OGH 4Ob96/02z

OGH4Ob96/02z28.5.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.-Ing. Helmut E*****, vertreten durch Draxler & Partner Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Gebietskrankenkasse S*****, vertreten durch Dr. Johannes Honsig-Erlenburg, Rechtsanwalt in Salzburg, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei C*****, vertreten durch Dr. Peter Zumtobel, Dr. Harald Kronberger und Dr. Clemens Thiele, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 177.953,82 EUR, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 15. Jänner 2002, GZ 4 R 223/01v-17, womit das Zwischenurteil des Landesgerichtes Salzburg vom 16. August 2001, GZ 6 Cg 241/00w-10, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Im Rahmen der Revitalisierung eines ihrer Erholungsheime hatte die Beklagte die Vergabe der örtlichen Bauaufsicht im offenen Verfahren nach § 19 Abs 1 BVergG ausgeschrieben. Zur Durchführung des Vergabeverfahrens bediente sie sich der Nebenintervenientin. Der Kläger hatte sich mit zwei weiteren Interessenten zu einer Bietergemeinschaft zusammengeschlossen. Die Zuschlagserteilung erfolgte schließlich an die Bieterin A*****. In dem von den Mitgliedern der übergangenen Bietergemeinschaft angestrengten Nachprüfungsverfahren stellte das Bundesvergabeamt mit Bescheid vom 5. 10. 1998, GZ F-5/98-17, fest, dass der Zuschlag wegen der im Bescheid im Einzelnen angegebenen Verletzungen des Bundesvergabegesetzes nicht dem Bestbieter erteilt wurde. Den Antrag der hier Beklagten auf Feststellung, dass die Antragstellerin (Bietergemeinschaft) auch bei Einhaltung der Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes und der dazu ergangenen Verordnungen keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlags gehabt hätte, wies es ab. In seiner Bescheidbegründung ging das Bundesvergabeamt davon aus, dass die Bietergemeinschaft bei gesetzeskonformer Vorgangsweise der Auftraggeberin als Bestbieterin zu beurteilen gewesen wäre. Dies deshalb, weil die zu ihren Lasten vorgenommenen Punkteabzüge von zusammen 10 Punkten rechtswidrig gewesen seien und ihre Bewertung nur 3,05 Punkte unter jener des Zuschlagsempfängers gelegen sei. Der Verfassungsgerichtshof wies die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der Beklagten ab (Erkenntnis vom 28. 2. 2000, B 2184/98).

Der Kläger macht nun eigene und ihm von den beiden anderen Mitgliedern der Bietergemeinschaft zum Inkasso abgetretene Schadenersatzansprüche geltend. Er beruft sich auf den Bescheid des Bundesvergabeamts und begehrt Ersatz des Erfüllungsinteresses wegen Verletzung des Bundesvergabegesetzes. Bei korrekter - dem Gesetz entsprechender - Vorgangsweise hätte die Beklagte den Zuschlag der Bietergemeinschaft als Bestbieterin erteilen müssen. Aufgrund der Entscheidung des Bundesvergabeamtes stehe die Rechtswidrigkeit der Anbotsbewertung ebenso wie die Bestbieterstellung der Bietergemeinschaft für das Gericht bindend fest.

Die Beklagte und die auf ihrer Seite beigetretene Nebenintervenientin beantragten Klageabweisung. Die Bietergemeinschaft sei weder Bestbieter noch werde ihre Bestbietereigenschaft durch die Entscheidung des Bundesvergabeamts bindend festgestellt. Eine Bindung der Gerichte an derartige Bescheide bestehe nur insoweit, als diese eine Verletzung des Bundesvergabegesetzes durch die Auftragserteilung feststellen. Sollte dem Bescheid des Bundesvergabeamts in Anbetracht der Feststellung des Bestbieters Bindungswirkung zukommen, sei er rechtswidrig. Die Klägerin könne nur die in § 122 Abs 1 BVergG angeführten Ansprüche (Ersatz der Kosten der Anboterstellung und der durch Teilnahme am Vergabeverfahren entstandenen Kosten) geltend machen.

Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass die Ansprüche des Klägers dem Grunde nach zu Recht bestehen. Die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen übergangener Bieter setze ein Feststellungsverfahren vor dem Bundesvergabeamt voraus, an dessen Feststellungen die Gerichte gebunden seien. Von der Bindungswirkung sei nicht nur der Spruch, sondern auch die diesen individualisierenden tragenden Entscheidungsgründe umfasst. Für die Entscheidung des Bundesvergabeamts sei im vorliegenden Fall auch die in den Gründen angeführte Schlussfolgerung maßgeblich gewesen, dass bei gesetzeskonformer Vorgangsweise die Bestbieterstellung der Bietergemeinschaft anzunehmen gewesen wäre. An diese Schlussfolgerung sei auch das Gericht gebunden.

Das Berufungsgericht hob das Zwischenurteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es sprach aus, der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO zulässig, weil zum Umfang der Bindungswirkung des Bescheids des Bundesvergabeamts gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle. Strittig sei, ob die vom Kläger behauptete Bestbietereigenschaft durch den Bescheid des Bundesvergabeamts für das Gericht bindend festgestellt sei oder ob das Gericht dazu selbständige Feststellungen nach Durchführung eines Beweisverfahrens zu treffen habe. Für die vom Bundesvergabeamt hier ausgesprochene Abweisung des Antrags auf Feststellung, dass die klagende Bietergemeinschaft keine echte Chance auf Zuschlagserteilung gehabt habe, sei die Feststellung der Bestbietereigenschaft der "klägerischen Bietergemeinschaft keine notwendige, sondern eine überschießende Feststellung". Es hätte ausgereicht, dass die Bietergemeinschaft eine echte Chance auf Zuschlagerteilung gehabt habe. Ob sie auch Bestbieter gewesen wäre, hätte auf diese Entscheidung keinen Einfluss gehabt. Im Übrigen handle es sich bei dieser Schlussfolgerung des Bundesvergabeamts um rechtliche Beurteilung und nicht um eine Sachverhaltsfeststellung als Ergebnis richterlicher Beweiswürdigung im Sinne des § 272 ZPO. Zur Beurteilung der vom Kläger behaupteten Bestbietereigenschaft bedürfe es daher eines gerichtlichen Beweisverfahrens und einer entsprechenden Sachverhaltsfeststellung, die das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren zu treffen habe.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Klägers ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Rekurswerber verkennt nicht, dass das Bundesvergabeamt nicht zur positiven Bestbieterprüfung bzw -feststellung berufen und verpflichtet ist. Er meint aber, eine derartige Feststellung bezüglich der Nachprüfungswerberin sei jedenfalls beachtlich und binde das angerufene Gericht. Wenngleich die Frage, ob die Nachprüfungswerberin eine echte Chance auf Zuschlagserteilung gehabt hätte, keinen Rückschluss auf ihre Bestbieterstellung zulasse, ändere dies nichts daran, dass das Bundesvergabeamt hier Punkt I und II seiner Entscheidung damit begründet habe, dass der Bietergemeinschaft Bestbieterstellung zukomme. Die Bestbieterstellung sei somit tragende Begründung seiner Entscheidung geworden und keineswegs nur als überschießende Feststellung anzusehen. Das Berufungsgericht habe demnach die Bindungswirkung an die Entscheidung des Bundesvergabeamts zu Unrecht verneint. Dem ist nicht zu folgen.

Der Kläger begehrt entgangenen Gewinn und Ersatz der Aufwendungen des Nachprüfungsverfahrens. Lehre und Rechtsprechung bejahen einen Anspruch des übergangenen Bieters auf Ersatz des Erfüllungsinteresses aufgrund schuldhafter Verletzung des Bundesvergabegesetzes oder der hiezu ergangenen Verordnungen unter der Voraussetzung, das der Zuschlag ihm als Bestbieter hätte erteilt werden müssen (Heid, Vergabeverstoß und Schadenersatz, ecolex 1996, 7 ff; Brinker/Roniger/Punz/Vock, Österreichisches Vergaberecht (1999) Rz 390; Rummel, Zivilrechtliche Probleme des Vergaberechts, ÖZW 1999, 1 [11 f]; Diregger, Gibt es nach dem Bundesvergabegesetz eine "echte Chance" auf Schadenersatz?, WBl 2000, 442 ff [447 f]; SZ 67/182; SZ 71/133; ecolex 2000/205 [Wilhelm]; JBl 2002, 117 [Rummel]). Zulässigkeitsvoraussetzung für die Geltendmachung eines auf die Verletzung von Vergabevorschriften gegründeten Schadenersatzanspruchs ist nach § 125 Abs 2 BVergG die vorhergehende Feststellung des Bundesvergabeamts nach § 113 Abs 3 BVergG (Elsner, Vergaberecht Rz B 208; Diregger aaO 448; ZVB 2002, 10 ff [Öhler/Schramm 13] = JBl 2002, 117 [Rummel]). Danach hat das Bundesvergabeamt festzustellen, ob wegen eines Verstoßes gegen die Bestimmung des Bundesvergabegesetzes und der dazu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde. Diese Feststellung ist nach § 125 Abs 2 letzter Satz für die Zivilgerichte bindend (WBl 2000/316 = ecolex 2000/205; Elsner, Vergaberecht Rz A 171).

Allerdings ordnet § 125 Abs 2 letzter Satz Bundesvergabegesetz eine Bindung der Zivilgerichte nur für "Feststellungen des Bundesvergabeamts gemäß § 113 Abs 3", somit für die Feststellung an, dass der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde (und dass ein übergangener Bewerber oder Bieter keine echten Chancen auf Erteilung des Zuschlags gehabt habe). Nach dieser Formulierung bleibt zu prüfen, ob eine vom Bundesvergabeamt wie im vorliegenden Fall in den Entscheidungsgründen getroffene Feststellung, der Zuschlag sei deshalb nicht dem Bestbieter erteilt worden, weil der nunmehrige (Schadenersatz)Kläger Bestbieter gewesen sei, das Gericht binde. Dies ist zu verneinen:

Angesichts der in den Gesetzesmaterialien angestrebten Entlastung der Gerichte (EB 1993 zu § 102 abgedruckt in Elsner, Vergaberecht Rz B 211; Diregger aaO 449) wäre eine derartige Ausweitung der Bindungswirkung zwar durchaus nicht unvernünftig, stünde allerdings zu den in Lehre und Rechtsprechung zur Bindungswirkung verwaltungsbehördlicher Bescheide vertretenen Grundsätzen in Widerspruch (siehe dazu Fucik in Rechberger ZPO² § 190 Rz 5; Fasching, Lehrbuch² Rz 95 f). Diese Grundsätze werden zwar für das Vergabeverfahren durch § 125 Abs 2 letzter Satz iVm den in § 113 Abs 3 BVergG angeführten Feststellungen des Bundesvergabeamts durchbrochen, eine weitergehende Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesvergabeamts ordnet das Gesetz hingegen nicht an. Es sieht insbesondere auch nicht vor, dass das Bundesvergabeamt über die Frage, wer Bestbieter ist, eine Entscheidung zu treffen hätte. Auch das Bundesvergabeamt vertritt selbst die Auffassung, die Bestbietereigenschaft sei nach Zuschlagserteilung nur mehr als eine für die Klärung von Schadenersatzansprüchen relevante Tatsache anzusehen, zu deren bescheidmäßiger Feststellung es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage mangle. Das Bundesvergabeamt sei daher zur bescheidmäßigen Feststellung des Bestbieters nach Abschluss des Vergabeverfahrens nicht zuständig (BVA vom 29. 11. 1999, N 37/99-16). Auch Rummel weist in seiner Entscheidungsbesprechung zu 7 Ob 200/00p (JBl 2002, 117 [120]) zutreffend darauf hin, dass eine Bindung an Feststellungen, die bloß in den Gründen, nicht aber im Spruch des Bescheids ihren Niederschlag gefunden haben, ganz allgemein ausgeschlossen ist. Auch er bezweifelt angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 113 Abs 3 BVergG die Kompetenz des Bundesvergabeamts, die Bestbietereigenschaft positiv festzustellen. Diese Zweifel werden auch durch die Materialien zu § 113 BVergG verstärkt (AB 1996 zu § 91 Abs 3, abgedruckt in Elsner, Vergaberecht Rz B 199), wonach die Neuformulierung der Zuständigkeit des Bundesvergabeamts eine rasche Entscheidung dieser Behörde gewährleisten soll. In der Praxis habe sich nämlich erwiesen, dass eine negative Feststellung (ob jemand den Zuschlag keinesfalls erhalten hätte) einfacher zu treffen sei als eine positive Feststellung, die oft aufwändige Sachverständigengutachten erfordere. Gerade dieses vom Gesetzgeber nicht gewünschte aufwändige Verfahren wäre aber in aller Regel zur Feststellung der Bestbietereigenschaft erforderlich.

Auch der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung 7 Ob 200/00p (JBl 2002, 117 [Rummel] = ZVB 2002, 10 [Öhler/Schramm] = RdA 2001, 148 [Bock]) im Zusammenhang mit der Prüfung der Voraussetzungen des Nichterfüllungsschadens im Vergaberecht erkannt, dass aus der nach § 113 Abs 3 BVergG getroffenen Feststellung keine inhaltliche Bindung zur Frage abgeleitet werden kann, wer "positiv" als Bestbieter anzusehen ist. An dieser Auffassung wird aus den bereits angeführten Gründen festgehalten.

Im vorliegenden Fall steht daher noch nicht fest, ob die Bietergemeinschaft, der der Kläger angehörte, Bestbieterin gewesen wäre. Diese für den hier begehrten Zuspruch des Erfüllungsinteresses maßgebliche Frage wird durch das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren über den Schadenersatzanspruch zu beurteilen sein.

Dem gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts erhobenen Rekurs der Klägerin wird der Erfolg versagt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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