OGH 10ObS156/03v

OGH10ObS156/03v17.6.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Carl Hennrich (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Georg Eberl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dusan Z*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Mag. Rudolf Lind, Rechtsanwalt in Langenzersdorf, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Jänner 2003, GZ 9 Rs 280/02s-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. April 2002, GZ 3 Cgs 148/01v-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 2. 11. 1943 geborene Kläger war im maßgebenden Zeitraum der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (1. 3. 2001) in der Zeit vom 25. 5. bis 2. 11. 1987, vom 18. 5. bis 31. 10. 1988, vom 24. 5. bis 17. 12. 1989, vom 2. 5. bis 2. 11. 1990, vom 19. 4. bis 10. 11. 1991, vom 30. 3. bis 22. 11. 1992, vom 13. 4. bis 11. 11. 1993, vom 20. 4. bis 27. 11. 1994, vom 3. 4. bis 15. 10. 1995, vom 19. 3. bis 24. 11. 1996, vom 17. 3. bis 9. 11. 1997, vom 27. 4. bis 31. 10. 1998, vom 8. 3. bis 29. 6. (richtig: 26. 9.) 1999 und vom 13. 3. bis 12. 9. 2000 als Hilfsarbeiter in einer landwirtschaftlichen Gärtnerei beschäftigt. Der Kläger erwarb dadurch insgesamt 95 Beitragsmonate in der Pflichtversicherung nach dem ASVG. Er war dabei als Saisonarbeiter tätig. Sein Arbeitgeber sagte ihm nach der jährlichen Kündigung des Dienstverhältnisses die Wiedereinstellung im nächsten Frühjahr zu. Der Kläger bezog während der Wintermonate Arbeitslosengeld.

Der Kläger kann auf Grund seines näher festgestellten medizinischen Leistungskalküls die von ihm ausgeübte Tätigkeit nicht mehr verrichten. Auch ähnliche Tätigkeiten wie beispielsweise Hilfsarbeiten in einer Gärtnerei, Erntehilfe im Weinbau sowie Hilfsarbeiten in der Landwirtschaft übersteigen das Leistungskalkül des Klägers. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kann der Kläger noch als Abräumer in Selbstbedienungsrestaurants und als Tankwart an Selbstbedienungstankstellen beschäftigt werden sowie Aufsichtstätigkeiten verrichten.

Das Erstgericht wies das auf Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 3. 2001 gerichtete Klagebegehren ab. Nach seiner rechtlichen Beurteilung setze die Zuerkennung einer Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASVG voraus, dass der Kläger seine Tätigkeit während der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag 120 Monate lang ausgeübt habe. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, weil der Kläger seine Beschäftigung immer wieder unterbrochen habe und während der Zeit der Unterbrechungen nicht für seinen Dienstgeber gearbeitet, sondern Arbeitslosengeld bezogen habe. Daraus ergäben sich 95 Beitragsmonate sowie 62 Monate an Ersatzzeiten während des Beobachtungszeitraumes. Da der Kläger noch Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne, sei er nicht invalid im Sinn des § 255 Abs 3 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und verneinte das Vorliegen der vom Kläger gegen die geltende Gesetzeslage vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei, weil sich der Oberste Gerichtshof zu den vom Berufungswerber gegen die Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken noch nicht geäußert habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der hier strittigen Anspruchsvoraussetzung des § 255 Abs 4 ASVG, nämlich der Ausübung einer Tätigkeit in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch, vorliegt. Sie ist aber nicht berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei von Amts wegen von "Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt als Gesamtrechtsnachfolger übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVG-Nov BGBl I 2002/1).

Mit dem Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2000 (SVÄG 2000; BGBl I 2000/43) wurde die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (§ 253d ASVG) ab 1. 7. 2000 aufgehoben. Gleichzeitig wurde ein neuer § 255 Abs 4 ASVG in Kraft gesetzt. Mit dieser Bestimmung soll Versicherten ab Erreichen einer bestimmten Altersgrenze der Zugang zu einer Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit erleichtert werden. Nach § 255 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000 gilt als invalid auch der (die) Versicherte, der (die) das 57. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, einer Tätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen.

Die Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG unterscheidet sich von der aufgehobenen Bestimmung des § 253d ASVG (vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit) ua darin, dass die Tätigkeit durch mindestens 120 Kalendermonate (innerhalb der letzten 180 Kalendermonate) ausgeübt worden sein muss, während nach § 253d ASVG in den letzten 180 Kalendermonaten mindestens 72 Beitragsmonate vorliegen mussten, wovon in mindestens der Hälfte eine gleiche und gleichartige Tätigkeit ausgeübt wurde. Für die Neuregelung des § 255 Abs 4 ASVG war als Anspruchsvoraussetzung ursprünglich sogar die Ausübung einer Tätigkeit 144 Kalendermonate (= 12 Jahre) hindurch im Beobachtungszeitraum der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag vorgesehen, wobei dieses Erfordernis schließlich auf 120 Kalendermonate (= 10 Jahre) verringert wurde, um Saisonarbeiter vom neuen Berufsschutz nicht von vornherein auszuschließen (vgl Rudda, Neuer Berufsschutz in der Pensionsversicherung, SozSi 2000, 852 ff [854 f]). Die nunmehr geforderte 10-jährige Tätigkeit muss zwar nicht - ohne Unterbrechungen - in aufeinanderfolgenden Kalendermonaten ausgeübt werden (vgl B. Karl, Der Erwerbsunfähigkeitsbegriff nach SVÄG 2000, ASoK 2001, 117 ff [120]; Röhrenbacher, Gedanken und Überlegungen zum neuen Invaliditätsbegriff, SozSi 2001, 846 ff [849]). So wie aber im Bereich der selbständig Erwerbstätigen jene Zeiten nicht als Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit berücksichtigt werden können, in denen die Erwerbstätigkeit eingestellt war, somit nur die Zeit der jeweiligen tatsächlichen Ausübung der selbständigen Erwerbstätigkeit zählt (vgl Karl aaO mwN), können auch beim Kläger nach zutreffender Rechtsansicht der Vorinstanzen die Zeiten seiner Arbeitslosigkeit während der Wintermonate nicht als Zeiten der Ausübung seiner unselbständigen Erwerbstätigkeit gewertet werden. Diese Beurteilung hat unabhängig davon zu erfolgen, ob das Dienstverhältnis des Klägers während der Wintermonate aufgelöst war oder infolge einer Aussetzungs-(Karenzierungs-)vereinbarung bei Aufrechterhaltung des Bestandes des Arbeitsverhältnisses nur die Hauptpflichten, die Arbeitspflicht und Entgeltpflicht geruht haben. Tatsache ist in jedem dieser beiden Fälle, dass während dieser Zeit der Kläger seine Tätigkeit nicht ausgeübt hat und auch keine Arbeitspflicht des Klägers bestanden hat. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der Kläger auf Grund der festgestellten Beschäftigungszeiten seine Tätigkeit als Saisonarbeiter in einer landwirtschaftlichen Gärtnerei im Beobachtungszeitraum der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag nicht mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, ist somit zutreffend. Die Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG findet damit auf den Kläger keine Anwendung.

Soweit der Kläger schließlich noch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die ohne Übergangsfristen erfolgte Abschaffung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (§ 253d ASVG) und die gleichzeitige Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen in § 255 Abs 4 ASVG geltend macht, ist darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 11. 12. 2002, G 186/02 ua, entsprechende Gesetzesprüfungsanträge des Obersten Gerichtshofes abgewiesen hat. Nach den Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes hätte eine Übergangsbestimmung den von der gesetzgeberischen Maßnahme unverhältnismäßig hart betroffenen Personenkreis zwar verändern, den Eintritt eines krankheitsbedingten plötzlichen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben aber im Ergebnis nicht vermeiden können. Während das im Gesetz vorgesehene Mindestalter für eine Alterspensionsleistung im besonderen Maße zu "Vorwirkungen" im Sinne des Phänomens führe, dass sich die Versicherten in ihrer Lebensplanung zunehmend darauf einstellen, ab einem bestimmten Alter aus dem Erwerbsleben auszuscheiden und dann ein Einkommen in einer bestimmten Relation zu jenem während des Erwerbslebens erwarten zu können, treffe dies auf den Versicherungsfall der geminderten Erwerbsfähigkeit wegen der Unvorhersehbarkeit des Zeitpunktes des Eintrittes der damit verbundenen Leidenszustände so nicht zu. Der Gesetzgeber habe zwar durch die vom Obersten Gerichtshof bekämpfte Maßnahme einen nicht unerheblichen Eingriff in das Pensionsrecht - bezogen auf den Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit für Arbeitnehmer, die das 57. Lebensjahr noch nicht vollendet haben - durch die Erhöhung des Anfallsalters aber auch durch eine Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen vorgenommen. Diese Maßnahmen führten allerdings in diesem Segment des Pensionsrechtes nach dem ASVG nicht zur Gänze hinter jenen Rechtszustand zurück, der erstmals mit der 35. Novelle zum ASVG (§ 255 Abs 4 ASVG in dieser Fassung) geschaffen worden sei und seither insgesamt mannigfachen Änderungen (auch Verschärfungen) unterworfen worden sei. Insgesamt habe der Gesetzgeber mit der Aufhebung des § 253d ASVG und mit der Hinaufsetzung des Anfallsalters für eine vergleichbare Pensionsart (Invaliditätspension) in § 255 Abs 4 ASVG um zwei Jahre die ihm bei einem Eingriff in Pensionsanwartschaften verfassungsgesetzlich gesetzte Grenzen auch dann (noch) nicht überschritten, wenn mit der getroffenen Regelung Härten verbunden sein mögen.

Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass die vom Revisionswerber vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken vom Verfassungsgerichtshof nicht geteilt werden. Ausgehend von der geltenden Gesetzeslage erweist sich das Klagebegehren des Klägers aber als nicht berechtigt, weil er unbestritten noch eine Reihe von Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten kann und daher nicht invalide im Sinne der für ihn maßgebenden Bestimmung des § 255 Abs 3 ASVG ist.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und sind nach der Aktenlage nicht erkennbar.

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