OGH 10ObS29/02s

OGH10ObS29/02s29.1.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Johannes Zahrl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Walter Benesch (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Djordje K*****, Pensionist, *****, Bundesrepublik Jugoslawien, vertreten durch Dr. Friedrich Schulz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. September 2001, GZ 7 Rs 2/00s-97, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 23. Juni 1999, GZ 4 Cgs 198/96b-71, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 26. 4. 1933 geborene Kläger weist in Österreich 48 Versicherungsmonate aus dem Zeitraum von 1967 bis August 1973 und 1 neutralen Monat auf. Seit 1973 war der Kläger als "Kurier" in Jugoslawien tätig. In Jugoslawien hat er 203 Versicherungsmonate erworben, sodass insgesamt 251 Versicherungsmonate vorliegen. Von 1. 9. 1982 bis 21. 8. 1990 war der Kläger als Bote-Hilfsarbeiter in der Gemeinde Negotin, Sekretariat für Kommunal- und Wohnungsangelegenheiten, Urbanismus und allgemeine Verwaltung tätig. Er hatte dabei die Zustellung von Briefen in verstreute Dörfer, Übernahme der Post im Sitz des Sekretariats, rechtzeitige Aushändigung der Post ohne Rücksicht auf die Witterungsverhältnisse, andere Manipulationsarbeiten im Zusammenhang mit der Arbeit der Ortskanzlei (Vorbereitung des Heizmaterials, Beheizung der Räume, Tragen von Einrichtungsgegenständen, Erhaltung der Sauberkeit in den Räumen der Ortskanzlei und um das Haus herum, Heranschaffen von Wasser) laut Anordnung des Abteilungsleiters und des Abteilungsvorstandes (Vertretung des Boten in einem anderen Dorf, 15 km entfernt) vorzunehmen.

Der Kläger ist in der Lage, leichte körperliche Arbeit in der üblichen Arbeitszeit im Sitzen, Stehen und Gehen zu verrichten. Mittelschwere Arbeiten kommen zu einem Drittel der Arbeitszeit, aber nicht in ununterbrochener Folge in Betracht. Schwerarbeiten scheiden aus. Weiters sind Arbeiten unter dauerndem besonderen Zeitdruck (Band- und Akkordarbeiten) nicht mehr möglich. Dieser Zustand besteht seit Antragstellung.

Die vom Kläger in der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien) ausgeübte Beschäftigung als Bote-Hilfsarbeiter kommt in dieser Form auf dem österreichischen Arbeitsmarkt zumindest seit 1982 nicht vor. Unter Berücksichtigung des medizinischen Leistungskalküls wären dem Kläger Verweisungstätigkeiten wie Tagportier-Beschäftigungen in Ämtern und auch in diversen privatwirtschaftlichen Betrieben möglich gewesen. Im Mittelpunkt dieser Tätigkeit steht die Beaufsichtigung, Regelung und Kontrolle der bei der jeweiligen Dienststelle ein- und ausgehenden Besucher sowie betriebsspezifisch auch Kontrolle des Fahrzeugverkehrs, Auskunfterteilung, Ausstellen von Passierscheinen. Solche Arbeitsstellen sind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (in Österreich) ausreichend vorhanden.

Der Kläger bezieht seit 26. 6. 1990 in Jugoslawien eine Invaliditätspension; seit 1. 10. 1999 bezieht er eine Alterspension aus Österreich.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 16. 7. 1996 wurde der Antrag des Klägers vom 10. 8. 1992 auf Zuerkennung der Invaliditätspension abgelehnt.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene, auf Zahlung der Invaliditätspension (ab 1. 9. 1992) gerichtete Klagebegehren ab. Der Kläger sei imstande, die Arbeiten, die er in Jugoslawien in den letzten 15 Jahren überwiegend verrichtet habe, weiterhin auszuüben, da diese Arbeit nicht das medizinische Leistungskalkül übersteige. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es sah die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens nicht als gegeben an, ergänzte die Feststellungen um mögliche Verweisungstätigkeiten und übernahm im Übrigen die Feststellungen des Erstgerichts als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens. In rechtlicher Hinsicht vertrat es den Standpunkt, dass ein Tätigkeitsschutz des Klägers im Sinne des § 255 Abs 4 ASVG nicht in Betracht komme, weil der Kläger in Negotin untypische Mischtätigkeiten auf Hilfskraftniveau mit verschiedenartigen Inhalten ausgeübt habe, die auf dem österreichischen Arbeitsmarkt in dieser Konstellation nicht vorkämen. Soweit überhaupt eine Vergleichbarkeit bestehe, kämen diese Tätigkeiten annähernd einer Tagportierbeschäftigung gleich. Die Frage der Invalidität des Klägers sei daher nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen. Da dem Kläger ab dem Stichtag 1. 9. 1992 die Tätigkeit in einem Verweisungsberuf möglich gewesen wäre, sei er im Zeitraum von 1. 9. 1992 bis 30. 9. 1999 nicht als invalid anzusehen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Klagsstattgebung. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

1. Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO). Die vom Kläger neuerlich gerügten Mängel des Verfahrens erster Instanz, wie das Fehlen von genauen Feststellung über den Inhalt der Tätigkeit des Klägers in Negotin und die Einschränkungen seines Leistungskalküls, hat bereits das Berufungsgericht verneint, sodass diese in der Revision wiederholten Verfahrensmängel erster Instanz nach ständiger Rechtsprechung - auch in Verfahren nach dem ASGG - im Revisionsverfahren nicht mehr mit Erfolg gerügt werden können (Kodek in Rechberger2 Rz 3 Abs 2 zu § 503 ZPO; SSV-NF 11/15; 7/74; 5/116 ua; RIS-Justiz RS0042963 [T45] und RS0043061). Soweit in diesem Zusammenhang in der Berufung sekundäre Feststellungsmängel geltend gemacht wurden, ist auf die im Folgenden dargestellte Rechtsansicht des Berufungsgerichts zu verweisen.

2. In seiner Rechtsrüge vertritt der Kläger die Ansicht, die Frage seiner Invalidität sei nach § 255 Abs 4 ASVG zu beurteilen. Da er unter Bedachtnahme auf die Arbeits- und Lebensbedingungen in Jugoslawien nicht mehr in der Lage sei, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit zu verrichten, sei das Vorliegen von Invalidität zu bejahen.

Der Oberste Gerichtshof hat zur Frage, ob durch die Ausübung eines qualifizierten Berufes im Ausland ein Berufsschutz gemäß § 255 Abs 1 und 2 ASVG erworben werden könne, darauf hingewiesen, dass das innerstaatliche Recht dazu keine Regelung enthält; es stellt grundsätzlich auf einen innerstaatlichen Versicherungsverlauf ab. Die bisherige Berufstätigkeit und ihr qualitativer Wert können aber auch nach einer im Ausland verrichteten Tätigkeit zu beurteilen sein, wenn dies durch zwischenstaatliches oder überstaatliches Recht angeordnet wird (10 ObS 162/00x). Ist ein zwischenstaatliches Abkommen anzuwenden, kann nur nach dem Regelungsinhalt des konkreten Abkommens entschieden werden, ob in einem Vertragsstaat zurückgelegte Versicherungszeiten für die Beurteilung des Berufsschutzes im anderen Vertragsstaat zu berücksichtigen sind (10 ObS 177/00b). Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für die Beurteilung eines Tätigkeitsschutzes.

Das hier anzuwendende Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über soziale Sicherheit vom 19. November 1965 (BGBl 1966/289) in der Fassung des Zusatzabkommens vom 19. März 1979 (BGBl 1980/81) und des zweiten Zusatzabkommens vom 11. Mai 1988 (BGBl 1989/269) enthält in den Absätzen 1 und 2 seines Art 18 folgende Regelungen:

"(1) Galten für einen Versicherten nacheinander oder abwechselnd die Rechtsvorschriften der beiden Vertragsstaaten, so werden für den Erwerb, die Aufrechterhaltung und das Wiederaufleben des Leistungsanspruchs die nach den Rechtsvorschriften der beiden Vertragsstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten zusammengerechnet, soweit sie sich nicht überschneiden. In welchem Ausmaß und in welcher Weise Versicherungszeiten zu berücksichtigen sind, richtet sich nach den Rechtsvorschriften des Vertragsstaates, in dessen Versicherung diese Zeiten zurückgelegt worden sind.

(2) Hängt nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates die Gewährung bestimmter Leistungen davon ab, dass die Versicherungszeiten in einem Beruf zurückgelegt worden sind, für den ein Sondersystem gilt, so werden für den Erwerb des Anspruches auf diese Leistungen nur die nach den entsprechenden Systemen des anderen Vertragsstaates beziehungsweise die nach dessen anderen Systemen in dem gleichen Beruf zurückgelegten Zeiten zusammengerechnet, soweit sie sich nicht überschneiden."

Auf dieser Grundlage hat das Oberlandesgericht Wien in seinen Entscheidungen SSV 19/4 und SSV 22/70 (ebenso SSV 18/12 zum AbkSozSi BRD), ausgesprochen, dass die im Abkommen vorgesehene Gleichbehandlung der im Ausland zurückgelegten Versicherungszeiten dazu führe, dass bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen nach § 255 Abs 4 lit b ASVG in der damals geltenden Fassung erfüllt seien, auch die im Vertragsstaat erworbenen Versicherungszeiten genauso zu berücksichtigen seien wie wenn sie im Inland erworben worden wären. Tatsächlich ordnet jedoch Art 18 AbkSozSi Jugoslawien keine generelle Gleichstellung von im Vertragsstaat zurückgelegten Versicherungszeiten mit im Inland zurückgelegten Versicherungszeiten an, sondern bloß die Anrechnung von Versicherungszeiten im anderen Staat (Art 18 Abs 2 bezieht sich nach Z 9 des Schlussprotokolls im österreichischen Rechtsbereich auf die knappschaftliche Pensionsversicherung).

Dies zeigt sich nunmehr auch bei einem Vergleich mit der Textierung anderer - wenn auch in Zusammenhang mit der Verordnung (EWG) 1408/71 zu sehender und daher jüngerer - Abkommen über Soziale Sicherheit, die die Republik Österreich geschlossen hat. So geht Artikel 16 des AbkSozSi Großbritannien idF des 2. Zusatzabkommens, BGBl 1993/50, beispielsweise dahin, dass für die Feststellung des Anspruchs auf eine Pensionsleistung nach den Rechtsvorschriften einer Partei jede nach den Rechtsvorschriften der anderen Partei zurückgelegte Beitragszeit oder gleichgestellte Zeit als eine nach den Rechtsvorschriften der ersten Partei zurückgelegte Beitragszeit oder gleichgestellte Zeit gilt.

Das seit 1. 1. 1997 in Geltung stehenden AbkSozSi Slowenien, BGBl III 1998/103, enthält folgenden Artikel 20:

"Hängt nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben eines Leistungsanspruches von der Zurücklegung von Versicherungszeiten ab, so hat der zuständige Träger dieses Vertragsstaates, soweit erforderlich, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates zurückgelegten Versicherungszeiten zu berücksichtigen, als wären es nach den von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften zurückgelegte Versicherungszeiten." (wortwörtlich gleich beispielsweise Art 17 Abs 1 des nunmehr in Geltung stehenden AbkSozSi Türkei, BGBl III 2000/219).

Auf diese Bestimmung des AbkSozSi Slowenien hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 10 ObS 177/00b den Schluss aufgebaut, dass in Slowenien erworbene Beitragszeiten auch hinsichtlich der beruflichen Qualifikation für die Frage des Berufsschutzes so zu beurteilen sind wie in Österreich zurückgelegte Versicherungszeiten.

Ist jedoch in einem Abkommen über Soziale Sicherheit nur eine Zusammenrechungsbestimmung hinsichtlich der Versicherungszeiten enthalten und fehlt eine Gleichstellungsbestimmung der Art, wie sie etwa in Art 20 AbkSozSi Slowenien normiert ist, werden von der Zusammenrechnung nur Anspruchsvoraussetzungen erfasst, die eine Deckung durch Versicherungszeiten vorschreiben, etwa für die Erfüllung der Wartezeit nach § 236 Abs 1 und Abs 4 ASVG (siehe Siedl/Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht Lfg 29, Allg Teil Pensionsversicherung I/4 A).

Damit kann dem Kläger, der in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag keine Versicherungszeiten in Österreich erworben hat, aber kein Tätigkeitsschutz aufgrund der zuletzt in Jugoslawien ausgeführten Tätigkeit zukommen. Im Ergebnis zutreffend wurde daher die Invalidität des Klägers nach § 255 Abs 3 ASVG beurteilt. Da der Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar ist, liegen die Voraussetzungen für die Erlangung einer Invaliditätspension nicht. Der Revision ist ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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