OGH 7Ob269/04s

OGH7Ob269/04s15.12.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Vogel, Dr. Schaumüller und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Kinder Wendy W*****, geboren am 7. Jänner 1994, und Moira W*****, geboren am 28. Februar 1995, wegen Entziehung der Obsorge, über die außerordentlichen Revisionsrekurse 1.) des Vaters Christian W*****, vertreten durch Mag. Andreas Köttl, Rechtsanwalt in Salzburg, und 2.) der Mutter Kristina W*****, vertreten durch Dr. Ingrid Stöger und Dr. Roger Reyman, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 8. September 2004, GZ 21 R 388/04m-30, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Ebenso wie die Entscheidung, welchem Elternteil die Kindesobsorge übertragen werden soll, grundsätzlich eine solche des Einzelfalles ist, der keine Bedeutung iSd § 14 Abs 1 AußStrG zukommt, wenn dabei auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wird und leitende Grundsätze der Rsp daher nicht verletzt werden (RIS-Justiz RS0007101; RS0097114 und RS0115719 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen), stellt auch die ebenfalls nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, ob den Eltern nach § 176 Abs 1 ABGB die Obsorge zu entziehen und gemäß § 213 ABGB dem Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen ist, unter den gleichen Voraussetzungen keine erhebliche Rechtsfrage dar (7 Ob 184/04s mwN). Auch diese, stets nur auf Grund der Umstände des konkreten Falles vorzunehmende Beurteilung wäre nur bei einer aus Gründen der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Fehlbeurteilung durch das Rekursgericht revisibel. Ausgehend von den Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanzen kann von einer solchen Fehlbeurteilung hier aber keine Rede sein:

Bei einer - angesichts der festgestellten, regelmäßig angewendeten "Erziehungsmethoden" (Schläge mit Kochlöffel auf das nackte Gesäß, Einschmieren der Mundschleimhäute mit Seifenlauge, Essensentzug, etc) nachhaltigen Verletzung des Gewaltverbotes des § 146a ABGB durch beide Elternteile sowie deren weiters festgestellte mangelnde Erziehungsfähigkeit, ist der die Übertragung der Obsorge an den Jugendwohlfahrtsträger erfordernde Tatbestand der Gefährdung des Kindeswohles im vorliegenden Fall zweifelsfrei gegeben (vgl 1 Ob 573/92, JBl 1992, 639 = EvBl 1993, 85/13 = ÖVA 1993, 26; RIS-Justiz RS0047973). Eine Verletzung leitender Grundsätze der Rsp (insb des im Vordergrund stehenden Kindeswohles - § 178a ABGB) ist daher nicht zu erkennen.

Dies gilt entgegen der Meinung der Revisionsrekurswerber (deren Ausführungen im Wesentlichen inhaltsgleich sind und daher gemeinsam behandelt werden können) auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht. Von den Revisionsrekurswerbern wird im Wesentlichen geltend gemacht, das Verfahren sei mangelhaft geblieben, weil weder die Kinder selbst, noch die Eltern, noch einige weitere namhaft gemachte Auskunftspersonen vernommen worden seien. Eine diesbezügliche Mangelhaftigkeit wurde aber bereits vom Rekursgericht mit ausführlicher Begründung verneint und kann daher im Revisionsrekursverfahren nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0030748; RS0050037), es sei denn, eine Durchbrechung dieses Grundsatzes wäre aus Gründen des Kindeswohles erforderlich (5 Ob 56/02z, RIS-Justiz RS0030748 [T 2]; RIS-Justiz RS0050037 [T 1 und T 4], zuletzt etwa 7 Ob 65/03i; 6 Ob 119/03y; 9 Ob 141/03f und 7 Ob 184/04s).

Dies ist hier aber nicht der Fall, da die Ansicht des Rekursgerichts, die Sachverhaltsermittlung bedürfe keiner Ergänzung mehr, um über die Obsorge im Sinne des Kindeswohles entscheiden zu können, unter den gegebenen Umständen jedenfalls vertretbar erscheint. Daran ändert auch das - von den Revisionsrekurswerbern besonders monierte - Unterbleiben der Vernehmung der mj Wendy nicht, die zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung - anders als ihre Schwester - bereits 10 Jahre alt war. Folgt doch die vom Rekursgericht vorgenommene Interpretation der die Anhörung bzw Befragung des Kindes regelnden Bestimmung des § 182b AußStrG (von den Revisionsrekurswerbern wird noch auf den inzwischen aufgehobenen § 178b ABGB Bezug genommen) den Gesetzesmaterialien und steht mit der Judikatur zur Vorgängerbestimmung des § 178b ABGB im Einklang (vgl etwa RIS-Justiz RS0048956; EFSlg 87.096; EFSlg 93.197). Diese Vorjudikatur ist im Wesentlichen weiter anwendbar, da die bisher in § 178b ABGB enthaltene Regelung über die Einvernahme Minderjähriger lediglich im Interesse der Rechtsbereinigung und Entflechtung der Gemengelage von materiellem und formellem Recht ins Außerstreitgesetz übernommen, soweit als möglich ausgedehnt und zeitgemäßer formuliert wurde (EB RV 296 BlgNR 21. GP 86 f). Dabei wurde in Abs 2 leg cit der, nach der Terminologie des ABGB Verfahrensbeteiligung (= Parteistellung) kraft materiellen Rechtes bedeutende Begriff "Anhörung" durch jenen der "Befragung" ersetzt (vgl EB aaO). Zwar ist nach dem eindeutigen Inhalt des § 182b AußStrG im Verfahren über Pflege und Erziehung oder das Besuchsrecht die Anhörung eines Minderjährigen, der das 10. Lebensjahr bereits vollendet hat, "tunlichst" vorzunehmen. Die Befragung darf aber aus zwei Gründen unterbleiben, die unter den Begriffen des Kindeswohles und der Verständnisfähigkeit zusammenzufassen sind: Es ist zB zulässig, unter Berücksichtigung der wohlverstandenen Interessen des Minderjährigen von seiner Befragung abzusehen, weil ausreichend sicher anzunehmen ist, dass sie das betroffene Kind in einen seiner weiteren Entwicklung abträglichen Loyalitätskonflikt stürzen würde (EB RV 296 BlgNR 21. GP 87). Die Ansicht des Rekursgerichtes, unter dem Aspekt des Kindeswohles habe im vorliegenden Fall von der Befragung auch der bereits knapp 10-jährigen Wendy durch das Gericht Abstand genommen werden können, zumal diese so wie ihre Schwester ohnehin durch den familienpsychologischen Gutachter eingehend befragt wurde, entspricht daher dem Gesetzesauftrag (vgl 7 Ob 95/02z); auch insoweit hält sich die Rechtsansicht des Rekursgerichtes zur - einzelfallbezogenen (vgl 6 Ob 219/00z) - Frage, welche konkreten Beweise bei der Obsorgeentscheidung aufzunehmen sind und in welchem Umfang Beweisanboten einer Partei zu entsprechen ist, im Rahmen der einschlägigen Judikatur.

Schließlich kann aber auch darin, dass die Obsorge dem Jugendwohlfahrtsträger und nicht den väterlichen Großeltern übertragen wurde, keine die Zulassung der außerordentlichen Revision rechtfertigende Verkennung der Rechtslage erblickt werden, zumal die Begründung des Rekursgerichtes, im (bisherigen) Kindesambiente wäre keine Gewähr dafür geboten, dass die Kinder nicht neuerlich Übergriffen der Eltern ausgesetzt wären, plausibel erscheint. Eine Fehlbeurteilung wäre aber auch in diesem Punkt Zulassungsvoraussetzung, weil auch die Frage, ob iSd § 213 ABGB Verwandte oder andere nahestehende oder sonst besonders geeignete Personen vorhanden sind, die mit der Obsorge für den Minderjährigen betraut werden könnten, einzelfallbezogen ist.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 16 Abs 4 AußStrG iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Stichworte