OGH 1Ob216/04b

OGH1Ob216/04b12.10.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Gerhard E*****, vertreten durch Dr. Günther Nöbauer, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien 1. H***** GmbH, 2. M***** Verein zur Durchführung von Motorsportveranstaltungen, *****, beide vertreten durch Dr. Heinz Wilhelm Stenzel, Rechtsanwalt in Wien, und 3. I***** Motorsportverein *****, vertreten durch Dr. Roman Moser, Rechtsanwalt in Salzburg, sowie des Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Parteien Ö*****club, *****, vertreten durch Dr. Alexandra Sedelmayer, Rechtsanwältin in Wien, wegen EUR 6.701,45 sA infolge ordentlicher Revision der drittbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 13. Mai 2004, GZ 53 R 300/03d-67, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 20. Mai 2003, GZ 11 C 1337/00m-51, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die drittbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 499,39 (darin EUR 83,23 an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die drittbeklagte Partei betreibt eine Motorsportrennstrecke, auf der ua die von den beiden weiteren Beklagten veranstalteten Österreichischen Motorradmeisterschaften 1999 durchgeführt wurden, an denen auch der Kläger als Rennfahrer teilnahm. Dieser hatte auf einem Nennformular "auf alle Ansprüche aus Unfällen während der Veranstaltung und den Trainingsläufen gegenüber dem Promotor, dem Veranstalter und seinen Mitarbeitern und Funktionären, als auch eventuellen Mitveranstaltern dieser Veranstaltung verzichtet"; eine Bestimmung der dem Nennformular angeschlossenen Ausschreibung der Meisterschaften enthält eine weitere Verzichtsklausel der Fahrer gegenüber Veranstalter und Rennstreckenhalter für Schäden, die sie durch ihre Teilnahme an der Veranstaltung erleiden. Der Kläger hatte eine Teilnahmegebühr von S 20.000 zu zahlen. Er erlitt bei einem Zeittraining am 11. 9. 1999 dadurch schwere Verletzungen und war für mindestens drei Monate arbeitsunfähig, dass er bei der Ausfahrt aus einer Kehre zu Sturz gekommen, in Bauchlage über den mit Gras bewachsenen Seitenstreifen gerutscht und dabei auf einen im Abstand von etwa 1,5 m vom Fahrbahnrand gelegenen mit einem Stahldeckel abgedeckten Kanalschacht geprallt war. Durch die Kollision mit diesem einige Zentimeter über das Niveau des Rasenstreifens ragenden Kanalschacht zog er sich schwere Verletzungen zu. Bei dem Hindernis handelte es sich um einen von 15 entlang der gesamten Rennstrecke befindlichen Kanalschächten, die vor mehr als 30 Jahren installiert worden waren und dazu dienen, Regenwasser aufzufangen und abzuleiten.

Die Rennstrecke war mehrmals durch verschiedene Organisationen begutachtet und "abgenommen" worden. Im Jahr 1993 war der drittbeklagten Partei im Zuge einer Inspektion durch eine internationale Motorsportorganisation (FISA) aufgetragen worden, die Kanaldeckel in den Rasenstreifen und Sicherheitsbereichen zu fixieren. Im Jahr 1998 hatte eine Streckenabnahme durch die Nebenintervenientin stattgefunden, bei der die Kanalschächte nicht beanstandet wurden. Am 6. 2. 1999 hatte (zuletzt) eine deutsche Motorsportorganisation die Rennstrecke als Motorradstraßenrennstrecke abgenommen, wobei weder die Kanalschächte noch diesbezügliche Auflagen erwähnt wurden. Nach einschlägigen Vorschriften, auf die in der Ausschreibung hingewiesen wurde, müssen Seitenstreifen eine ebene Oberfläche haben, die jedoch weniger gleichmäßig als die der Rennstrecke selbst ist.

Im Revisionsverfahren ist nur mehr strittig, ob die drittbeklagte Partei für die aus dem Unfall erlittenen Nachteile des Klägers zu haften hat.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (mit Ausnahme eines Zinsenmehrbegehrens) statt. Der im Nennformular und in der angeschlossenen Ausschreibung enthaltene Haftungsausschluss zugunsten der drittbeklagten Partei als Rennstreckenhalter sei gemäß § 879 ABGB nicht rechtswirksam. Die Vereinbarung eines Haftungsausschlusses für leichte Fahrlässigkeit sei zwar grundsätzlich zulässig, es seien aber nur vorhersehbare und kalkulierbare Schadensrisken erfasst, nicht aber solche, mit denen die Vertragspartner nicht rechnen konnten. Für die Verwirklichung atypischer Sportgefahren, die auf die Unterlassung der nötigen Sicherheitsvorkehrungen zurückzuführen seien, sei ein Haftungsausschluss in jedem Fall ungültig. Die drittbeklagte Partei hafte gemäß § 1319 ABGB für die durch den Kanalschacht verursachten Verletzungen, weil sie den Beweis, die zur Abwendung der von diesem Schacht ausgehenden Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet zu haben, nicht habe erbringen können. Der Kanalschacht stelle aufgrund seiner den einschlägigen Sportvorschriften widersprechenden Beschaffenheit und Lage unmittelbar neben seiner Rennstrecke ein mangelhaftes Werk dar. Hätte die Rasenfläche diesen Vorschriften entsprochen, hätte sich der Kläger die schweren Verletzungen nicht zugezogen. Die "Homologierung" der Rennstrecke könne die drittbeklagte Partei nicht entlasten, weil die letzte Begutachtung sieben Monate vor dem Unfall erfolgt sei. Gerade bei einem derart gefahrenträchtigen Gelände wie einer Rennstrecke könne vom Betreiber erwartet werden, dass die Baulichkeiten der Strecke in kürzeren Zeitabständen auf Sicherheitsmängel geprüft werden.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision letztlich für zulässig. Auch wenn der Ausschluss der Haftung für leichte Fahrlässigkeit grundsätzlich zulässig sei, erstreckten sich derartige Freizeichnungsklauseln nur auf voraussehbare und kalkulierbare Schadensrisken; sie seien ungültig, soweit die Vertragspartner nicht mit der Möglichkeit einer Schadensverursachung rechnen könnten. Freizeichnungsklauseln bewirkten auch bei bloß leichter Fahrlässigkeit keine Haftungsfreiheit bei Unterlassungen von Sicherheitsvorkehrungen, weil der Rennteilnehmer davon ausgehe, dass der Verantwortliche für die Sicherheit des Gefahrenbereichs Sorge trägt und alle ihm obliegenden Verkehrsicherungspflichten erfüllt. § 1319 ABGB sei ein speziell geregelter Tatbestand der allgemein anerkannten Verkehrssicherungspflicht. Nach ständiger Rechtsprechung habe der Besitzer eines Werkes für alle Gefahren zu haften, die aus dessen Höhe oder Tiefe folgen. Der Entlastungsbeweis sei nur im Falle der Nichterkennbarkeit eines Mangels erbracht, was im vorliegenden Fall nicht zutreffe, zumal bei ordnungsgemäßer Überprüfung der Rennstrecke der Niveauunterschied der nur 1,5 m außerhalb der Fahrbahn im Grasstreifen gelegene Kanalschachtabdeckung bei der objektiv aufzuwendenden Sorgfalt hätte erkannt werden müssen. Es bedeute keine Überspannung der Sorgfaltspflichten, von der drittbeklagten Partei Überprüfungen mit solcher Genauigkeit zu verlangen, dass der deutliche Niveauunterschied der Kanalschachtabdeckung erkannt worden wäre. Der Verkehrssicherungspflichtige habe bei gefahrenträchtigen Veranstaltungen auch außerhalb der eigentlichen Sturzräume die unmittelbar an die Fahrbahn anschließenden Flächen möglichst sicher zu gestalten. Die beklagten Parteien könnten sich auch nicht auf die stattgefundenen Homologationen bzw Abnahmen durch diverse sportliche Institutionen berufen, weil selbst die Erfüllung behördlicher Anordnungen nicht von der Haftung befreie. In diesem Sinne habe der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass der Veranstalter eines Schirennens auch dann nicht von der Haftung für mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen frei ist, wenn die Rennstrecke vom internationalem Schiverband homologiert und die konkrete Ausgestaltung der Sicherheitsvorkehrungen durch das Kampfgericht genehmigt worden sind. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof "noch nicht in einer dem vorliegenden Sachverhalt völlig vergleichbaren Form" zu entscheiden gehabt habe, sodass eine Klarstellung über den Anlassfall hinaus der rechtlichen Sicherheit diene, insbesondere was die Wirkung der mehrmaligen Abnahmen der Rennstrecke und der Lizenzierungen für die Jahre 1998, 1999 durch die internationale Motorsportorganisation auf die besondere Verkehrssicherungspflicht des § 1319 ABGB betrifft.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der drittbeklagten Partei erweist sich mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO als unzulässig, zumal die Revisionswerberin die vom Berufungsgericht im Grundsätzlichen angestellten rechtlichen Erwägungen nicht in Zweifel zieht.

Soweit die Revision im Zusammenhang mit der Haftungsfreizeichnung ins Treffen führt, der Kläger habe im konkreten Fall damit rechnen müssen, dass er bei einem Sturz durch im Rasenstreifen befindliche Gegenstände verletzt werden könne, zumal zu keinem Zeitpunkt eines Motorradrennens ausgeschlossen werden könne, dass sich aufgrund des Rennbetriebs Gegenstände im Rasenstreifen neben der Strecke befinden, die normalerweise dort nicht aufzufinden sind, wird ein Fall erörtert, der mit dem zu beurteilenden Sachverhalt nicht vergleichbar ist. Hier wurde der Kläger nicht etwa durch einen unvorhergesehener Weise und erst kurze Zeit vorher auf den Rasenstreifen gelangten Gegenstand verletzt, sondern durch eine dort seit 30 Jahren fest installierte Einrichtung. Gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, eine Haftungsfreizeichnung könne sich auf durch derartige Einrichtungen entstandene Schäden nicht beziehen, bestehen keine Bedenken. Im Übrigen ist die formularmäßige Freizeichnung von der Haftung für auch nur leicht fahrlässig herbeigeführte Personenschäden - jedenfalls bei entgeltlichen Geschäften - nach § 879 Abs 3 ABGB überhaupt unwirksam (1 Ob 400/97y = SZ 71/58; RIS-Justiz RS0109752), sodass sich schon deshalb weitere Erörterungen erübrigen.

Die Revisionswerberin zieht die Anwendbarkeit des § 1319 ABGB nicht in Zweifel, meint jedoch, es sei die (erhebliche) Rechtsfrage zu beurteilen, ob sie trotz mehrmaliger Abnahme der Rennstrecke und Erteilung der Lizenz durch die internationale Motorsportorganisation eine Haftung für Schäden aus solchen Unfällen treffe, wenn für sie der Niveauunterschied der Kanalabdeckung zur Rasenfläche nicht erkennbar gewesen sei; der Besitzer eines Werkes könne sich durch den Beweis entlasten, alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt aufgewendet zu haben, was regelmäßig dann der Fall sei, wenn er einen Fachmann mit einer in zeitlichen Abständen gebotenen Überprüfung des Werkes betraue und dieser keine Mängel festgestellt habe.

Welche Überprüfungsmaßnahmen vom Besitzer eines Werkes zu verlangen sind, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, sodass sich insoweit erhebliche Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO in der Regel nicht stellen. Je größer das Risiko einer Verletzung von Personen ist, die mit dem (mangelhaften) Werk in Berührung kommen können, desto höher sind die an den Werkbesitzer zu stellenden Sorgfaltsanforderungen. Davon, dass die Gefährlichkeit des Kanalschachtes bzw Kanaldeckels nicht "erkennbar" gewesen sei, kann entgegen der Auffassung der Revisionswerberin zweifellos nicht die Rede sein, konnte doch das Herausragen über das das Werk umgebende Rasenniveau durch einfache Messungen - wohl aber bereits durch rein optische Überprüfung - leicht festgestellt werden. Dazu kommt, dass es der Betrieb der Rennstrecke notwendigerweise mit sich bringt, den Rasenstreifen regelmäßig zu mähen, wobei der Niveauunterschied ebenfalls nicht unbemerkt bleiben kann. Soweit das Berufungsgericht daher die Ansicht vertreten hat, die Gefahrenquelle sei für die drittbeklagte Partei erkennbar gewesen und sie hätte geeignete Maßnahmen treffen müssen, um Verletzungen von Rennteilnehmern im Falle eines Sturzes hintanzuhalten, kann darin keine bedenkliche Fehlbeurteilung erblickt werden.

Auch die Auffassung, die Revisionswerberin könne sich nicht damit entschuldigen, dass die Gefahrenquelle im Zuge von Abnahmen und "Homologierungen" nicht beanstandet worden sei, begegnet kein Bedenken, entspricht es doch ständiger Rechtsprechung, dass selbst das Vorliegen behördlicher Genehmigungen den zur Verkehrssicherung Verpflichteten nicht entschuldigen kann, wenn er die Gefahrenquelle kennt oder kennen muss und zumutbare Maßnahmen zu deren Beseitigung unterlässt (RIS-Justiz RS0023419). Beruht die Haftung des Besitzers eines Werkes im Sinne des § 1319 ABGB darauf, dass dieser den Vorteil aus der Sache zieht und über ihren Gebrauch disponieren kann (4 Ob 2163/96h), wegen seiner Verfügungsgewalt in der Lage ist, eine Gefahr durch die erforderlichen Vorkehrungen rechtzeitig abzuwenden (1 Ob 129/02f) und von ihm daher die Verhinderung von Schäden zu erwarten ist (EvBl 1968/192), so kann ihm der Beweis, alle erforderliche Sorgfalt eingehalten zu haben, nur gelingen, wenn er alle nach den Umständen zumutbaren und gebotenen Sicherungsmaßnahmen und Überwachungsmaßnahmen ergriffen hat (8 Ob 611/89). Das Berufungsgericht hat daher in unbedenklicher Weise angenommen, die Genehmigung der Rennstrecke durch Motorsportorganisationen entbinde die drittbeklagte Partei nicht von ihrer eigenen Verpflichtung, unschwer erkennbare Gefahrenquellen zu beseitigen, zumal durchaus damit gerechnet werden muss, dass bei - in Ansehung der Kanalschächte vielleicht nur stichprobenhaften - Überprüfungen auch durch die dafür von den Motorsportorganisationen herangezogenen Fachleuten nicht alle Problembereiche lückenlos erfasst werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, weshalb seine Revisionsbeantwortung als zweckentsprechende Rechtsverfolgungsmaßnahme zu qualifizieren ist.

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