OGH 10ObS153/02a

OGH10ObS153/02a28.5.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Prof. Dr. Elmar Peterlunger (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Theresia Z*****, Landwirtin, ***** vertreten durch Dr. Franz Wielander, Rechtsanwalt in Gmünd, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegagasse 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Jänner 2002, GZ 10 Rs 450/01x-34, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom 22. Mai 2001, GZ 7 Cgs 116/00t-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache, dass die Klägerin nicht erwerbsunfähig im Sinn des für sie maßgebenden § 124 Abs 1 BSVG ist, ist zutreffend, sodass auf deren Richtigkeit verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO). Den Revisionsausführungen ist noch Folgendes entgegenzuhalten:

Der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit nach dem BSVG ist ebenso wie der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit nach dem ASVG auch dann eingetreten, wenn der Versicherte (aus medizinischen Gründen) nicht mehr imstande ist, in zumutbarer Weise einen Arbeitsplatz zu erreichen. Ob diese Voraussetzung besteht, ist eine Rechtsfrage, die ausgehend von den Tatsachenfeststellungen über die körperlichen und geistigen Einschränkungen des Versicherten zu klären ist. Es sind dazu Feststellungen erforderlich, welche Strecke der Versicherte zu Fuß zu bewältigen imstande ist, ob er in der Lage ist, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen und welche Behinderungen dabei allenfalls bestehen (RIS-Justiz RS0085098). Nach der Rechtsprechung ist ein Versicherter solange nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, als er ohne wesentliche Einschränkungen ein öffentliches Verkehrsmittel benützen und vorher sowie nachher ohne zumutbare Pausen eine Wegstrecke von jeweils 500 m zurücklegen kann (SSV-NF 10/17; 6/109; 5/39 uva; RIS-Justiz RS0085049). Es ist nicht strittig, dass die Klägerin gesundheitlich in der Lage ist, diesen in Österreich herrschenden durchschnittlichen Anforderungen hinsichtlich der Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen nachzukommen. Strittig ist lediglich, ob die Klägerin aufgrund ihres außerhalb eines geschlossenen Siedlungsgebietes in einer kleinen Ortschaft gelegenen Wohnortes, der über keinen entsprechenden Anschluss an öffentliche Verkehrsmittel verfügt, imstande ist, in zumutbarer Weise einen Arbeitsplatz zu erreichen. Bei Beurteilung dieser Frage kommt es grundsätzlich nicht auf die Verhältnisse am Wohnort des Versicherten, sondern auf die Verhältnisse am allgemeinen Arbeitsmarkt an, weil der Versicherte sonst durch die Wahl seines Wohnortes die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pension beeinflussen könnte. Die Tatsache, dass der aktuelle Wohnort des Versicherten abgelegen ist, hat daher als persönliches Moment ebenso wie andere persönliche Umstände wie etwa die mangelhafte Beherrschung der Landessprache bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich außer Betracht zu bleiben (SSV-NF 7/126; 3/142; 2/105; 10 ObS 120/90 ua; RIS-Justiz RS0085017, RS0084871). Sofern nicht medizinische Gründe entgegenstehen, hat der Versicherte daher durch entsprechende Wahl seines Wohnortes, allenfalls Wochenpendeln, die Bedingungen für die Erreichung des Arbeitsplatzes herzustellen, die für Arbeitnehmer im Allgemeinen gegeben sind (SSV-NF 14/7; 2/105 und 145 mwN ua; RIS-Justiz RS0085017). Ferner ist vom Versicherten zu verlangen, dass er ein öffentliches Verkehrsmittel benützt, wenn ihm dies aufgrund seines körperlichen und geistigen Zustandes zugemutet werden kann (SSV-NF 2/105).

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist der Klägerin nur Tagespendeln, nicht aber auch Wochenpendeln und Übersiedeln möglich. Ungefähr 500 bis 600 m vom landwirtschaftlichen Anwesen der Klägerin entfernt befindet sich eine Haltestelle der Schmalspurbahn Groß Gerungs - Gmünd, wobei allerdings im Mai 2001 der Personenverkehr auf dieser Bahnlinie eingestellt wurde. In einer Entfernung von ca 5 km befindet sich in Langschlag eine Autobushaltestelle, von der aus man an jedem Werktag in der Früh mit dem Bus nach Groß Gerungs und Zwettl sowie am späten Nachmittag wieder zurückfahren kann. Im Haushalt der Klägerin ist auch ein PKW vorhanden und es verfügen sowohl die Klägerin als auch ihr Gatte über eine entsprechende Lenkerberechtigung. Der Gatte der Klägerin ist seit 1981 nicht mehr erwerbstätig und bezieht seit dem 1. 8. 2001 eine Pension. Mit dem PKW kann in einer Fahrzeit von maximal 45 Minuten eine Reihe größerer Orte mit einer entsprechenden Anzahl von Arbeitsplätzen erreicht werden.

In der in SSV-NF 3/142 (= SZ 62/165) veröffentlichten Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass für einen Versicherten, der (aus gesundheitlichen Gründen) nicht in der Lage ist, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen, keine Verpflichtung besteht, den Weg zum Arbeitsplatz mit dem eigenen Kraftfahrzeug zurückzulegen. Diese Rechtsauffassung wurde vor allem damit begründet, dass sonst vom Versicherten, der bereits den überwiegenden Teil der Anschaffungskosten für den PKW getragen hatte, unter Berücksichtigung der regelmäßigen Betriebskosten des Fahrzeuges für die Zurücklegung des Weges zum Arbeitsplatz ein finanzieller Einsatz verlangt würde, der erheblich über dem der Mehrheit der Versicherten liegt, denen die Möglichkeit zur Verfügung steht, ein öffentliches Verkehrsmittel zum Arbeitsplatz zu benützen. Ist hingegen der Wohnort des Versicherten - wie im vorliegenden Fall - abgelegen und daher durch öffentliche Verkehrsmittel kaum oder nur schlecht erschlossen, sodass die Wege zum und vom Arbeitsplatz bzw zum und vom nächsten öffentlichen Verkehrsmittel üblicherweise mit dem privaten Fahrzeug zurückgelegt werden, ist auch zu berücksichtigen, ob der Versicherte die Wege zwischen seiner Wohnung und der Arbeitsstätte, gegebenenfalls zur Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels, in zumutbarer Weise mit einem privaten Fahrzeug zurücklegen kann (SSV-NF 7/18). In letzterem Fall war dem damaligen Kläger nach seinem Vorbringen die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels nicht aus medizinischen Gründen, sondern aufgrund seines abgelegenen Wohnortes (Entfernung zur nächsten Autobushaltestelle rund 6 km) nicht möglich. Der Versicherte konnte daher - wie auch im vorliegenden Fall die Klägerin - die Wege zwischen seiner Wohnung und der Arbeitsstätte - gegebenenfalls zur Haltestelle des öffentlichen Verkehrsmittels - in zumutbarer Weise nur unter Verwendung seines privaten PKW zurücklegen. In einem solchen Fall kommt auch das in der Entscheidung SSV-NF 3/142 dargestellte Kostenargument nicht zum Tragen, weil alle Versicherten in vergleichbarer Situation zum Erreichen ihres Arbeitsplatzes auf die Verwendung eines privaten Fahrzeuges angewiesen sind. Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die im vorliegenden Fall zu beurteilende Situation der Klägerin dem der Entscheidung SSV-NF 7/18 zugrunde liegenden Sachverhalt vergleichbar ist. Es ist daher auch im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die Klägerin die Wege zur und von der Arbeitsstätte, gegebenenfalls zur nächstgelegenen Autobushaltestelle, in zumutbarer Weise mit dem privaten PKW zurücklegen kann. Das Berufungsgericht hat diese Frage zutreffend bejaht und darauf hingewiesen, dass es beispielsweise möglich wäre, dass an jenen Tagen, an welchen der Ehemann der Klägerin den PKW selbst (etwa für Einkaufsfahrten oder Arztwege) benötigt, er seine Gattin in der Früh zur nächstgelegenen Autobushaltestelle bringt und am Abend dort wieder abholt. An den anderen Tagen könnte die Klägerin mit dem PKW direkt zur Arbeitsstätte fahren. Die von der Revisionswerberin dagegen vorgetragenen Argumente überzeugen nicht, zumal ihrem Ehemann entgegen den Revisionsausführungen damit nicht zugemutet wird, seine Gattin - täglich - zur Arbeitsstätte zu bringen. Auch die von der Revisionswerberin befürchtete Schlechterstellung von Pensionswerbern aus dem ländlichen Raum ist nicht gegeben, da auch der ländliche Raum weitgehend durch öffentliche Verkehrsmittel erschlossen ist und mit der vom erkennenden Senat vertretenen Ansicht lediglich dem Umstand Rechnung getragen wird, dass bei abgelegenen Wohnorten der übliche Weg zum Arbeitsplatz von den Arbeitnehmern allgemein oftmals nur durch die Verwendung eines eigenen Fahrzeuges in zumutbarer Weise bewältigt werden kann. Es liegt insoweit auch keine für die Klägerin überraschende Rechtsansicht der Vorinstanzen vor, da die vom Berufungsgericht im ersten Rechtsgang vorgenommene Aufhebung des Ersturteils vor allem auch zur Klärung der Frage erfolgte, ob der Klägerin unter Berücksichtigung ihres Wohnortes auf dem durch Tagespendeln für sie erreichbaren Teilarbeitsmarkt eine ausreichende Anzahl von adäquaten Arbeitsplätzen zur Verfügung steht. Dass es in der betreffenden Region für der Klägerin an sich noch zumutbare Verweisungstätigkeiten eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt, wird auch in der Revision nicht mehr in Zweifel gezogen. Die Vorinstanzen haben daher eine Erwerbsunfähigkeit der Klägerin im Sinne des § 124 Abs 1 BSVG zutreffend verneint.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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