OGH 10ObS233/03t

OGH10ObS233/03t7.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Matzka (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Albert Ullmer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dragan M*****, Pensionist, M*****, Serbien und Montenegro, vertreten durch Dr. Stephan Ruggenthaler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. Juni 2003, GZ 10 Rs 79/03s-35, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 11. September 2002, GZ 35 Cgs 122/02s-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 5. 9. 1946 geborene Kläger hat bis 1982 in Österreich 93 Beitragsmonate der Pflichtversicherung und 3 Monate einer Ersatzzeit erworben. Von 1. 1. 1986 bis 19. 3. 2001 (182 Monate und 19 Tage) war der Kläger in Serbien als selbständiger Landwirt tätig. Aufgrund der ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit wären dem Kläger noch Hilfskraftberufe in der Werbemittelbranche und Tagportiertätigkeiten möglich.

Mit Bescheid vom 22. 10. 2001 hat die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter den Antrag des Klägers vom 19. 3. 2001 auf Zuerkennung der Invaliditätspension mangels Invalidität abgelehnt.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Der Kläger genieße keinen Berufsschutz iSd § 255 Abs 1 oder 2 ASVG, weil er in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 1. 4. 2001 nicht in erlernten oder angelernten Berufen tätig gewesen sei. Da für den Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Verweisungsberufe mit einer ausreichenden Anzahl an Arbeitsplätzen vorhanden seien, sei er nicht invalid.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Berufsschutz nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG könne nur durch eine unselbständige Erwerbstätigkeit erlangt werden, egal ob die entsprechenden Zeiten in Österreich oder in Jugoslawien zurückgelegt worden seien.

Die Revision sei zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage einer selbständigen Erwerbstätigkeit in Jugoslawien nach Inkrafttreten des neuen Abkommens noch nicht auseinandergesetzt habe. Die die Landwirte in Jugoslawien betreffenden Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs hätten sich bis jetzt nur mit den Bestimmungen des alten Abkommens befasst, die nur für die Frage der Erfüllung der Wartezeit von Bedeutung gewesen seien.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Auszugehen ist davon, dass nach ganz herrschender Auffassung für die Begründung des Berufsschutzes nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG grundsätzlich nur Zeiten unselbständiger Erwerbstätigkeit in Betracht kommen (SSV-NF 4/166; RIS-Justiz RS0084513; Teschner in Tomandl, SV-System 15. ErgLfg 370 f; vgl zu § 255 Abs 4 [alt und neu] ASVG auch RIS-Justiz RS0084426 und zuletzt 10 ObS 156/03v). Dabei wird nicht übersehen, dass im Grenzbereich zwischen unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit auch die Einbeziehung von gewissen Erwerbstätigkeiten möglich ist, die nicht unter die Definition des § 4 Abs 2 ASVG fallen (vgl § 4 Abs 4 ASVG). Ein derartiger Ausnahmefall kann aber hier - bei einer selbständigen Erwerbstätigkeit als Landwirt - nicht angenommen werden.

Das zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien geschlossene Abkommen über soziale Sicherheit vom 5. 6. 1998 ist nach Ratifizierung am 1. 5. 2002 in Kraft getreten und im Bundesgesetzblatt am 4. 6. 2002 kundgemacht worden (BGBl III 2002/100). Die Bestimmungen dieses Abkommens, die sich auf den Erwerb und die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Sicherheit beziehen, sind ab dem 1. 10. 1996 auf Personen anzuwenden, auf die das zwischen den beiden Vertragsstaaten vor diesem Zeitpunkt in Geltung gestandene Abkommen über soziale Sicherheit anzuwenden war (Art 37 Abs 3 des Abkommens). Nach ständiger Rechtsprechung hat das Rechtsmittelgericht auf eine Änderung der Rechtslage Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das umstrittene Rechtsverhältnis anzuwenden sind (RIS-Justiz RS0031419; Kodek in Rechberger, ZPO² § 482 Rz 11 mwN). Da der für den Kläger maßgebliche Stichtag der 1. 4. 2001 ist und dieser Zeitpunkt im zeitlichen Rahmen des Art 37 Abs 3 des neuen Abkommens liegt, hat die Prüfung des vom Kläger erhobenen Anspruchs auf der Grundlage dieses neuen Abkommens zu erfolgen (10 ObS 291/02w).

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist die Frage, ob in einem Vertragsstaat zurückgelegte Versicherungszeiten für die Beurteilung eines Berufsschutzes im anderen Vertragsstaat zu berücksichtigen sind, nach dem Regelungsinhalt des konkreten Abkommens zu beurteilen (10 ObS 177/00b, 10 ObS 29/02s, 10 ObS 288/02d, 10 ObS 291/02w; RIS-Justiz RS0114288). Art 19 Abs 1 des Abkommens vom 5. 6. 1998 lautet:

"Hängt nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben eines Leistungsanspruches von der Zurücklegung von Versicherungszeiten ab, so hat der zuständige Träger dieses Vertragsstaates, soweit erforderlich, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates zurückgelegten Versicherungszeiten zu berücksichtigen, als wären es nach den von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften zurückgelegte Versicherungszeiten, soweit sie nicht auf dieselbe Zeit entfallen."

Demnach ist nicht bloß die Anrechnung von Versicherungszeiten im anderen Staat, sondern auch die Gleichstellung vom im anderen Vertragsstaat zurückgelegten Versicherungszeiten mit im Inland zurückgelegten Versicherungszeiten angeordnet, sodass davon auszugehen ist, dass in Serbien erworbene Beitragszeiten auch hinsichtlich der beruflichen Qualifikation für die Frage des Berufsschutzes so zu beurteilen sind wie in Österreich zurückgelegte Versicherungszeiten (10 ObS 288/02t, 10 ObS 291/02w; RIS-Justiz RS0114288).

Da der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag nur in Serbien berufstätig war, ist für die Frage, ob ihm Berufsschutz zukommt, entscheidend, ob es sich bei der dort von ihm verrichteten Arbeit um eine solche handelte, die iSd § 255 Abs 1 oder 2 ASVG qualifiziert war. Wie schon dargestellt trifft dies für die Tätigkeit eines selbständigen Landwirts nicht zu, sei sie nun in Österreich oder in Serbien ausgeübt worden.

Der Kläger geht mit seiner Annahme fehl, die Pensionsversicherungsanstalt hätte nur die Rechtsvorschriften des ASVG anzuwenden. Ein Versicherter, der mit einem Berufswechsel auch die Zugehörigkeit zur Versicherung einer bestimmten Berufsgruppe gewechselt hat (zB ein Landwirt, der aus seinem bisherigen Beruf in eine Arbeitertätigkeit wechselt, oder umgekehrt), steht weiterhin einem einzelnen für die Leistung zuständigen Versicherungsträger gegenüber, der zwar alle auch in anderen Systemen erworbenen Zeiten zu berücksichtigen hat, wobei jedoch die Frage des Berufsschutzes nur auf Grund der nach dem von ihm zu administrierenden System erworbenen Zeiten und auf Grund der hiefür bestehenden Vorschriften zu beurteilen ist. Nichts anderes geht aus Art 19 Abs 1 AbkSozSi Jugoslawien hervor, wonach der österreichische Versicherungsträger die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates zurückgelegten Versicherungszeiten so zu berücksichtigen hat, als wären es nach den österreichischen Vorschriften zurückgelegte Versicherungszeiten. Auch dann, wenn der Kläger die Versicherungszeiten, in denen er als selbständiger Landwirt tätig war, in Österreich zurückgelegt hätte, wäre die Frage des Berufsschutzes nur nach den Zeiten der unselbständigen Tätigkeit zu beurteilen. Im Übrigen lässt der Kläger völlig offen, welche Konsequenzen aus seiner Behauptung abzuleiten seien, er habe "in Jugoslawien als selbständiger Landwirt Berufsschutz nach dem ASVG erworben".

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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