Prozess unbillig zu erschweren, beurteilt werden (vgl RIS-Justiz RS0039428 mwN zuletzt 7 Ob 99/04s).

Zwar ist es zutreffend, dass sich die Beklagte selbst noch die Erstattung eines ergänzenden Vorbringes vorbehalten hat, jedoch kann dieses nicht erstattete Vorbringen naturgemäß nicht der Beurteilung allfälliger durch die Zulassung der Klagsänderung eintretender Prozessverzögerungen zugrunde gelegt werden.

Eine „funktionelle Unzuständigkeit" des Erstgerichtes vermag die Beklagte allein mit der Behauptung, dass nach der Geschäftsverteilung des Erstgerichtes eine andere Geschäftsabteilung zuständig sein soll, nicht darzustellen. Stellt doch § 235 Abs 3 ZPO als Grenze für die Zulässigkeit von Klagsänderungen ausdrücklich darauf ab, dass die Zuständigkeit des „Prozessgerichts" nicht überschritten werden darf. Insgesamt vermag es die Beklagte jedenfalls nicht, eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO darzustellen.

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