OGH 1Ob143/03s

OGH1Ob143/03s14.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Isolde F*****, und 2) Alfred Fr*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Herwig Aichholzer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei K*****, vertreten durch Dr. Gert Seeber, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Duldung und Unterlassung (Streitwert 21.801,85 EUR) infolge ordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 27. März 2003, GZ 2 R 86/03d-28, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 31. Oktober 2002, GZ 8 C 1318/02y-24, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er insgesamt zu lauten hat:

"Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache zur Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz."

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz.

Text

Begründung

Die Kläger begehrten mit der am 6. 7. 2001 beim Landesgericht Klagenfurt eingebrachten Klage, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, die "'öffentliche Zugänglichmachung'" einer - im Sprengel des Bezirksgerichts Villach liegenden - Liegenschaft zu unterlassen und "die Renovierung (Erhaltung) des auf dieser Liegenschaft befindlichen Bootshauses zu dulden". Sie bewerteten ihr geldwertes Interesse am Streigegenstand mit 300.000 S (= 21.801,85 EUR). Eine Gleichschrift der Klage wurde der beklagten Partei am 30. 7. 2001 zugestellt. Diese bemängelte in der Klagebeantwortung die von den Klägern vorgenommene Bewertung des Streitgegenstands und brachte vor, das Duldungsbegehren sei mit 150.000 S (= 10.900,93 EUR), das Unterlassungsbegehren dagegen mit "zumindest" 5 Mio S (= 363.364,17 EUR) zu bewerten. Die Kläger erwiderten, die Bewertung des Streitgegenstands liege an ihnen. Selbst wenn "der Betrag des festzustellenden Anspruchs ein höherer wäre", sei auch eine "Streitwertrüge" nach § 60 JN nur im Fall einer "'Überbewertung'" zulässig.

Mit Beschluss vom 4. 2. 2002 setzte der Erstrichter die zuvor auf den 21. 2. 2002 anberaumte Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung ab und sprach mit Beschluss vom 7. 2. 2002 aus, dass "der Streitwert der gegenständlichen Klage ... 130.000 S = 9.447,47 EUR" nicht übersteige, das Landesgericht Klagenfurt "unzuständig" sei und die Rechtssache gemäß § 60 Abs 3 JN "an das zuständige Bezirksgericht Klagenfurt abgetreten" werde: Die Kläger hätten bei der Bewertung des Streitgegenstands "übermäßig hoch gegriffen". Der "Unständigkeits- und Abtretungsbeschluss" sei überdies "im Hinblick auf § 45 JN nicht anfechtbar".

Die Kläger rügten diese Vorgangsweise und hielten fest, dass das Landesgericht Klagenfurt "sowohl sachlich als auch rechtlich (gemeint vermutlich: örtlich) ... zuständig", der ergangene Beschluss jedoch wegen § 45 JN nicht anfechtbar sei.

Das Bezirksgericht Klagenfurt wies die Klage mit Beschluss vom 13. 3. 2002 wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück: Der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt binde "nur hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit". Möglich sei dagegen die "Zurück- oder allenfalls Überweisung der Klage" wegen örtlicher Unzuständigkeit. Die Streitsache betreffe ein dingliches Recht an einem unbeweglichen Gut. Zur Erledigung solcher Klagen sei nach § 81 Abs 1 JN ausschließlich das Gericht zuständig, in dessen Sprengel das unbewegliche Gut liege. Die maßgebende Liegenschaft liege im Sprengel des Bezirksgerichts Villach.

Der Rekurs der Kläger gegen diesen Beschluss blieb erfolglos. Obgleich das Rekursgericht den Entscheidungsgegenstand mit einem 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteigenden Betrag bewertet und die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses ausgesprochen hatte, um zu klären, ob ein Gericht nach Abtretung einer Streitsache gemäß § 60 Abs 3 JN seine örtliche Unzuständigkeit angesichts des Anfechtungsausschlusses nach § 45 JN noch wahrnehmen könne, erklärten die Kläger mit Schriftsatz vom 27. 8. 2002 zur "Vermeidung weiterer Prozessverzögerung auf das Rechtsmittel der Revision (gemeint offenkundig: des Revisionsrekurses) zu verzichten". Demnach solle umgehend über den hilfsweise bereits im Rekursschriftsatz gestellten Antrag auf Überweisung der Rechtssache an "das nicht offenbar unzuständige" Bezirksgericht Villach erkannt werden.

Mit Beschluss vom 28. 8. 2002 hob das Bezirksgericht Klagenfurt den Zurückweisungsbeschluss vom 13. 3. 2002 auf und überwies die Rechtssache "über Antrag der klagenden Partei(en) gemäß § 230a ZPO an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Villach.

Dieses Gericht wies die überwiesene Klage mit Beschluss vom 31. 10. 2002 wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Es unterstellte dem Erstrichter des Landesgerichts Klagenfurt, er habe den Beschluss vom 7. 2. 2002 "in rechtwidriger und rechtsmissbräuchlicher Weise" gefasst, um den "zu erwartenden Verhandlungs- und Arbeitsaufwand von sich abzuwenden". Das sei bei diesem Richter kein Einzelfall. Die Abtretung an das Bezirksgericht Klagenfurt sei nur wegen des Rechtsmittelausschlusses gemäß § 45 JN erfolgt, obgleich dem dort erkennenden Richter die Lage des für den Rechtsstreit maßgebenden unbeweglichen Guts im Sprengel des Bezirksgerichts Villach bekannt gewesen sei. Der "Überweisungs- und Abtretungsbeschluss" nach § 60 JN sei an sich zwar gemäß § 46 Abs 1 JN bindend, diese Bindung setze jedoch voraus, dass dieser Beschluss "rechtsrichtig und nicht rechtsmissbräuchlich und rechtswidrig gefasst worden" sei.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Es sprach ferner aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands "hinsichtlich der Teilbegehren der Kläger wie auch insgesamt" 20.000 EUR übersteige und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Es trat "der Wertung des Erstgerichts über die im Gesetz keine Deckung findende Vorgangsweise des Landesgerichts Klagenfurt" als Erstgericht "vollinhaltlich" bei. Dieses Gericht habe "den Parteien das rechtliche Gehör" entzogen, weil es ihnen vor der Beschlussfassung keine Stellungnahme "zu seiner Absicht" ermöglicht habe. Es habe überdies den Parteien durch die Abtretung der Rechtssache an das örtlich unzuständige Bezirksgericht Klagenfurt die Möglichkeit entzogen, "seine Unzuständigkeitsentscheidung gemäß § 45 JN durch das übergeordnete Gericht überprüfen zu lassen". Eine solche Überprüfung wäre dagegen im Fall einer Überweisung der Rechtssache an das örtlich zuständige Bezirksgericht Villach möglich gewesen. Wegen "des im Gesetz keine Grundlage findenden Abschneidens einer Rechtsmittelmöglichkeit und der dadurch bewirkten Verhinderung einer Korrektur der unrichtigen Unzuständigkeitsentscheidung" des Landesgerichts Klagenfurt sei "das Zuständigkeitsverfahren mit einem derart gravierenden (unter die EMRK zu subsumierenden) Fehler behaftet, dass das Erstgericht ... nicht der in § 46 Abs 1 JN statuierten Bindung an rechtskräftige Zuständigkeitsentscheidungen verpflichtet" gewesen sei. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil "die vom Rekursgericht gezogenen Konsequenzen" in einem Fall wie hier noch nicht Gegenstand einer Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof gewesen seien.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist, wie sich aus den folgenden Erwägungen ergeben wird, zulässig; er ist auch berechtigt.

Nach herrschender Ansicht ist der § 230a ZPO auch noch nach Eintritt der Streitanhängigkeit einer Rechtssache anwendbar, wenn dem Kläger vor Zurückweisung der Klage keine Gelegenheit zur Antragstellung nach § 261 Abs 6 ZPO geboten wurde (5 Ob 330/98k = MietSlg 51.617/5; 9 Ob 506/95 = SZ 68/37 je mwN; vgl ferner 3 Ob 164/00i). Hier entbehrten die Kläger einer solchen Möglichkeit, weil das Bezirksgericht Klagenfurt die Klage mit Beschluss vom 13. 3. 2002 wegen örtlicher Unzuständigkeit zurückwies, ohne dass den Klägern vorher die Gelegenheit für einen Überweisungsantrag nach § 261 Abs 6 ZPO eröffnet worden war. Der hilfsweise bereits in Verbindung mit dem Rekurs gegen die Zurückweisung der Klage gestellte Antrag auf Überweisung der "Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige BG Villach" war daher ein solcher nach § 230a ZPO. Das Bezirksgericht Klagenfurt überwies daraufhin die Klage nach Aufhebung deren Zurückweisung auch zutreffend "gemäß § 230a ZPO" an das von ihm nicht für offenbar unzuständig gehaltene Bezirksgericht Villach. Ein Gericht, an das die Klage nach § 230a ZPO überwiesen wurde, darf aber seine allfällige - auch sachliche prorogable (Mayr in Rechberger, ZPO² § 230a Rz 4) - Unzuständigkeit nach dem klaren Gesetzeswortlaut "nur noch wahrnehmen, wenn der Beklagte rechtzeitig die Einrede der Unzuständigkeit erhebt". Die neuerliche Prüfung der Zuständigkeit von Amts wegen scheidet somit jedenfalls dann aus, wenn die Überweisung - wie im Anlassfall - nicht in einer dem Gesetzeszweck eindeutig widersprechenden Form beantragt und bewilligt wurde (7 Ob 584/93; siehe ferner die Entscheidungskette zu RIS-Justiz RS0039105).

Im Übrigen ist anzumerken, dass der nach Eintritt der Streitanhängigkeit ergangene und den Streitteilen zugestellte Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 7. 2. 2002, mit dem dieses seine sachliche Unzuständigkeit aussprach, jedenfalls in Rechtskraft erwuchs und deshalb zweifellos die in § 46 Abs 1 JN ausdrücklich angeordnete Bindungswirkung entfaltet (Ballon in Fasching² I § 46 JN Rz 2; Mayr in Rechberger, ZPO² § 46 JN Rz 1). Insofern erübrigt sich daher auch die Prüfung, ob dieser Beschluss an sich trotz Abtretung der Streitsache gemäß § 60 Abs 3 JN an das Bezirksgericht Klagenfurt - also an ein Bezirksgericht am gleichen Ort - anfechtbar gewesen wäre (siehe zur Problemlage und zur Rsp Gitschthaler in Fasching² I § 60 JN Rz 17; Mayr aaO § 60 JN Rz 4). Die erörterte Bindungswirkung käme somit selbst dann zum Tragen, wenn die Vorinstanzen mit der für ihre Entscheidungen entbehrlichen Begründung, der Erstrichter des Landesgerichts Klagenfurt habe bewusst sachfremd entschieden, recht hätten.

Die soeben erläuterte Rechtslage wird von der beklagten Partei verkannt. Deren Revisionsrekursbeantwortung sind keine Ausführungen zu entnehmen, die sich erfolgreich gegen eine Bindung des Erstgerichts an die gemäß § 60 Abs 3 JN und § 230a ZPO ergangenen Beschlüsse anderer Gerichte ins Treffen führen lassen. Somit ist dem Revisionsrekurs der Kläger im Ergebnis Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 50 Abs 1 ZPO.

Stichworte