OGH 4Ob206/04d

OGH4Ob206/04d19.10.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß und Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hedwig L*****, vertreten durch Dr. Reinhard Burghofer und Dr. Manuela Bacher, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. Martin M*****, vertreten durch Mag. Axel Bauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 38.091,24 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Mai 2004, GZ 15 R 204/03k-10, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Ein Sohn der Klägerin war im Oktober 1997 Geschäftsführer eines knapp vor der Insolvenz stehenden Unternehmens. Um den etwa 30 - 40 Dienstnehmern eine Überbrückungshilfe zu bieten, entschloss sich der Sohn der Klägerin, die ausständigen Nettolöhne in Form eines Darlehens an die betroffenen Dienstnehmer auszuzahlen, das als Bevorschussung für die zu erwartenden Leistungen aus dem Insolvenzentgeltsicherungsfonds dienen und durch gewährte Leistungen dieses Fonds rückgeführt werden sollte. Als Treuhänder der Darlehensgeberin war der Beklagte, als Darlehensgeberin die Klägerin vorgesehen, die dieser Vorgangsweise unter der Bedingung zustimmte, dass die Rückzahlung des von ihr zur Verfügung gestellten Kapitals gesichert sei. Mit der rechtlichen Durchführung wurde der Beklagte beauftragt, der im Oktober 1997 gegenüber der Klägerin erklärte, bei der gewählten Form der Vorfinanzierung bestünden seiner Einschätzung nach für die Rückzahlung des Darlehens durch den Insolvenzentgeltsicherungsfonds keine erkennbaren Risiken, die Klägerin werde ihr Geld zurückbekommen; er könne aber keine Haftung dafür übernehmen, dass der Fonds die an ihn herangetragenen Ansprüche anerkennen werde. Entgegen dieser Prognose des Beklagten lehnte das Bundessozialamt nach Konkurseröffnung den Antrag eines betroffenen Dienstgebers auf Insolvenzausfallgeld ab, weil die Zahlung in Form eines Darlehens als Lohnbefriedigung zu beurteilen sei; eine gegen diesen Bescheid gerichtete Klage blieb in allen drei Instanzen erfolglos (Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückgewiesen: 8 ObS 269/00t = RdW 2001, 426 = ARD 5255/3/01).

Das Berufungsgericht hat in seinem die Klagestattgebung bestätigenden Urteil dem Beklagten vorgeworfen, bei seiner Beratungstätigkeit gegenüber der Klägerin eine damals bereits bestehende Spruchpraxis zu vergleichbaren Sachverhalten unberücksichtigt gelassen zu haben, wonach Vereinbarungen nichtig seien, die das Finanzierungsrisiko im Insolvenzfall auf einen an der Vereinbarung nicht beteiligten Dritten - den Insolvenzenzausfallgeldfonds - zu überwälzen versuchten (9 ObS

15/92 = SZ 66/6: Darlehensgeber war ein Gesellschafter; 8 ObA

2011/96k = ecolex 1997, 29 = ARD 4811/38/97: Darlehensgeber war ein

an der Unternehmensfortführung interessierter Patentinhaber). Berücksichtigt man die schon damals veröffentlichte weitere Entscheidung 8 ObS 2107/96b = SZ 69/208 (Darlehensgeber war ein atypischer stiller Gesellschafter), hält sich das angefochtene Urteil im Rahmen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Haftung eines Rechtsanwalts. Danach ist einem Rechtsanwalt nur dann kein (Beratungs-)Verschulden anzulasten, wenn sich zu einer bestimmten Rechtsfrage noch keine Spruchpraxis gebildet hat und die gesetzlichen Bestimmungen nicht vollkommen eindeutig sind (RIS-Justiz RS0026732). Dass die von der Klägerin und deren Sohn gewählte Darlehenskonstruktion angesichts der drohenden Insolvenz der Gesellschaft mit erheblichen Bestandrisiken behaftet ist, hätte dem Beklagten nach dem ihm zuzurechnenden Kenntnisstand der damaligen Rechtsprechung auffallen müssen, auch wenn die zum angesprochenen Thema veröffentlichten Entscheidungen keine mit dem ihm mitgeteilten Sachverhalt deckungsgleiche Konstellation zum Gegenstand hatten. Schon im Oktober 1997 lag es bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt auf der Hand, dass die Rechtsprechung Vorfinanzierungsvereinbarungen betreffend Dienstnehmerentgelte zu Lasten des Insolvenzenzausfallgeldfonds auch dann als sittenwidrig beurteilen werde, wenn - wie hier - als Darlehensgeber ein naher Verwandter des wirtschaftlich Beteiligten eingeschaltet wird (so dann auch

tatsächlich 8 ObS 314/99f = ARD 5171/8/00 = RdW 2000,751 = SSV-NF

13/150 und 8 ObS 269/00t = RdW 2001, 426 = ARD 5255/3/01). Die dem Anwalt genannten sozialen Motive für die Darlehensgewährung können - entgegen dessen Auffassung - an dieser Beurteilung nichts ändern, kommt es doch im gegebenen Zusammenhang nicht auf die behauptete Absicht, sondern den wirtschaftlichen Gehalt einer Vereinbarung an. Damit ist auch dem Argument des Rechtsmittelwerbers, die Klägerin habe ihm das wahre Motiv (Unterstützung ihres zweiten Sohns, der eine Auffanggesellschaft gegründet habe) verschwiegen und trage deshalb ein Mitverschulden am eingetretenen Schaden, der Boden entzogen. Der Rechtsanwalt haftet seiner Partei gegenüber für Unkenntnis der Gesetze sowie einhelliger Lehre und Rechtsprechung. Er muss, soll diese Haftung ausgeschlossen werden, seine Partei entsprechend aufklären (RIS-Justiz RS0038663). Durch bloße Vereinbarung kann der Haftungsmaßstab des § 1299 ABGB nicht herabgesetzt oder ausgeschlossen werden.

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

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