OGH 7Ob179/04f

OGH7Ob179/04f8.9.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz H*****, vertreten durch Mag. Sigrun Teufer-Peyrl, Rechtsanwältin in Freistadt, gegen die beklagte Partei D***** AG, *****, vertreten durch Dr. Christian Slana, Rechtsanwalt in Linz, wegen EUR 16.278,60 (sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 29. April 2004, GZ 4 R 59/04f-17, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 26. Jänner 2004, GZ 5 Cg 227/02f-12, infolge Berufung der beklagten Partei bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit EUR 938,16 (darin enthalten EUR 156,36 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger schloss bei der beklagten Partei ab 1. 11. 1992 für sein als Ein-Mann-Betrieb geführtes Elektroinstallations- und Elektrohandelsunternehmen eine Betriebsunterbrechungsversicherung mit einer Versicherungssumme von EUR 18.313,55 ab. Dem Versicherungsvertrag wurden ua die Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsunterbrechungs-Versicherung für freiberuflich Tätige zugrundegelegt, die ua folgende hier maßgebliche Bestimmungen enthalten:

Art. 1

Gegenstand der Versicherung

(1) Soweit eine gänzliche oder teilweise Unterbrechung des versicherten Betriebes durch ein Schadenereignis (Abs. 2 bis 6) verursacht wird, ersetzt der Versicherer nach den folgenden Bestimmungen den dadurch entstehenden Unterbrechungsschaden (Art. 2).

(2) ...

d) Als Schadenereignis im Sinne des Art. 1 gilt auch die gänzliche oder teilweise Unterbrechung des versicherten Betriebes infolge Krankheit der den Betrieb verantwortlich leitenden Person ...

...

(6) Als Krankheit im Sinne des Vertrages gilt ein nach medizinischen Begriffen anormaler körperlicher oder geistiger Zustand, auch wenn er als Folge eines Unfalles eintritt, soferne daraus eine völlige (100 %-ige) Arbeitsunfähigkeit entsteht, sodass die den Betrieb verantwortlich leitende Person ihre berufliche Tätigkeit nach objektivem ärztlichem Urteil in keiner Weise ausüben kann und auch nicht ausübt, also weder mitarbeitend noch aufsichtsführend oder leitend in ihrem Beruf tätig ist und sein kann.

Art 3

Entgehender Betriebsgewinn und fortlaufende Betriebsauslagen

(1) Entgehender Betriebsgewinn ist jener Gewinn, den der Versicherungsnehmer bei ungestörtem Betrieb während der Dauer der Betriebsunterbrechung, längstens aber während der Haftungszeit (Art 5), aus seiner freiberuflichen Tätigkeit erzielt haben würde, wenn der Versicherungsfall nicht eingetreten wäre. ...

...

Art 8

Obliegenheiten des Versicherungsnehmers im Schadenfall

(1) Der Versicherungsnehmer hat im Falle eines Schadensereignisses (Art 1 (2)), das eine Betriebsunterbrechung zufolge haben könnte, für die der Versicherungsnehmer Ersatz verlangt, folgende Obliegenheiten:

a) er hat nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen. ...

...

Zwischen den Streitteilen wurde weiters eine Sondervereinbarung "Taxe" geschlossen, wonach die Ersatzleistung pro Tag der Betriebsunterbrechung 1/360stel der vereinbarten und dokumentierten Jahressumme (Versicherungssumme) beträgt, maximal jedoch den tatsächlichen Betriebsunterbrechungsschaden.

Der Kläger, der bereits 1992 das linke Auge verloren hatte, leidet seit Jänner 1999 an einer derzeit noch nicht heilbaren Erkrankung des rechten Auges, die sein Gesichtsfeld auf einen winzigen zentralen Rest einschränkt. Der Kläger ist deshalb seit 19. 2. 2002 völlig arbeitsunfähig. Er hat danach lediglich gelegentlich Waren, die er lagernd hatte an Kunden, verkauft. Gleichzeitig war er bemüht, eine Fortführung des Betriebs durch Verpachtung zu erreichen und kontaktierte zu diesem Zweck diverse Elektrofirmen. Schließlich verpachtete er sein Unternehmen mit Pachtvertrag vom 13. 8. 2003 ab 1. 1. 2004 an den Inhaber einer Elektrofirma, wobei ua ausdrücklich Betriebspflicht vereinbart wurde.

Nach Vorlage einer ärztlichen Bestätigung vom 30. 3. 2002 zahlte die Beklagte dem Kläger für den Zeitraum 19. 2. 2002 bis 30. 3. 2002 (unter Berücksichtigung einer vereinbarten Karenzzeit von 28 Tagen) eine Entschädigung von EUR 610,47.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger - ebenfalls unter Berücksichtigung der Karenzzeit - die Differenz auf die Versicherungssumme von EUR 16.278,60. Die gesamte Jahressumme sei fällig, weil eine Wiederaufnahme des Betriebes im Versicherungsjahr, in dem die Arbeitsunfähigkeit eingetreten sei, zwar von ihm (allenfalls auch durch Aufnahme geeigneter Mitarbeiter) ernstlich ins Auge gefasst worden, aber nicht möglich gewesen sei. Danach sei der Betrieb bis zur Verpachtung stillgelegt gewesen.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung. Mangels einer Behandlungsmöglichkeit der Erkrankung des Klägers liege keine Betriebsunterbrechung, sondern (spätestens seit 30. 3. 2002) ein endgültiger Betriebsstillstand vor, der nicht versichert sei. Mit dem Vertrag vom 13. 8. 2003 habe der Kläger nicht sein Unternehmen verpachtet, sondern lediglich die betreffenden Räumlichkeiten vermietet.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Da der Kläger nach Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit beabsichtigt habe, das Unternehmen wenigstens in Form einer Verpachtung weiterzuführen und schließlich auch verpachtet habe, liege ein Fall der Betriebsunterbrechung vor, sodass der (der Höhe nach unstrittige) Anspruch des Klägers zu Recht bestehe.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Beklagten keine Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Werde eine Fortführung des Betriebes ins Auge gefasst, sei bei Betriebsstillstand durch ein versichertes Ereignis eine Betriebsunterbrechung und keine Betriebsbeendigung selbst dann anzunehmen, wenn eine Wiederaufnahme des Betriebes letztlich nicht möglich sei. Zur Betriebsfortführung zählten auch Abwicklungsgeschäfte. Dem von Erblindung bedrohten Kläger sei zuzugestehen, dass er sein Unternehmen nicht unverzüglich nach Feststellung seiner dauernden Arbeitsunfähigkeit geschlossen, sondern versucht habe, durch Verpachtung wiederkehrende Einkünfte zu erzielen. Dass dies bei einem Ein-Mann-Betrieb nicht einfach sei und geraume Zeit in Anspruch nehmen könne, sei offenkundig. Der Beklagten sei zwar dahin beizupflichten, dass solche Bemühungen trotzdem eine zeitliche Grenze haben müssten. Angesichts der aufgezeigten Schwierigkeiten, einen Pächter zu finden, und der Wichtigkeit einer Zukunftssicherung für den Kläger, sei für dessen Bemühungen, eine Fortführung des Betriebes zu erreichen, ein Zeitraum von einem Jahr nicht übertrieben. Schon dieser genüge aber, um nach der Sondervereinbarung "Taxe" die gesamte Versicherungssumme fällig werden zu lassen.

Die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO für die Zulässigkeit der ordentlichen Revision lägen vor, weil zur Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung, wie lange für Bemühungen zur Betriebsfortführung Versicherungsschutz bestehe, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem betreffenden Ausspruch des Berufungsgerichtes, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO), sind die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO allerdings nicht gegeben, weshalb die Revision der Beklagten unzulässig ist:

Den vorliegenden Prozess entscheidet, ob das Schadensereignis (die Krankheit des Klägers) zu einer Betriebsunterbrechung oder zu einem dauernden Betriebsstillstand führte. Schon nach dem Wortlaut des Versicherungsgegenstandes ("Unterbrechung") völlig klar und unstrittig ist nämlich, dass Leistungen aus der Betriebsunterbrechungsversicherung nur dann zu erbringen sind, wenn eine Fortführung des Betriebes ins Auge gefasst wird, während im Fall einer Betriebsbeendigung kein Versicherungsfall gegeben ist (7 Ob 55/86, SZ 59/227 = JBl 1987, 455 = NZ 1987, 286; RIS-Justiz RS0080974). In der Entscheidung 7 Ob 346/98b, VersR 2000, 127 hat der Oberste Gerichtshof dazu ausgesprochen, dass eine Betriebsunterbrechung auch dann anzunehmen ist, wenn zwar ein Wiederaufnahme des Betriebes letztlich nicht erfolgt, aber zumindest ernstlich ins Auge gefasst wurde, aus nicht vorhersehbaren Gründen aber dann nicht möglich war.

Im vorliegenden Fall steht fest, dass vom Kläger die Fortführung des Betriebes ernstlich ins Auge gefasst wurde, dass sich aber eine von ihm beabsichtigte Verpachtung nicht sogleich bewerkstelligen ließ. Das Berufungsgericht meint, in der speziellen Situation, in der sich der Kläger, der einen Ein-Mann-Betrieb führte, befand, müsse ihm für seine Bemühungen, eine seine Zukunft sichernde Fortführung des Betriebes zu erreichen, ein entsprechender Zeitraum eingeräumt werden, wobei ein Jahr "nicht übertrieben" gewesen sei.

Dass für derartige Bemühungen dem Betriebsinhaber eine gewisse Zeit einzuräumen ist, kommt schon in den erwähnten Entscheidungen 7 Ob 55/86 und 7 Ob 346/98b zum Ausdruck, wenn von einem "Ins-Auge-fassen" der Wiederaufnahme des Betriebes die Rede ist. Auch im Falle der Unmöglichkeit einer Fortführung des Betriebes wäre für dessen Liquidierung ein gewisser Zeitraum erforderlich, während dessen die Fixkosten des Versicherungsnehmers weiter liefen.

Die vom Berufungsgericht als iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblich erachtete Rechtsfrage, wie lange Bemühungen zur Betriebsfortführung dauern dürften, um noch eine vorübergehende Betriebsunterbrechung annehmen und daher Versicherungsschutz bejahen zu können, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und lässt sich zufolge dieser Einzelfallbezogenheit nicht allgemein gültig beantworten. Ein tauglicher Grund für die Zulassung der Revision läge in diesem Zusammenhang daher nur dann vor, wenn dem Berufungsgericht eine erhebliche Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die im Interesse der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste (vgl RIS-Justiz RS0044088, RS0021095 und RS0042405, jeweils mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen). Dies trifft hier aber keineswegs zu. Vielmehr ist die Ansicht der zweiten Instanz, nach der besonderen Konstellation des vorliegenden Falles sei dem - fast blinden - Kläger für seine, zur Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz notwendigen, Bemühungen, eine Betriebsfortführung in Form einer Verpachtung seines Unternehmens zu erreichen, ein entsprechender Zeitraum (der durchaus auch ein Jahr betragen könne) einzuräumen, nicht zu beanstanden. Eine Obliegenheitsverletzung des Klägers iSd Art 8 (1) a) der gegenständlichen Versicherungsbedingungen wurde von der Beklagten gar nicht behauptet.

Auch sonst wird von der Revisionswerberin im Rahmen der Ausführung der Rechtsrüge keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage aufgeworfen. Die Beklagte hält an ihrer Auffassung fest, dass eine Betriebsfortführung auch schon deshalb nicht angenommen werden könne, weil der Kläger sein Unternehmen gar nicht verpachtet, sondern lediglich sein Geschäftslokal vermietet habe. Abgesehen davon, dass ein Anspruch auf Versicherungsleistung allenfalls auch bei einem letztendlichen Scheitern einer zunächst ernstlich ins Auge gefassten Wiederaufnahme des Betriebes gegeben sein kann (7 Ob 346/98b), ist auch die Frage, ob Geschäftsraummiete oder Unternehmenspacht anzunehmen ist, in der Regel nicht von iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblicher Bedeutung, zumal es, wie der Oberste Gerichtshof bereits in zahlreichen Entscheidungen betont hat, bei dieser Unterscheidung immer auf die Gesamtheit der Umstände des Einzelfalles ankommt (RIS-Justiz RS0031183). Auch in diesem Zusammenhang wäre die Revision daher nur dann zulässig, wenn den Vorinstanzen eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (7 Ob 193/03p mwN), was aber nicht der Fall ist: Als wesentliches Unterscheidungskriterium wird in stRsp die - im vorliegenden Fall vereinbarte - Übernahme einer Betriebspflicht angesehen (RIS-Justiz RS0020451 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen), die das wirtschaftliche Interesse des Bestandgebers an Tatsache und Art der Unternehmensfortführung dokumentiert (6 Ob 106/99b; 6 Ob 33/02z; 7 Ob 193/03p). Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin hält sich die Annahme des Berufungsgerichtes, der Kläger habe sein Unternehmen verpachtet, im Rahmen der einschlägigen oberstgerichtlichen Judikatur (zu den weiteren Abgrenzungskriterien vgl RIS-Justiz RS0020398; RS0020486; Rs0020261; RS0020338; RS0020513 und RS0020521).

Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO erweist sich das Rechtsmittel der Beklagten daher als unzulässig und war zurückzuweisen. Dabei konnten sich die Rechtsausführungen des Obersten Gerichtshofes gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO auf die Darlegung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50 und 41 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision ausdrücklich hingewiesen.

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