OGH 9ObA120/02s

OGH9ObA120/02s22.5.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Gerhard Prochaska und MinRat Mag. Genser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dirk *, Angestellter, *, vertreten durch Dr. Thomas Wanek und Dr. Helmut Hoberger, Rechtsanwälte in Perchtoldsdorf, gegen die beklagte Partei W* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 78,24 netto und EUR 7.223,28 brutto sA (Revisionsinteresse EUR 7.223,28 brutto) über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 22. Februar 2002, GZ 9 Ra 278/01w‑27, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wr. Neustadt als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 11. Juni 2001, GZ 4 Cga 161/00s‑23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2002:E65957

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 499,39 bestimmten Kosten des Revisionsverfahren (darin EUR 83,23 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Der Kläger war bei der beklagten Versicherung vom 1. 4. 1999 bis zu seiner Entlassung am 11. 4. 2000 als Vertriebsassistent angestellt. Er war damit betraut, die Außendienstmitarbeiter, aber auch Innendienstmitarbeiter, zu betreuen. Er hatte die von ihm betreuten Mitarbeiter in den einzelnen Beratungsstellen des Unternehmens zu beraten und zu schulen. Vor allem war er für das "Coaching des Außendienstes" zuständig. Im Rahmen der Einschulung der Mitarbeiter musste er auch Kunden besuchen. Er bekleidete eine "Führungskraftposition"; in seiner Funktion war er Vorgesetzter von durchschnittlich 20 Außendienstmitarbeitern. Im Rahmen sogenannter "Field‑Einsätze" hatte er die Qualifikation der ihm unterstellten Mitarbeiter zu verbessern. Zum Teil übte er seine Tätigkeit in seinem Büro am Dienstort in W* aus; im Vordergrund standen aber Außendiensttätigkeiten. Zu diesem Zweck war ihm auch ein Dienstfahrzeug zur Verfügung gestellt worden, das er auch für Privatfahrten nutzen konnte. Beruflich legte er damit durchschnittlich 300 km pro Arbeitswoche zurück.

Am 8. 4. 2000 wurde der Kläger um 2.15 Uhr früh von Polizeibeamten zu einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle angehalten. Da einer der Beamten bei ihm erheblichen Alkoholgeruch feststellte, wurde er aufgefordert, sich einem Alkoholtest zu unterziehen. Nachdem sich der Kläger zunächst damit einverstanden erklärt hatte, verweigerte er im Wachzimmer die Durchführung des Tests. Daraufhin wurde ihm der Führerschein bis 8. 8. 2000 (also für die Dauer von vier Monaten) entzogen.

Der Kläger informierte davon seinen Vorgesetzten, demgegenüber er sich schuldeinsichtig zeigte und erklärte, das Dienstfahrzeug alkoholisiert gelenkt zu haben. Daraufhin sprach die Beklagte am 11. 4. 2000 die Entlassung aus.

Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, die Entlassung sei berechtigt erfolgt, ist zutreffend. Es reicht daher aus, insofern auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist auszuführen:

 

Rechtliche Beurteilung

Der vom Berufungsgericht angesprochene Entlassungsgrund des § 27 Z 2 AngG ist verwirklicht, wenn der Angestellte unfähig ist, die versprochenen oder die den Umständen nach angemessenen Dienste zu leisten. Lehre und Rechtsprechung verlangen eine "dauernde" (also nicht bloß vorübergehende) Dienstunfähigkeit des Angestellten, die dann anzunehmen ist, wenn die Verhinderung nicht bloß kurzfristig und vorübergehend, sondern - wenngleich in ihrem zeitlichen Ausmaß vorhersehbar - von so langer Dauer ist, dass dem Arbeitgeber nach den Umständen des Falles eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (Arb 10.108; RIS‑Justiz RS0029336; zuletzt 9 ObA 68/02v).

Dass bei einem Angestellten, der für die Erfüllung seiner Aufgaben auf die Benützung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist, der Entzug des Führerscheins Dienstunfähigkeit iS dieser Ausführungen begründen kann, entspricht ebenfalls der herrschenden Rechtsprechung (Arb 10.108; Pfeil in Schwimann ABGB VI2 Rz 82 zu § 1162 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Der Einwand des Revisionswerbers, dass in den einschlägigen Vorentscheidungen die Alkoholisierung beträchtlich gewesen sei, während der Kläger nicht erheblich alkoholisiert gewesen sei, geht am Kern der Sache vorbei, weil für die Frage, wie weit dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Angestellten trotz der weitgehenden Dienstunfähigkeit zumutbar ist, die Höhe der Alkoholisierung nicht entscheidend ist. Dass die in der Revision zitierten Vorentscheidungen Fälle betrafen, in denen dem entlassenen Angestellten der Führerschein für längere Zeit (6 bzw 10 Monate) entzogen wurde, trifft zu; dies ändert aber nichts daran, dass auch hier angesichts der festgestellten Aufgaben des Klägers dem Arbeitgeber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch vier Monate nicht zumutbar war. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Angestellten für die Dauer der (selbstverschuldeten) Dienstunfähigkeit eine andere als die bisher ausgeübte Tätigkeit zuzuweisen, besteht nicht (ArbSlg 10.108). Dass der Kläger nicht ausschließlich im Außendienst tätig war, ist nicht entscheidend, zumal feststeht, dass die Außendiensttätigkeit bei ihm im Vordergrund stand, womit jedenfalls seine Dienstunfähigkeit durch den Führerscheinentzug ganz erheblich vermindert war (vgl dazu auch den der Entscheidung Arb 10.108 zugrunde liegenden Sachverhalt).

Im Übrigen erachtet der Oberste Gerichtshof auch den vom Erstgericht herangezogenen Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit (§ 27 Z 1 letzter Fall AngG) als gerechtfertigt. Dieser Entlassungsgrund kann auch durch außerdienstliche Handlungen des Angestellten verwirklicht werden, soweit sein Verhalten geeignet ist, sich auf das Arbeitsverhältnis auszuwirken und das dienstliche Vertrauen des Arbeitgebers in objektiv nachvollziehbarer Weise zu beeinträchtigen (RIS‑Justiz RS0029333; zuletzt etwa 9 ObA 167/99w; 9 ObA 267/98z). Dies ist hier zu bejahen, weil gerade dem Kläger als Führungskraft im Rahmen der Mitarbeiterausbildung eine Vorbildwirkung zugekommen ist, die durch Verweigerung des Alkotests und die dadurch bewirkte mehrmonatige Unmöglichkeit, trotz dienstlicher Notwendigkeit ein Kraftfahrzeug zu lenken, erheblich beeinträchtigt werden musste. Generell ist bei der Beurteilung des Verhaltens von Angestellten in leitender Position ein strenger Maßstab anzulegen (RIS‑Justiz RS0029726; SZ 69/14), was jedenfalls hier die Annahme des Erstgerichtes rechtfertigt, dass das Vertrauen des Arbeitgebers in den Beklagten in objektiv nachvollziehbarer Weise in einem Ausmaß beeinträchtigt wurde, dass ihm eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht mehr zumutbar war. Auch in diesem Zusammenhang kann sich der Kläger nicht mit Erfolg darauf berufen, dass bei ihm keine erhebliche Alkoholisierung festgestellt worden sei, zumal er es war, der durch sein Verhalten die Feststellung des Ausmaßes der Alkoholisierung verhindert hat.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

 

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