Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss als nichtig aufgehoben.
Text
Begründung
Die Klägerin begehrte mit Mahnklage zunächst 9.598 S samt 18 % Zinsen seit 7. 4. 2000 aus "Warenlieferungen", wobei sie den Teilbetrag von 3.915 S als Kosten der außergerichtlichen Forderungsbetreibung, die sie näher aufschlüsselte, auswies und diesen Teilbetrag hilfsweise aus dem Titel des Schadenersatzes weiters hilfsweise als vorprozessuale Kosten geltend machte.
Das Erstgericht erließ einen Zahlungsbefehl über 5.683 S. Die Beklagte erhob gegen den Zahlungsbefehl Einspruch, weil sie den gesamten Kaufpreis für die bestellten Waren (ein PC-Notebook und eine CD-Brenner) bezahlt habe. Die Klägerin schränkte nun ihr Begehren auf 5.683 S (= 413 EUR) samt 18 % Zinsen ab 2. 1. 2000 ein und legte dar, dass dieser Betrag aus einer kontokorrentmäßigen Abrechnung des Ratenkaufs resultiere und daher Zinsen, Mahnspesen sowie eine Manipulationsgebühr beinhalte.
Das Erstgericht gab dem eingeschränkten Begehren (413 EUR) zur Gänze statt.
Das Berufungsgericht hob das Urteil hinsichtlich eines Teilbetrages von 77,80 EUR als nichtig auf und wies insoweit die Klage zurück, verhängte über die Klägerin eine Mutwillensstrafe von 800 EUR und hob das Urteil, das es im unbekämpften Teil (Zuspruch von 278,80 EUR) als Teilurteil aufrecht hielt, hinsichtlich eines Begehrens von 56,40 EUR auf und verwies insoweit die Rechtssache an das Erstgericht zurück. Es vertrat, soweit hinsichtlich der verhängten Mutwillensstrafe wesentlich, die Ansicht, dass die im Hauptbegehren enthaltenen Mahnspesen und die Manipulationsgebühr von zusammen 77,80 EUR nicht im Rechtsweg, sondern als vorprozessuale Kosten geltend zu machen seien. Die Klägerin habe versucht, sich über vorprozessuale Kosten einen Zahlungsbefehl zu erschleichen, sodass über sie gemäß § 448a Abs 1 ZPO eine Mutwillenstrafe zu verhängen sei.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobene Rekurs der Klägerin ist zulässig und berechtigt. Bei Ordnungs- und Mutwillensstrafen ist weder der Streitwert des Hauptverfahrens noch die Höhe der verhängten Strafe für die Rechtsmittelzulässigkeit ausschlaggebend. Gegenstand der Rechtsmittelrüge ist vielmehr die Bestrafung als solche, die einen Verweis beinhaltet und eine Missbilligung zum Ausdruck bringt (1 Ob 114/97i = JBl 1997, 790; 1 Ob 207/00y). Es handelt sich um einen Beschluss des Berufungsgerichtes außerhalb des Berufungsverfahrens, sodass auch der Rechtsmittelausschluss des § 519 ZPO nicht gilt (Kodek in Rechberger, ZPO2, § 519 Rz 3 mwN zu den vergleichbaren Ordnungsstrafen). Es liegt - wie bei der Verhängung einer Ordnungsstrafe durch das Berufungs- oder Rekursgericht - einer der Fälle vor, in denen das Gericht zweiter Instanz wie ein Gericht erster Instanz entscheidet und gegen dessen Beschluss der Rechtszug an den Obersten Gerichtshof geht (3 Ob 520/91 mwN). Die Zivilprozessordnung kennt verschiedene Fälle, in denen Mutwillensstrafen zu verhängen sind. Gegen denjenigen, der durch unrichtige oder unvollständige Angaben im Vermögensbekenntnis die Verfahrenshilfe erschleicht, hat das Prozessgericht erster Instanz eine Mutwillensstrafe zu verhängen (§ 69 Satz 1 ZPO). Eine Partei, welche die Echtheit einer Urkunde in mutwilliger Weise bestritten hat, ist in eine Mutwillensstrafe zu verfällen (§ 313 ZPO). Wenn ein Zeuge die Aussage nicht nur ungerechtfertigt, sondern mutwillig verweigert, ist gegen ihn außer der Haftung für dadurch verursachte Schäden überdies vom erkennenden Gericht oder auch vom ersuchten Richter eine Mutwillensstrafe zu verhängen (§ 326 Abs 3 ZPO). Ähnlich ist auch ein Sachverständiger bei mutwilliger Verweigerung der Abgabe des Gutachtens in eine Mutwillensstrafe zu verfällen (§ 354 Abs 1 iVm § 326 ZPO). Findet der Oberste Gerichtshof, dass eine Revision mutwillig oder nur zur Verzögerung angebracht wurde, ist gegen den Revisionswerber auf eine Mutwillensstrafe zu erkennen (§ 512 ZPO). Findet ein Rekursgericht, dass ein gegen den Beschluss eines Gerichtes zweiter Instanz erhobener Rekurs mutwillig oder nur zur Verzögerung der Sache angebracht wurde, ist gegen den "Beschwerdeführer" auf eine Mutwillensstrafe zu erkennen (§ 528 Abs 4 ZPO). Findet schließlich ein Gericht, dass die unterliegende Prozesspartei offenbar mutwillig Prozess geführt hat, so kann es diese Partei auf Antrag der obsiegenden Partei zur Leistung eines entsprechenden, nach freier Überzeugung zu bestimmenden Entschädigungsbetrages verurteilen (§ 408 Abs 1 und 3 ZPO). Wissentlich unwahre Parteibehauptungen in einem Zivilprozess stellen unter Umständen einen "Prozessbetrug" dar (§ 146 StGB). Durch Art VI der EO-Novelle 1995, BGBl 1995/519, wurde mit Wirkung vom 1. 10. 1995 § 448a in die ZPO eingefügt. Nach dessen Abs 1 hat das Prozessgericht über die klagende Partei eine Mutwillensstrafe von mindestens 70 EUR (der Betrag von ursprünglich 1.000 S wurde durch Art 94 Z 10 des zweiten Euro-Justizbegleitgesetzes durch 70 EUR ersetzt) zu verhängen, wenn sie durch unrichtige oder unvollständige Angaben in der Klage die Erlassung eines bedingten Zahlungsbefehls erschlichen hat oder zu erschleichen versucht, insbesondere durch die Geltendmachung einer Nebenforderung im Sinn des § 54 Abs 2 JN als Teil der Hauptforderung. § 448a ZPO ist nach seiner Stellung im Gesetz eine Sondervorschrift für das Verfahren vor den Bezirksgerichten (Dritter Teil der ZPO) und speziell für das dort geregelte Mahnverfahren. Eine mit § 448a ZPO vergleichbare Vorschrift findet sich im Zweiten Teil der ZPO über das Verfahren vor den Gerichtshöfen erster Instanz aber nicht. Gemäß § 463 Abs 1 ZPO sind auf das Berufungsverfahren die Vorschriften über das Verfahren vor Gerichtshöfen erster Instanz insoweit anzuwenden, als sich nicht aus den nachfolgenden Bestimmungen Abweichungen ergeben. Auch im Vierten Teil der ZPO (Rechtsmittel) ist keine dem § 448a ZPO entsprechende Bestimmung vorhanden. Die Sondervorschriften über das bezirksgerichtliche Verfahren bzw das Mahnverfahren sind im Rechtsmittelverfahren auch nicht subsidiär anzuwenden. Daraus folgt, dass § 448a ZPO im Berufungsverfahren nicht anzuwenden ist und das Berufungsgericht nicht die zur Verhängung einer Mutwillensstrafe nach § 448a Abs 1 ZPO zuständige "Strafbehörde" erster Instanz darstellt. Der Zahlungsbefehl tritt mit der rechtzeitigen Erhebung des Einspruchs außer Kraft (§ 452 Abs 1 Satz 1 ZPO). Das Gericht zweiter Instanz hat demnach im Berufungsverfahren auch nicht den Zahlungsbefehl oder dessen Zustandekommen zu überprüfen, sondern das angefochtene, über das Klagebegehren absprechende Urteil und das zu seiner Erlassung führende Verfahren. Es ist ihm aber anlässlich der Erledigung der Berufung verwehrt, nach § 448a Abs 1 ZPO eine Mutwillensstrafe zu verhängen, zu der das Prozessgericht erster Instanz keine Veranlassung sah. Die - hier noch nicht anzuwendende - Zivilverfahrens Novelle 2002 I 2002/76, regelt ab 1. 1. 2003 das Mahnverfahren im Zweiten Teil der ZPO, also im Gerichtshofverfahren: Diese neue Regelung des Mahnverfahrens soll grundsätzlich sowohl für den Zahlungsbefehl im Gerichtshofverfahren als auch vor dem Bezirksgericht gelten; § 448 ZPO enthält nur mehr die abweichenden Sonderregelungen für das bezirksgerichtliche Mahnverfahren (RV 962 BlgNR 21. GP, 30). Die Bestimmung des § 448a Abs 1 ZPO, der aufhoben wird, findet sich dann im § 245 Abs 1 ZPO, allerdings mit der Änderung "hat das Gericht ..."
statt bisher "hat das Prozessgericht". Die Mutwillensstrafe für die (versuchte) Erschleichung eines Zahlungsbefehls wird dann nicht mehr eine Besonderheit des bezirksgerichtlichen Verfahrens sein. Inwieweit die oben angestellten Überlegungen zur Unzulässigkeit der Verhängung der Mutwillensstrafe nach § 245 Abs 1 ZPO durch das Berufungsgericht weiterhin gültig sein werden, ist hier ebenso wenig zu untersuchen wie die im vorliegenden Fall offen liegende Problematik der Verhängung einer Mutwillensstrafe durch das Berufungsgericht in nichtöffentlicher Sitzung und ohne vorherige Anhörung der betroffenen Partei.
Die Verhängung einer Mutwillensstrafe im Rahmen des Mahnverfahrens nach § 448a ZPO oblag ausschließlich dem für das Hauptverfahren zuständigen Gericht erster Instanz. Der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichtes ist daher infolge (unheilbarer) funktioneller Unzuständigkeit gemäß § 514 Abs 2 ZPO iVm § 477 Abs 1 Z 3 ZPO nichtig.
Dem dagegen von der Klägerin erhobenen Rekurs, in dem sie auf die funktionelle Unzuständigkeit des Berufungsgerichtes zur Verhängung einer Mutwillenstrafe nach § 448a Abs 1 ZPO hingewiesen hat, war daher Folge zu geben und der Beschluss aufzuheben.
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