Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Der am 29. 12. 1945 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt und war in der Zeit von 23. 4. 1990 bis 9. 7. 2000 bei einem Bauunternehmen als Eisenbieger beschäftigt. Diese Tätigkeit erfordert kräftigen Körperbau, Gleichgewichtsgefühl, physische Ausdauer, technisches Verständnis und Fähigkeit zur Zusammenarbeit. Dem Kläger sind nur mehr leichte und halbzeitig mittelschwere Beschäftigungen im Sitzen, Gehen und Stehen, ohne Arbeiten in länger oder häufig gebückter Haltung zumutbar. Es dürfen nur solche Arbeiten sein, die ein der bisherigen Berufslaufbahn des Klägers entsprechendes geistiges Anforderungsprofil aufweisen. Arbeiten unter dauerndem besonderen Zeitdruck sind ausgeschlossen. Mit diesen gesundheitlichen Einschränkungen könnte der Kläger zwar nach wie vor beispielsweise portierähnliche Aufsichtstätigkeiten oder Einschlicht- und Sortierarbeiten in der Leichtindustrie ausführen, Arbeiten als Eisenbieger jedoch nicht mehr verrichten.
Mit Bescheid vom 7. 6. 2002 hat die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Invaliditätspension ab dem Stichtag 1. 12. 2001 abgelehnt.
Das Erstgericht sprach dem Kläger - ausgehend von der Vollendung des 57. Lebensjahres am 29. 12. 2002 - die Invaliditätspension ab dem 1. 1. 2003 zu, trug eine vorläufige Zahlung von 650 EUR pro Monat auf und wies das Mehrbegehren auf Gewährung der Invaliditätspension auch für den Zeitraum vom 1. 12. 2001 bis 31. 12. 2002 ab.
Das Berufungsgericht gab der gegen den klagsstattgebenden Teil des Ersturteils erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge, hob das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Entgegen der Auffassung der beklagten Pensionsversicherungsanstalt könne dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden, dass er Zeiten einer pflichtversicherten Beschäftigung nur dann berücksichtigen wolle, wenn sie jeweils gerade vom Ersten bis zum Letzten eines Monats ausgeübt worden seien. Anhaltspunkte für ein solches Verständnis des historischen Gesetzgebers fänden sich nicht. Auch die von der beklagten Partei relevierte Wortinterpretation vermöge eine solche Sicht nicht zu stützen. Dem Wortsinn nach umschreibe der Begriff "Kalendermonat" nämlich nichts anderes als die Anzahl von Tagen, die auf die Zeiteinheit eines Monates entfalle.
Der Oberste Gerichtshof habe bereits ausgesprochen, dass die geforderte zehnjährige Tätigkeit nicht in aufeinander folgenden Kalendermonaten ausgeübt werden müsse (10 ObS 156/03v). Bei dieser Gelegenheit habe der Oberste Gerichtshof nicht erkennen lassen, dass Zeiten einer pflichtversicherten Tätigkeit nur dann und soweit zu berücksichtigen wären, als sie jeweils vom Ersten bis zum Letzten eines bestimmten Monates gedauert haben. Somit seien diejenigen Zeiten, in denen eine Tätigkeit im Sinne des § 255 Abs 4 ASVG entfaltet worden sei, ohne Rücksicht auf ihre Verteilung auf verschiedene Monate tageweise zusammenzurechnen. Bei der Ermittlung der letztlich entscheidenden Anzahl von Kalendermonaten sei - aus Gründen der Praktikabilität - ein Divisor von 30 heranzuziehen.
§ 255 Abs 4 ASVG sei nur anwendbar, wenn der Versicherte die relevante Tätigkeit im Beobachtungszeitraum durch mindestens 120 Kalendermonate ausgeübt habe. Dementsprechend müsse geprüft werden, unter welchen Voraussetzungen von einer Zeit ausgegangen werden könne, in der der Versicherte seine Tätigkeit ausgeübt habe. Zeiten, in denen der Versicherte Anspruch auf Entgeltfortzahlung - auf welcher Grundlage immer - gehabt habe, seien als Zeiten der Ausübung einer Tätigkeit zu werten. Dies gelte auch für Zeiten, für die der Versicherte Anspruch auf Urlaubsentschädigung bzw Urlaubsabfindung oder Urlaubsersatzleistung gehabt habe. Solche Zeiten stünden nämlich Zeiten des Bezuges von Urlaubsentgelt während des aufrechten Dienstverhältnisses gleich.
Somit hätten die von der beklagten Partei relevierten Krankenstandszeiträume des Klägers nur so weit außer Betracht zu bleiben, als sie infolge Bezugs von Krankengeld Ersatzzeiten begründet hätten. Hingegen seien Krankenstandszeiträume, während derer der Kläger infolge Anspruchs auf Entgeltfortzahlung Beitragszeiten erworben habe, zu berücksichtigen. Dies gelte auch für Zeiten des Bezugs von Urlaubsentschädigung bzw Urlaubsabfindung oder Urlaubsersatzleistung.
Die Feststellungen des Erstgerichts ließen eine Beurteilung dahin, ob der Kläger seine Tätigkeit als Eisenbieger durch 120 Kalendermonate ausgeübt habe, noch nicht zu. Dass der Kläger von 23. 4. 1990 bis 9. 7. 2000 als Eisenbieger bei einem Bauunternehmen beschäftigt gewesen sei, lasse nämlich nicht erkennen, ob diese Zeitspanne im Sinn der dargelegten Grundsätze zur Gänze als Ausübung der Tätigkeit gewertet werden könne. Dies bewirke eine sekundäre Mangelhaftigkeit des Verfahrens, die die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sozialrechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung unumgänglich mache. Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht - wohl hauptsächlich anhand des im Pensionsakt erliegenden Versicherungsverlaufs des Klägers - detaillierte Feststellungen darüber zu treffen haben, in welchen Zeiträumen während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag der Kläger die Tätigkeit als Eisenbieger im Sinn der dargelegten Erwägungen ausgeübt habe. Erst danach werde das Gericht in der Lage sein, verlässlich über den Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension abzusprechen. Im fortgesetzten Verfahren werde sich das Erstgericht erforderlichenfalls auch mit den von der beklagten Partei in der Berufung vorgetragenen Einwänden gegen die Höhe der zuerkannten vorläufigen Leistung auseinanderzusetzen haben.
Angesichts der aufgezeigten Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung sei der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der beklagten Partei aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und in der Sache selbst im klagsabweisenden Sinn zu entscheiden.
Die klagende Partei hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Ihrem Rekurs legt die beklagte Partei zugrunde, dass der Kläger - infolge wiederholten Krankengeldbezuges - unmöglich die gleiche Tätigkeit durch mindestens 120 Kalendermonate ausgeübt haben könne, weshalb in der Sache zu entscheiden und das Klagebegehren auf Invaliditätspension zur Gänze abzuweisen gewesen wäre.
Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 16. 3. 2004, 10 ObS 264/02z (RIS-Justiz RS0117787 [T1] und [T2], RS0118621) ausführlich zu der hier im Raum stehenden Problematik Stellung genommen und zusammengefasst ausgeführt, dass der Begriff "Kalendermonat" nicht mit dem Begriff "Beitragsmonat" gleichzusetzen sei, sodass ein "Kalendermonat einer Tätigkeit" iSd § 255 Abs 4 ASVG nicht schon dann vorliegt, wenn aufgrund dieser Tätigkeit in einem Kalendermonat Beitragszeiten in einem nach §§ 231 Z 1, 232 Abs 1 ASVG zur Begründung eines Beitragsmonats ausreichenden Ausmaß liegen. Weiters wurde die Frage, ob nur ganze Monate als Ausübung einer Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 ASVG zu zählen oder ob (entsprechend § 133 Abs 2 letzter Satz GSVG) jeweils 30 Kalendertage zusammenzufassen sind, soweit nicht ganze Kalendermonate der Tätigkeit vorliegen, so beantwortet, dass die Regel des § 133 Abs 2 letzter Satz GSVG im Hinblick auf die inhaltliche Verwandtschaft auch im Fall des § 255 Abs 4 ASVG analog anzuwenden ist (RIS-Justiz RS0118621).
In diesem Sinn ist die vom Berufungsgericht vorgetragene Rechtsansicht dahin zu präzisieren, dass nicht generell Zeiten, in denen eine Tätigkeit iSd des § 255 Abs 4 ASVG entfaltet wurde, ohne Rücksicht auf ihre Verteilung auf verschiedene Monate tageweise zusammenzurechnen und dann einer Division durch 30 zu unterziehen sind; vielmehr sind entsprechend § 133 Abs 2 Satz 2 GSVG jeweils 30 Kalendertage zu einem Kalendermonat zusammenzufassen, soweit nicht schon ganze Kalendermonate einer Tätigkeit vorliegen.
Ebenso wie bereits früher zu § 133 Abs 2 GSVG wurde in der genannten Entscheidung 16. 3. 2004, 10 ObS 264/02z (RIS-Justiz RS0117787 [T1] und [T2]), ausgesprochen, dass nur kurzdauernde Unterbrechungen einer Tätigkeit - bedingt etwa durch Urlaub oder einen kurzfristigen Krankenstand - bei der Prüfung der Frage, ob die Tätigkeit mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt wurde, zu vernachlässigen sind. Beim Urlaub handelt es sich um eine Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeit unter Fortzahlung des Entgelts, somit um Zeiten, die der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegen. Im Fall der Krankheit eines Arbeitnehmers wurde die Kostenteilung zwischen Arbeitgeber und Sozialversicherung vom Gesetzgeber in der Weise vorgenommen, dass für eine bestimmte Zeit die Entgeltfortzahlungslasten durch den Arbeitgeber übernommen werden und die gesetzliche Krankenversicherung mit dem Anspruch auf Krankengeld grundsätzlich erst dann einsetzt, wenn der (volle) arbeitsrechtliche Entgeltanspruch erschöpft ist (vgl Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht10 6.9.2.1.2). Im Fall der Erkrankung des Arbeitnehmers gelten Zeiten der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber, nicht jedoch auch Zeiten des Krankengeldbezugs des Arbeitnehmers als Zeiten der Ausübung der relevanten Tätigkeit.
Der Bezug einer Urlaubsabfindung bzw einer Urlaubsentschädigung bzw einer Urlaubsersatzleistung gleicht die vorangegangene Nichtkonsumation von Naturalurlaub anlässlich der Beendigung des Dienstverhältnisses durch Geldersatz aus. Seit dem Inkrafttreten des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl 1996/201, mit 1. 5. 1996 handelt es sich bei diesen Leistungen - so wie schon zuvor bei der Kündigungsentschädigung - um beitragspflichtiges Entgelt iSd § 49 ASVG (VwGH 3. 7. 2002, 98/08/0397, ARD 5456/9/2003). Zwar kommt es dadurch gemäß § 11 Abs 1 Satz 2 ASVG zu einer entsprechenden Verlängerung der Pflichtversicherung. Von einer "Ausübung" der Tätigkeit, wie sie § 255 Abs 4 ASVG im Auge hat, kann jedoch nicht mehr gesprochen werden, ist doch das Dienstverhältnis rechtlich schon beendet, sodass keine kurzfristige Unterbrechung, die für die "Ausübung der Tätigkeit" unschädlich wäre, mehr eintreten kann. Dieses Ergebnis wird von § 255 Abs 4 ASVG insofern bestätigt, als dort nicht auf Beitragsmonate, sondern auf Kalendermonate der Ausübung abgestellt wird.
Auf dieser Grundlage ist noch festzustellen, ob der Kläger "eine" Tätigkeit (als Eisenbieger) im Beobachtungszeitraum durch mindestens 120 Kalendermonate ausgeübt hat. Der Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluss des Berufungsgerichts erweist sich daher als zutreffend.
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