OGH 7Ob220/04k

OGH7Ob220/04k20.10.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sibille M*****, vertreten durch Rechtsanwälte-Partnerschaft DDr. Gerald Fürst KEG in Mödling, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen EUR 279.334,13 sA, über die außerordentliche Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Mai 2004, GZ 5 R 3/04d-29, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Um sich gegen einen Kursverfall von Aktien, die sie geerbt hatte und nicht verkaufen wollte, abzusichern, erwarb die Klägerin über Anraten und Vermittlung der beklagten Partei, die ihr den Kaufpreis kreditierte, entsprechende Put-Optionen. Ihren dadurch erlittenen Verlust, den sie zuletzt (nach Klagsausdehnung) mit EUR 279.334,13 bezifferte, begehrt die Klägerin von der Beklagten ersetzt, weil sie diese insbesondere unter dem Blickwinkel der Wohlverhaltensregeln der §§ 11 ff WAG hinsichtlich der Risikoträchtigkeit des Geschäfts nicht ausreichend aufgeklärt und gewarnt habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf ua die Feststellung, es sei nicht feststellbar, dass die Klägerin im Falle einer Aufklärung, die das Verständnis für das Wesen der Put-Optionen in ihr erweckt hätte, diese nicht angekauft hätte.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz, ohne auf die Frage der (vom Erstgericht bejahten) Verletzung der Aufklärungspflicht durch die Beklagte weiter einzugehen, weil die Klägerin mangels Nachweises der Kausalität der behaupteten Aufklärungspflichtverletzung für den Schaden jedenfalls nicht haftbar sei. Wie schon das Erstgericht ging auch das Berufungsgericht davon aus, dass der Nachweis der Kausalität der Pflichtverletzung für den Schaden der geschädigten Klägerin oblegen wäre.

Mit dieser Rechtsmeinung folgten die Vorinstanzen oberstgerichtlicher Judikatur, namentlich der Entscheidung 9 Ob 219/00x, bzw dem in RIS-Justiz veröffentlichten, durch zahlreiche Entscheidungsnachweise belegten Rechtssatz RS0106890 (wonach der Nachweis der Kausalität des Verhaltens des Schädigers für den eingetretenen Schaden dem Geschädigten obliegt; vgl auch RIS-Justiz RS0022686), weshalb das Berufungsgericht aussprach, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Die Klägerin macht in der Zulassungsbeschwerde ihrer außerordentlichen Revision hingegen im Wesentlichen geltend, der geforderte Beweis eines hypothetischen, von inneren Beweggründen abhängigen Umstandes, könne im Regelfall nicht erbracht und von ihr daher auch nicht verlangt werden. Allein aus der Entscheidung 9 Ob 219/00x könne der von den Vorinstanzen gezogene Schluss nicht abgeleitet werden, zumal diese Entscheidung sowie die Entscheidungen 6 Ob 2174/96s (= JBl 1997, 522) und 6 Ob 2001/96h (= SZ 70/179 = ecolex 1998, 20), auf die 9 Ob 219/00x Bezug nehme, mit der vorliegenden Causa nicht vergleichbar seien. Auch diesen oberstgerichtlichen Entscheidungen sei zwar jeweils der Rechtssatz zu entnehmen, dass die Beweislast für die Schadenskausalität der Pflichtverletzung den Klienten (Geschädigten) treffe. In 6 Ob 2174/96s sei es aber um die Aufklärungspflicht eines Rechtsanwalts und nicht um die eines Bank- bzw Vermögensanlageinstituts gegangen, während 6 Ob 2100/96h den Problemkreis der Prospekthaftung behandelt habe. Zu 9 Ob 219/00x sei die Verletzung einer Aufklärungs- bzw Beratungspflicht gar nicht behauptet worden.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesen Ausführungen der Revisionswerberin sind die zitierten Entscheidungen sehr wohl als einschlägig anzusehen: Mit der Frage der Beweispflicht für die Kausalität einer Aufklärungspflichtverletzung eines Rechtsanwalts für den Schaden des Klienten hat sich der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt auseinandergesetzt. Dabei wurde stets betont, dass vom Grundsatz, dass die Beweislastumkehr das Verschulden betreffe, der Beweis der Kausalität jedoch weiterhin dem Geschädigten obliege, nur bei ärztlichen Behandlungsfehlern abgegangen worden sei (SZ 63/90; JBl 1992, 522 uva), weil wegen der in diesen Fällen besonders vorhandenen Beweisschwierigkeiten des Patienten die Kausalität nachzuweisen, nur dem zur Haftung herangezogenen Arzt die Mittel und Sachkunde zum Nachweis zur Verfügung stünden, daher von einer "prima-facie-Kausalität" auszugehen sei. Davon könne aber bei Verletzung einer Aufklärungs- und Erkundigungspflicht des Rechtsanwalts nicht gesprochen werden. Hier sei dem Geschädigten der Nachweis der Kausalität des Verhaltens des Schädigers für den eingetretenen Schaden durchaus zuzumuten (SZ 56/181 mwN; RdW 1986, 286; RdW 1987, 96; RdW 1997, 451; RIS-Justiz RS0106890).

Ganz so wurde auch zu 6 Ob 2100/96h im Falle einer allgemein-zivilrechtlichen Prospekthaftung argumentiert. Während die Frage der Zulässigkeit des Anscheins- bzw prima-facie-Beweises - also danach, ob ein Tatbestand mit typisch formelhaftem Geschehensablauf vorliege, der eine Verschiebung des Beweisthemas ermögliche - nach allgemeiner Auffassung zur rechtlichen Beurteilung gehöre, falle die Wertung, ob ein solcher Anscheinsbeweis im konkreten Einzelfall erbracht oder durch einen Gegenbeweis erschüttert worden sei, in den Bereich der nicht revisiblen Beweiswürdigung. Der Anscheinsbeweis werde in Fällen als sachgerecht empfunden, in denen konkrete Beweise von Beweispflichtigen billigerweise nicht erwartet werden könnten, weil es sich um Umstände handle, die allein in der Sphäre des Anderen lägen und daher nur ihm bekannt und nur vom ihm beweisbar seien. Auch in der Frage des Kausalitätszusammenhanges zwischen mangelhaften Prospektangaben und dem Anlageentschluss eines Anlegers sei ein Anscheinsbeweis nicht zulässig, da die Frage des Anlageentschlusses in die ausschließliche Ingerenz des Anlegers falle. Der Anscheinsbeweis werde dann als unzulässig angesehen, wenn der Kausalablauf durch einen individuellen, freien Willensentschluss eines Menschen bestimmt werde (SZ 57/20; SZ 65/132; SZ 66/29 ua; RIS-Justiz RS0040288).

Diesen Grundsätzen folgend ist entgegen der Ansicht der Revisionswerberin ein solcher Fall der Prospekthaftung mit der gegenständlichen Causa sehr wohl vergleichbar; in beiden Fällen geht es darum, ob der Kunde über das Produkt, das ihm empfohlen bzw verkauft wurde (sei es ein Hausanteilschein, eine Aktie, eine Option etc), entsprechend aufgeklärt wurde und um die Frage, ob sich der Kunde im Falle einer entsprechenden Aufklärung dieser gemäß verhalten hätte. Dabei macht es entgegen der Meinung der Klägerin keinen wesentlichen Unterschied, ob eine schriftliche oder mündliche Aufklärungspflicht verletzt wurde.

In der Entscheidung 9 Ob 219/00x schließlich ging es - genau wie im vorliegenden Fall - um die Aufklärungspflicht einer Bank im Zuge des Ankaufes von in hohem Maße risikoträchtigen Wertpapieren durch den Bankkunden. Ausdrücklich wurde dort ausgesprochen, dass anders als bei ärztlichen Behandlungsfehlern bei der Verletzung einer Aufklärungs- und Erkundigungspflicht durch eine Bank dem Geschädigten der Nachweis der Kausalität des Verhaltens des Schädigers für den eingetretenen Schaden durchaus zumutbar sei.

Entgegen der Meinung der Revisionswerberin erscheint auch im vorliegenden Fall der geschädigten Klägerin der Nachweis der Kausalität einer Aufklärungspflichtverletzung durch die Beklagte eher zumutbar, da die Klägerin - geht es doch darum, wie sie sich damals bei ausreichender Aufklärung und Warnung subjektiv entschieden hätte - "näher am Beweis" ist als die Beklagte (vgl 9 Ob 116/03d ua).

Unrichtig ist der im Rahmen der Rechtsrüge noch erhobene Einwand der Revisionswerberin, die hier allein prozessentscheidende Frage der Beweislastverteilung werde etwa von der deutschen Judikatur "gänzlich anders" gelöst. Es trifft zwar zu, dass der BGH auch in Fällen mangelnder Aufklärung und Warnung etwa von Terminoptionsvermittlern, Anlageberatern etc von einer "Vermutung eines aufklärungsrichtigen Verhaltens" des Kunden spricht. Diese Vermutung bewirkt allerdings nicht - wie die Revisionswerberin behauptet und auch Honsell, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Banken bei der Vermögensanlage, ÖBA 1999, 593 (599f) bei seiner Darstellung der einschlägigen deutschen Judikatur übersieht - eine Beweislastumkehr; vielmehr hat der BGH schon wiederholt betont, dass es sich dabei um einen Anwendungsfall des Anscheinsbeweises (vergleichbar den Ausführungen des OGH zu ärztlichen Behandlungsfehlern) handle (BGHZ 23, 314; BGHZ 126, 223, NJW 94, 1472). Diese Unterscheidung ist wesentlich, da ein Anscheinsbeweis lediglich eine Erleichterung der Beweisführung bedeutet und der Beweis des ersten Anscheins schon dadurch entkräftet werden kann, dass dargetan wird, dass im konkreten Fall ein anderer als der nach der Lebenserfahrung anzunehmende Verlauf nicht ganz unwahrscheinlich ist, während die sich aus der Beweislastumkehr ergebende Vermutung nur durch den Nachweis widerlegt werden kann, dass es tatsächlich anders gewesen ist (Welser, Schadenersatz statt Gewährleistung 68). Folgerichtig hat der BGH auch bereits weiters judiziert, dass die Vermutung "aufklärungsrichtigen" Verhaltens nur für jene Fälle gelte, in denen es für den aufzuklärenden Partner vernünftigerweise nur eine Möglichkeit der Reaktion gebe, die vollständige und richtige Auskunft also keinen Entscheidungskonflikt ausgelöst hätte (BGHZ 123, 311; NJW 94, 2541 ua).

Eine solche, nur eine bestimmte Reaktion der Klägerin erwarten lassende Situation ist im vorliegenden Fall aber nicht gegeben. Steht doch fest (Feststellungen Seite 11 bzw 12 des Ersturteils), dass die Klägerin einerseits die von ihrem Vater geerbten Aktien nicht verkaufen wollte und andererseits der Kauf von Put-Optionen "im Grunde genommen die einzige Möglichkeit zur Absicherung von bestimmten Aktien darstellt". Da bei dieser Sachlage mehrere Verhaltensvarianten der Klägerin in Betracht kommen, steht die Entscheidung der Vorinstanzen auch nicht in Widerspruch zu deutscher Judikatur.

Ob nach der Lebenserfahrung eine hohe Wahrscheinlichkeit für den Kausalzusammenhang spricht und daher der Tatrichter in freier Beweiswürdigung den Kausalzusammenhang als erwiesen annehmen kann und ob etwa ein geklagter Schädiger diesen prima-facie-Beweis dadurch erschüttert hat, dass er eine ernstlich in Betracht zu ziehende Möglichkeit eines anderen Ablaufes dartut (vgl RIS-Justiz RS0022664), ist nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden und stellt zufolge dieser Einzelfallbezogenheit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre eine Fehlbeurteilung unterlaufen, die aus Gründen der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste. Das ist hier nicht der Fall: Die Meinung des Berufungsgerichts, im vorliegenden Fall komme ein Anscheinsbeweis nicht in Betracht, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach der Anscheinsbeweis dort ausgeschlossen ist, wo der Kausalablauf durch den individuellen Willensentschluss eines Menschen bestimmt werden kann. Der bloße Verdacht eines bestimmten Ablaufes, der auch andere Möglichkeiten offen lässt, gibt für den Beweis des ersten Anscheins keinen Raum (RIS-Justiz RS0040288, zuletzt etwa 10 ObS 70/03x).

Insgesamt vermag die Revisionswerberin demnach keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, zumal auch im Rahmen der noch erhobenen Mängelrüge ein tauglicher Grund für die Zulassung des außerordentlichen Rechtsmittels nicht dargetan wird. Als Mangelhaftigkeit des Verfahrens werden von der Klägerin die Verletzung der richterlichen Anleitungspflicht gemäß § 182 Abs 1 ZPO sowie die Unterlassung der Vernehmung zweier Zeuginnen und demnach Verfahrensmängel gerügt, die bereits in der Berufung erhoben und vom Berufungsgericht verneint wurden. Nach stRsp können angebliche Verfahrensmängel erster Instanz, die vom Berufungsgericht verneint wurden, aber nicht mehr in der Revision geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0042963). Ein Mangel des Berufungsverfahrens könnte nur dann vorliegen, wenn das Berufungsgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hätte (RIS-Justiz RS0042963 [T 28, T 52]; RS0043086 [T 7 und T 8]; 7 Ob 305/02g; 7 Ob 223/03z uva). Beides ist hier nicht gegeben, weil sich das Gericht zweiter Instanz mit der Mängelrüge auseinandergesetzt und sie mit einer ausführlichen, der Aktenlage nicht widersprechenden Begründung als nicht berechtigt erkannt hat (s Seite 23 bis 26 des Berufungsurteiles). Demnach wird von der Revisionswerberin auch kein Verfahrensfehler aufgezeigt, der ein Einschreiten des Obersten Gerichtshofes erforderlich machte.

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