OGH 9ObA72/03h

OGH9ObA72/03h17.3.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ines H*****, Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Heribert Schar ua, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Dr. Elmar K*****, Facharzt für Zahnheilkunde, *****, vertreten durch MMag. Dr. Peter Pescoller, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen EUR 670 netto sA und Feststellung (Streitwert EUR 27.731,52; Gesamtstreitwert EUR 28.401,52; Revisionsinteresse EUR 27.731,52), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. März 2003, GZ 15 Ra 19/03m-21, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 8. November 2002, GZ 47 Cga 72/02z-16, infolge Berufung der beklagten Partei teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes einschließlich der Kostenentscheidung und des bereits rechtskräftig gewordenen bestätigenden Teiles des Berufungsurteiles (Pkt 1.) wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 2.001,90 (darin enthalten EUR 333,65 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit EUR 2.501,72 (darin enthalten EUR 240,12 USt und EUR 1.061 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist seit Oktober 1998 beim Beklagten als Ordinationsgehilfin mit einem Monatsgehalt von EUR 1.017,42 (ATS 14.000) netto, das entspricht EUR 1.389,50 brutto, angestellt. Das Arbeitsverhältnis unterliegt dem Kollektivvertrag für die Angestellten bei Fachärzten für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde und Dentisten. Der Beklagte meldete die Klägerin bei der Krankenkasse nur mit einem Gehalt von ATS 8.520 brutto, das entspricht ATS 7.016 netto, an. Das Gehalt wurde der Klägerin in der Weise ausbezahlt, dass ihr der Beklagte monatlich ATS 7.000 (EUR 508,71) auf das Gehaltskonto überwies und jeweils weitere ATS 7.000 (EUR 508,71) in bar auszahlte. Die Klägerin befindet sich seit 16. 8. 2001 im Krankenstand bzw in der Folge in Karenz. Seit September 2001 zahlte ihr der Beklagte (einseitig) nur mehr ein Gehalt von ATS 7.000 (EUR 508,71) monatlich.

Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage die Zahlung von EUR 670 netto sA und die Feststellung, dass sie seit Beginn ihres Beschäftigungsverhältnisses im Oktober 1998 beim Beklagten mit einem monatlichen Bruttogehalt von EUR 1.389,50 angestellt sei. Es bestehe eine Nettolohnvereinbarung über EUR 1.017,42 monatlich, das entspreche EUR 1.389,50 brutto. Der Klagebetrag von EUR 670 netto resultiere aus der Gegenüberstellung der vereinbarten Zahlungen und der vom Beklagten und der Tiroler Gebietskrankenkasse im Zeitraum September bis Dezember 2001 geleisteten Zahlungen.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und bestritt, dass jemals ein höheres Monatsgehalt als ATS 8.520 brutto (ATS 7.000 netto) vereinbart bzw von ihm geleistet worden sei. Die Klageforderung sei nach dem anzuwendenden Kollektivertrag verjährt bzw verfristet, weil Lohnansprüche binnen 6 Monaten klageweise geltend zu machen seien; dies gelte auch für das Feststellungsbegehren. Im Übrigen sei der Rechtsweg für die Feststellungsklage unzulässig, weil sie auf eine Frage gerichtet sei, die von der Gebietskrankenkasse zu beurteilen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren auf Grund der getroffenen Tatsachenfeststellungen statt. Nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag unterliege nur die Geltendmachung von Überstunden einer Frist von sechs Monaten. Auch einzelne strittige Rechtsbeziehungen aus einem Arbeitsverhältnis seien ein tauglicher Gegenstand eines Feststellungsbegehrens.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil über Berufung des Beklagten teilweise dahin ab, dass es das Feststellungsbegehren abwies; der Zuspruch des Leistungsbegehrens von EUR 670 netto sA wurde hingegen bestätigt. Das Berufungsgericht übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes und verwarf alle rechtlichen Einwände des Beklagten. Zufolge Vorliegens einer originären (echten) Nettolohnvereinbarung komme jedoch eine Stattgebung des Brutto-Feststellungsbegehrens nicht in Betracht, weil es sich insoweit nicht um ein Minus (oder etwa Plus), sondern um ein Aliud handle. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob eine Nettolohnvereinbarung ein Aliud gegenüber einer Bruttolohnvereinbarung sei, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung existiere.

Gegen den klageabweisenden Teil des Berufungsurteiles richtet sich die Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der gänzlichen Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragte, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist wegen Verletzung des Verhandlungsgrundsatzes durch das Berufungsgericht zulässig; sie ist auch berechtigt.

Im erstinstanzlichen Verfahrens stand auf Grund des wechselseitigen Parteivorbringens die Tatsachenfrage der Höhe des vereinbarten Gehaltes im Mittelpunkt des Interesses. Dabei ging es den Parteien nicht um die Frage "brutto/netto", sondern "nur" darum, ob der Beklagte der Klägerin seit immerhin August 2001 vereinbarungswidrig das halbe Gehalt vorenthält. Rechtliche Aspekte spielten vorerst nur eine periphere Rolle. Wie bereits ausgeführt, entschied das Erstgericht alle Fragen zugunsten der Klägerin. Das Berufungsgericht billigte die erstinstanzliche Lösung der Tatsachenfrage und vertiefte infolge Berufung des Beklagten noch die rechtlichen Ausführungen zur Unbegründetheit der Einwände des Beklagten (insbesondere zur Unzulässigkeit des Rechtsweges sowie zur Verjährung bzw Verfristung). Diese Ausführungen des Berufungsgerichtes sind zutreffend; es genügt daher insoweit, auf deren Richtigkeit hinzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).

Überraschend für die Parteien nahm sich das Berufungsgericht jedoch noch eines neuen Themas an, obwohl diesbezüglich in erster Instanz weder ein Vorbringen der Klägerin noch Einwände des Beklagten vorlagen, nämlich jenes der originären (echten) Nettolohnvereinbarung. Hiezu ist Folgendes auszuführen:

Die Entgelthöhe richtet sich im Arbeitsverhältnis primär nach der Vereinbarung, subsidiär nach der Angemessenheit (§ 1152 ABGB) oder dem Ortsgebrauch und der Angemessenheit (§ 6 Abs 1 AngG). Der Lohnanspruch des Arbeitnehmers richtet sich grundsätzlich auf einen Bruttobetrag, der Arbeitgeber schuldet daher eine Bruttovergütung (Mayer-Maly/Marhold, Arbeitsrecht I 124; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch10 § 71 Rz 108; Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht10 306 f; Spitzl, RdW 1996, 122; Karner in Mazal/Risak, Arbeitsrecht Kap VI Rz 9; 9 ObA 48-53/90 = ZAS 1991/2 [Zeiler]; 8 ObA 214/96 = DRdA 1997/24 [Mayr] ua). Nach völlig einhelliger Rechtsprechung ist der Arbeitnehmer berechtigt, den Bruttolohn einzuklagen. Ein derartiges Klagebegehren ist hinreichend bestimmt und vollstreckbar (9 ObA 18/00p; RIS-Justiz RS0000636 ua).

Es steht jedoch den Parteien des Arbeitsvertrages frei, zu vereinbaren, dass der Arbeitgeber die Vergütung netto schuldet. Eine solche Vereinbarung, durch die der Arbeitgeber die sonst vom Arbeitnehmer zu tragenden Abgaben übernimmt, ist zulässig und rechtswirksam (vgl Mayer-Maly/Marhold aaO 124; Schaub aaO § 71 Rz 108; Spielbüchler in Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht I4 249 f; Spitzl aaO 122 f ua). Dabei ist arbeitsrechtlich zwischen der abgeleiteten (unechten) und der originären (echten) Nettolohnvereinbarung zu unterscheiden (vgl Schaub aaO § 71 Rz 113; Schwarz/Löschnigg aaO 307; 9 ObA 48-53/90 = ZAS 1991/2 [Zeiler]; 8 ObA 214/96 = DRdA 1997/24 [Mayr] ua):

Bei der abgeleiteten Nettolohnvereinbarung wird nur eine punktuelle Einigung darüber erzielt, wieviel dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nach Abzug aller Beiträge und Abgaben verbleiben soll, was er also bei Eintritt in das Arbeitsverhältnis sozusagen "auf die Hand erhält". Die maßgebliche Größe ist dabei aber stets der zugrundeliegende Bruttobetrag, von dem ausgehend bei einer Veränderung der Abgaben auch das Nettoentgelt neu zu errechnen ist. Vertragsgrundlage bleibt jeweils der Bruttobetrag, sodass der Arbeitnehmer bei geänderten Rahmenbedingungen Steuernachteile oder eine Erhöhung des auf ihn entfallenden Beitragsanteiles hinnehmen muss. Dem Arbeitnehmer kommen im Gegenzug aber auch Beitrags- und Lohnsteuersenkungen zugute. Abgeleitete Nettolohnvereinbarungen beinhalten somit gleichsam einen Anpassungsvorbehalt (Spitzl aaO 123; Schaub aaO § 71 Rz 114 ua).

Liegt hingegen eine originäre Nettolohnvereinbarung vor, richtet sich der Anspruch des Arbeitnehmers aus der Lohnvereinbarung nur auf den Nettolohn. Das Steuerrisiko trifft in einem derartigen Fall den Arbeitgeber, der nicht nur den Wegfall individueller Steuervorteile, sondern auch generelle Steuererhöhungen zu tragen hat. Andererseits muss er allerdings auch nicht für bestimmte Bezüge gewährte Steuervorteile weitergeben (Spielbüchler aaO 249 f; Marhold, RdW 1989, 101; 8 ObA 214/96 = DRdA 1997/24 [Mayr] ua).

Im Schrifttum wird vom Abschluss originärer Nettolohnvereinbarungen eher abgeraten, beispielsweise wegen Problemen bei der Lohnverrechnung (Schrank, Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht 207) oder wegen möglicher Kollisionen mit Grenzen des kollektivvertraglichen Mindestlohnes (Marhold, RdW 1989, 101; Mayr in DRdA 1997/24 ua); es werden aber auch sozialpolitische Bedenken geäußert und es wird vor dem Risiko grundlegender Änderungen im Steuer- und Beitragsrecht gewarnt (AK für Wien, infas 1989 H 1, 7; Spitzl aaO 125). In der Praxis stellen originäre Nettolohnvereinbarungen deshalb auch eher die Ausnahme dar (vgl Spitzl aaO 123). Den Arbeitnehmer trifft die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen einer originären Nettolohnvereinbarung (Schaub aaO § 71 Rz 108). Im Zweifel ist nur eine abgeleitete Nettolohnvereinbarung anzunehmen, sofern nicht ausdrücklich eine originäre getroffen wurde (Karner in Mazal/Risak aaO Kap VI Rz 9).

Das österreichische Zivilprozessrecht ist vom Verhandlungsgrundsatz beherrscht. Danach bestimmen die Parteien den Inhalt und die Auswirkungen ihrer Sachanträge und damit nicht nur, über welche Ansprüche sie ein Urteil des Gerichtes begehren, sondern auch, auf Grund welcher Tatsachen die Entscheidung gefällt werden soll. Der Sachverhalt ist daher nicht von Amts wegen aufzuklären. Der Entscheidung dürfen nur die Tatsachen zugrundegelegt werden, die von den Parteien vorgebracht werden (Fasching, ZPR² Rz 639, 650; 4 Ob 611/88; RIS-Justiz RS0037331 ua).

Im vorliegenden Fall wurde von der Klägerin kein Vorbringen erstattet, aus dem sich der Abschluss einer originären Nettovereinbarung ergeben hätte. Die Klägerin berief sich zwar auf eine "Nettolohnvereinbarung", machte jedoch von Anfang an geltend, dass dem Nettogehalt von EUR 1.017,42 das Bruttogehalt von EUR 1.389,50 entspricht, und zielte auch mit ihrer Feststellungsklage nicht auf ein Netto-, sondern auf ein Bruttogehalt ab. Um so weniger behauptete der Beklagte eine originäre Nettovereinbarung; er stützte sich seinerseits von Anfang an auf die Vereinbarung eines (allerdings gegenüber dem Klagevorbringen niedrigeren) Bruttogehalts. Dass das Berufungsgericht unter diesen Umständen dennoch ohne Vorbringen der Parteien eine originäre Nettolohnvereinbarung angenommen und das Brutto-Feststellungsbegehren der Klägerin als ein damit unvereinbares Aliud abgewiesen hat, begründet einen Verstoß gegen den Verhandlungsgrundsatz (vgl Fasching aaO Rz 639, 650; 4 Ob 581/87 = JBl 1988, 590 [Dellinger] ua). Der Revision der Klägerin war daher Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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