OGH 10ObS144/03d

OGH10ObS144/03d29.4.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Herbert Stegmüller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ing. Hermann K*****, vertreten durch Mag. Dr. Johannes Winkler, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Höhe der Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Dezember 2002, GZ 11 Rs 246/02d-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. Juli 2002, GZ 19 Cgs 48/02f-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie einschließlich des bestätigten Teils zu lauten haben:

"Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger ab 1. 7. 2001 die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit in Höhe von monatlich 1.876,99 EUR brutto zu zahlen und die mit 485,86 EUR (davon 80,98 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Das Mehrbegehren auf Gewährung einer höheren Pension im gesetzlichen Ausmaß unter Anwendung der für Frauen gültigen geringeren Abschläge wird abgewiesen."

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 333,12 EUR (davon 55,52 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei amtswegig von "Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt als Gesamtrechtsnachfolger übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVG-Nov BGBl I Nr 1/2002).

Rechtliche Beurteilung

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass gegen die für Männer und Frauen unterschiedliche Berechnung des Steigerungsbetrages gemäß § 261 Abs 4 ASVG im Hinblick auf das unterschiedliche Regelpensionsalter keine gemeinschaftsrechtlichen Bedenken bestehen und zumindest derzeit zu einer Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH in dieser Frage kein Anlass besteht, ist ebenso zutreffend wie die weitere Beurteilung des Berufungsgerichts, dass gegen die genannte Bestimmung auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO). Die Entscheidung des Berufungsgerichtes steht auch im Einklang mit der vom Obersten Gerichtshof erst jüngst in den Entscheidungen 10 ObS 353/02p vom 14. 1. 2003 und 10 ObS 69/03z vom 8. 4. 2003 vertretenen Rechtsansicht (in diesem Sinne auch 10 ObS 17/03b, 10 ObS 19/03x und 10 ObS 38/03s jeweils vom 18. 2. 2003 zu der im Wesentlichen gleichlautenden Bestimmung des § 130 Abs 4 BSVG). Demnach impliziert die (zulässige) Beibehaltung des unterschiedlichen Regelpensionsalters eine unterschiedliche Berechnung der Höhe der hier gegenständlichen Pensionsleistung. Dass gegen die Gültigkeit der Ausnahmebestimmung des Art 7 Abs 1 lit a der Richtlinie derzeit keine gemeinschaftsrechtlichen Bedenken bestehen und sich der Oberste Gerichtshof zumindest derzeit zu einer Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH in dieser Frage nicht veranlasst sieht, hat der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 10 ObS 334/01t und 10 ObS 49/02g näher begründet (vgl auch 10 ObS 268/02p und 10 ObS 69/03z).

Aber auch die vom Revisionswerber vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken wegen Verletzung eines Bauprinzipes der Verfassung werden vom Senat nicht geteilt. Es ist richtig, dass der Verfassungsgesetzgeber immer wieder Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes dadurch "unterlaufen" hat, dass er vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Gesetze als Verfassungsgesetze wieder in Kraft setzte oder die Gesetzesaufhebung in ähnlicher Weise unwirksam machte (Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts9 Rz 146; Mayer, Bundes-Verfassungsrecht3 Art 44 II. 3.). Diese verständlicherweise der rechtspolitischen Kritik ausgesetzte Verfassungsgesetzgebung ist verfassungsrechtlich nur dann unzulässig, wenn dadurch ein Baugesetz der Verfassung verletzt wird (VfSlg 15.373). Eine solche Verletzung wird von einem Teil der Lehre wegen Verletzung des rechtsstaatlichen und des gewaltenteilenden Grundprinzipes behauptet (Walter/Mayer aaO mwN; zuletzt etwa Hiesel,

Von der Verfassungsunkultur zur verfassungswidrigen Verfassungsgesetzgebung? AnwBl 2001, 306 [308 f]). Freilich muss dem "einfachen" Verfassungsgesetzgeber im Lichte des demokratischen Grundprinzipes bei einer harmonisierenden Auslegung auch in diesem Bereich ein gewisser Gestaltungsspielraum zugebilligt werden. Im Hinblick darauf, dass die Gesetzesprüfungskompetenz des Verfassungsgerichtshofes (nur) zu einer speziellen und eingegrenzten Problematik ausgeschaltet, das rechtsstaatliche Prinzip aber nicht im breiten und unbestimmten Ausmaß beeinträchtigt wird, erscheint dem Senat der Gestaltungsspielraum des einfachen Verfassungsgesetzgebers nicht überschritten.

Schließlich wurde bereits bei der Behandlung der vom Revisionswerber vorgetragenen gemeinschaftsrechtlichen Bedenken näher dargelegt, dass sich die in § 261 Abs 4 ASVG vorgesehene Abschlagsregelung als unmittelbare Auswirkung des - nach dem BVG über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten (BGBl 1992/812) - zulässigen unterschiedlichen Regelpensionsalters von Männern und Frauen darstellt, sodass für den Obersten Gerichtshof auch insoweit keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Da der erkennende Senat aus den dargestellten Erwägungen die vom Revisionswerber vorgetragenen gemeinschaftsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Bedenken nicht teilt und die Entscheidung der Vorinstanzen der geltenden Gesetzeslage entspricht, musste die Revision erfolglos bleiben. Es war daher das angefochtene Urteil mit der Maßgabe zu bestätigen, dass die in dem durch die Klagsführung außer Kraft getretenen Bescheid zuerkannte Leistung zuzusprechen war. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Obzwar der Kläger mit seiner Klage nicht mehr erreichte als die beklagte Partei in ihrem Bescheid festsetzte, war die Einbringung der Berufung und der Revision im Ergebnis notwendig, weil aufgrund dieser Rechtsmittel der urteilsmäßige Zuspruch der bereits im (insoweit außer Kraft getretenen) Bescheid der beklagten Partei zuerkannten Pensionsleistungen erfolgte (SSV-NF 3/31, 7/46, 7/78 ua). Bei der Kostenbemessung war die gemäß Anm 5 zur Tarifpost 3 nach dem RATG verzeichnete 50 %-ige Erhöhung für die beiden Rechtsmittelschriften nicht zu berücksichtigen, weil die in den beiden Rechtsmitteln enthaltenen gemeinschaftsrechtlichen Ausführungen für den urteilsmäßigen Zuspruch der bereits im Bescheid der beklagten Partei zuerkannten Pensionsleistungen nicht notwendig waren.

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