OGH 6Ob57/03f

OGH6Ob57/03f21.5.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder Birgit und Nicole Z*****, beide in Obsorge der Mutter Susanne Z*****, diese vertreten durch Dr. Thomas Krankl, Rechtsanwalt in Wien, über den ordentlichen Revisionsrekurs der Kinder gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. August 2002, GZ 42 R 364/02v‑17, womit über den Rekurs des Vaters der Beschluss des Bezirksgerichtes Meidling vom 28. Mai 2002, GZ 2 P 115/97f‑12, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2003:0060OB00057.03F.0521.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

 

 

Begründung:

 

Die Eltern vereinbarten im pflegschaftsgerichtlich genehmigten Scheidungsfolgenvergleich vom 20. 12. 1995, dass die Obsorge der Mutter zusteht. Der Vater verpflichtete sich zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von je 7.700 S und überdies zum 1. 6. und zum 1. 12. eines jeden Jahres zu Sonderunterhaltsleistungen von je 9.700 S. Die Eheleute hielten im Vergleich weiters fest, dass der Jahresunterhalt je Kind 111.800 S betrage und stellten unter Punkt 5. des Vergleichs noch Folgendes fest:

"Dieser Unterhaltsbemessung liegt ein durchschnittliches Nettojahreseinkommen des Kindesvaters von S 545.500 sowie ein Unterhaltsprozentsatz von 20 % je Kind sowie der Umstand, dass der Kindesvater von weiteren Sorgepflichten nicht betroffen ist, zugrunde. Dieser Prozentsatz ergibt sich aus dem Umstand, daß sich der Vater freiwillig zu einem Unterhalt von 3 (drei) Prozent über dem jeweiligen Anspruch der Kinder verpflichtet. Er verpflichtet sich weiters, diese drei Prozent seines jeweiligen Nettoeinkommens auch bei künftigen Veränderungen des derzeitigen gesetzlichen Prozentsatzes von 17 % zusätzlich zu leisten".

Am 10. 5. 2002 beantragten die durch die Mutter vertretenen Kinder eine Erhöhung der Unterhaltsbeiträge ab 1. 1. 2002 auf monatlich je 727 EUR. Die Bedürfnisse der Kinder hätten sich wesentlich erhöht. Der Vater verdiene zumindest 4.040 EUR monatlich.

Der Vater erklärte sich am 25. 5. 2002 mit der Erhöhung der Unterhaltsbeiträge einverstanden, verlangte aber, dass seine bisher geleisteten monatlichen Zahlungen von 592,20 EUR im Spruch der Entscheidung berücksichtigt werden, sodass seine "Leistungsverpflichtung pro Kind für die Monate Jänner bis einschließlich Mai 2002 auf 134,80 EUR monatlich pro Kind zu beschränken wäre".

Das Erstgericht erhöhte die Unterhaltsbeiträge des Vaters ("zusätzlich" zu den ihm auf Grund des Vergleichs auferlegten Unterhaltsbeträge von monatlich je 559,58 EUR) auf 727 EUR monatlich je Kind ab 1. 1. 2002 abzüglich der von Jänner bis Mai 2002 bereits geleisteten Zahlungen von 592,20 EUR monatlich je Kind und begründete seine Entscheidung mit dem Einverständnis der Parteien.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters Folge und wies das Unterhaltserhöhungsbegehren der Kinder ab. Es hatte die Mutter zur Präzisierung des Unterhaltsbegehrens dahin aufgefordert, "ob die monatliche Unterhaltserhöhung neben oder anstelle der vergleichsweise vereinbarten Sonderunterhaltsleistungen von je S 9.700 zum 1. 6. u. 1. 12. begehrt wird". In ihrer Stellungnahme vom 29. 7. 2002 führte die Mutter aus, dass der Vater vor dem Erhöhungsantrag 12‑mal jährlich je 592,20 EUR und zweimal jährlich 777,60 EUR, insgesamt jährlich also 8.661,60 EUR bzw monatlich 721,80 EUR je Kind bezahlt habe. Die Unterhaltserhöhung werde "naturgemäß neben den vergleichsweise vereinbarten Sonderzahlungen begehrt". Der Vater habe sich vergleichsweise verpflichtet, 3 % über dem Prozentsatz von 19 % je Kind zu bezahlen.

Das Rekursgericht begründete nach dieser Ergänzung seine Abweisung des Unterhaltserhöhungsantrages mit dem aus pädagogischen Gründen zu rechtfertigenden Unterhaltsstopp in der Höhe des zweieinhalbfachen Durchschnittsbedarfs, der für das erste Halbjahr 2002 288 EUR betragen habe. Die Obergrenze des Unterhaltsanspruchs liege bei 720 EUR monatlich. Diesen Betrag leiste der Vater nach den Angaben der Kinder, sodass keine Unterhaltsverletzung vorliege, die Voraussetzung für eine Unterhaltserhöhung wäre. Schließlich spreche auch die nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs gebotene Anrechnung der Transferleistungen (Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag) gegen eine Unterhaltserhöhung.

Das Rekursgericht sprach zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, änderte diesen Ausspruch über Antrag der Kinder aber ab und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei.

Mit ihrem ordentlichen Revisionsrekurs beantragen die Kinder die Abänderung dahin, dass der Vater zu monatlichen Unterhaltsleistungen von je 727 EUR und zu jeweils zwei Unterhaltssonderzahlungen von je 704,92 EUR je Kind zum 1. 6. und 1. 7. eines jeden Jahres verpflichtet werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Vater beantragt, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Rechtsansicht des Rekursgerichtes zumindest teilweise von oberstgerichtlicher Judikatur nicht gedeckt ist. Der Rekurs ist im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.

I. Wenn einem Kind weniger oder mehr zugesprochen werden soll, als sich nach der sogenannten Prozentsatzmethode ergibt, bedarf es einer besonderen Rechtfertigung der Abweichung. Diese wird bei besonders hohem Leistungsvermögen des Unterhaltsschuldners darin gesehen, dass es durch den Zweck der Unterhaltsleistung nicht geboten und aus pädagogischen Gründen sogar abzulehnen ist, Luxusbedürfnisse des Kindes zu befriedigen. Die Prozentkomponente ist daher nicht voll auszuschöpfen, wenn es nach diesen Kriterien zu einer verschwenderischen, vom vernünftigen Bedarf eines Kindes völlig losgelösten Überalimentierung kommen würde. Wo demgemäß die Grenzen einer den Bedürfnissen des Kindes und dem Leistungsvermögen des Unterhaltsschuldners angemessenen Alimentierung zu ziehen sind, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0047424). Auch wenn der Oberste Gerichtshof schon wiederholt ausgesprochen hat, dass es keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG darstelle, wenn der "Unterhaltsstopp" von den Vorinstanzen im Bereich des Zweifachen bis zum Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs angenommen wurde (RS0007138), kann dieser Rechtsprechung aber nicht der Grundsatz entnommen werden, dass die "Luxusgrenze" jedenfalls und immer dann überschritten wird, wenn mehr als das Zweieinhalbfache des Regelbedarfs zugsprochen wurde. Überwiegend wurde in der oberstgerichtlichen Judikatur vielmehr angenommen, dass der zweieinhalbfache Regelbedarf keine absolute Obergrenze bilde (7 Ob 193/02m mwN). Betragliche oder in einem Vielfachen des sogenannten Regelbedarfs ausgedrückte absolute Obergrenzen für die Festsetzung eines Kindesunterhalts sind mit den im § 140 ABGB normierten Bemessungskriterien nicht vereinbar. Diese gestatten daher auch keinen allgemeinen "Unterhaltsstopp" beim Zweieinhalbfachen oder einem sonstigen Vielfachen der sogenannten Regelbedarfssätze (RS0047458). Diesem Grundsatz ist jedenfalls dann zu folgen, wenn der "überhöhte" Unterhaltsbeitrag eine vertragliche Grundlage hat. Der Vereinbarung eines den gesetzlichen Unterhalt übersteigenden Unterhaltsbeitrags stehen keine zwingenden Gesetzesbestimmungen entgegen. Es besteht Dispositionsfreiheit der Parteien. Genauso wie sich ein Unterhaltspflichtiger zu einem seine Leistungsfähigkeit nach der Prozentkomponente übersteigenden Unterhaltsbeitrag verpflichten kann, ist daher auch eine Verpflichtung des Unterhaltsschuldners zu einem das Zweieinhalbfache des Regelbedarfs übersteigenden Unterhaltsbeitrag zulässig. Die Dispositionsfreiheit ist nur dort eingeschränkt, wo die Vereinbarung zu Lasten des Kindes ginge, diesem also vergleichsweise weniger Unterhalt zukommen soll, als bei einer gerichtlichen Festsetzung nach den aus dem Gesetz abgeleiteten Unterhaltskriterien.

II. Jede Unterhaltsbemessung unterliegt der Umstandsklausel. Bei geänderten Verhältnissen kommt es zu einer Neufestsetzung. Dies gilt auch für im Ehescheidungsverfahren abgeschlossene, pflegschaftsbehördlich genehmigte Unterhaltsvergleiche. Grundsätzlich ist die Neubemessung zwar völlig unabhängig von der durch den Vergleich getroffenen Regelung vorzunehmen (RS0047529), dies gilt aber nur für die Fälle, in denen die Parteien bei Abschluss des Vergleichs nur eine einvernehmliche Ausmittlung des aktuellen gesetzlichen Unterhaltsanspruchs beabsichtigten, nicht aber dann, wenn unter Beachtung der Auslegungsgrundsätze des § 914 ABGB die Parteienabsicht feststeht, dass die im Vergleich festgehaltenen Relationen (Unterhaltshöhe, Unterhaltsbemessungsgrundlage; Sorgepflichten) auch weiteren Unterhaltsfestsetzungen zugrunde gelegt werden sollen. Dann darf die Entscheidung über ein Unterhaltserhöhungsbegehren nicht einfach von der bisherigen vergleichsweisen Regelung abgekoppelt und von der darin unter Bedachtnahme auf die damals gegebenen Verhältnisse zum Ausdruck gebrachten Konkretisierung der Bemessungsgrundsätze völlig losgelöst getroffen werden (1 Ob 631/91). Es wurde schon aus der Feststellung des Einkommens des Unterhaltsschuldners im Vergleich abgeleitet, dass die Parteien damit weitere Unterhaltsfestsetzungen an die im Vergleich festgehaltenen Bemessungsparameter binden wollten (4 Ob 201/97f). Bei Anwendung dieser Grundsätze kann es im vorliegenden Fall nicht zweifelhaft sein, dass sich der Vater auch für die Zukunft und bei geänderten Verhältnissen zu einem gegenüber einem nach den allgemeinen Berechnungsmethoden bei der Angemessenheitsprüfung des § 140 ABGB ermittelten Unterhaltsbeitrag höheren Beitrag verpflichten wollte. Dies wird durch die Erwähnung des Nettojahreseinkommens, des Unterhaltsprozentsatzes von 20 % je Kind und durch den Hinweis, dass der Vater damit freiwillig und auch bei künftigen Veränderungen bereit ist, 3 % über dem jeweiligen Anspruch der Kinder zu leisten, völlig klargestellt.

III. Die Sache ist aus folgenden Gründen noch nicht spruchreif:

1. Wohl hat die Mutter für die Kinder den Unterhaltserhöhungsantrag dahin klargestellt, dass sie an den Vergleichsrelationen festhält. Damit kann aber die Unterhaltserhöhung nicht mehr auf das Einverständnis des Vaters gestützt werden. Zu der Präzisierung des Unterhaltsantrages der Kinder wurde der Vater nicht gehört. Der Vater erhebt aber ua auch den Einwand der gebotenen steuerlichen Entlastung wegen der im Anschluss an die Aufhebung einer Wortfolge im § 12a FamLAG durch den Verfassungsgerichtshof ergangenen oberstgerichtlichen Rechtsprechung. Dieser auf eine geänderte Rechtslage gestützte Einwand kann zulässigerweise dem Erhöhungsantrag der Kinder entgegengesetzt werden:

2. Der Geldunterhaltspflichtige hat auch dann Anspruch darauf, durch entsprechende Berücksichtigung der Transferzahlungen steuerlich entlastet zu werden, wenn die Prozentkomponente auf Grund des Unterhaltsstopps bei überdurchschnittlichem Einkommen nicht voll ausgeschöpft wird (RS0117017). Dies muss auch für den vorliegenden Fall gelten, dass der Vater vergleichsweise zu Unterhaltsleistungen verpflichtet ist, die das Zweieinhalbfache des Regelbedarfs sogar übersteigen. Bei der Berechnung der Entlastung ist von dem Unterhalt auszugehen, den die Kinder nach dem Vergleich zu fordern berechtigt sind (vgl 7 Ob 193/02m). Schon an dieser Stelle ist für die Fortsetzung des Verfahrens der Rechtsansicht des Vaters entgegenzutreten, dass wegen der neuen Rechtslage zu § 12a FamLAG der Unterhalt nunmehr ohne Bedachtnahme auf die Rahmenbedingungen des Vergleichs zu bemessen wäre. Wenn die Unterhaltsvereinbarung ‑ wie hier ‑ deutlich vom gesetzlichen Unterhalt abweicht, sind die zugrunde gelegten Bemessungsfaktoren ("Vergleichsrelationen") auch bei der Anpassung der Unterhaltsvereinbarung an die geänderten Verhältnisse (Änderung der Rechtslage zu § 12a FamLAG) vorrangig zu berücksichtigen (2 Ob 33/99p). Es ist nicht einzusehen, dass sich der Vater von den vereinbarten und für die Zukunft bestimmten Bemessungsfaktoren nur deshalb lösen könnte, weil ihm nun eine unterhaltsmindernde steuerliche Entlastung zusteht. Im Ergebnis wäre er damit und entgegen dem Wortlaut des Unterhaltsvergleichs doppelt begünstigt. Der Vater darf daher die steuerliche Entlastung bei der Neubemessung ins Treffen führen, diese ist aber nach dem auf der Grundlage des Vergleichs zu ermittelnden Unterhaltsanspruch der Kinder und nach der in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Formel (RS0117015) zu berechnen.

3. Zur Rückwirkung der geänderten Rechtslage ist noch auszuführen: Die Kinder begehren die Unterhaltserhöhung ab 1. 1. 2002. Fraglich könnte sein, ob die am 13. 9. 2002 veröffentlichte Aufhebung des maßgeblichen Halbsatzes im § 12a FamLAG ("... und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch") durch den Verfassungsgerichtshof erst ab diesem Zeitpunkt zur Geltendmachung der steuerlichen Entlastung berechtigt. Der Senat hat zu dieser Frage schon in seiner Entscheidung 6 Ob 159/02d klargestellt, dass der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19. 6. 2002, G 7/02, zwar keine rückwirkende Aufhebung des Gesetzes angeordnet, aber ausgesprochen hat, dass mit Wirkung ab der Kundmachung die aufgehobene Wortfolge nicht mehr anzuwenden ist und früher gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten. Daraus folgt jedenfalls für die schon vor der Kundmachung des Erkenntnisses anhängig gemachten Unterhaltsverfahren, dass bei der Gerichtsentscheidung schon die neue Rechtslage anzuwenden ist. Der Vater kann demnach gegen die Unterhaltserhöhung für den gesamten Zeitraum ab 1. 1. 2002 die steuerliche Entlastung geltend machen.

4. Eine meritorische Erledigung des Unterhaltserhöhungsantrages setzt Feststellungen über das zu versteuernde Jahresbruttoeinkommen des Vaters (ohne 13. und 14. Bezug) voraus, damit unter Heranziehung des Grenzsteuersatzes die steuerliche Entlastung berechnet werden kann. Das Erstgericht wird daher das Verfahren zu ergänzen und die erforderliche Rechenoperation ‑ hier für zwei Kinder und allenfalls unter Anwendung unterschiedlicher Grenzsteuersätze ‑ vorzunehmen haben.

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