OGH 15Os160/04

OGH15Os160/0426.1.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Jänner 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Pablik als Schriftführer in der Strafsache gegen Youssouf B***** wegen Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG, teils in der Entwicklungsstufe des Versuchs nach § 15 StGB, über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht in Jugendstrafsachen vom 10. September 2004, GZ 5 Hv 129/04v-16, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Sperker, sowie des Angeklagten und seiner Verteidigerin Mag. Susanne Klein zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Beurteilung der dem Angeklagten nach dem Schuldspruch zur Last liegenden Taten und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Youssouf B***** hat durch die ihm nach dem Schuldspruch zur Last liegenden Taten die Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und das Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2 erster Fall SMG begangen.

Er wird hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB sowie der §§ 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 29. April 2004, GZ 6 Hv 62/04y-39, nach § 28 Abs 3 SMG und § 5 Z 4 JGG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten als Zusatzstrafe verurteilt.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen Freispruch enthaltenden Urteil wurde Youssouf B***** wegen "vier Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG, teils in der Begehungsform des § 15 StGB", unter Bedachtnahme gemäß §§ 31 und 40 StGB auf das aus dem Spruch ersichtliche Urteil zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten als Zusatzstrafe verurteilt.

Danach hat er - zusammengefasst wiedergegeben - in Graz von Sommer 2003 bis Jänner 2004 den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG) in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, in Verkehr gesetzt, indem er "in jeweils mehreren Angriffen" an vier im Urteil genannte Abnehmer insgesamt zumindest 103 Gramm Heroin mit einem Reinsubstanzgehalt von zumindest zehn Prozent (US 6) gewinnbringend verkaufte.

Rechtliche Beurteilung

Der auf Z 5 und nominell 9 lit a (inhaltlich Z 10) des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.

Der Einwand (Z 5 zweiter Fall), die Tatrichter hätten "übersehen", dass der Zeuge Josef J***** den Angeklagten beim Untersuchungsrichter nicht eindeutig identifizieren konnte (Beschwerdepunkt A 1), wird schon durch das weitere Vorbringen entkräftet, das gerade die zu jener Identifizierung angeführten Urteilserwägungen in den Mittelpunkt stellt (A 2) und ausdrücklich einräumt, dass das Erstgericht sämtliche zur Verfügung stehenden Beweismittel berücksichtigt hat (A 3).

Von einer Scheinbegründung (Z 5 vierter Fall) kann dabei entgegen der Beschwerde keine Rede sein. Die Tatrichter erwogen, dass der Zeuge Josef J***** den Angeklagten kurz nach dem letzten Kontakt, der Ende Dezember 2003 stattfand, vor der Polizei am 10. Februar 2004 eindeutig als denjenigen identifizierte, der ihm im Zeitraum November bis Dezember 2003 insgesamt 8 Gramm Heroin verkaufte (Punkt 1 des Schuldspruches), und dass er mit dem Angeklagten von Oktober bis Dezember 2003 mehr als 38 Telefongespräche führte. Den Umstand, dass der Zeuge den Angeklagten vor dem Untersuchungsrichter am 22. Juli 2004 "und somit schon sieben Monate nach dem letzten Treffen nicht mehr hundertprozentig identifizieren konnte", führten die Tatrichter auf die verstrichene Zeit und die daher geringere Erinnerung zurück (US 8).

Offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall) wäre eine Begründung, die den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 444). Dies trifft hier nicht zu.

Nicht stichhältig ist auch die Bemängelung (Z 5 zweiter, vierter und fünfter Fall) der zum Schuldspruch wegen Verkaufs von zumindest 25 Gramm Heroin an Armin W***** (Punkt 2) getroffenen Feststellungen. Der Beschwerde zuwider gingen die Tatrichter aktengetreu davon aus, dass der Genannte den Angeklagten sowohl vor der Polizei als auch beim Untersuchungsrichter eindeutig als seinen "Stammdealer" identifizierte (S 117, 265 und US 8) und in der Hauptverhandlung angab, er erkenne den Angeklagten "heute nicht mit Sicherheit" wieder (S 299).

Mit dieser Zeugenaussage befassten sich die Tatrichter ebenso wie mit weiteren zu diesem Punkt des Schuldspruchs vorgekommenen Beweismitteln (§ 258 Abs 2 StPO) ohne Widerspruch gegen die Gesetze folgerichtigen Denkens oder grundlegende Erfahrungssätze. Unzureichende Begründung liegt demnach entgegen der Beschwerde nicht vor.

Aktenwidrig ist ein Urteil, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (Fabrizy, StPO9 § 281 Rz 47). Das Vorbringen, die erwähnte Feststellung sei aktenwidrig, geht an dieser Anfechtungskategorie vorbei.

Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde daher als unbegründet zu verwerfen.

Zutreffend wurde jedoch gerügt, dass im Urteil neben drei Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG - die nicht Gegenstand der Beschwerde sind - auch ein im Versuchsstadium gebliebenes weiteres solches Verbrechen angenommen wurde (der Sache nach Z 10).

Nach den Urteilsfeststellungen war der Vorsatz des Angeklagten beim Verkauf des Heroins von vornherein auf eine Tatverwirklichung in Teilmengen gerichtet, wobei vom Täterwillen mitumfasst war, dass in Summe auch die Grenzmenge des § 28 Abs 6 SMG überschritten wird. Zudem hatte der Angeklagte die Absicht, durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu erzielen (US 5). Ausgehend davon, dass eine "große Menge" Suchtgift im Sinn des § 28 Abs 2 SMG der Grenzmenge nach § 28 Abs 6 SMG gleichzusetzen ist (RIS-Justiz RS0117462) und diese Menge laut Suchtgift-Grenzmengenverordnung bei Heroin 3,0 Gramm (Wirkstoffgehalt) beträgt, gelangte das Erstgericht beim festgestellten Verkauf von Heroin mit insgesamt zumindest 10,3 Gramm Reinsubstanzgehalt in gewerbsmäßiger Tendenz zunächst zutreffend zur - nicht bekämpften - rechtlichen Annahme der Verwirklichung von mehreren (nämlich drei) Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG. Bei - wie hier - von vornherein auf die kontinuierliche Begehung und den daran geknüpften Additionseffekt gerichtetem Vorsatz werden so viele Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG (hier qualifiziert nach § 28 Abs 3 erster Fall SMG) begründet, wie oft die Grenzmenge in der Gesamtmenge des in Verkehr gesetzten Suchtgiftes enthalten ist (zuletzt 13 Os 135/04). Die weitere rechtliche Annahme, hinsichtlich der Restmenge - womit der nach Berücksichtigung der in der Gesamtmenge enthaltenen "großen" Mengen verbleibende Überrest des in Verkehr gesetzten Suchtgiftes gemeint ist - liege im gegebenen Fall der Versuch eines weiteren solchen Verbrechens vor, hält jedoch einer Nachprüfung nicht stand. Das Erstgericht stellte dazu fest, der Angeklagte hätte eine weitere große Menge (unter Berücksichtigung der Restmenge) "in kurzer Zeit" in Verkehr gesetzt. Er habe konkrete Abnehmer gehabt, insbesondere die Stammkunden Christian W***** und Josef J*****, die jeweils zumindest 12 Gramm Heroin (mit 1,2 Gramm Wirksubstanz) pro Monat gekauft hätten. Die diesbezüglich zur "großen" Menge erforderliche Wirkstoffquantität hätte bei der gegebenen Restmenge an Reinsubstanz (von 1,3 Gramm) 1,7 Gramm betragen (US 11).

Demnach wurde kein Verhalten des Angeklagten konstatiert, das als eine der Ausführung des Inverkehrsetzens einer (insgesamt) weiteren großen Menge Heroin unmittelbar vorangehende Handlung (oder gar als solche Ausführung) zu beurteilen wäre (§ 15 Abs 2 StGB; vgl 13 Os 123/04 mwN). Versuch des Inverkehrsetzens einer weiteren großen Menge lag daher noch nicht vor.

Das Inverkehrsetzen der Restmenge war daher - in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - ausgehend von den Urteilsfeststellungen, denen keine Tatmehrheit hinsichtlich der Restmenge zu entnehmen ist, als (ein) Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2 erster Fall SMG zu beurteilen (RIS-Justiz RS0117463).

Bei der erforderlichen Strafneubemessung war auf das aus dem Spruch ersichtliche Urteil gemäß §§ 31 und 40 StGB Bedacht zu nehmen, mit dem der Angeklagte wegen gewerbsmäßigen Inverkehrsetzens mehrerer großer Mengen Suchtgift (§ 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG) unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG nach § 28 Abs 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt wurde. Dem lag zugrunde, dass Youssouf B***** in Graz von Juli 2003 bis Mitte Jänner 2004 insgesamt zumindest 81 Gramm Heroin und 14 Gramm Kokain gewinnbringend verkaufte. Bei der angenommenen Suchtgiftqualität waren die Grenzmengen "dreifach überschritten" (S 9 des erwähnten Urteils).

Bei der Strafbemessung war zudem auf die gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Angeklagten ebenso Bedacht zu nehmen wie auf das erschwerende Zusammentreffen mehrerer Verbrechen (darunter im Hinblick auf § 31 StGB die im vorigen Urteil bezeichneten) und eines Vergehens und den mildernd wirkenden Umstand, dass der Angeklagte bisher einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat und die Taten mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch stehen. Bei diesen Strafzumessungserwägungen erschien innerhalb des bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe reichenden Strafrahmens (§ 28 Abs 1 StGB, § 28 Abs 3 SMG, § 5 Z 4 JGG) eine zusätzliche Freiheitsstrafe von sechs Monaten dem Schuld- und Unrechtsgehalt der vom - damals noch - jugendlichen Angeklagten begangenen Taten angemessen. Einer bedingten Nachsicht stand das Gewicht der kriminellen Aktivitäten während eines längeren Tatzeitraumes entgegen. Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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