OGH 10ObS77/03a

OGH10ObS77/03a18.3.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr (Senat nach § 11a ASGG) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Monika H*****, vertreten durch Dr. Johannes Grund und Dr. Wolf D. Polte, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Oktober 2002, GZ 12 Rs 199/02z-7, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. Juli 2002, GZ 3 Cgs 130/02z-3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei von Amts wegen von "Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt als Gesamtrechtsnachfolger übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVG-Nov BGBl I 2002/1).

Mit rechtskräftigem Bescheid vom 20. 7. 2001 hat die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter den Antrag der am 4. 8. 1951 geborenen Klägerin auf Zuerkennung der Invaliditätspension abgelehnt.

Mit Bescheid vom 18. 4. 2002 hat die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter den neuerlichen Antrag der Klägerin vom 27. 2. 2002 auf Gewährung einer Invaliditätspension mit der Begründung zurückgewiesen, dass dieser Antrag vor Ablauf der "Jahresfrist" (§ 362 ASVG) gestellt und eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes nicht glaubhaft bescheinigt worden sei.

In der dagegen erhobenen Klage führte die Klägerin aus, dass sie sehr wohl eine wesentliche Verschlimmerung bescheinigt habe, aufgrund derer bei ihr nun Invalidität vorliege. Als Bescheinigungsmittel legte sie Atteste ihres Hausarztes und eines Krankenhauses vor; weiters berief sie sich auf gerichtsärztliche Gutachten aus den Fächern Orthopädie sowie Neurologie und Psychiatrie, auf ein arbeitspsychologisches Gutachten, ein berufskundliches Gutachten und ihre Vernehmung als Partei.

Das Erstgericht wies die Klage mangels der Voraussetzungen des § 68 ASGG gemäß § 73 ASGG ohne Beweisaufnahme zurück. Die mit der Klage vorgelegten Atteste seien inhaltlich nicht ausreichend, um die behauptete Verschlechterung darzutun. Erst einzuholende Sachverständigengutachten seien als Bescheinigungsmittel unzulässig.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge. Die in einem der vorgelegten ärztlichen Atteste befundete Verschlechterung des Zustands (vorwiegend betreffend Wirbelsäule und rechtes Hüftgelenk) könne in Verbindung mit der Feststellung in einem weiteren Attest, dass am rechten Hüftkopf jüngst eine Zyste gefunden worden sei, die zu einer deutlichen Einschränkung der Innenrotation an der rechten Hüfte führe, schmerzhaft sei und für die Zukunft die Notwendigkeit eines künstlichen Hüftgelenks nahe lege, zwar als Glaubhaftmachung eines fortschreitenden Prozesses und zunehmender Beschwerden infolge der zunehmenden Abnutzungserscheinungen gewertet werden. Dies genüge aber für die Zulässigkeit der Klage nicht, da es nicht ausreiche, dass irgendeine Änderung des Gesundheitszustands glaubhaft gemacht werde. Vielmehr müsse es sich um eine Änderung handeln, die wesentlich sei. Wesentlich sei die Änderung dann, wenn sie eine Entscheidung im Sinne des Leistungsantrags des Versicherten rechtfertigen könne. Bezogen auf den konkreten Fall bedeute dies, dass eine bedeutsame Änderung des Leistungskalküls durch die in den ärztlichen Bescheinigungen erwähnten Veränderungen des Gesundheitszustands nicht zu erwarten sei. Die dem rechtskräftigen Abweisungsbescheid zugrunde liegende Einschätzung, dass die Klägerin trotz der vorhandenen Dorsolumbalgie mit endlagiger Bewegungseinschränkung und der beginnenden Coxarthrose rechts mit mäßiger Bewegungseinschränkung noch verschiedene Verweisungstätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben könne, werde durch die von den behandelnden Ärzten gestellte Diagnose, dass der Abnützungsprozess fortschreite und dass "a la long" eine Hüftgelenksoperation unvermeidlich sei, nicht in Frage gestellt.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag auf ersatzlose Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Hat der Versicherungsträger in den Fällen des § 362 ASVG einen Leistungsantrag des Versicherten zurückgewiesen, hat das Gericht ohne Rücksicht auf § 67 Abs 1 Z 1 ASGG das gerichtliche Verfahren durchzuführen und in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der Versicherte dem Gericht eine wesentliche Änderung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustandes glaubhaft zu machen vermag (§ 68 Abs 1 ASGG). Es genügt also nicht, dass der Versicherte irgendeine Änderung des Gesundheitszustands glaubhaft macht, sondern es muss sich um eine Änderung handeln, die wesentlich ist, indem sie nunmehr eine Entscheidung im Sinne des Leistungsantrags des Versicherten rechtfertigen kann (SSV-NF 5/141).

Die dem Versicherten zur Pflicht gemachte Glaubhaftmachung kann sich nur auf den Tatsachenbereich beziehen, nämlich die in § 68 Abs 1 ASGG genannte "Änderung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustandes". Ob einem Versicherten die Glaubhaftmachung einer Änderung seines Gesundheitszustands gelungen ist oder nicht, stellt immer das Ergebnis der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung dar (SSV-NF 5/141; 10 ObS 112/02x; RIS-Justiz RS0040286, RS0043519).

Die Lösung der Frage, ob die Änderung des Gesundheitszustandes wesentlich im Sinn des § 68 ASGG ist, fällt in den Bereich der rechtlichen Beurteilung (SSV-NF 13/32; 10 ObS 287/00d uva), da das Gericht zu beurteilen hat, ob die Änderung ein Ausmaß erreicht hat, dass dem Leistungsantrag nunmehr stattgegeben werden könnte. Auf die Wesentlichkeit selbst kann sich die Glaubhaftmachung nicht beziehen (SSV-NF 5/141; RIS-Justiz RS0043519), weshalb der Versicherte die Änderung des Gesundheitszustandes, nicht aber auch deren wesentliche Auswirkung auf das Leistungskalkül zu bescheinigen hat. In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass § 68 ASGG so zu verstehen ist, als ob der hier zu beurteilende Satzteil etwa lauten würde: "... vermag der Versicherte dem Gericht eine Änderung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustands glaubhaft zu machen und ist diese Änderung wesentlich, so ..." (SSV-NF 5/141).

Abgehend von der Ansicht des Erstgerichts hat das Rekursgericht darauf hingewiesen, dass die Klägerin einen fortschreitenden Prozess sowie zunehmende Beschwerden und damit eine Änderung ihres Gesundheitszustands bescheinigt hat. Dies ist für den Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht überprüfbar.

Für die Beurteilung der nun entscheidenden Frage, ob diese Änderung als wesentlich anzusehen ist oder nicht, liegen allerdings im vorliegenden Fall keine hinreichenden Tatsachengrundlagen vor, zumal sich aus der Änderung des Gesundheitszustandes nicht ergibt, ob diese von Einfluss auf das Leistungskalkül ist oder nicht. Der vom Rekursgericht gezogene Schluss, dass eine "bedeutsame Änderung des Leistungskalküls durch die in den ärztlichen Bescheinigungen erwähnten Veränderungen des Gesundheitszustands nicht zu erwarten" sei, kann daher nicht bestätigt werden.

Im Sinne des das sozialgerichtliche Verfahren beherrschenden Untersuchungsgrundsatzes sind somit im fortgesetzten Verfahren von Amts wegen - etwa durch Einholung eines Aktengutachtens - die sachverhaltsmäßigen Grundlagen zu erheben, die einen Schluss zulassen, ob die als bescheinigt angenommenen Änderungen des Gesundheitszustandes der Klägerin eine Änderung ihres Leistungskalküls in einem Ausmaß nach sich ziehen, dass angenommen werden muss, sie könnte ihr bislang zumutbare Verweisungstätigkeiten, die einer Leistungsgewährung entgegen standen, nun nicht mehr ausüben. Ist dies der Fall, ist sodann in der Sache selbst zu verhandeln und zu entscheiden; ist es nicht der Fall, ist die Klage zurückzuweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Stichworte