OGH 6Ob258/02p

OGH6Ob258/02p12.12.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Sarah Z*****, in Obsorge der Mutter Johanna Z*****, wegen Unterhalts, über den ordentlichen Rekurs des Vaters Markus Z*****, vertreten durch Dr. Herwig Aichholzer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom 8. August 2002, GZ 2 R 235/02i-21, womit über den Rekurs des Vaters der Beschluss des Bezirksgerichtes Villach vom 15. Mai 2002, GZ 10 P 64/97p-18, im angefochtenen Umfang zur Verfahrensergänzung aufgehoben wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss und insoweit auch der erstinstanzliche Beschluss werden dahin abgeändert, dass das 545 EUR monatlich übersteigende Unterhaltsmehrbegehren des Kindes abgewiesen wird.

Text

Begründung

Seit der einverständlichen Scheidung der Ehe der Eltern der Minderjährigen im Jahr 1997 hat die Mutter die Obsorge. Der Vater verpflichtete sich zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 7.000 S (das sind jetzt 508,71 EUR). Das durch seine Mutter vertretene Kind beantragte am 8. 10. 2001 eine Erhöhung des Unterhaltsbeitrages ab 1. 10. 2001 auf 8.500 S (617,72 EUR) wegen gestiegener Bedürfnisse. Der Vater erklärte sich zu einer Erhöhung auf 7.500 S (545,05 EUR) monatlich einverstanden. Er verdiene zwischen 2.688 und 2.906 EUR monatlich netto.

Das Erstgericht gab dem Unterhaltserhöhungsantrag des Kindes zur Gänze statt. Von seinen Feststellungen ist folgender Sachverhalt als wesentlich hervorzuheben:

Der Vater sei als Croupier im Kasino Velden beschäftigt. Im Jahr 2001 sei er dort lediglich in der Zeit vom 1. 1. bis 15. 9. und vom 24.

12. bis 31. 12. berufstätig gewesen. In der Zeit vom 16. 9. bis 23. 12. 2001 habe er einen unbezahlten Urlaub konsumiert. Der Vater habe im Jahr 2001 Einkünfte von insgesamt 32.973,78 EUR erzielt. In der Zeit vom 1. 1. bis 31. 3. 2002 habe der Vater 9.300,72 EUR verdient. Die Sonderzahlungen für das Jahr 2002 würden brutto 9.496,68 EUR betragen. Nach einer Auskunft des Dienstgebers des Vaters könnten die im Spielbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer jederzeit versetzt werden. Auf Grund der saisonalen Gegebenheiten würden die Mitarbeiter des Kasinos Velden großteils einmal jährlich für ca drei Monate in einen anderen Kasinoort versetzt werden. Für die dadurch entstehenden Kosten der Verpflegung gebühre den Angestellten eine Vergütung von 393 EUR pro Monat bis zu einem maximalen Ausmaß von 100 Tagen pro Kalenderjahr. Bei Dienstzuteilungen an einen anderen Ort gebühre dem Arbeitnehmer eine Vergütung der Fahrtspesen der ersten Klasse des Schnellzuges von Dienstort zu Dienstort. Für Familienheimfahrten werde allerdings kein Kostenzuschuss gewährt. Die letzte Versetzung des Vaters habe in der Zeit vom 3. 2. 1997 bis 31. 3. 1997 stattgefunden. Der Verpflegskostenzuschuss habe für diesen Zeitraum 732,54 EUR betragen. Für Nächtigungen werde keinerlei Spesenersatz gewährt. Wenn der Vater nicht unbezahlten Urlaub in Anspruch nähme, würde sein monatliches Durchschnittseinkommen 3.700 EUR (netto) betragen. Der versetzungsbedingte Mehraufwand des Vaters mache höchstens 1.450 EUR pro Monat aus. Dadurch reduziere sich die Unterhaltsbemessungsgrundlage auf 3.340 EUR. Es sei amtsbekannt, dass Croupiers Trinkgelder erhielten, die der Unterhaltsbemessungsgrundlage hinzuzurechnen seien. Unter Berücksichtigung aller festgestellten Umstände sei von einer Bemessungsgrundlage von 3.500 EUR monatlich auszugehen. Der Vater sei für das Kind und teilweise auch für seine Ehegattin sorgepflichtig, die nur über ein monatliches Einkommen von 253,59 EUR 14-mal jährlich verfüge.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass das Kind nach der Prozentkomponente einen Unterhaltsanspruch von 20 % der Bemessungsgrundlage habe. Von dieser seien 2 % für die Sorgepflicht des Vaters für seine Gattin abzuziehen. Der Vater sei in der Lage, den beantragten Unterhaltsbeitrag zu leisten. Das Kind nehme dadurch an den höheren Lebensverhältnissen des Vaters teil. Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters im angefochtenen Umfang des 545 EUR monatlich übersteigenden Unterhaltsbegehrens Folge und hob den erstinstanzlichen Beschluss insoweit zur Verfahrensergänzung auf. Zu dem Thema, dass der Vater auch Trinkgelder beziehe, sei er nicht gehört worden. Die Ausschüttung von Trinkgeldern an Croupiers sei nicht amtsbekannt. Mangels ausreichender Aufschlüsselung der Unterhaltsbemessungsgrundlage fehlten noch Feststellungen zu den vom Vater bezogenen Zuschüssen für den Fall seiner Versetzung an einen anderen Dienstort. Der Vater sei über außergewöhnliche berufsbedingte Belastungen ergänzend zu befragen, weil nur danach beurteilt werden könne, ob ihm ein Dienstortwechsel im Sinne der Anspannungstheorie zugemutet werden könne. Das Verfahren sei weiters ergänzungsbedürftig hinsichtlich eines vom Erstgericht angenommenen Bestandteils der Bemessungsgrundlage in der Höhe von 6.373,40 S. Eine vom Erstgericht angenommene Haushaltsersparnis sei mangels näherer Erläuterungen nicht nachvollziehbar. In welcher Höhe außergewöhnliche Belastungen des Vaters beim Finanzamt erfolgreich geltend gemacht werden könnten, sei noch nicht einschätzbar.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Man könnte die Auffassung vertreten, eine Anspannung habe nicht stattzufinden, weil sich der Unterhaltspflichtige ohnehin zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag in der Höhe des doppelten Regelbedarfs des Kindes bereit erklärt habe.

Mit seinem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Vater die Abänderung dahin, dass der Unterhaltserhöhungsantrag, soweit er 545 EUR monatlich übersteige, abgewiesen werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Mutter (als Vertreterin des Kindes) wurde Gelegenheit gegeben, sich zum Revisionsrekurs des Vaters zu äußern. Sie beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Dem Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichtes liegt zu Grunde, dass der Vater im Interesse des unterhaltsberechtigten Kindes die mit einem Ortswechsel verbundene Berufstätigkeit (drei Monate im Jahr) nicht aufgeben dürfe und dass er nach der sogenannten Anspannungstheorie bei der Unterhaltsfestsetzung auf das erzielbare Einkommen zu verweisen sei. Dessen Ermittlung und die abzugsfähigen besonderen Aufwendungen des Unterhaltsschuldners sind die wesentlichen Themen, zu denen das Berufungsgericht (zutreffend) eine Verfahrensergänzung für erforderlich hält. Die rechtserhebliche Rechtsfrage liegt nun darin, ob der Vater “anzuspannen" ist, obwohl er ohnehin bereit ist (und rechtskräftig dazu verpflichtet wurde), einen weit über dem Regelbedarf (seit dem 1. 7. 2001 288 EUR) liegenden Unterhaltsbeitrag zu leisten. Zu dieser Frage ist die oberstgerichtliche Rechtsprechung zumindest auf den ersten Blick nicht ganz widerspruchsfrei:

Einerseits wird die Ansicht vertreten, dass es grundsätzlich auch einem Unterhaltsverpflichteten jedenfalls so lange, als der angemessene Unterhalt seines Kindes durch die zuerkannte Leistung erheblich über dem Durchschnittsbedarf gedeckt wird, unbenommen bleiben muss, zur Befriedigung seines persönlichen Erholungs- und Freizeitbedürfnisses Zeitausgleich anstelle eines Überstundenentgelts zu wählen. Auch das Unterhaltsrecht verwehre dem Unterhaltspflichtigen nicht einen angemessenen Gestaltungsspielraum bei der Befriedigung seiner eigenen Lebensinteressen (1 Ob 21/98i). Dieser Grundsatz wird auch vertreten, wenn der Unterhaltsschuldner nur mehr teilzeitbeschäftigt arbeitete (1 Ob 78/00b; 3 Ob 118/01a). Im Gegensatz dazu liegt die Rechtsprechungslinie, dass der Unterhaltspflichtige auch über den Regelbedarf hinaus anzuspannen ist, wenn er auf Grund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten zu der Erzielung eines höheren Einkommens in der Lage wäre (RIS-Justiz RS0047487).

Schließlich wird auch die Ansicht vertreten, dass die Anwendung der Anspannungstheorie dahin begrenzt sei, dass nicht über den Unterhaltsbedarf hinaus angespannt werden dürfe (RS0047572: In den dort angeführten Entscheidungen wird diese Auffassung allerdings nicht näher begründet).

Hier liegt ein Sachverhalt vor, der mit demjenigen vergleichbar ist, der den Entscheidungen der zuerst angeführten Rechtsprechungslinie zu Grunde lag. Der Vater leistet mit dem rechtskräftig gewordenen Unterhaltsbeitrag einen erheblich über dem Durchschnittsbedarf (konkret: das 1,9-fache des Regelbedarfs) liegenden Unterhaltsbeitrag. Seine Arbeitstätigkeit ist mit derjenigen eines Teilzeitbeschäftigten vergleichbar (drei Monate im Jahr Urlaub). In der Entscheidung 3 Ob 118/01a (ein Zurückweisungsbeschluss) wurde trotz der Einschränkung des Beschäftigungsausmaßes auf 70 % die vom Rekursgericht verneinte Anspannung, weil der Vater ohnehin 5.000 S monatlich bei einem Durchschnittsbedarf von 3.830 S monatlich leistete, als im Einklang mit der oberstgerichtlichen Judikatur stehend beurteilt. Im vorliegenden Fall übersteigt der vom Vater angebotene Unterhaltsbeitrag den Durchschnittsbedarf wesentlich höher und erreicht ohnehin fast schon die sogenannte Luxusgrenze, die in einer variablen Bandbreite vom Zweifachen bis Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs angenommen wird (RS0007138). Dass ein Unterhaltspflichtiger allenfalls sogar bis zur “Luxusobergrenze" des Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs anzuspannen wäre, fände höchstens im schon zitierten RS0047487 Deckung, nicht aber in der näheren Begründung der unter diesem Rechtssatz angeführten Entscheidungen. Die zuletzt ergangene Entscheidung 7 Ob 78/00x lässt klar erkennen, worauf es bei der Anspannung über den Regelbedarf hinaus ankommt. Aus der Begründung dieser Entscheidung (mit weiteren Nachweisen) ist Folgendes hervorzuheben:

Aus § 140 ABGB ist die Obliegenheit des Unterhaltspflichtigen abzuleiten, im Interesse seines Kindes eine zumutbare Erwerbstätigkeit auszuüben. Die fahrlässige Unterlassung der zumutbaren Einkommensbemühung führt zur Heranziehung eines erzielbaren Einkommens als Unterhaltsbemessungsgrundlage. Was zumutbar ist, wird am Maßstab eines pflichtbewussten, rechtschaffenen Familienvaters gemessen (SZ 63/74; RS0047568). Ohne triftige Gründe darf eine gut entlohnte Beschäftigung nicht aufgegeben werden. Ein Berufswechsel, der mit Einkommenseinschränkungen verbunden ist, führt nur dann zu einer Einschränkung der Unterhaltsverpflichtung, wenn der Wechsel bei gleicher Sachlage auch von einem pflichtbewussten Familienvater vorgenommen worden wäre.

Ausgehend von diesen in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung vielfach vertretenen Grundsätzen ist eine Verweisung (Anspannung) auf das nur mit einem Ortswechsel über drei Monate erzielbare, fiktive Einkommen des Unterhaltsschuldners hier nicht gerechtfertigt:

Der Revisionsrekurswerber nimmt nicht ohne triftige Gründe einen unbezahlten Urlaub in Anspruch. Seine Begründung steht mit dem Verhalten eines pflichtbewussten Familienvaters nicht im Widerspruch. Der Revisionsrekurswerber verweist zunächst zutreffend auf den Umstand, dass er wiederverheiratet ist und dass die zeitweilige Versetzung auf einen anderen Dienstort sein Familienleben empfindlich beeinträchtigen würde. Die Aufrechterhaltung eines möglichst weitgehenden Kontaktes mit der Ehegattin wäre mit erheblichen Kosten verbunden. Dies steht schon nach den bisherigen Feststellungen fest. Auch das zweite Argument, dass die vorwiegend in den Abend- und Nachtstunden ausgeübte Hilfstätigkeit eines Croupiers schon grundsätzlich ein erhöhtes Urlaubsbedürfnis auslöst und ein zulässiges Motiv dafür sein kann, einen unbezahlten Urlaub auch über längere Zeit in Anspruch zu nehmen, anstatt die mit dem Ortswechsel naturgemäß verbundenen Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen, ist im Zusammenhang mit dem ersten Argument durchaus tragfähig, weil andernfalls zu den körperlichen und geistigen Anforderungen des Berufslebens die Zusatzbelastung durch vermehrte Reisen zwischen Hauptwohnsitz und Berufsort hinzukämen. Bei Würdigung des gesamten Sachverhalts würde einem Familienvater, der mit Frau und allenfalls mit Kindern im gemeinsamen Haushalt lebt, kein Vorwurf eines nicht maßstabgerechten Verhaltens gemacht werden können, wenn er - wie der Revisionsrekurswerber - die Urlaubsvariante wählt, solange er ohnehin in der Lage ist, die Unterhaltsbedürfnisse des Kindes bis nahe an die sogenannte Luxusgrenze zu befriedigen. Eine Anspannungsobliegenheit des Vaters ist daher zu verneinen. Die Sachverhaltsergänzung zur Ermittlung eines erzielbaren Einkommens des Unterhaltsschuldners ist demnach nicht erforderlich. Die Sache ist spruchreif im Sinne des berechtigten Revisionsrekurses.

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