OGH 8ObA72/03a

OGH8ObA72/03a18.9.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Friedrich Stefan und Robert Maggale als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Sandra O*****, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei P***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Heinrich Berger, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, wegen EUR 8.203,33 sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. März 2003, GZ 7 Ra 15/03k-16, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 11. November 2002, GZ 22 Cga 141/02y-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Beklagte teilte ihren Arbeitnehmern mit Schreiben vom 14. 2. 2002 mit, dass sie sich aufgrund der rückläufigen Auslastung des Standortes E***** und der europaweiten Überkapazitäten im Bereich Verbundsicherheitsglas veranlasst sehe, Kapazitäten in diesem Bereich stillzulegen. Es bestehe die Absicht, dass sich die P*****-Gruppe bis Mitte des Jahres 2002 aus E***** zurückziehe.

Am 26. 2. 2002 wurde zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat ihres Betriebes E***** eine Betriebsvereinbarung (Sozialplan) mit dem Ziel geschlossen, eine umfassende und abschließende Regelung zu treffen, wie die Härten und Nachteile im wirtschaftlichen und sozialen Bereich der Arbeitnehmer gemildert werden könnten, deren Dienstverhältnisse infolge der Betriebsänderung aufgelöst würden. Die Bestimmungen dieser Betriebsvereinbarung, die die Leistung einer freiwilligen Abfertigung von einem Monatsentgelt bis zu sechs Monatsentgelten je nach Dauer der Beschäftigung vorsah, sollte für alle Arbeiter gelten, deren Arbeitsverhältnisse am 8. 2. 2000 aufrecht bestanden und infolge der Betriebsänderung bis spätestens 31. 12. 2003 aufgelöst werden würden.

Unter Zugrundelegung dieser Betriebsvereinbarung schloss die Klägerin am 27. 5. 2002 eine Vereinbarung mit der Beklagten über die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses per 31. August 2002. Neben der gesetzlichen Abfertigung wurde der Klägerin eine freiwillige Abfertigung von fünf Bruttomonatsentgelten zuerkannt.

Eine Klausel, die eine Änderung der getroffenen Vereinbarungen für den Fall der Fortführung des Betriebes bewirken würde, wurde weder in den Sozialplan noch in die Individualvereinbarungen aufgenommen. Zum Abschlusszeitpunkt gingen alle Beteiligten davon aus, dass der Betrieb tatsächlich schließen werde.

Mit Schreiben vom 12. 6. 2002 gab die Beklagte der Klägerin bekannt, dass der Standort E***** aufgrund geänderter Auftragslage doch weiter geführt werde. Mit Schreiben vom 17. 6. 2002 bot die Beklagte der Klägerin die Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen an. Dieses Anbot wurde von der Klägerin abgelehnt.

Die Klägerin begehrt Zahlung der der Höhe nach unstrittigen freiwilligen Abfertigung von fünf Monatsentgelten.

Die Beklagte wendet ein, dass mit der Weiterführung des Betriebes und dem Anbot an die Klägerin, im Betrieb zu den bisherigen Bedingungen weiterbeschäftigt zu werden, die Geschäftsgrundlage für den Sozialplan weggefallen sei. Da die Klägerin das Anbot auf Weiterbeschäftigung grundlos ausgeschlagen habe, sei auch der Sozialplan für sie nicht mehr wirksam. Die freiwillige Abfertigung stehe ihr nicht zu.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es vertrat die Auffassung, dass die Betriebsschließung typische Voraussetzung und somit Geschäftsgrundlage des Sozialplanes und der darauf fußenden Individualvereinbarungen gewesen sei. Nach ständiger Rechtsprechung könne sich jedoch jene Partei, in deren Verantwortungsbereich diese falle, nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen.

Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es billigte die Auffassung des Erstgerichtes und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu einem vergleichbaren Fall fehle. Die Entscheidung könne für weitere Arbeitnehmer von grundsätzlicher Bedeutung sein.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichtes mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:

Es entspricht der herrschenden Auffassung (Rummel in Rummel³ § 901 ABGB Rz 4, 6 mH auf Pisko in Klang 1 II/2 348 ff; Gschnitzer in Klang² IV/1 340 f Schwimann/Apathy ABGB² V § 901 Rz 8; SZ 61/148; JBl 1989, 650; RIS-Justiz RS0017504), dass sich eine Partei auf das Nichtvorhandensein oder den Wegfall einer Vertragsvoraussetzung nicht berufen kann, wenn diese sich auf Tatsachen der eigenen Sphäre bezieht. In Anwendung dieses Grundsatzes gelangten die Vorinstanzen zum Ergebnis, dass der Umstand der Betriebsfortführung, der mit den Erwartungen bei Abschluss des Sozialplanes nicht übereinstimmte, ausschließlich die Sphäre der Beklagten betrifft. Eine erhebliche Rechtsfrage ist darin nicht zu erkennen. Die zu klärende Frage, ob sich die Beklagte auf das Fehlen der Geschäftsgrundlage berufen kann, wirft nicht schon deshalb eine erhebliche Rechtsfrage auf, weil möglicherweise auch andere Arbeitnehmer der Beklagten eine Auflösungsvereinbarung schlossen.

Auch sonst werden von der Revisionswerberin keine im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfragen dargetan: Unrichtig ist die Behauptung in der Revision, der Sozialplan und die darauf beruhende einzelvertragliche Auflösungsvereinbarung zwischen den Streitteilen seien durch die Betriebsfortführung ein rechtliches "Nichts" geworden: Auch Sozialpläne unterliegen als Betriebsvereinbarungen neben den Sondervorschriften des ArbVG den Regeln des ABGB (EvBl 1991/4; 9 ObA 293/01f). Auch der Sozialplan fällt nicht dadurch weg, dass eine Voraussetzung nicht eintrat, die ausschließlich der eigenen Sphäre der Beklagten zuzurechnen ist. Ein einseitiges Abgehen von einer Betriebsvereinbarung ist nicht möglich (RIS-Justiz RS0051018). Die Beklagte behauptet gar nicht, dass die Betriebsvereinbarung einvernehmlich beseitigt worden wäre. Es bedarf daher keiner Beantwortung der Frage, ob und welche Rechtsfolgen daraus für den vorliegenden Fall ableitbar wären.

Im Übrigen verkennt die Revision das Wesen des Institutes des Wegfalls oder Fehlens der Geschäftsgrundlage, die gegenüber anderen Möglichkeiten, rechtsgeschäftliche Bindungen zu beseitigen, nur als letztes Mittel heranzuziehen ist (RIS-Justiz RS0017454). Die in der Revision angesprochene ergänzende Vertragsauslegung steht zwar in einem fließenden Übergang zu Geschäftsgrundlagefällen (vgl Rummel aaO § 901 Rz 6 mH auf 8 Ob 2177/96x), setzt aber - zum Unterschied von den Geschäftsgrundlagefällen - voraus, dass eine Störung in der Vertragsabwicklung vorliegt, für die die Vertragsschließenden keine Regelung getroffen haben (Rummel aaO § 914 ABGB Rz 9 mwN). Eine Vertragslücke ist aber hier nicht zu erkennen, weil keine Störung in der Vertragsabwicklung auftrat. Ausschließlich der Beweggrund für den Vertragsabschluss (die Betriebsstilllegung) verwirklichte sich nicht. Diese bloße "Zweckstörung" (Rummel aaO § 901 Rz 4) hat aber immer dann unbeachtlich zu bleiben, wenn sie ausschließlich der Sphäre jener Partei entstammt, die sich auf sie berufen will.

Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass es der Beklagten im hier zu beurteilenden konkreten Einzelfall verwehrt ist, sich auf die nicht erfolgte Betriebsstilllegung zu berufen, weil die Betriebsstilllegung nicht zur Bedingung des Sozialplanes und der Einzelvereinbarung erhoben wurde, stellt sich nicht als erhebliche Verkennung der Rechtslage dar.

Die Revision der Beklagten ist daher unter Darlegung der Zurückweisungsgründe (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO) zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50 und 40 ZPO.

Die Klägerin hat weder auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen noch einen Antrag auf Zurückweisung der Revision gestellt.

Stichworte