OGH 2Ob172/04i

OGH2Ob172/04i25.11.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Davut B*, vertreten durch Dr. Herbert Linser und Mag. Christian Linser, Rechtsanwälte in Imst, sowie der der klagenden Partei beigetretenen Nebenintervenientin D* mbH, *, vertreten durch Mag. Klaus P. Pichler, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagten Parteien 1.) Birgit H*, und 2.) Z* Versicherungsaktiengesellschaft, *, beide vertreten durch Dr. Andreas Fink und Dr. Peter Kolb, Rechtsanwälte in Imst, wegen EUR 8.559,28 und Feststellung (Streitwert EUR 2.180,19), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. April 2004, GZ 4 R 45/04f‑58, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 5. Jänner 2004, GZ 18 Cg 98/01p‑53, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2004:E75486

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben. Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 732,23 (darin enthalten EUR 122,04 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

 

Am 18. 11. 2000 ereignete sich gegen 13.20 Uhr auf der B 171 in der Gemeinde Imst auf der Höhe der Einfahrt zu einen Firmenparkplatz ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger mit einem von ihm gelenkten und gehaltenen PKW und die Erstbeklagte mit dem von ihr gelenkten und gehaltenen sowie bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW beteiligt waren.

Der Kläger begehrt den Ersatz seines Schadens (Fahrzeugschaden, Schmerzengeld und Verdienstentgang) von EUR 8.559,28 sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für alle künftigen Schäden aus diesem Unfall. Er sei an einem vor ihm nach rechts auf den Firmenparkplatz abbiegenden PKW richtungshaltend (ohne Überfahren einer Sperrfläche) vorbeigefahren, als die Erstbeklagte aus der Ausfahrt dieses Parkplatzes nach links in die B 171 einbiegen habe wollen. Dabei habe sie nicht die erforderliche Aufmerksamkeit aufgebracht, den Vorrang des Klägers missachtet und eine kurvenschneidende Fahrweise gewählt. Ihr falle eine grobe Sorgfaltsverletzung und ein Verstoß gegen § 13 Abs 1 StVO zur Last. Selbst wenn er eine Sperrfläche geringfügig überfahren haben sollte, sei dies nicht unfallkausal gewesen, andererseits habe er dadurch seinen Vorrang nicht verloren. Der Schutzzweck der Sperrfläche erschöpfe sich in der Vermeidung von Kollisionen mit entgegenkommenden Linksabbiegern. Die Erstbeklagte hätte mit überholenden und am rechts abbiegenden Fahrzeug vorbeifahrenden bevorrangten überholenden Verkehrsteilnehmern rechnen müssen.

Die Beklagten hielten dem - zusammengefasst - entgegen, der Kläger habe ohne Betätigung des linken Fahrtrichtungsanzeigers ein nach rechts abbiegendes Fahrzeug überholen wollen und deshalb sein Fahrzeug um etwa 3 m nach links versetzt und zur Gänze eine dort befindliche Sperrfläche überfahren. Mit diesem Fahrmanöver habe die Erstbeklagte nicht rechnen können. Da die (von links) herannahenden Fahrzeuge wegen des abbiegenden PKW die Geschwindigkeit verringert hätten und die beiden Fahrbahnhälften der Bundesstraße durch eine breite Sperrfläche getrennt seien, habe sie davon ausgehen können, gefahrlos in die Bundesstraße einfahren zu können. Das Überholmanöver des Klägers habe sie erst nach dem Einfahren gesehen. Der Kläger habe das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls zu vertreten. Der allenfalls zu Recht bestehenden Klageforderung werde eine Gegenforderung kompensando entgegengehalten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab.

Es ging von nachfolgenden - wesentlichen - Feststellungen aus.

Im Bereich der Unfallstelle verlief die 10,25 m breite, asphaltierte B 171 aus der Fahrtrichtung Tarrenz gesehen in nahezu geradliniger Form. Auf ihr waren zwei Fahrstreifen und eine Sperrfläche markiert. Aus der genannten Fahrtrichtung befand sich ein 3,8 m breiter Fahrstreifen, der von der Gegenfahrbahn durch eine maximal 1,95 m breite Sperrfläche getrennt war. In der Gegenrichtung war ein Fahrstreifen sowie ein Linksabbiegerfahrstreifen vorhanden.

Zum Unfallszeitpunkt war es bedeckt, die Fahrbahn war nass; es herrschte mäßiges Verkehrsaufkommen.

Der Kläger fuhr mit seinem ohne Außenspiegel 1,66 m breiten Fahrzeug auf der B 171 aus der Richtung Tarrenz kommend; hinter dem Kläger fuhren zwei weitere Fahrzeuge. Vor ihm fuhr seine Ehefrau mit einem 1,73 m breiten PKW. Die Ehefrau des Klägers beabsichtigte, nach rechts auf den genannten Firmenparkplatz einzubiegen. Sie hielt einen Abstand von 0,5 m zum rechten Fahrbahnrand ein und verlangsamte nach Betätigung des rechten Fahrtrichtungsanzeigers ihre Geschwindigkeit von 50 bis 60 km/h auf etwa 10 bis 20 km/h.

Die Erstbeklagte stand zu diesem Zeitpunkt an der Ausfahrt des Parkplatzes und wollte nach links in die B 171 einbiegend in Richtung Tarrenz weiterfahren. Sie hatte den linken Fahrtrichtungsanzeiger eingeschaltet. Sie sah die Autokolonne mit dem Fahrzeug der Ehefrau des Klägers an der Spitze sich nähern und bemerkte, dass diese nach rechts blinkte und in den Parkplatz einbiegen wollte. Das Fahrzeug des Klägers befand sich zum Zeitpunkt des Einfahrens der Erstbeklagten etwa 30 m vor der späteren Kollisionsstelle und war im Sichtbereich der Erstbeklagten. Diese vertraute darauf, dass die Fahrzeuge hinter dem Rechtsabbieger aufgrund der vorhandenen Sperrfläche und eines auf der B 171 geltenden Überholverbotes nicht überholen würden. Die Erstbeklagte wollte den Zeitraum, den der Rechtsabbieger für den Einbiegevorgang benötigte, nützen und fuhr in die B 171 ein. Sie hätte ihr Fahrmanöver kollisionsfrei ausführen können, wenn der Kläger nicht das vor ihm fahrende Fahrzeug seiner Ehefrau überholt hätte, was ihm zu diesem Zeitpunkt nur durch das Überfahren der vorhandenen vor der Sperrfläche angebrachten Sperrlinie möglich war. Als die Ehefrau des Klägers mit ihrem Bremsmanöver begann, um in die Einfahrt einzubiegen, lenkte der Kläger selbst noch vor Einleitung eines Bremsmanövers durch ihn, und zu einem Zeitpunkt, in dem sich das abbiegende Fahrzeug noch zur Gänze auf der Bundesstraße befand, sein Fahrzeug mit unverminderter Geschwindigkeit von 45 km/h nach links, wobei er die Sperrfläche jedenfalls nicht bloß unerheblich überfuhr. Der beim Überholmanöver vom Kläger eingehaltene Sicherheitsabstand zum abbiegenden Fahrzeug sowie das genaue Ausmaß des Überfahrens der Sperrlinie konnte nicht festgestellt werden. Der Kläger fuhr mit einer Ausgangsgeschwindigkeit von 45 km/h und einer Kollisionsgeschwindigkeit von 26 km/h auf das Fahrzeug der Erstbeklagten auf. Wäre er nur mit 40 km/h gefahren, hätte er den Unfall jedenfalls vermeiden können.

Hätte der Kläger ausschließlich den für ihn bestimmen Fahrstreifen benützt und nicht die Sperrfläche überfahren, sohin abgewartet, bis der Abbiegevorgang seiner Ehefrau entsprechend weit fortgeschritten wäre, hätte sich der Unfall nicht ereignet. Der Kläger hätte in diesem Fall mit seinem Überholmanöver nur so lange zuwarten müssen, bis der Einbiegevorgang des abbiegenden Fahrzeugs so weit fortgeschritten wäre, dass sich nur mehr das letzte Drittel in Schrägstellung auf dem Fahrstreifen befunden hätte.

Als der Kläger das Fahrzeug der Erstbeklagten erblickte, bremste er, geriet dabei ins Rutschen und prallte frontal gegen die linke vordere Seite.

Die Fahrlinie der Erstbeklagten entsprach einem ordnungsgemäßen Einbiegen ohne Überfahren von Sperrlinien oder -flächen oder "Schneiden".

Rechtlich führte das Erstgericht aus, die vorhandene Sperrfläche hätte auch das Einbiegen für die Erstbeklagte erleichtern sollen. Sie habe darauf vertrauen dürfen, dass der Kläger nicht in straßenverkehrsordnungswidriger Weise unter Befahren der Sperrfläche an dem vor ihm fahrenden Fahrzeug vorbeifahren werde. Der Erstbeklagten falle daher keine Vorrangverletzung zur Last. Der Kläger habe entgegen § 9 Abs 1 StVO beim Überholen eine Sperrfläche befahren; ihn treffe daher das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es übernahm die hier wiedergegebenen ‑ wesentlichen - Feststellungen des Erstgerichtes und stellte lediglich klar, dass sich in Annäherung an die Unfallstelle aus der Fahrtrichtung des Klägers zunächst eine Leitlinie befand, die in der Folge in eine kurze Sperrlinie und schließlich in die Sperrfläche mündete. Die vom Erstgericht synonym verwendete Bezeichnung "Sperrlinie" und "Sperrfläche" sei aus diesen örtlichen Gegebenheiten zu erklären.

Rechtlich erörterte es, der Zweck der Sperrfläche bestehe auch darin, den von rechts kommenden in die B 171 nach links einbiegenden Verkehrsteilnehmern dieses Fahrmanöver zu erleichtern.

Die Erstbeklagte hätte zwar bei Beginn ihres Einbiegemanövers von ihrem Vorhaben noch Abstand nehmen können, weil sich der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch etwa 30 m entfernt befunden habe, doch habe sie darauf vertrauen dürfen, dass der Kläger nicht unter Überfahren einer Sperrfläche überholen werde.

Der Vorrang des Verkehrsteilnehmers gehe zwar auch dann nicht verloren, wenn sich dieser verkehrswidrig verhalte. Dieser Rechtssatz bestehe jedenfalls dann zu Recht, wenn der bevorrangte Verkehr vom wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer wahrgenommen werden könne oder schuldhaft nicht wahrgenommen werde und mit einem Verkehr auf der bevorrangten Straße gerechnet werden müsse. Er verliere jedoch dann seine Wirkung, wenn der auf der bevorrangten Straße fahrende Verkehrsteilnehmer nicht oder nicht aus dieser Annäherungsrichtung habe erwartet werden können, also mit einer derartigen Fahrweise nicht habe gerechnet werden können oder müssen. Die Berufung auf den Vorrang setze voraus, dass der Berechtigte überhaupt die Möglichkeit zum zulässigen Weiterfahren habe. Dem Kläger sei ein Überholen oder Vorbeifahren an dem abbiegenden PKW nur durch ein gegen § 9 Abs 1 StVO verstoßendes Befahren der Sperrfläche möglich gewesen. Den Feststellungen sei weiters zu entnehmen, dass die Erstbeklagte die Absicht des Klägers, ein derartig verkehrswidriges Fahrverhalten zu setzen, nicht so rechtzeitig habe erkennen können, dass sie darauf noch ausreichend reagieren und den Unfall verhindern hätte können. Sie habe daher nach § 3 Abs 1 StVO darauf vertrauen dürfen, dass der Kläger die genannte Vorschrift einhalten werde. Hätte der Kläger dem entsprochen, so hätte sich der Unfall trotz Einfahrens der Beklagten nicht ereignet. Unter diesen Umständen könne der Erstbeklagten ein Verschulden am Zustandekommen des Verkehrsunfalls nicht angelastet werden.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil gesicherte Rechtsprechung fehle, ob und unter welchen Umständen sich ein im Vorrang befindlicher Kraftfahrer trotz Überfahrens einer Sperrfläche auf den sonst ihm zukommenden Vorrang berufen könne (2 Ob 33/94 und 8 Ob 237/75).

Der Kläger beantragt in seinem Rechtsmittel die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend, dass seinem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen, die Revision des Klägers als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die vom Berufungsgericht zitierte Rechtsprechung einer Klarstellung bedarf. Sie ist aber nicht berechtigt.

Der Vorwurf der Mangelhaftigkeit des Verfahrens wurde geprüft. Mangelhaftigkeit liegt nicht vor. Dies ist nicht näher zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO).

In der Revision des Klägers wird im Wesentlichen geltend gemacht, sein Vorrang erstrecke sich über die gesamte Fahrbahnbreite und gehe auch durch Überfahren einer Sperrlinie oder Sperrfläche nicht verloren.

Dazu ist auszuführen:

Nach § 9 Abs 1 StVO dürfen Sperrlinien (§ 55 Abs 2) nicht überfahren und Sperrflächen (§ 45 Abs 4) nicht befahren werden. Dazu wurde in der Entscheidung 2 Ob 284/02g (mwN) ausdrücklich festgehalten, dass das Verbot des § 9 Abs 1 StVO meist (aber nicht immer) dem Schutz des Gegenverkehrs dient, dass aber auch andere (etwa aus dem Querverkehr kommende) Verkehrsteilnehmer vom Schutzzweck erfasst sein können. Der Schutzzweck der genannten Norm dient daher auch dazu - wie das Berufungsgericht bereits zutreffende ausgesprochen hat ‑, der Erstbeklagten das Einbiegen in die Bundesstraße zu erleichtern.

Es trifft zu, dass die Rechtsprechung den Grundsatz entwickelt hat, der Vorrang gehe auch dann nicht verloren, wenn sich der im Vorrang befindliche Verkehrsteilnehmer verkehrswidrig verhält (RIS‑Justiz RS0074976 mwN). So hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 8 Ob 231/75 (ZVR 1976/288) ausgesprochen, dass dieser allgemeine Rechtssatz selbst dann anzuwenden sei, wenn der im Vorrang befindliche Verkehrsteilnehmer eine Sperrfläche überfahren habe. Festgehalten wurde aber bereits, dass einem Fahrzeug dann kein Vorrang zukomme, wenn eine Verkehrsfläche aufgrund eines absoluten Fahrverbotes überhaupt nicht befahren werden dürfe und sich der auf einer bevorrangten Straße fahrende Verkehrsteilnehmer nicht auf den Vorrang berufen könne, wenn der Wartepflichtige nicht mit einer derartigen Fahrweise rechnen habe müssen, wenn also der Wartepflichtige im Sinne des § 3 StVO darauf vertrauen durfte, dass im konkreten Fall eine vom Vorrangberechtigten benützte Verkehrsfläche nicht befahren werde. So hat die Rechtsprechung den "Verlust des Vorrangs" eines gegen die Fahrtrichtung einer Einbahnstraße fahrenden Verkehrsteilnehmers (ZVR 1979/34; ZVR 1974/130; ZVR 1977/282) und eines aus einer Verkehrsfläche mit allgemeinem Fahrverbot herausfahrenden Fahrzeuges damit begründet, dass ein gegen derart gravierende Verbote verstoßender Fahrzeuglenker für sich keinen Vorrang beanspruchen könne (ZVR 1999/123).

In der Entscheidung 2 Ob 33/94 (ZVR 1995/141), die ebenfalls einen Verkehrsunfall mit einem eine Sperrfläche überfahrenden, an sich im Vorrang befindlichen, und einem wartepflichtigen Fahrzeuglenker zum Gegenstand hatte, wurde ausdrücklich festgehalten, die in 8 Ob 231/75 ausgesprochene Rechtsansicht könne in dieser allgemeinen Form nicht mehr aufrecht erhalten werden; vielmehr könne sich derjenige, der eine Sperrfläche unbefugterweise benützt, nicht auf den ihm sonst zukommenden Vorrang berufen, weshalb die Zuweisung des Alleinverschuldens am Zustandekommen des Unfalls an den an sich im Vorrang befindlichen Fahrzeuglenker zu billigen sei. Dabei wurde allerdings auf den Unterschied im Sachverhalt der genannten Vorentscheidung, in der die Unfallsbeteiligten uneingeschränkte Sicht zueinander hatten, die im Anlassfall aber nicht gegeben war, hingewiesen. Diese Rechtsansicht wurde in der Entscheidung 2 Ob 49/93 (ZVR 1995/142), die das Überfahren einer Sperrlinie zu beurteilen hatte, wiederholt. Auch dort wurde das Alleinverschulden dem an sich im Vorrang befindlichen Fahrzeuglenker zugewiesen. In der Entscheidung 2 Ob 47/94 wurde dagegen einer PKW‑Lenkerin, die im Freiland von einer benachrangten Straße nach rechts auf die mit einer Sperrlinie versehenen bevorrangten Straße einfuhr, ohne sich durch einen zumutbaren Blick über einen Verkehrsspiegel über die Annäherung eines von rechtes jenseits der Sperrlinie (auf ihrer Fahrbahnhälfte) herankommenden PKW zu vergewissern, eine Vorrangverletzung und ein Mitverschulden von ¼ angelastet, wobei dort berücksichtigt wurde, dass sie nicht unter allen Umständen damit rechnen konnte, dass die linke Fahrbahnhälfte der bevorrangten Straße frei ist.

Im vorliegenden Fall hat die Erstbeklagte den an sich bevorrangten Kläger in einer Fahrzeugkolonne wahrgenommen und durfte gemäß § 3 StVO darauf vertrauen, dass er seine Fahrt ohne Überfahren der Sperrfläche fortsetzen werde. Nach den Feststellungen wäre der Unfall auch unterblieben, wenn der Kläger seine Fahrt auf seinem Fahrstreifen ohne Überfahren der vor der Sperrfläche gelegenen Sperrlinie und der anschließenden Sperrfläche fortgesetzt hätte. Die Erstbeklagte konnte das vorschriftswidrige Fahrmanöver des Klägers erst dann erkennen, als eine unfallverhütende Reaktion nicht mehr möglich war. Unter diesen Umständen kann sich der Kläger, der eine Sperrlinie und die anschließende Sperrfläche, die das Überholen der auf dem einzigen verbliebenen Fahrstreifen fahrender Fahrzeuge verhindern sollten, auf den ihm an sich zustehenden Vorrang nicht mehr berufen; die Erstbeklagte, die darauf vertrauen durfte, dass der Kläger die für die Benützung der von ihm befahrenen Straße maßgeblichen Verkehrsregelungen, die ein Überholen hindern sollten, auch einhalten werde, hat keine Vorrangverletzung zu verantworten. Auch dort, wo das Vertrauen auf die Einhaltung von Bodenmarkierungen iSd § 9 Abs 1 StVO geschützt ist, verliert demnach der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass sich der Vorrang auf die ganze Fahrbahn der bevorrangten Straße bezieht und auch dann nicht verloren geht, wenn sich der im Vorrang befindliche Verkehrsteilnehmer verkehrswidrig verhält, seine Wirkung. Nur Umstände, die das Vertrauen auf straßenverkehrsordnungsgemäßes Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer nicht mehr rechtfertigen, könnten den Vertrauensgrundsatz ausschließen (vgl 2 Ob 126/01w mwN). Hier konnte die Erstbeklagte das vorschriftswidrige Fahrmanöver des Klägers aber erst nach ihrem (zulässigen) Einbiegemanöver zu einem Zeitpunkt wahrnehmen, als eine unfallverhütende Reaktion nicht mehr möglich war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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