Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Revisionsrekurswerberin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung
Die Antragstellerin, die der Antragsgegnerin als Betreiberin von Donaukraftwerken vorwirft, insbesondere zufolge unzureichender Reinigung eines Donau-Entlastungsgerinnes für im Zuge des Hochwassers im August 2002 in ihrem Gemeindegebiet aufgetretene Schäden durch Ablagerung von Schlamm verantwortlich zu sein, beantragte beim Erstgericht mit der Behauptung, ein erhebliches Interesse iSd § 384 Abs 3 (soll heißen Abs 2) ZPO an der Feststellung des gegenwärtigen Zustandes (insbesondere des Entlastungsgerinnes) zu haben, eine Beweissicherung durch Vornahme eines gerichtlichen Lokalaugenscheines unter Beiziehung eines staatlich befugten und beeideten Ziviltechnikers als Sachverständigen auf den Gebieten der Liegenschaftsbewertung, der Landschaftsgestaltung und des Umweltschutzes über folgende Tatsachen:
(1) Beschreibung und richtige Darstellung des Zustandes des Entlastungsgerinnes unter besonderer Berücksichtigung der Verstopfung durch Schlamm und andere mit dem Hochwasser angeschwemmte Ablagerungen.
(2) Untersuchung der Schäden am öffentlichen Gut der Antragstellerin durch das Hochwasserereignis im August 2002, insbesondere
1.) Untersuchung der Kausalität der Wasserkraftwerke der Antragsgegnerin für Ablagerungen von Schlamm auf den Grundstücken der Antragstellerin
2.) Untersuchung des Schlammes dahingehend, ob die verschiedenen Schlammschichten am Flussufer und an den Rändern der Staubecken der einzelnen Wasserkraftwerke den einzelnen Hochwasserereignissen exakt zugeordnet werden können. Es solle in diesem Zusammenhang auch festgestellt werden, in welchem Jahr die ersten Auflandungen größeren Ausmaßes erfolgt seien
3.) Klärung, ob die Auffangkapazität in den Staubecken der Wasserkraftwerke durch die Ansammlung von Schlamm verringert wurde, sodass die Staubecken nunmehr weniger Wasser fassen könnten, als dies dem ursprünglichen Bewilligungszustand entspreche
4.) Untersuchung der derzeitigen Kapazität des Entlastungsgerinnes und Vergleich mit der vorgesehenen Kapazität des Gerinnes. Untersuchung der einzelnen im Entlastungsgerinne abgelagerten Schlammschichten, um festzustellen, seit welchem Zeitpunkt keine Ausbaggerung von Ablagerungen stattgefunden habe
5.) Untersuchung des Schlamms auf seine Wasser- und Luftdurchlässigkeit. Besonderes Augenmerk solle auf das Ausmaß der Verringerung des Retentionsraumes durch die Auflandungen von Schlamm gelegt werden und
6.) Untersuchung, ob sich Schadstoffe in den Ablagerungen befänden und welcher Art diese Schadstoffe seien.
Das Erstgericht bewilligte die Beweissicherung antragsgemäß und bestellte - ebenfalls dem Antrag entsprechend - Dr. Karl S*****, staatlich beeideter Ziviltechniker, zum Sachverständigen. Von einer Anhörung der Antragsgegnerin vor Beschlussfassung wurde "wegen Dringlichkeit" Abstand genommen.
Den von der Antragsgegnerin dagegen erhobenen Rekurs wies das Gericht zweiter Instanz mit der Begründung zurück, gemäß § 386 Abs 4 ZPO könne ein Beschluss, der dem Beweissicherungsantrag stattgebe, durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. Der die Beweissicherung bewilligende Beschluss bleibe auch dann unanfechtbar, wenn er - wie die Antragsgegnerin hier einwende - über die Befundaufnahme hinaus die Erstattung eines Gutachtens auftrage. Bei der Beweissicherung handle es sich um eine Art Provisorialverfahren mit dem Ziel, den gegenwärtigen Zustand festzuhalten. Da im Provisorialverfahrensbereich Art 6 EMRK keine Anwendung finde, führe das Unterbleiben der Anhörung des Antragsgegners nach stRsp nicht zu einer Verletzung dieser Bestimmung. Dies müsse umso mehr auf das Beweissicherungsverfahren zutreffen, in dem keinerlei Rechtsansprüche abgehandelt würden, weil erst in einem allenfalls nachfolgenden Zivilrechtsstreit über vermögenszuerkennende bzw vermögenseinschränkende Ergebnisse entschieden werde. Der Rechtsmittelausschluss nach § 386 Abs 4 ZPO habe daher auch für das gegenständliche Verfahren (ungeachtet des Unterbleibens der Einvernahme der Antragsgegnerin) Geltung.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt EUR 20.000,-- übersteige und dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage sei auf Grund der umfangreichen, zitierten Judikatur des Obersten Gerichtshofs, die genau die angezogenen Problembereiche abdecke, zu verneinen.
Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhebt die Antragsgegnerin außerordentlichen Revisionsrekurs, in dem sie unrichtige rechtliche Beurteilung, Verfahrensmängel und Nichtigkeit geltend macht und beantragt, den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufzuheben, in eventu ihn zu beheben und dem Gericht erster oder zweiter Instanz eine neuerliche, nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung aufzutragen, in eventu den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin - allenfalls soweit er über die Beweissicherung hinausgehe - abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen dem betreffenden Ausspruch des Rekursgerichtes zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zwar bereits wiederholt den grundsätzlichen Ausschluss einer Rechtsmittelmöglichkeit gegen die Beweissicherung bewilligende Beschlüsse betont hat (7 Ob 621/87; 6 Ob 648/89, NRsp 1990/34; 7 Ob 609/94; 8 Ob 61/00d, RIS-Justiz RS0040715), zur Problemstellung bzw Konstellation des vorliegenden Falles, dass der Antragsgegner vor der Entscheidung nicht vernommen wurde, aber noch eine oberstgerichtliche Stellungnahme fehlt; das die Zurückweisung des Rekurses durch die zweite Instanz bekämpfende Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.
Die Antragsgegnerin vertritt auch im Revisionsrekurs weiterhin die Auffassung, die zitierte oberstgerichtliche Judikatur sei im vorliegenden Fall im Wesentlichen aus zwei Gründen nicht anwendbar: Zum einen, weil sie, die Antragsgegnerin, zum Beweissicherungsantrag nicht gehört wurde und zum anderen, weil dem Sachverständigen über die eigentliche Befundaufnahme hinaus auch die Erstattung eines Gutachtens über die Schadenskausalität aufgetragen worden sei. Die umfangreichen Ausführungen der Revisionsrekurswerberin lassen sich dahin zusammenfassen, in Fällen, in denen dem Antragsgegner keine Gelegenheit zur Äußerung zum Beweissicherungsantrag gegeben werde, müsse ihm jedenfalls eine Rechtsmittelmöglichkeit zustehen. Dies gelte insbesondere in Fällen, in denen der Beweissicherungsbeschluss auch bereits die Erstellung eines Gutachtens vorsehe und Zweifel an der Qualifikation des Sachverständigen bestünden. Die Unterlassung der Anhörung des Antragsgegners stelle einen gravierenden Verstoß gegen Art 6 EMRK, insbesondere im Lichte des Urteils des EGMR vom 6. 2. 2001 (Beer gegen Österreich), ÖJZ 2001, 516 und der nachfolgenden, dieses Urteil berücksichtigenden oberstgerichtlichen Entscheidungen bzw eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar und mache die Entscheidung daher nichtig bzw zumindest das Verfahren jedenfalls mangelhaft.
Diesen Ausführungen der Revisionsrekurswerberin ist entgegenzuhalten:
Wie schon das Rekursgericht richtig ausgeführt hat, handelt es sich bei der Beweissicherung um eine Art Provisorialverfahren mit dem Ziel, den gegenwärtigen Zustand einer (für die Beweisführung in einem bereits anhängigen oder anhängig zu machenden Rechtsstreit wesentlichen) Sache festzuhalten (7 Ob 609/94; 8 Ob 61/00d). In einem solchen Fall entspricht es der Verfahrensökonomie, keinen weiteren Rechtszug gegen eine bewilligende Maßnahme des Gerichtes zuzulassen, weil dem Antragsgegner in dem allenfalls nachfolgenden Zivilrechtsstreit, in dem erst mit einem vermögenszuerkennenden bzw vermögenseinschränkenden Ergebnis zu rechnen ist, alle Rechtsmöglichkeiten ohnedies offenstehen (7 Ob 609/94; 8 Ob 61/00d ua). Da gemäß § 388 Abs 3 ZPO die Kosten der Beweisaufnahme zunächst jedenfalls von der antragstellenden Partei zu bestreiten sind und dem Antragsgegner die notwendigen Kosten seiner Beteiligung am Beweissicherungsverfahren jedenfalls, unbeschadet der Entscheidung in der Hauptsache, ersetzt werden müssen, kann der Antragsgegner auch dadurch keinen (vermögensrechtlichen) Schaden erleiden (8 Ob 61/00d). Mit § 368 Abs 4 ZPO hat daher der Gesetzgeber unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Bewilligung von Beweissicherungsmaßnahmen in höherer Instanz nicht überprüfbar ist und dass er dem Beweissicherungsgegner kein Rechtsschutzinteresse an der Abwehr einer solchen Maßnahme zuerkennt (8 Ob 648/89).
Entgegen der Meinung der Revisionsrekurswerberin erscheint dieser grundsätzliche Rechtsmittelausschluss (RIS-Justiz RS0040715) auch aus dem Blickwinkel des Art 6 Abs 1 MRK dann unbedenklich, wenn eine Anhörung des Antragsgegnerin vor der Entscheidung, wie dies § 386 Abs 1 ZPO zweiter Satz vorsieht, wegen Dringlichkeit ("Gefahr am Verzuge") unterbleibt: Im Einklang mit Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte (EKMR 12. 1. 1994, 18.411/91 = ÖJZ 1994/49 [MRK] mwN) hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass Provisorialverfahren nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 Abs 1 MRK fallen (4 Ob 91/89, ÖBl 1990, 32 = RZ 1990/26; 1 Ob 10/94, SZ 67/166; 4 Ob 218/97f, ÖBl 1998, 291; 4 Ob 333/00z, RIS-Justiz RS0028350; vgl Frowein-Peukert, EMRK-Komm2 Rz 52 zu Art 6, FN 212; Kodek in Angst EO § 389 Rz 18). Die betreffende Einschränkung des zur Chancengleichheit und damit zu den Garantien des Art 6 Abs 1 MRK gehörenden Gewährleistung des rechtlichen Gehörs (RIS-Justiz RS0074920) kann im Hinblick auf den bloßen Provisorialcharakter des Beweissicherungsverfahrens zu Gunsten der angestrebten Verfahrensbeschleunigung hingenommen werden.
Da eine Verletzung berechtigter Interessen des Antragsgegners durch den Rechtsmittelausschluss des § 386 Abs 4 ZPO nicht zu besorgen ist, begegnet er - entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberin - auch unter Berücksichtigung der erwähnten Entscheidung des EGMR vom 6. 2. 2001 (Beer gegen Österreich) und der nachfolgenden, diese Entscheidung berücksichtigenden Judikatur (6 Ob 281/01v; 9 ObA 237/02x; ua) keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und sieht sich der Oberste Gerichtshof daher (weiterhin - vgl 7 Ob 609/94) nicht veranlasst, die Anregung der Antragsgegnerin zur Stellung eines Antrages gemäß Art 89 Abs 2 B-VG an den Verfassungsgerichtshof aufzugreifen.
Erörterungen, ob bzw welche Rechtsfolgen die Unterlassung der Vernehmung des Gegners vor Beschlussfassung ohne eine - vom Erstgericht angenommene - besondere Dringlichkeit zeitigt, können hier unterbleiben, weil der betreffende Einwand des Revisionsrekurses in der Aktenlage keine Deckung findet. Zwar hat die Antragstellerin eine Unterlassung der Anhörung der Antragsgegnerin vor Beschlussfassung nicht ausdrücklich beantragt. Sie hat aber in ihrem Beweissicherungsantrag betont, dass es in der Natur der Sache liege, dass die eingetretenen Schäden alsbald beseitigt werden müssten. Von der Revisionsrekurswerberin wird selbst eingeräumt, dass "auch etwa klimatische Verhältnisse für eine rasche bzw dringliche Beweisaufnahme sprechen" und in diesem Zusammenhang auch auf den Umstand hingewiesen, dass der Beweissicherungsantrag erst ca zwei Monate nach dem Hochwasser gestellt wurde. Die im Übrigen auch vom Sachverständigen unterstrichene Notwendigkeit einer raschen Befundung liegt im Hinblick auf jahreszeitlich bedingt zu erwartende Veränderungen auf der Hand und müssen daher die Ausführungen, mit denen die Revisionsrekurswerberin einen diesbezüglichen Begründungsmangel dartun will, ins Leere gehen.
Da in dringenden Fällen nach § 387 Abs 2 ZPO sogar noch vor Zustellung des über den Beweissicherungsantrag entscheidenden Beschlusses an den Antragsgegner mit der Beweisaufnahme begonnen werden kann, sei der Vollständigkeit halber noch erwähnt, dass die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall offenbar ohnehin insofern von Anfang an in die Beweisaufnahme eingebunden wurde, als nach ihrer eigenen "Mitteilung" vom 2. 12. 2002 (ON 9) am 28. 11. 2002 eine "äußerst konstruktive" Besprechung zwischen ihren Vertretern und dem beauftragten Sachverständigen "über die weitere Vorgehensweise" stattfand.
Soweit von der Antragsgegnerin nun die fachliche Qualifikation des Sachverständigen in Zweifel gezogen wird, genügt der Hinweis, dass Bemängelungen der sicherungsweisen Beweisaufnahme vom erkennenden Gericht des Hauptprozesses ohnehin nach freier Beweiswürdigung (§ 272 ZPO) zu beurteilen sind (Rechberger in Rechberger 2 Rz 2 zu § 389 ZPO). Auch Kritik an der Qualifikation des Sachverständigen - mag sie berechtigt sein oder nicht - kann daher Bedenken gegen den gegenständlichen Rechtsmittelausschluss nicht rechtfertigen.
Mit dem schließlich noch verbleibenden Einwand, der generelle Rechtsmittelausschluss des § 386 Abs 4 ZPO könne dann nicht gelten, wenn der Beweissicherungsbeschluss über eine reine Beweissicherung hinaus bereits die Erstellung eines Gutachtens (etwa - wie hier - über Schadensursachen) vorsehe, hat sich der Oberste Gerichtshof schon in der bereits mehrfach erwähnten Entscheidung 8 Ob 61/00d auseinandergesetzt. Es wurde ausgesprochen, dass zwar die stRsp der Rekursgerichte, wonach im Verfahren zur Beweissicherung durch Sachverständige ausschließlich die Befundnahme vorzunehmen sei und die Erstattung eines Gutachtens über strittige Fragen (dort der Mängelursachen, der Mängelbeseitigung und deren Kosten) nicht den Gegenstand eines Beweissicherungsverfahrens bilde (MGA ZPO15 § 384 E 11 mwN; zB LG Wien 16. 2. 1988 WR 319; kritisch hiezu Rechberger in Rechberger 2 Rz 5 zu § 384 ZPO), zu teilen sei. Es habe aber auch dann bei der Unanfechtbarkeit eines die Beweissicherung bewilligenden Beschlusses zu bleiben, wenn der Beweissicherungsantrag und der darüber ergehende Beschluss über die eigentliche Befundaufnahme hinausgingen und bereits Elemente eines Gutachtensauftrages enthielten. Der Gesetzgeber habe wegen der uU schwierigen Abgrenzung zwischen Befund und Gutachten sowie wegen des Provisorialcharakters des Beweissicherungsverfahrens eine Anfechtbarkeit des die Beweissicherung bewilligenden Beschlusses aus guten Gründen (generell) ausgeschlossen. Ein allfällig auftragsgemäß erstattetes, über die Befundaufnahme hinausgehendes Gutachten wäre im (nachfolgenden) Prozess unbeachtlich.
Die Revisionsrekurswerberin bringt nichts vor, was diese Erwägungen widerlegen könnte. Daran ist daher festzuhalten. Demnach ist das Rekursgericht auch im vorliegenden, insoferne ganz vergleichbaren Fall ohne Rechtsirrtum zufolge des generellen Rechtsmittelausschlusses des § 386 Abs 4 ZPO von der Unanfechtbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ausgegangen und muss der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin daher erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO.
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