OGH 6Ob226/03h

OGH6Ob226/03h25.3.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichtes Wiener Neustadt zu FN *****eingetragenen R***** AG mit dem Sitz in W*****N*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft und ihrer Vorstandsmitglieder Veit S***** und Wolfgang W*****, beide *****, und des Dr. Helmut S*****, alle vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 30. Juni 2003, GZ 28 R 204/03f-8, womit über Rekurs der Gesellschaft, ihrer Vorstandsmitglieder und des Dr. Helmut S***** der Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 12. Mai 2003, GZ 1 Fr 2093/03s-2, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Der Antrag der Revisionsrekurswerber auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird zurückgewiesen.

2. Der an den Obersten Gerichtshof gerichtete Antrag auf Verfahrensunterbrechung wird abgewiesen.

3. Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Parteien haben kein Antragsrecht auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), sie können die Verfahrenseinleitung nur anregen (RIS-Justiz RS0058452). Der gestellte Antrag ist zurückzuweisen.

2. Der an den Obersten Gerichtshof gerichtete, auf § 90a GOG gestützte Antrag auf Verfahrensunterbrechung wegen "neuer anhängiger präjudizieller Verfahren vor dem EuGH" und präjudizieller innerstaatlicher Verfahren ist nicht berechtigt. Ansuchen anderer Gerichte um Vorabentscheidung des EuGH entfalten keine Bindungswirkung. § 90a GOG bindet nur das anfragende Gericht (Schragel in Fasching, Zivilprozessgesetze² § 190 ZPO Rz 5; RIS-Justiz RS0114648).

3. Der Revisionsrekurs des Dr. Helmut S***** ist jedenfalls, jener der übrigen Rechtsmittelwerber mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinn des § 14 Abs 1 AußStrG unzulässig:

Das Rekursrecht gemäß § 9 Abs 1 AußStrG steht nur dem zu, der sich durch die bekämpfte Entscheidung über einen Gegenstand der Gerichtsbarkeit außer Streitsachen beschwert erachtet. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels - also auch eines Revisionsrekurses - ist demnach ein Eingriff in die Rechtssphäre des Rechtsmittelwerbers (SZ 50/41; 1 Ob 633/91; 1 Ob 530/95; RIS-Justiz RS0006497). Diese Voraussetzung trifft auf den Rechtsmittelwerber Dr. Helmut S***** nicht zu. In Stattgebung eines Antrags des Rechtsmittelwerbers hat nämlich das Erstgericht bereits vor Erhebung des Revisionsrekurses mit Beschluss vom 4. 8. 2003, der in Rechtskraft erwachsen ist, ausgesprochen, dass von einer zwangsweisen Durchsetzung der über den Rechtsmittelwerber verhängten Zwangsstrafe Abstand genommen wird. Damit ist die Beschwer des Rechtsmittelwerbers weggefallen, die als Voraussetzung der Zulässigkeit eines jeden Rechtsmittels sowohl bei Einlangen des Rechtsmittels als auch im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung vorliegen muss (Kodek in Rechberger, ZPO² vor § 461 Rz 9 mwN).

Der Oberste Gerichtshof beurteilt in ständiger Rechtsprechung die österreichischen handelsrechtlichen Offenlegungsvorschriften und ihre Durchsetzung mit Zwangsstrafen als verfassungsrechtlich unbedenklich und dem Gemeinschaftsrecht entsprechend und erblickt in der Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien (insbesondere der Publizitätsrichtlinie und der Bilanzrichtlinie) nach mehreren Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - (insbesondere vom 4. 12. 1997, Slg 1997 I-6843-Daihatsu) keinen Eingriff in Grundrechte nach der EMRK oder in Grundwerte der Europäischen Gemeinschaft (RIS-Justiz RS0113282; RS0113089). Die Revisionsrekurswerber bekämpfen diese Auffassung überwiegend mit Argumenten, die der Oberste Gerichtshof in Vorentscheidungen schon behandelt und abgelehnt hat. Insoweit sie sich zur Stützung ihrer Ansicht, die Offenlegung verletze Grundrechte (insbesondere Datenschutz und die Rechte aus Art 6,8 und10 EMRK) und es läge kein acte clair-Fall vor, sodass der Oberste Gerichtshof eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen hätte, auf mehrere Erkenntnisse des EuGH und des EGMR berufen und daraus "neue Grundrechtsbedenken" ableiten, ist ihnen - wie schon in den Vorentscheidungen, etwa zur Auskunftspflicht nach dem Bezügebegrenzungsgesetz - die Verschiedenheit der von den Gerichtshöfen behandelten Rechtsmaterien entgegenzuhalten, insbesondere der wesentliche Unterschied, dass im hier zu entscheidenden Fall eine die Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien einfordernde Rechtsprechung des EuGH vorliegt, die keinen Zweifel darüber offen lässt, dass die Offenlegung mit den von den Rekurswerbern relevierten Grundrechten im Einklang steht.

Diese Ansicht wird durch die (neue) Richtlinie 2003/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2003 zur Änderung der Richtlinie 68/151/EWG des Rates in Bezug auf die Offenlegungspflichten von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (1. Richtlinie - Publizitätsrichtlinie), ABl. L 221 vom 4.9.2003 S. 13, mit welcher der Gesetzgeber der Gemeinschaft an der obligatorischen Offenlegung von Kapitalgesellschaften festhielt, bestätigt. Weder diesem Gesetzgeber noch dem EuGH kann unterstellt werden, sie hätten verkannt, dass es sich bei den offenzulegenden Bilanzangaben um grundrechtlich geschützte Geschäftsgeheimnisse handle. Mit der zitierten Richtlinie vom 15. Juli 2003 ist auch der Einwand der Revisionsrekurswerber, die angeblich "aus grauer Vorzeit" stammenden Richtlinien seien längst als materiellrechtlich derogiert anzusehen, wohl endgültig widerlegt.

Der Hinweis der Revisionsrekurswerber auf die Europäische Charta der Grundrechte der Europäischen Union geht, wie auch der Verfassungsgerichtshof unlängst in seinem Erkenntnis vom 12.12.2003, GZ A 2/01 ua (Abweisung der Staatshaftungsklagen) zutreffend bemerkt hat, allein deshalb fehl, weil diese Charta (noch) nicht für die Mitgliedstaaten der EU verbindlich ist. Der von den Revisionsrekurswerbern behauptete umfassende Datenschutz des Gemeinschaftsrechts ergibt sich, wie der Verfassungsgerichtshof ebenfalls (in dem eben zitierten Erkenntnis) klar gestellt hat, vielmehr aus sekundärrechtlichen Vorschriften, insbesondere der Datenschutz-Richtlinie. Diese Vorschriften stehen auf einer Stufe mit den gesellschaftsrechtlichen Richtlinien und können schon deshalb kein Maßstab dafür sein, ob andere Richtlinien mit dem Primärrecht vereinbar sind. Die zum Art 8 EMRK (Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens) ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betreffen jeweils die Privatsphäre natürlicher Personen und sind auf Offenlegungspflichten von Gesellschaften nicht übertragbar.

Mit der hilfsweisen Bekämpfung der Höhe der verhängten Zwangsstrafen wird keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG geltend gemacht. Die Strafen bewegen sich durchaus im gesetzlichen Rahmen und sind schon im Hinblick auf die beharrliche Weigerung der Revisionsrekurswerber, die klare Rechtslage im Sinne der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung zur Kenntnis zu nehmen, unbedenklich.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 14 Abs 1 AußStrG unzulässig. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 16 Abs 4 AußStrG und § 15 Abs 1 FBG).

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