OGH 16Ok6/04

OGH16Ok6/0420.12.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Birgit Langer als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Manfred Vogel und Dr. Gerhard Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Fidelis Bauer und Dr. Erich Haas als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin E*****, vertreten durch Gugerbauer & Partner, Rechtsanwälte in 1010 Wien, wider die Antragsgegnerin E*****, vertreten durch Bichler & Zrzavy Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung gem § 8a KartG über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Kartellgericht vom 17. Dezember 2003, GZ 27 Kt 243, 244/02-61, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Zurückziehung des Antrages durch die Antragstellerin dient der Kenntnis.

Die Bundeswettbewerbsbehörde kann binnen 4 Wochen bekannt geben, ob und in welchem Umfang die Anträge durch sie aufrechterhalten werden.

Text

Begründung

Die Antragstellerin begehrt ausführlich begründet gem § 8a KartG die Feststellung, dass

  1. 1. ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und
  2. 2. ein Vereinbarungs- bzw Verhaltenskartell vorliege. Es liege ein tatbestandsmäßiges Verhalten nach § 10 KartG bzw Art 81 Abs 1 EGV vor. Dabei stütze sie sich sehr wesentlich auf den zwischen der Antragsgegnerin und den Bankinstituten geschlossenen sogenannten "Bankomatvertrag."

    Die Antragsgegnerin beantragte ebenfalls sehr ausführlich begründet die Zurück- bzw die Abweisung des Antrags der Antragstellerin. Die Bundeswettbewerbsbehörde schloss sich grundsätzlich den Bedenken der Antragstellerin an, verwies aber etwa auch darauf, dass von der Kommission vergleichbare Vereinbarungen nur befristet freigestellt worden seien. Eine Preisabsprache in einer Beziehung in einem "Vierparteiensystem" habe regelmäßig Auswirkungen auf die übrigen Beziehungen des Zahlungssystems und damit Folgewirkungen auf die Preisbildungen des Händlers gegenüber dem Endverbraucher. Es werde der Preiswettbewerb unter den Zahlungssystemen ausgeschlossen, da der Konsument den Einsatz seines Zahlungsmittels nicht auf Preiserwägungen gründe. Zweck der Kollektivvereinbarung von Interbankenentgelten sei es gerade, den Preiswettbewerb zwischen den beteiligten Banken einzuschränken. Das System der Antragstellerin sei für den Handel billiger als jenes der Antragsgegnerin. Die Interchange Fee sei eine prohibitive Gebühr, die für die Antragsgegnerin eine Zusatzrente darstelle. Der Bankomatvertrag hätte nach § 10 KartG angemeldet werden müssen. Die bloße Anmeldung einer Vereinbarung bei der Kommission beeinträchtige weder das Tätigwerden der nationalen Behörden noch die Pflicht von Unternehmern zur Einhaltung nationaler Vorschriften.

    Das Erstgericht gab dem Antrag statt und stellte sowohl das Vorliegen eines Absichtskartells als auch das Vorliegen eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch die Bindung der Gesellschafterinnen hinsichtlich weiterer Beteiligungen an Konkurrenten an die Zustimmung der Antragsgegnerin als auch hinsichtlich der Höhe der Transaktionsgebühr fest.

    Gegen diesen Beschluss erhob die Antragsgegnerin Rekurs im vollen Umfang.

    Die Antragstellerin und die Bundeswettbewerbsbehörde beantragten, diesem Rekurs nicht Folge zu geben.

    Die Antragsgegnerin legte während des Rechtsmittelverfahrens allerdings auch eine Änderung des Bankomatvertrages vor, in dem die Bestimmungen über die Transaktionsgebühr geändert sind und es den Kreditinstituten sogar ausdrücklich freigestellt wird, sich an Konkurrenten der Antragsgegnerin zu beteiligen.

    Im Hinblick darauf zog die Antragstellerin ihren Antrag unter Anspruchsverzicht zurück.

    Die Antragsgegnerin erteilte dazu ihre ausdrückliche Zustimmung. Die Bundeswettbewerbsbehörde verwies auf ihre bisherige Beteiligung am Verfahren und ihre Rekursbeantwortung sowie das öffentliche Interesse an der Feststellung. Sie stimmte der Zurückziehung des Antrages nicht zu.

    Der Bundeskartellanwalt, der erstmals eine Stellungnahme in diesen Verfahren abgegeben hat, verwies ebenfalls auf öffentliche Interessen und sprach sich gegen die Zurückziehung des Antrages aus. Dazu ist Folgendes zu erwägen:

Rechtliche Beurteilung

Allgemein ordnet § 43 KartG an, dass in Angelegenheiten nach diesem Bundesgesetz im Verfahren außer Streitsachen zu entscheiden ist. Eine Regelung zur Frage, wie lange und unter welchen Voraussetzungen Anträge im Außerstreitverfahren zurückgezogen werden können, finden sich derzeit im Außerstreitgesetz ebenso wenig wie im Kartellgesetz. Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein Feststellungsverfahren nach § 8a KartG. Zur Antragstellung sind unter anderem die Amtsparteien (nach § 44 KartG die Bundeswettbewerbsbehörde und der Bundeskartellanwalt), aber auch jeder Unternehmer, der ein wirtschaftliches oder rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung hat, berechtigt (vgl § 8a Abs 2 KartG). Die Amtsparteien haben ferner - von hier nicht maßgeblichen Ausnahmen abgesehen - nach der allgemeinen Anordnung des § 44 KartG Parteistellung auch dann, wenn sie nicht Antragsteller sind. Sie sind nach § 47 KartG aber nur von Herabsetzungen gebundener Preise, von vertikalen Vertriebsbindungen und von Zusammenschlüssen sowie Berichten nach § 66 KartG durch Übersendung von Gleichschriften zu verständigen. Allerdings ist in § 46 KartG vorgesehen, dass von jedem Schriftsatz so viele Gleichschriften eingebracht werden müssen, dass auch die Amtsparteien verständigt werden können.

Nähere Regelungen über den Umfang der "Parteistellung" der Amtsparteien insbesondere in jenen Verfahren, in denen - wie hier - kein eigener Antrag der Amtspartei gestellt wurde, finden sich im Kartellgesetz nicht.

Wird wie hier von einem Unternehmen ein Verfahren betreffend die Feststellung des Vorliegens eines Absichtskartells und eines Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung eingeleitet, ist grundsätzlich von einem kontradiktorischen Kartellverfahren zwischen Antragsteller und Antragsgegner auszugehen, dem die Amtsparteien formell als Partei beitreten oder sich sonst, zB durch Schriftsätze mit rechtlichen Erwägungen, beteiligen können.

Gerade für die kontradiktorischen Verfahren hat der Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht aber bereits in anderem Zusammenhang bei Fragen, für die eine Regelung im Außerstreitgesetz selbst nicht vorgesehen ist, die Bestimmungen der ZPO zugrunde gelegt (vgl zuletzt etwa OGH 14. 6. 2004, 16 Ok 3/04 mwN, RIS-Justiz RS0117118 = 16 Ok 8/02; vgl aber auch allgemein etwa OGH 13. 9. 1999 16 Ok 3/99).

Dabei hat der Oberste Gerichtshof zur Prüfung der Zulässigkeit der Antragsrückziehung § 237 ZPO iVm § 483 ZPO herangezogen (vgl OGH 14. 6. 2004, 16 Ok 3/04). Danach kann die Zurückziehung einer Klage im erstgerichtlichen Verfahren aber selbst mit Zustimmung des Beklagten nur bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung bzw der Abgabe der schriftlichen Urteilsausfertigung erfolgen (vgl allgemein etwa Rechberger/Frauenberger in Rechberger ZPO2 §§ 237, 238 Rz 5; Fasching Handbuch Rz 1249). Im Berufungsverfahren ist eine Klagsrückziehung dann, wenn keine mündliche Berufungsverhandlung stattfindet, nach § 483 Abs 3 ZPO ebenfalls bis zur Entscheidung zulässig, wenn der Beklagte zustimmt oder wenn gleichzeitig auf den Anspruch verzichtet wird.

Unter dem Aspekt des oft erheblichen verfahrensrechtlichen Aufwandes hat der Oberste Gerichtshof jüngst (16 Ok 3/04) - allerdings in einem Verfahren über einen Prüfungsantrag einer Amtspartei zur Zulässigkeit des angemeldeten Zusammenschlusses - ausgesprochen, dass eine Zurücknahme der "Anmeldung" des Zusammenschlusses nicht möglich ist. Es lag damals weder eine Zustimmung der Amtsparteien noch ein "Anspruchsverzicht" vor (vgl im Übrigen auch die noch nicht in Kraft getretene Bestimmung des § 11 des neuen Außerstreitgesetzes BGBl 111/2003).

Der wesentliche Unterschied zum vorliegenden Fall liegt nun darin, dass damals die Amtsparteien einerseits die Prüfung des angemeldeten Zusammenschlusses beantragt haben, also einen verfahrenseinleitenden Antrag gestellt haben, über den zu entscheiden war, und andererseits auch auf der "Gegenseite" von jener Partei standen, die ihre Anmeldung zurückziehen wollte.

Im vorliegenden Fall haben die Amtsparteien keinen verfahrenseinleitenden Antrag gestellt, über den zu entscheiden ist, und nur eine Amtspartei - die Bundeswettbewerbsbehörde - hat sich bis zur Antragsrückziehung überhaupt am Verfahren beteiligt. Die Stellung der "Amtsparteien" ergibt sich hier also allein aus der allgemeinen Anordnung des § 44 KartG. Diese stellt ausdrücklich darauf ab, dass die Amtsparteien eben auch in jenen Verfahren Parteistellung haben, in denen sie keinen Antrag gestellt haben. Allerdings setzt dies auch voraus, dass ein Verfahren überhaupt zu führen ist. Auch ist für den Fall, dass sich im Verfahren zwei Unternehmen gegenüberstehen, nicht angeordnet, dass die Amtsparteien für eines dieser Unternehmen Stellung zu beziehen hätten, sondern es obliegt ihnen vielmehr die Wahrung der allgemeinen öffentlichen Interessen an einem funktionierenden Wettbewerb (vgl § 1 Abs 1 Wettbewerbsgesetz; § 112 Abs KartG).

Für Feststellungsverfahren nach § 8a KartG ist aber zufolge der ausdrücklichen Anordnung dieser Bestimmung eine Feststellung nur "auf Antrag" vorzunehmen. Fehlt es an einem solchen Antrag, zB weil er wirksam mit Zustimmung des Antragsgegners zurückgenommen wurde, so kann auch keine Feststellung vorgenommen werden.

Vorliegendenfalls wurde der Antrag der Antragstellerin Gegenstand eines Verfahrens, in dem nach der ausdrücklichen Anordnung des § 44 KartG auch die Amtsparteien Parteistellung haben. In dem Verfahren zur Beurteilung, ob ein "Antrag" noch vorliegt, haben daher die Amtsparteien ebenfalls Parteistellung. Es muss ihnen daher auch freistehen, den verfahrenseinleitenden Antrag als ihren eigenen Antrag aufrechtzuerhalten, wenn ihnen dies durch das Kartellgesetz eingeräumt wird (vgl hier § 8a Abs 2 Z 1 KartG). Damit scheidet zwar die vorweg antragstellende Partei aus, der "Antrag" als solcher bleibt jedoch dann in jenem - allenfalls eingeschränktem - Umfang aufrecht, in dem dies die Amtsparteien aus öffentlichen Interessen für erforderlich erachten.

Dieses Recht ist allerdings auf jene Amtsparteien zu beschränken, die sich im bisherigem Verfahren bis zur Antragsrückziehung auf irgendeine Weise beteiligt haben. Hat dies eine Amtspartei - wie bisher der Bundeskartellanwalt - nicht getan, ist daraus zu schließen, dass aus seiner Sicht kein öffentliches Interesse an dem kartellrechtlichen Verfahren besteht.

Im vorliegenden Fall haben die Amtsparteien - nach dem oben gesagten allerdings rechtlich beachtlich nur die Bundeswettbewerbsbehörde - zwar ausdrücklich mitgeteilt, der Rückziehung des Antrags nicht zuzustimmen, aber nicht erklärt, ob sie das Verfahren nunmehr als Antragsteller, somit als eigenes Verfahren fortsetzen wollen. Nur bejahendenfalls ist das Verfahren bei einer derartigen Konstellation fortzusetzen.

Da keine gesetzliche Regelung zur Frage vorliegt, innerhalb welcher Frist die Amtsparteien eine solche Erklärung abzugeben haben, ist diese Frist der Bundeswettbewerbsbehörde durch das Gericht zu bestimmen (vgl § 2 Abs 1 Z 9 AußStrG).

Am Stand des Verfahrens ändert sich dadurch, dass die Bundeswettbewerbsbehörde den Antrag - allenfalls eingeschränkt - aufrechterhält, nichts. Sie kann im anhängigen Verfahren, das sich im Stadium des Rechtsmittelverfahrens befindet, weder neue Anträge stellen noch ihre Gegenäußerung zum Rekurs ergänzen.

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