OGH 1Ob156/04d

OGH1Ob156/04d12.8.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Adoptionssache der Antragsteller 1) Hasgül E*****, geboren am *****, und 2) Sezgin E*****, geboren am *****, beide vertreten durch Dr. Manfred Fuchsbichler, Rechtsanwalt in Wels, infolge ordentlichen Revisionsrekurses der Antragsteller gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 14. April 2004, GZ 21 R 80/04w-38, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Wels vom 16. Februar 2004, GZ 1 P 20/02f-35, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Wahlmutter wurde 1946 in der Türkei geboren. Sie ist Witwe und seit dreizehn Jahren österreichische Staatsbürgerin mit einem monatlichen Pensionseinkommen von 580 EUR. Sie bewohnt eine Eigentumswohnung in Wels. Ihre sechs leiblichen Kinder verfügen alle über ein eigenes Einkommen. In der Wohnung der Wahlmutter leben einer ihrer leiblichen Söhne, dessen Ehegattin und der am 8. 2. 2002 eingezogene Wahlsohn. Dieser wurde 1978 in der Türkei geboren, als Koch und Damenschneider ausgebildet und arbeitete in der Türkei "in seinem erlernten Beruf". Er reiste im März 2001 legal nach Österreich ein. Vom 9. 3. bis 15. 5. 2001 und vom 16. 5. bis 31. 10. 2001 hatte er eine österreichische Beschäftigungsbewilligung als Saisonarbeiter. Sein neuerlicher Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung vom 8. 10. 2001 blieb "(auch im Rechts[mittel]weg) erfolglos". Vor dem Einzug in die Wohnung der Wahlmutter arbeitete und wohnte der Wahlsohn in Traun. Dessen Existenz und Fortkommen in der Türkei "ist nicht gefährdet, insbesondere wurde er in der Vergangenheit von seinem Vater gut versorgt". Der in der Wohnung der Wahlmutter lebende leibliche Sohn "ernährt" die Wahlmutter und das Wahlkind "und unterstützt diese auch ansonsten finanziell, zum Beispiel auch durch Tragung der Betriebskosten der Wohnung". Seitdem die Wahlmutter in Österreich ist, verbringt sie jedes Jahr zwei bis vier Wochen Urlaub in der Türkei bei der Familie des Wahlkindes. Dabei entwickelte sich ein "freundschaftlich-familiärer Kontakt zum Wahlkind". Der erste - gerichtlich nicht bewilligte - Adoptionsvertrag zwischen der Wahlmutter und dem Wahlsohn datiert vom 7. 2. 2002. Am 20. 3. 2003 schlossen die Antragsteller jenen Adoptionsvertrag, der dem nunmehrigen Bewilligungsverfahren zugrunde liegt. "Zwischen der Wahlmutter und dem Wahlkind besteht keine Beziehung, die dem Verhältnis zwischen Eltern und Kindern entspricht, die Herstellung einer solchen Beziehung durch die Adoption wird seitens der Antragsteller auch nicht angestrebt. Des Weiteren besteht zwischen Wahlmutter und Wahlkind auch keine enge Beziehung. Auf Seiten der Wahlmutter liegt keine Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit vor. Die Adoption dient lediglich der Erlangung eines neuerlichen Aufenthaltstitels und soll zu einem leichteren Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt führen".

Die Parteien des Adoptionsvertrags vom 20. 3. 2003 beantragten dessen Bewilligung und brachten vor, zwischen ihnen bestehe bereits eine Beziehung wie zwischen Eltern und Kindern. Die Wahlmutter werde dafür sorgen, dass sich das Wahlkind in Österreich sozial integrieren könne und hier eine entsprechende Ausbildung erhalte. Sie komme für den Unterhalt des Wahlsohns auf. Dieser werde sie in Zukunft überdies betreuen. Der Wahlsohn habe auf Grund der schwierigen wirtschaftlichen Lage in der Türkei kaum eine Möglichkeit, dort einen adäquaten Arbeitsplatz zu finden, und wäre deshalb in seinem wirtschaftlichen Fortkommen gefährdet.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Bezwecke die Adoption - wie im Anlassfall - bloß die Umgehung fremdenrechtlicher Bestimmungen, so bilde diese Absicht kein gerechtfertigtes Anliegen nach § 180a Abs 1 ABGB für eine Erwachsenenadoption.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Nach dessen Ansicht darf die für die Bewilligung einer Erwachsenenadoption notwendige Voraussetzung des Bestehens oder der künftigen Herstellung einer dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechenden Beziehung nicht überbetont werden. Es reiche daher unter Umständen "sogar eine bloß nähere Beziehung". Da der Wahlsohn bereits seit zwei Jahren mit der Wahlmutter wohne und bereits zuvor eine "familiär freundschaftliche Beziehung" bestanden habe, könne im Anlassfall das Bestehen "einer näheren persönlichen Beziehung zwischen den Vertragsteilen" nicht zweifelhaft sein. Der Oberste Gerichtshof habe in einzelnen Entscheidungen die beabsichtigte Verstärkung einer zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind bereits bestehenden Bindung durch gesetzliche familienrechtliche Bande als gerechtfertigtes Anliegen für eine Erwachsenenadoption nach § 180a Abs 1 ABGB angesehen. Eine solche - allenfalls auch erst herzustellenden - persönliche Bindung dürfe jedoch mit dem Erfordernis eines gerechtfertigten Anliegens als Voraussetzung der Bewilligung einer Erwachsenenadoption nicht völlig gleichgestellt werden, andernfalls könnte der - nach einem strengen Maßstab zu prüfenden - Missbrauchsgefahr bei Erwachsenenadoptionen "überhaupt nicht begegnet werden". Ein gerechtfertigtes Anliegen im Sinne des § 180a Abs 1 ABGB müsse daher, wie aus der Mehrzahl der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs folge, neben der geforderten persönlichen Beziehung zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind vorliegen. Im Anlassfall verbleibe letztlich "als tragendes bzw ... auch eigentliches Argument" für die Adoption "die erleichterte Verschaffung einer (dauernden) Aufenthalts- und/oder Beschäftigungsbewilligung", könne doch ohne dieses Motiv angesichts der feststehenden Begleitumstände nicht angenommen werden, dass eine Frau mit sechs erwachsenen leiblichen Kindern noch ihren erwachsenen Neffen adoptieren wolle. Zu lösen sei daher die Frage, "ob bei schon bestehenden (und nunmehr durch den Aufenthalt des Wahlkindes auch näheren) verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Vertragsteilen die bezweckte Erleichterung des Erhalts einer (unbefristeten) Aufenthalts- und/oder Beschäftigungsbewilligung (bzw die damit nachfolgend verbundene Verbesserung der Berufsaussichten des Wahlkindes) ein gerechtfertigtes Anliegen im Sinne des § 180a Abs 1 letzter Satz (ABGB)" sei. Dieses Interesse sei aus der Sicht der Vertragsparteien legitim und - entgegen der Ansicht des Erstgerichts - nicht geradezu als Missbrauch des Adoptionsrechts anzusehen. Es bilde aber kein gerechtfertigtes Anliegen für die Adoption eines Erwachsenen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof noch nicht zur Frage Stellung genommen habe, "ob im Fall einer schon bestehenden verwandtschaftlichen Verbindung der Vertragsteile auch die Erleichterung des Erhaltes einer Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung im Zusammenwirken mit der damit verbundenen Verbesserung des beruflichen Fortkommens eines Wahlkindes als letztlich tragendes Interesse ein gerechtfertigtes Anliegen bilden könnten".

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

1. Der erkennende Senat sprach in der Entscheidung 1 Ob 561/86 (= SZ 59/131) zu dem in § 180a Abs 1 ABGB geforderten gerechtfertigten Anliegen des Annehmenden oder des Wahlkindes aus, dass ein solches Anliegen bereits dann verwirklicht sei, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind "schon lange eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende innige Beziehung" bestanden habe und diese Bindung durch gesetzliche familienrechtliche Bande verstärkt werden solle. Diese Linie der Rechtsprechung wurde in den Entscheidungen 2 Ob 134/02y, 7 Ob 82/04s und 9 Ob 58/04a fortgeführt (offenkundig aM 8 Ob 41/04v). Dabei ist jedoch - entgegen der zu allgemein gehaltenen Wiedergabe der maßgebenden Leitlinie im angefochtenen Beschluss - zu beachten, dass das Streben nach gesetzlichen familienrechtlichen Banden als gerechtfertigtes Anliegen im Sinne des § 180a Abs 1 ABGB eine bereits seit langem bestehende innige Beziehung zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind entsprechend dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern voraussetzt. Das Rekursgericht ging im Anlassfall nicht davon aus, dass zwischen der Annehmenden und dem Wahlkind eine derartige Beziehung bestehe. Deshalb ist hier jedenfalls nicht die Frage zu lösen, ob die referierte Rechtsprechung - ausgehend von dem sie tragenden Sachverhalt - aufrechtzuerhalten ist.

2. In der Entscheidung 1 Ob 111/02h wurde die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Voraussetzungen für die Bewilligung einer Adoption dahin zusammengefasst, dass die Annahme an Kindesstatt gemäß § 180a Abs 1 erster Satz ABGB zu bewilligen ist, wenn eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll. Für die Erfüllung dieser Bewilligungsvoraussetzung genügt bereits eine nähere persönliche Beziehung, ohne dass dieses Erfordernis überspannt werden darf. Fehlt es noch an einer näheren persönlichen Beziehung zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind, so darf die Bewilligung des Adoptionsvertrags nur dann versagt werden, wenn sich eine derartige Beziehung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht entwickeln wird.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist eine Erwachsenenadoption überdies nur dann zu bewilligen, wenn sie durch ein gerechtfertigtes Anliegen des Annehmenden oder des Wahlkindes getragen wird. Damit soll der erhöhten Missbrauchsgefahr begegnet werden (7 Ob 82/04s; 8 Ob 41/04v; 5 Ob 139/03g; siehe ferner RIS-Justiz RS0048764). Wegen dieser Missbrauchsgefahr ist insoweit ein strenger Maßstab anzulegen (7 Ob 82/04s; 8 Ob 41/04v; 2 Ob 254/03x; 5 Ob 139/03g). Die (ausschließliche) Erleichterung der Erwirkung einer Arbeits- und/oder Aufenthaltsbewilligung unter Umgehung fremdenrechtlicher Bestimmungen bildet kein gerechtfertigtes Adoptionsanliegen (7 Ob 82/04s; 2 Ob 254/03x; siehe ferner RIS-Justiz RS0116687).

3. Das Erstgericht gelangte nach unmittelbarer Beweisaufnahme zum Ergebnis, dass zwischen der Wahlmutter und dem Wahlkind keine Beziehung bestehe, die dem Verhältnis zwischen Eltern und Kindern entspricht, die Vertragspartner die Herstellung einer solchen Beziehung durch die Adoption nicht anstrebten und es zwischen ihnen ferner auch an einer engen Beziehung mangle, weil die Adoption "lediglich der Erlangung eines neuerlichen Aufenthaltstitels" und dem "leichteren Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt" dienen solle. Es begründete vor dem Hintergrund zahlreicher Indizien, weshalb es die Bewilligungswerber für unglaubwürdig hielt und die Feststellung zur eigentlichen alleinigen Absicht der Parteien des Adoptionsvertrags traf. Ob der Annehmende und das Wahlkind mit dem Vertrag über die Annahme an Kindesstatt - wie hier - "lediglich" die Förderung der "Erlangung eines neuerlichen Aufenthaltstitels" und eines "leichteren Zugangs zum österreichischen Arbeitsmarkt", dagegen nicht die Begründung eines Verhältnisses wie zwischen leiblichen Eltern und Kindern oder einer sonstigen engen persönlichen Beziehung beabsichtigen, ist Tatfrage. Welche Absicht eine Partei mit bestimmten Willenserklärungen oder Handlungen verband, ist stets als Tatfrage zu lösen (siehe zuletzt etwa 16 Ok 5/98 = SZ 71/103). Auch der Schluss von bestimmten Tatsachen auf die Absicht der Vertragsparteien ist nach ständiger, im Schrifttum gebilligter (Binder in Schwimann, ABGB² § 914 Rz 14; Rummel in Rummel, ABGB³ § 914 Rz 24) Rechtsprechung als Tatsachenfeststellung einzustufen (5 Ob 255/75 = SZ 49/43; RIS-Justiz RS0043419; siehe spezifisch zum Adoptionsvertrag 1 Ob 111/02h). Dieser Rechtslage widerspricht auch nicht die vom Rekursgericht ins Treffen geführte Entscheidung 2 Ob 254/03x. Dort wurde festgehalten, dass die "rechtliche Wertung" des Rekursgerichts, zwischen den Bewilligungswerbern bestehe ein aufrechtes "Eltern-Kind-Verhältnis", durch die Aktenlage "so" nicht gedeckt sei. Diese Aussage betraf Feststellungen über die Lebensumstände der Annehmenden und des Wahlkindes. Demnach lehnte es der Oberste Gerichtshof auch in dieser Entscheidung ab, die Rechtsfrage nach der Erfüllung der Voraussetzungen für die Bewilligung eines Adoptionsvertrags unter Ausklammerung der für die Begründung eines "Eltern-Kind-Verhältnisses" aktenkundigen Tatsachen zu lösen.

Das Rekursgericht hegte gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts keine Bedenken, es hielt jedoch die in Verbindung mit der Absicht der Parteien des Adoptionsvertrags getroffenen Feststellungen über das Fehlen eines Eltern-Kind-Verhältnisses und den Mangel einer (anderen) engen persönlichen Beziehung zwischen den Vertragspartnern für in Wahrheit nicht entscheidungswesentlich, weil bereits der festgestellte freundschaftlich-familiäre Kontakt der Vertragsparteien in der Vergangenheit und der nunmehrige Aufenthalt des Wahlkindes in der Wohnung der Wahlmutter seit nunmehr zwei Jahren auf eine "nähere persönliche Beziehung" zwischen den Parteien des Adoptionsvertrags schließen lasse. Es ist jedoch bereits aus den unter 2. referierten Grundsätzen, an denen festzuhalten ist, ableitbar, dass die Begründung einer "näheren Beziehung" zwischen den Vertragsparteien in der bloßen Absicht, dem erwachsenen Wahlkind auf dem Weg über dessen Adoption durch einen österreichischen Staatsbürger eine dauernde Aufenthaltsbewilligung für Österreich und damit letztlich auch einen unbeschränkten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu verschaffen, kein gerechtfertigtes Adoptionsanliegen des Annehmenden oder des erwachsenen Wahlkindes im Sinne des § 180a Abs 1 ABGB bilden kann.

4. Die Rechtsmittelwerber führen im Ergebnis überwiegend eine in dritter Instanz unzulässige Beweisrüge aus, weil sie die getroffene Feststellung über den eigentlichen Adoptionszweck bekämpfen und ihre Rechtsausführungen auf das Vorliegen einer nach ihrer Ansicht vorhandenen, jedoch von den Vorinstanzen gerade nicht festgestellten innigen "Eltern-Kind-Beziehung" stützen. Feststellungsfremd ist ferner die Annahme der Rechtsmittelwerber, die "Wahlmutter komme (vorerst) auch für den Unterhalt des Wahlkindes auf". Die Versagung der Bewilligung einer Erwachsenenadoption auf dem Boden der bereits erörterten Gründe kann - entgegen der Ansicht der Rechtsmittelwerber - auch keinen Eingriff in das durch Art 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Familienlebens sein.

5. Der Oberste Gerichtshof ist gemäß § 16 Abs 3 AußStrG bei Prüfung der Zulässigkeit des Revisionsrekurses an einen Ausspruch des Rekursgerichts nach § 13 Abs 1 Z 2 AußStrG nicht gebunden. Wie aus allen bisherigen Erwägungen folgt, hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage ab. Somit ist aber der Revisionsrekurs mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.

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