Spruch:
Es verletzen die Beschlüsse des Landesgerichtes Salzburg
1. vom 8. März 2004, GZ 33 Hv 164/03w-159, den im XX. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen;
2. vom 4. November 2004, GZ 31 Hv 108/04x-8, Art 65 Abs 2 lit c B-VG iVm § 55 StGB.
Diese Beschlüsse werden aufgehoben.
Text
Gründe:
Voranzustellen ist, dass es sich bei den in den Gründen bezeichneten Verfahren, Beschlüssen und Urteilen ausschließlich um solche des Landesgerichtes Salzburg handelt. Im Folgenden unterbleibt daher die Gerichtsbezeichnung.
Robert N***** wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 8. März 2004, GZ 41 Hv 127/03p-18, wegen des am 12. August 2002 begangenen Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 und 2 StGB sowie des am 14. Juni 2003 verübten Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG schuldig erkannt und zu einer für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Mit zugleich gefasstem Beschluss wurde die Robert N***** im Verfahren AZ 41 EVr 1818/00 gewährte bedingte Nachsicht einer Geldstrafe widerrufen (§ 494a Abs 1 Z 4 StPO), ferner jeweils vom Widerruf der über ihn im Verfahren AZ 41 Hv 1079/01k verhängten, für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten sowie einer unter Bedachtnahme gemäß § 31 StGB auf diese Verurteilung im Verfahren AZ 41 Hv 107/02w für eine dreijährige Probezeit bedingt ausgesprochenen (Zusatz-)Freiheitsstrafe von zwei Monaten abgesehen und die Probezeit zum AZ 41 Hv 1079/01k (somit nur für diese Vor-Verurteilung wirksam; Jerabek in WK2 1. ErgH § 53 Rz
16) auf fünf Jahre verlängert (§ 494a Abs 6 StPO).
Mit dem im Anschluss daran gleichfalls am 8. März 2004 gefällten und sogleich rechtskräftigen Urteil GZ 33 Hv 164/03w-159, wurde Robert N***** wegen im Jahr 1998 bis zum 18. Oktober 2002 begangener Straftaten (§§ 142 Abs 1; 127, 128 Abs 1 Z 4; 12 zweiter Fall, 15, 288 Abs 1 StGB; §§ 27 Abs 1 erster, zweiter und sechster Fall; 28 Abs 2 vierter Fall SMG) zu einer für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten verurteilt. Gleichzeitig sah das Gericht vom Widerruf der im Verfahren AZ 41 EVr 1818/00 gewährten bedingten Strafnachsicht ab, obwohl bereits zuvor im Verfahren AZ 41 Hv 127/03p die bedingte Nachsicht der Strafe widerrufen worden war. Ebenso wurde vom Widerruf der in den Verfahren AZ 41 Hv 1079/01k und AZ 41 Hv 107/02w gewährten bedingten Strafnachsichten abgesehen, jedoch wurden die diesbezüglichen Probezeiten - und zwar zu AZ 41 Hv 1079/01k erneut (aber ohne nachteilige Wirkung) - auf fünf Jahre verlängert.
Mit Beschluss vom 25. August 2004, GZ 33 Hv 164/03w-176, wurde die in diesem Verfahren bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten aufgrund der (zwischenzeitig eingetretenen) Rechtskraft des dazu im Verhältnis der §§ 31 und 40 StGB stehenden Urteils vom 8. März 2004, GZ 41 Hv 127/03p-18, auf 12 Monate herabgesetzt (§ 31a Abs 1 StGB).
Mit Urteil vom 4. Mai 2004, GZ 40 Hv 73/04s-18, wurde Robert N***** rechtskräftig des am 12. Februar 2004 und am 27. März 2004 begangenen Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 StGB sowie des am 12. Februar 2004 verübten Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer - mit Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz vom 15. Juli 2004, AZ 9 Bs 164/04, auf zwölf Monate erhöhten - Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Mit zugleich gefasstem Beschluss wurde vom Widerruf der in den Verfahren AZ 41 Hv 1079/01k, AZ 41 Hv 107/02w, AZ 41 Hv 127/03p und AZ 33 Hv 164/03w bedingt nachgesehenen Strafen abgesehen.
Einen siebenmonatigen Teil dieser zum AZ 40 Hv 73/04s verhängten zwölfmonatigen Freiheitsstrafe verbüßte Robert N***** bis 28. Oktober 2004. Der Rest der Strafe wurde ihm mit den Wirkungen der bedingten Starfnachsicht (§ 43 StGB) für eine dreijährige Probezeit (ab 28. Oktober 2004) gnadenweise (bedingt) nachgesehen (BMJ Z 4004727/1-IV4/04; GZ 40 Hv 73/04s-37).
Mit rechtskräftigem Urteil vom 4. November 2004, GZ 31 Hv 108/04x-8, wurde Robert N***** der am 14. Jänner 2004 - somit vor Beginn der Probezeit der mit erwähntem Gnadenakt gewährten bedingten Strafnachsicht - verübten Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB sowie der Sachbeschädigung nach § 125 StGB schuldig erkannt. Unter Bedachtnahme gemäß §§ 31 und 40 StGB (zwar fälschlich nicht auf das tatnächste Urteil vom 8. März 2004, GZ 41 Hv 127/03p-18, und das dazu im Verhältnis der §§ 31 und 40 StGB stehende Urteil GZ 33 Hv 164/03w-159, vom selben Tag [Ratz in WK2 § 31 Rz 5; Fabrizy, StGB8 § 31 Rz 10a; EvBl 2000/55 = RZ 2000/16; zuletzt 12 Os 126/04; 13 Os 143/04], jedoch ohne nachteilige Wirkung) auf das Urteil vom 4. Mai 2004, GZ 40 Hv 73/04s-18, wurde von der Verhängung einer Zusatzstrafe abgesehen (§ 40 zweiter Satz StGB). Gleichzeitig sah das Gericht mit Beschluss „gemäß § 494a StPO" vom Widerruf der mit Gnadenerweis gewährten bedingten Strafnachsicht ab und verlängerte die diesbezügliche Probezeit auf fünf Jahre.
Rechtliche Beurteilung
Im Hinblick auf diese Entscheidungen zeigt der Generalprokurator zutreffend zwei Gesetzesverletzungen auf:
1. Der Beschluss vom 8. März 2004, GZ 33 Hv 164/03w-159, mit dem vom Widerruf der im Verfahren AZ 41 EVr 1818/00 gewährten bedingten Nachsicht einer Geldstrafe abgesehen wurde, obwohl diese bedingte Strafnachsicht bereits zuvor im Verfahren AZ 41 Hv 127/03p widerrufen worden war, verletzt das Gesetz in dem im XX. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen (vgl Jerabek in WK2 1. ErgH § 53 Rz 29). Angesichts der Identität des Entscheidungsgegenstands kann nur der zeitlich vorangehende Beschluss Wirksamkeit entfalten; diesem kommt eine Sperrwirkung auch dann zu, wenn diese Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist (vgl Jerabek, WK-StPO § 494a Rz 13). Dieser (wirkungslose) Beschluss war aus Gründen der Rechtsklarheit zu beseitigen (vgl Jerabek in WK2 1. ErgH § 53 Rz 29).
2. Der Beschluss vom 4. November 2004, GZ 31 Hv 108/04x-8, mit welchem vom Widerruf des gnadenweise bedingt nachgesehenen Teils der über Robert N***** im Verfahren AZ 40 Hv 73/04s verhängten Freiheitsstrafe abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert wurde, verstößt gegen Art 65 Abs 2 lit c B-VG und § 55 StGB:
Denn abgesehen davon, dass nach § 55 StGB im Falle einer nachträglichen Verurteilung gemäß § 31 StGB eine Verlängerung der im vorangegangenen Verfahren bestimmten Probezeit durch gerichtlichen Beschluss nicht in Betracht kommt (Jerabek in WK2 § 55 Rz 10), ist das Gericht zur Entscheidung über den allfälligen Widerruf der gnadenweise gewährten bedingten Strafnachsicht bei Aburteilung schon vor dem Gnadenakt begangener Straftaten nicht zuständig (Jerabek in WK2 § 55 Rz 12, 1. ErgH § 53 Rz 20 sowie WK-StPO § 512 Rz 2). Vielmehr kommt in einem solchen Fall kraft der Bestimmung des Art 65 Abs 2 lit c B-VG dem Bundespräsidenten die Überprüfung des Gnadenverweises auf erweiterter Erkenntnisbasis zu (SSt 48/85 = EvBl 1978/75 = JBl 1978, 161; 13 Os 60, 61/92; 11 Os 132/88). Durch die gesetzwidrige Widerrufsentscheidung vom 4. November 2004, GZ 31 Hv 108/04x-8, kann eine hiedurch eingetretene Benachteiligung des Robert N***** nicht ausgeschlossen werden. Der rechtsfehlerhafte Beschluss war daher gemäß § 292 letzter Satz StPO aufzuheben. Die Akten 40 Hv 73/04s und 31 Hv 108/04x des Landesgerichtes Salzburg werden dem Bundesministerium für Justiz zur Prüfung vorzulegen sein, ob beim Bundespräsidenten ein Antrag auf Widerruf der bedingten Begnadigung zu stellen ist (vgl Jerabek, WK-StPO § 512 Rz 2).
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