Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung
Anlässlich der Ehescheidung der Eltern haben diese am 27. 7. 1999 gemäß § 55a Abs 2 EheG die Vereinbarung geschlossen, dass hinsichtlich der drei Kinder in Hinkunft der Kindesmutter die Pflege und Erziehung allein zustehe. Diese Vereinbarung wurde mit Beschluss vom 2. 11. 1999 zu P 70/99z-5, pflegschaftsbehördlich genehmigt. Etwas mehr als ein Jahr später stellte der Vater den Antrag auf Entzug des Sorgerechtes für alle drei mj Kinder und führte zur Begründung aus, die Kinder würden vernachlässigt, seien verwahrlost, womit das Kindeswohl gefährdet sei. Aufgrund des Alkoholproblems der Mutter sei den Kindern nicht mehr zuzumuten, in derart schädlichen Verhältnissen aufzuwachsen. Überdies bestünde eine besonders innige Beziehung der Kinder zu ihm.
Die Mutter begehrt die Abweisung des Antrags und widersprach den Vorwürfen des Vaters.
Mit Beschluss vom 25. 10. 2001 zu P 70/99z-25 entzog das Erstgericht der Kindesmutter die Obsorge für die drei mj Kinder und übertrug diese Obsorge zur Gänze dem Vater Josef P*****.
Dabei ging das Erstgericht von folgenden Feststellungen aus:
Bis zur Scheidung im Jahr 1999 versorgte Heidelinde P***** die Kinder und den Haushalt tadellos. Seit der Scheidung hingegen änderte sich dies nachhaltig. Immer wieder traten Probleme mit dem Hinbringen und Abholen der Kinder zu Schule und Kindergarten auf, weiters gab es Probleme im Haushalt, der von ihr vernachlässigt wurde. Fallweise half die Großmutter, nach dem rechten zu sehen. Die Mutter begann regelmäßig Alkohohl zu trinken, zeitweise schon am Vormittag, was dazu führte, dass sie nervlich angegriffen war. Deshalb schrie sie häufig mit den Kindern. Sie brachte keinerlei Geduld mehr mit den Kindern auf. Oft weinten die Kinder wegen des Verhaltens der Mutter. Oft verließen sie am Nachmittag das Haus und gingen in das nahegelegene Haus ihres Vaters.
Zur fast täglichen Alkoholisierung der Mutter kam noch, dass sie etwa ein bis zwei Packungen Zigaretten pro Tag rauchte. Oft trank die Mutter bis spät in die Nacht hinein Alkohol, hatte Gäste, es war öfters so laut, dass die Nachbarn die Gendarmerie zu Hilfe holen mussten. Gefeiert wurde nicht nur an den Wochenenden, wo sich die Kinder regelmäßig beim Vater befanden, sondern auch während der Woche.
Das hatte zur Folge, dass die Mutter am Morgen nicht in der Lage war, rechtzeitig aufzustehen und die Kinder für Schule und Kindergarten fertig zu machen und ihnen Frühstück zu bereiten. Fallweise wurde dies von einem Lebensgefährten der Kindesmutter erledigt. Nach Beendigung dieser Lebensgemeinschaft litt die Mutter unter Depressionen, die stationär behandelt werden mussten. Auch danach hat sich an ihren Trink- und Rauchgewohnheiten kaum etwas geändert. Es gab auch Probleme mit der ärztlichen Versorgung der Kinder bzw mit der Durchführung von ärztlichen Anordnungen, insbesondere bezüglich des Bettnässens des jüngsten Sohnes P*****.
Die Kindesmutter hat auch laufend wechselnde Männerbekanntschaften. Sie lebt hauptsächlich von den Alimenten, die der Vater für die gemeinsamen Kinder zahlt sowie von Familienbeihilfe und davon, dass sie Kindergartenkinder als Tagesmutter außerhalb der Kindergartenzeit betreut.
In den Monaten März bis Juli 2001 verursachte die Mutter Telefonrechnungen über S 9.172 und S 12.135. Für Bekleidung und Schuhe sowie Sportartikel für die Kinder kommen, wenn die Mutter kein Geld mehr dafür hat, überwiegend die väterlichen Großeltern auf. Die beiden älteren Söhne D***** und P***** haben sich eindeutig dafür ausgesprochen, beim Vater leben zu dürfen. D***** begründet das ua damit, dass er von seiner Mutter häufig geschlagen würde sowie damit, dass seine Mutter immer Freunde einlade und es in der Wohnung laut sei. Auch P***** begründet den Wunsch beim Vater zu leben damit, dass die Mutter so viel schreie und es manchmal vorkomme, dass sie in der Früh verschlafe.
Gestützt auf das Fachgutachten der Psychologen der Familien- und Erziehungsberatung des Landes vom 19. 7. 2001 nahm das Jugendamt Z***** am 30. 7. 2001 zur Frage der Obsorgeübertragung wie folgt Stellung:
“Frau P***** fühlt sich von ihrem geschiedenen Mann und dessen Familie in ihrer Erziehungskompetenz derart untergraben, dass es ihr nicht mehr möglich ist, ihren Aufgaben als Mutter gerecht zu werden. D***** und P***** sind voller Aggressionen gegen sie und lassen sich in keiner Weise mehr von der Mutter führen. Sie erklären auch eindeutig, beim Vater leben zu wollen. Zwischen der Mutter und P***** (dem jüngsten Kind) besteht noch eine derart starke Bindung, dass derzeit ein Verbleib des Kindes im mütterlichen Haushalt empfohlen wird. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Situation so weit entspannt, dass Frau P***** ihrer Aufgabe als Alleinerzieherin eines Kindes gerecht werden kann. P***** kann schon derzeit mit der Situation, von seinen Brüdern getrennt zu leben, gut umgehen. Auch für D***** und P***** wäre diese Lösung vorstellbar. Ein Kontakt zwischen den Brüdern sollte dann jedenfalls durch geregelte Besuche gepflegt werden. Es erscheint auch wichtig, dass die Kindesmutter als Bezugsperson auch den größeren Kindern erhalten bleibt, weshalb dem Kindesvater nahegelegt wurde, diesen Kontakt zu fördern". Der Vater Josef P***** lebt in Lebensgemeinschaft mit Andrea W*****, die die Betreuung der Kinder übernehmen würde und die auch von den Kindern sehr gut angenommen wird.
Wegen A***** hat sich auch die Bindungsintensität P*****s von der Mutter zum Vater verschoben. Am 18. 10. 2001 gab es eine Auseinandersetzung zwischen D***** und seiner Mutter, die mit einer Verletzung des Kindes durch die Mutter und Beschädigung des Autos durch das Kind sowie damit endete, dass D***** nicht zur Schule ging, sondern in einen anderen Stadtteil weglief.
In rechtlicher Hinsicht beurteilt das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dass das Wohl jedenfalls der beiden älteren Kinder D***** und P***** ganz offenkundig gefährdet sei, insbesondere deshalb, weil es der Mutter an jeglicher Erziehungskompetenz mangle. Auch während des anhängigen Verfahrens habe die Mutter nicht unter Beweis stellen können, dass sie bereit sei, ihr Leben in den Griff zu bekommen oder so zu gestalten, dass sie in der Lage sei, ihre Kinder ordnungsgemäß zu betreuen und ihnen die erforderliche Erziehung angedeihen zu lassen. Ihr Lebenswandel und ihr Verhalten zu den Kindern diene nicht deren Wohl.
Hinsichtlich des jüngsten Kindes, des sechsjährigen P*****, war das Erstgericht der Auffassung, dass durch die geänderte Situation beim Vater (insbesondere die Lebensgefährtin A*****) und der durchaus realen Besorgnis, dass die Mutter ihre derzeitige Wohnung nicht mehr finanzieren werde können, wenn sie die Alimentation der älteren Kinder verliere, es nicht mehr verantwortbar sei, der Mutter quasi eine Probezeit einzuräumen, weil sie auch die während des Verfahrens verstrichene Zeit von sieben Monaten in keiner Weise genützt habe. Einem gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs gab das Gericht zweiter Instanz nicht Folge. Zunächst liege die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens, die in der Unterlassung der Nichteinholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens gelegen sei, nicht vor. Das Erstgericht habe seine Entscheidung auf Stellungnahmen des Bezirksjugendamtes und auf ein Fachgutachten der Psychologen der Familien- und Erziehungsberatung des Landes gestützt. Es unterliege der freien Beweiswürdigung des Erstgerichtes, wenn es den Beweiswert solcher Stellungnahmen nicht geringer veranschlagt habe, als die eines vom Gericht bestellten Sachverständigengutachtens. In Zusammenhalt mit den übrigen Beweisergebnissen, die aufgrund eines sorgfältig geführten und ausführlichen Beweisverfahrens gewonnen wurden, habe sich ein abgerundetes und in sich schlüssiges und lebensnahes Bild der häuslichen Situation ergeben. Dazu komme, dass der angefochtene Beschluss durch einen Pflegschaftsrichter gefasst worden sei, dem aufgrund seiner langjährigen beruflichen Erfahrung bei Beurteilung auch komplexer familienrechtlicher Sachverhalte ausreichend Sachkunde zugetraut werden könne. Die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens aus dem Fach der Kinder- und Jugendpsychologie bzw -psychiatrie sei daher entbehrlich gewesen. Im Übrigen teilte das Rekursgericht die Beweiswürdigung des Erstgerichtes.
In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht den vorliegenden Sachverhalt unter dem Aspekt des § 176 ABGB wie folgt: Eine Gefährdung des Kindeswohls setze nicht geradezu einen Missbrauch der elterlichen Befugnisse voraus, es genüge schon, dass die elterlichen Pflichten objektiv nicht erfüllt oder subjektiv gröblich vernachlässigt würden und daher der obsorgeberechtigte Elternteil durch sein Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährde. Das Rekursgericht bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, dass durch die Lebensführung der Mutter das Wohl der Kinder gefährdet sei. Sie sei nicht in der Lage, ihre Lebensführung den Erfordernissen der Erziehung und Betreuung der Kinder gemäß zu gestalten. Dies offensichtlich bedingt durch übermäßigen Alkoholkonsum und die angegriffene nervliche Verfassung der Mutter. Die Kinder litten auch unter den Zuständen im Haushalt, insbesondere darunter, dass die Mutter Alkohol und Nikotin im Übermaß konsumiere, dass sie Gäste bis in die späte Nacht hinein empfange, wodurch auch das Ruhebedürfnis der Kinder gestört werde. Weiters durch die Unzulänglichkeiten in Zusammenhang mit der ärztlichen Versorgung, die finanzielle Gebarung der Mutter sei überdies schädlich, weil es zu finanziellen Engpässen komme, was sich zum Nachteil der Kinder auswirke. Für wesentlich hielt das Rekursgericht noch, dass die beiden älteren Kinder die Mutter massiv ablehnten und unbedingt beim Vater leben wollten, sowie dass die Mutter am 18. 10. 2001 dem ältesten Kind im Zug einer Auseinandersetzung durch eine körperliche Züchtigung eine Verletzung zugefügt habe. § 146a ABGB normiere ein absolutes Züchtigungsverbot, worunter nicht nur Körperverletzungen und die Zufügung körperlicher Schmerzen unterhalb der Verletzungsgrenze gehöre, sondern auch jedes andere unzumutbare, die Menschenwürde verletzende Verhalten. Das Argument der Mutter, die Kinder hätten hervorrangende schulische Leistungen aufzuweisen, woraus sich ergebe, dass keine kindeswohlgefährdenden Verhaltensweisen vorlägen, sei nicht zwingend. Es genüge, dass bei Fortdauer des Zustandes eine Beeinträchtigung der physischen und psychischen Integrität des Kindes zu besorgen sei, um eine Gefährdung des Kindeswohls anzunehmen. Eine solche müsste sich nicht bereits in einem Schulversagen manifestiert haben. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer im Sinn des § 14 Abs 1 AußStrG erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig sei, weil die Frage einer konkreten Kindeswohlgefährdung eine des Einzelfalles sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Beschlusses im Sinne einer Abweisung des Antrags auf Entziehung der Obsorge. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Revisionsrekurswerberin wirft dem angefochtenen Beschluss primäre und sekundäre Mangelhaftigkeit vor, weil durch Unterlassung der Einholung eines Gutachtens eines Kinder- und Jugendpsychologen eine qualifizierte Beurteilung des Kindeswohls unterblieben sei. Gerade in der psychisch tiefgreifenden und gefühlsbetonten Materie der Obsorgeentziehung sei es unumgänglich, für ein abgerundetes Beweisbild zu sorgen, um die optimale Entwicklungsprognose für die betroffenen Kinder stellen zu können. Vor allem hätte sich durch die Einholung eines solchen Gutachtens aber auch die Richtigkeit des Fachgutachtens der Psychologen der Familien- und Erziehungsberatung des Landes ergeben sowie der Stellungnahme des Bezirksjugendamtes Z*****, dass es jedenfalls nicht dem Wohl des Kindes P***** entspreche, gegen seinen Willen aus der Obsorge seiner Mutter genommen und der des Vaters überantwortet zu werden. Ausdrücklich sei nämlich empfohlen worden, dass das jüngste Kind bei der Mutter verbleibe, weil zwischen ihm und der Mutter noch eine starke Bindung bestehe.
Diese Aussagen hätten die Vorinstanzen unzutreffenderweise relativiert und mit vagen und unsubstantiierten Annahmen, es könnten zukünftig Erziehungsmängel auftreten, eine Übertragung der Obsorge angeordnet.
Die Vorinstanzen hätten sich ohne ausreichende Begründung über diese amtlichen Stellungnahmen hinweggesetzt, obwohl die entsprechenden Begutachtungen sogar nach der Anhörung der mj Kinder durch den Erstrichter stattgefunden hätten.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen den bezeichneten Beschluss erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Zunächst ist klarzustellen, dass die Entscheidung, welchem Elternteil die Kindesobsorge übertragen werden soll, nur dann eine solche des Einzelfalls ist, der keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 14 Abs 1 AußStrG zukommt, wenn dabei auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wurde (4 Ob 186/01h). Wenn es die Interessen des Kindeswohls erfordern, dann kann ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz auch noch in dritter Instanz erfolgreich zum Gegenstand einer Verfahrensrüge gemacht werden (1 Ob 2292/96g; RIS-Justiz RS0050037). Am Beispiel des mj P***** zeigt der Revisionsrekurs zutreffend auf, dass die Frage des Kindeswohls sogar abweichend von den fachlich fundierten Äußerungen des Jugendamtes und der Psychologen der Erziehungsberatung beurteilt wurde. Völliger außer Acht gelassen wurde der Umstand, dass zwischen P***** und der Kindesmutter eine starke Beziehung besteht, die einen Obsorgewechsel, den das Kind auch nicht anstrebt, nicht angezeigt erscheinen lässt. Davon abweichend hat das Erstgericht ohne Einholung des beantragten Fachgutachtens die Gefährdung des Kindeswohls bejaht. Das Rekursgericht hat die dagegen erhobene Mängelrüge noch dazu mit dem Argument verworfen, die Äußerungen (die das Erstgericht eben nicht ausreichend beachtet hat) des Jugendamts und der Psychologen der Erziehungsberatung seien einem Fachgutachten gleichzuhalten.
Die Obsorge darf nach ständiger Rechtsprechung nur dann auf den anderen Elternteil übertragen werden, wenn die Voraussetzungen des § 176 Abs 1 ABGB - also die Gefährdung des Kindeswohls - gegeben sind. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen, die Änderung der Obsorgeverhältnisse darf nur als Notmaßnahme angeordnet werden (EFSlg 62.865 ua), bei Vorkehrungen im Sinn des § 176 ABGB ist auch nicht maßgeblich, dass die Verhältnisse beim anderen Elternteil an sich besser wären (vgl 8 Ob 304/00i).
Auch bloße Beziehungsschwierigkeiten eines Kindes zur Mutter, von denen nicht feststeht, dass sie irreversiblen Charakter angenommen hätten, kommt allein kein solches Gewicht zu, dass im Rahmen eines Verfahrens nach § 176 ABGB eine Anordnung erforderlich wäre (RIS-Justiz RS0006981).
Was das rechtswidrige Erziehungsverhalten der Mutter im Sinn des § 146a ABGB betrifft, ist auch noch nicht geklärt, ob es sich nicht um einen einmaligen Vorfall handelte, der die Entziehung der Obsorge noch nicht rechtfertigen würde (vgl dazu ÖA 1990, 52). Das Erstgericht gibt nämlich bei Darstellung der Äußerung des mj D***** wieder, dass er häufig Ohrfeigen bekommen habe, nimmt dies aber offensichtlich nicht als festgestellten Sachverhalt an. Auch wird unterlassen, bei der Entscheidung über die Obsorge für die Kinder Zukunftsprognosen aufzustellen, sondern bloß von einer momentanen Situation ausgegangen. Die Obsorgeentscheidung aber ist eine zukunftsbezogene Rechtsgestaltung. Nur wenn sichere Prognosen über den Einfluss eines Obsorgewechsels vorliegen, kommt eine Entscheidung über eine Obsorgeentziehung in Betracht (5 Ob 229/98g; RIS-Justiz RS00l48632).
Auch das Fehlverhalten der Mutter, insbesondere das Ausmaß ihres Alkoholmissbrauchs stehen keineswegs deutlich fest. Dass sie “fast jeden Tag Alkohol" trinkt, gibt wirklich kein klares Bild von der Tatsache oder dem Ausmaß einer allfälligen Alkoholkrankheit. Was die Vernachlässigung des Haushaltes betrifft, fehlen überhaupt konkrete Feststellungen, die eine solche Aussage treffen ließen. Natürlich ist auch der Umstand maßgeblich, dass die Kinder in der Schule hervorrangende Leistungen aufweisen, das älteste Kind sogar Klassenbester ist.
Wenn auch die Bestimmung des § 178b ABGB die Anhörung des Kindes vorsieht, sagt dies nichts darüber aus, ob die Meinung des Kindes auch zu berücksichtigen ist (vgl Pichler in Rummel Rz 6 zu § 178b ABGB). Die Anhörung der Kinder dient in Wahrheit dazu, dass der Richter die entscheidungswesentlichen Umstände auch aus deren Sicht und deren Empfindungen erkennen und ins Klare setzen kann (EFSlg 56.836, 45.890 ua). So wichtig es auch für den Richter ist, sich von der Familie bzw den Obsorgeverhältnissen ein Bild zu machen, so entspricht es doch gesicherter psychologischer Erkenntnis (Figtor in ÖA 1990, 7), dass die Befragung der Kinder nach der Präferenz für den einen oder anderen Elternteil - abgesehen von der entwicklungspsychologisch erklärbaren Unverlässlichkeit und fehlenden Signifikanz solcher Präferenzäußerungen - die befragten Kinder in hohem Maß überlastet und mit großer Wahrscheinlichkeit in schwere Loyalitätskonflikte stürzt.
Im fortgesetzten Verfahren wird es daher unumgänglich sein, die Feststellungen durch Einholung eines Fachgutachtens aus dem Bereich der Jugendpsychologie und Jugendpsychiarie im aufgezeigten Sinn zu ergänzen, die Feststellungen über die Haushalts- und Erziehungstätigkeit der Mutter auf gesicherte Grundlagen zu stellen, ebenso nachvollziehbare Feststellungen über den Grad der Alkoholkrankheit der Mutter zu gewinnen und, sollte es im Ergebnis zu einer Teilung der Obsorge der Kinder kommen, auch dafür - das Kindeswohl im Auge behaltend - entsprechende Grundlagen zu liefern. Im aufgezeigten Sinn ist das Verfahren ergänzungsbedürftig, was zur Aufhebung zu führen hatte.
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