OGH 9ObA49/02z

OGH9ObA49/02z8.5.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Stöcklmayer und DI Walter Holzer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei 1) Karl J*****, Kammerbediensteter, *****, 2) Manfred S*****, Kammerbediensteter, *****, vertreten durch Pallauf, Pullmann, Meißnitzer & Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Kammer für Arbeiter und Angestellte für Salzburg, 5020 Salzburg, Markus-Sittikus-Straße 10, vertreten durch Dr. Sabine Berger, Rechtsanwältin in Salzburg, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Oktober 2001, GZ 12 Ra 281/01g-25, womit über Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 30. November 2000, GZ 34 Cga 106/99i-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werde aufgehoben. Die Arbeitsrechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Gemäß § 8 Abs 2 der Dienst-, Bezugs- und Pensionsordnung (DBPO) für die Bediensteten der Kammern für Arbeiter und Angestellte Österreichs können Zeiten einer Beschäftigung oder Ausbildung, die der Bedienstete vor Eintritt in den Kammerdienst, jedoch nach Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegt hat und die seiner Verwendung im Kammerdienst einschlägig oder förderlich sind, bis zu 10 Jahren für Rechtsansprüche angerechnet werden, deren Ausmaß von der Dauer des Arbeitsverhältnisses abhängig ist.

Die Kläger - beide Arbeitnehmer der beklagten Kammer - begehren die Feststellung, dass ihnen für die Berechnung der Abfertigungs- und Pensionsansprüche Vordienstzeiten als Betriebsräte im Ausmaß von 60 (Erstkläger) bzw 120 Monaten (Zweitkläger) anzurechnen seien. Es seien ihnen von sämtlichen für die Anrechnung der Vordienstzeiten zuständigen Mitgliedern der Personalkommission wiederholt zugesagt worden, dass nach einer Beschäftigungsdauer von 10 Jahren für die jeweils vor dem Eintritt in den Kammerdienst geleistete Betriebsratstätigkeit pauschal 60 Monate Vordienstzeit für die Abfertigung und die Pension angerechnet werden. Erst in den letzten Jahren sei die Beklagte von diesem Versprechen abgerückt. Bei der Anrechnung von Vordienstzeiten handle es sich um eine betriebliche Übung der Beklagten. Die Weigerung, den Klägerin die Anrechnung zuzugestehen, schaffe erhebliche, sachlich nicht gerechtfertigte Unterschiede und stelle eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes dar.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Das für die Beschlussfassung über die Vordienstzeitenanrechnung zuständige Kollegialorgan (bis zum Inkrafttreten des Arbeiterkammergesetzes 1992 der Vorstand, seither die Personalkommission) habe im Fall der Kläger keinen Beschluss über eine Anrechnung gefasst. Allfällige Äußerungen der Mitglieder der Personalkommission außerhalb des Kollegialorgans seien rechtlich nicht verbindlich. Der seinerzeitige Kammeramtsdirektor habe die Kläger beim Einstellungsgespräch lediglich darüber informiert, dass Vordienstzeiten angerechnet werden könnten; der nunmehrige Kammeramtsdirektor habe nur zugesagt, den Anrechnungswunsch der Personalkommission vorzutragen. Eine betriebliche Übung einer Vordienstzeitenanrechnung habe nie bestanden.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab und stellte folgenden Sachverhalt fest:

Der Erstkläger war von 1966 bis 1982 in einem Hotelbetrieb (zuletzt als Restaurantdirektor) beschäftigt und in diesem Unternehmen 12 Jahre als Betriebsratsmitglied tätig. Am 1. 6. 1982 trat er bei der Beklagten ein, bei der er nunmehr das Referat für Betriebssportangelegenheiten leitet.

Der Zweitkläger war von 1970 bis 1984 bei einer Elektrofirma als Spezialist im Verteilerbau tätig. Auch er war in diesem Unternehmen 12 Jahre Betriebsratsmitglied. Seit Oktober 1984 ist er (mit einer kurzen Unterbrechung) als Referent für Verwaltung/Ökonomat (Veranstaltungsservice), für Maschinen, die Inventarisierung und den haustechnischen Rundgang zuständig. 1999 wurde ihm wegen mangelnder Teamfähigkeit die bis dahin zu seinem Aufgabengebiet zählende Büroverwaltung entzogen.

Beide Kläger wurden wegen ihrer speziellen Kenntnisse und Fähigkeiten, die sie sich im Berufsleben, vor allem auch als Betriebsräte, erworben hatten, von der Beklagten als Arbeitnehmer geworben. In den Einstellungsgesprächen wies der damalige Kammeramtsdirektor darauf hin, dass nach einer 10jährigen Beschäftigungszeit eine Anrechnung erfolgen könne. Dies stellte er als durchaus reale Möglichkeit dar, die außer bei disziplinären Schwierigkeiten üblicherweise eintrete. Einen genauen Zeitpunkt der Vordienstzeitenanrechnung sicherte er nicht zu.

Für die Vordienstzeitenanrechnung war bis zum Inkrafttreten des Arbeiterkammergesetzes 1992 (AKG) der Vorstand, seither die Personalkommission, zuständig. Die Personalkommission besteht aus dem Präsidenten, den drei Vizepräsidenten, dem Kammeramtsdirektor und dem Betriebsratsvorsitzenden.

Bei der Entscheidung über die Vordienstzeitenanrechnung wurde üblicherweise folgender Vorgang eingehalten: Der Betriebsrat schlug dem Kammeramtsdirektor einen in Frage kommenden Mitarbeiter vor. Konnte der Kammeramtsdirektor dafür gewonnen werden, wurde der Fall mit dem Präsidenten bei der Erstellung der Tagesordnung für die Sitzung der Personalkommission (früher: des Vorstands) erörtert. Wenn auch der Präsident überzeugt werden konnte, wurde das Thema auf die Tagesordnung gesetzt, sodass im zuständigen Gremium eine (positive) Beschlussfassung erfolgen konnte.

Die Kläger "unterstehen der DBPO". Sie hatten Kenntnis davon, dass für die Beschlussfassung über die Vordienstzeitenanrechnung ein Kollegialorgan zuständig ist, wenngleich sie die konkrete Kenntnis, um welches Organ es sich dabei handelte, erst im Laufe der Jahre erwarben.

Die Praxis der Vordienstzeitenanrechnung war bei der Beklagten seit jeher unterschiedlich, wobei aber immer wieder Versuche unternommen wurden, eine einheitliche Regelung zu finden. In einem Vorstandsprotokoll vom 25. 1. 1965 wurde festgehalten, dass die für das Gehalt angerechneten fünf Vordienstjahre auch für die Kammerpension angerechnet werden sollten. Damals wurden 9 Bediensteten Vordienstzeiten in unterschiedlicher Höhe angerechnet. In der Vorstandssitzung vom 6. 6. 1966 wurde "entsprechend der bisherigen Übung" entschieden, vier Kammerbediensteten, die eine 10jährige Dienstzeit aufwiesen, Vordienstzeiten für die Pension anzurechnen.

In der Folge gab es immer wieder Diskussionen darüber, ob die Vordienstzeitenanrechnung zwingend oder flexibel erfolgen solle. Ein für die Vorstandssitzung vom 4. 2. 1986 in Aussicht genommener Grundsatzbeschluss darüber wurde nicht gefasst und die Angelegenheit zurückgestellt. Gleichzeitig wurden einem Kammerbediensteten Vordienstzeiten für den Ruhegenuss angerechnet.

Während der Funktionsperiode des 1977 bis 1988 amtierenden Kammeramtsdirektors war es für den ständig darum bemühten Betriebsrat nicht leicht, die Zustimmung zur Vordienstzeitenanrechnung zu erreichen.

In der daran anschließenden Funktionsperiode des nächsten Kammeramtsdirektors, der eine großzügigere Linie vertrat, legte der Betriebsrat ein Arbeitsprogramm mit dem Ziel vor, sämtlichen Arbeitnehmern mit 15jährigen Zugehörigkeit zur Beklagten, die keinem Disziplinarverfahren unterworfen worden waren, kammerdienstförderliche Vordienstzeiten, vorwiegend Betriebsratszeiten, im Ausmaß von pauschal 60 Monaten für Pension und Abfertigung anzurechnen. Der Versuch des Betriebsrats, darüber eine Betriebsvereinbarung zu erreichen, scheiterte. Es wurden zahlreiche Verhandlungen geführt, in denen der Betriebsrat schließlich die Anrechnung bereits nach 10jähriger Dienstzugehörigkeit forderte. Zu einer entsprechenden Beschlussfassung kam es aber nicht. Bei einer Vorstandssitzung vom 30. 8. 1990 wurde festgehalten, dass eine Vordienstzeitenanrechnung für all jene Arbeitnehmer versucht werden solle, die länger als 15 Jahre bei der Beklagten beschäftigt sind.

Der damalige Präsident der Beklagten versicherte dem Erstkläger und einem weiteren Mitarbeiter, der früher als Betriebsrat tätig gewesen war, im Zusammenhang mit ihren Aktivitäten für die Kammerwahl 1989 immer wieder, dass die Vordienstzeitenanrechnung erfolgen werde. Bei der Vorstandssitzung im Oktober 1990 wurde das Thema abermals verschoben. Bei einer Vorstandssitzung im Juni 1991 wurde festgehalten, dass eine prinzipielle Lösung demnächst erörtert werde. Bei der Vorstandssitzung im Oktober 1991 wurde vereinbart, zunächst eine Liste jener Bediensteten zu erstellen, die eine Vordienstzeitenanrechnung erhalten sollten. In der Vorstandssitzung vom 11. 12. 1991 wurde diese Liste vorgelegt, worauf einstimmig beschlossen wurde, sämtlichen in der Liste genannten Mitarbeitern die angeführten Vordienstzeiten anzurechnen. Dieser Beschlussfassung ging folgender Bericht voraus:

"Bei der Anrechnung von Vordienstzeiten gab es in der AK Salzburg in der Vergangenheit verschiedene Praktiken. Zunächst wurden in Einzelfällen Vordienstzeiten für Pension und Abfertigung teilweise oder zur Gänze angerechnet. 1988 und 1989 wurden bei Einstellungen Einrechnungszusagen gemacht, die allerdings bezüglich Pension und Abfertigung erst nach 10 Dienstjahren wirksam werden. In der Folge wurde diese Praxis wieder beendet. Nun schlägt der Betriebsrat vor, dass bei jenen Mitarbeitern, die seit mehr als 10 Jahren in der Kammer beschäftigt sind, eine Anrechnung von Vordienstzeiten auf Pension und Abfertigung in dem Ausmaß erfolgt, in dem bisher Vordienstzeiten auf das Gehalt angerechnet wurden, allerdings mit einer Obergrenze von maximal 60 Monaten. Die DBPO sieht im Übrigen eine maximale Anrechnung von 120 Monaten vor."

Die Kläger wiesen damals noch nicht die verlangte Beschäftigungsdauer auf. Es wurde ihnen jedoch "vom damaligen Betriebsratsvorsitzenden, teilweise auch dem Präsidenten und dem Direktor" mitgeteilt, dass die Vordienstzeitenanrechnung dann erfolgen werde, wenn die entsprechenden Dienstjahre erreicht sind.

Der Betriebsrat erreichte überdies, dass bei einigen Mitarbeitern, die neu eingestellt wurden, die Vordienstzeitenanrechnung sogleich in den Dienstvertrag aufgenommen wurde.

Ab 1992 wurde die Position des Betriebsrates in der Frage der Vordienstzeitenanrechnung schwächer. Seit 11. 12. 1991 erfolgten keine weiteren Anrechnungen mehr. Erst Anfang 1996 griff der neu gewählte Betriebsrat parallel zu den Verhandlungen über die Einführung eines "Antizulagenmodells", das eine Abänderung der Dienstverträge bedingte, das Thema der Vordienstzeitenanrechnung wieder auf. Der Zweitkläger und andere Mitarbeiter machten die Vordienstzeitenanrechnung zur Bedingung für ihre Zustimmung zum Antizulagenmodell. Der Kammeramtsdirektor versicherte damals, dass für den Fall der Zustimmung zum Antizulagenmodell die Pensionsanrechnung kein Problem mehr sei.

Im Herbst 1997 schlug der Betriebsrat abermals vor, bei allen Mitarbeitern mit mehr als 10jähriger Dienstzeit die Vordienstzeitenanrechnung vorzunehmen. In dieser Form wurde dieses Ansinnen vom Kammeramtsdirektor abgelehnt; er unterstützte jedoch die Forderung des Betriebsrats, dass zumindest bei jenen Mitarbeitern die Anrechnung erfolgen sollte, die bereits vor dem Kammerdienst Betriebsratszeiten aufwiesen. Er sicherte zu, den Vorschlag des Betriebsrats der Personalkommission vorzulegen und zu unterstützen; er werde aber nur jene Mitarbeiter unterstützen, die auch das Antizulagenmodell unterschrieben hätten.

Bei einem Gespräch im Herbst 1997, bei dem der Zweitkläger, nicht aber der Erstkläger anwesend war, zeigte der Vizepräsident keine ablehnende Haltung gegenüber den Anrechnungswünschen der Kläger und hielt den Betriebsratsvorsitzenden an, das Thema Vordienstzeitenanrechnung als Tagesordnungspunkt für die nächste Sitzung der Personalkommission zu bestimmen. Der Vizepräsident machte jedoch kein Hehl daraus, kein Verständnis für Anrechnungswünsche zu haben, wenn keine Zustimmung zum Antizulagenmodell erfolgt sei. Daraufhin wurde dem Antizulagenmodell zugestimmt. Den Klägern wurde aufgetragen, einen Nachweis über ihre Betriebsratszeiten vor dem Kammerdienst vorzulegen. Dennoch wurde in die Tagesordnung der Sitzung der Personalkommission vom 11. 12. 1997 der Tagesordnungspunkt "Anrechnung von Vordienstzeiten" nicht aufgenommen. Als Begründung dafür wurde im Protokoll festgehalten, dass noch wesentliche Unterlagen, insbesondere über die finanziellen Auswirkungen einer solchen Anrechnung, aber auch zum bisherigen Karriereverlauf der betroffenen Mitarbeiter fehlten und der Präsident das Thema bei der nächsten Sitzung in die Tagesordnung aufnehmen werde. Gleichzeitig wies der Präsident darauf hin, dass bei einigen Mitarbeitern die Frage der Anrechnung von Vordienstzeiten noch offen und sehr darauf zu achten sei, Ungerechtigkeiten zu vermeiden. Es wurde auch festgehalten, dass einigen Mitarbeitern schon vor einiger Zeit solche Anrechnungen zugesichert worden seien.

Bei der Sitzung der Personalkommission am 19. 2. 1998 wurde im Protokoll ua festgehalten, dass sich der Direktor bereit erklärt habe, bezüglich der anrechenbaren Vordienstzeiten, die aufgrund einer Tätigkeit in einer namhaften Betriebsratsfunktion als fachspezifisch anzusehen seien, der Personalkommission eine einheitliche Vorgangsweise dahin zu empfehlen, dass diese Zeiten bis zu einem Höchstausmaß von 60 Monaten angerechnet werden können. Es wurde festgehalten, dass drei Kollegen bereits bei deren Eintritt je 60 Monate an Betriebsratstätigkeiten für Pensions- und Abfertigungsansprüche angerechnet worden seien. Nach umfangreicher Debatte wurde jedoch einstimmig beschlossen, das Thema von der Tagesordnung abzusetzen. Dies wurde einerseits mit den finanziellen Auswirkungen der Anrechnung begründet, andererseits aber auch damit, dass Mitarbeiter ohnedies aus früheren Arbeitsverhältnissen eine Abfertigung erhalten hätten und man "Fehler aus früheren Zeiten" vermeiden wolle.

Für die Anrechnung von Vordienstzeiten war grundsätzlich nicht entscheidend, ob der betreffende Mitarbeiter vor dem Eintritt als Betriebsrat tätig war. Die Betriebsratstätigkeit war jedoch vielfach ausschlaggebend dafür, dass Mitarbeiter für die Tätigkeit bei der Beklagten angeworben worden waren. Wenn eine Vordienstzeitenanrechnung erfolgte, betraf dies vorrangig Betriebsratstätigkeiten.

Bei der Beklagten sind 10 Mitarbeiter beschäftigt, die am 11. 12. 1991 (Datum der Vorstandssitzung, bei der letztmalig eine Vordienstzeitenanrechnung beschlossen wurde) mehr als 10 Jahre beschäftigt und der DBPO unterstellt waren und bei denen weder damals noch zu einem späteren Zeitpunkt eine Vordienstzeitenanrechnung erfolgte.

34 Mitarbeiter waren am 11. 12. 1997 (15. Sitzung der Personalkommission) bzw. am 1. 1. des Folgejahres mehr als 10 Jahre bei der Beklagten beschäftigt und kamen nicht in den Genuss einer Vordienstzeitenanrechnung. Von diesen Personen haben zumindest zwei Vordienstzeiten als Betriebsräte.

Bei vier Mitarbeitern erfolgte die Vordienstzeitenanrechnung bereits bei Eintritt in den Kammerdienst.

Bei 17 Mitarbeitern, die vor 1990 in den Kammerdienst eingetreten sind und die der DBPO unterliegen, wurden keine Vordienstzeiten angerechnet.

Aufgrund dieser Feststellung vertrat das Erstgericht die Rechtsauffassung, dass die den Klägern von Mitgliedern der Personalkommission erteilten Zusagen lediglich als für die Personalkommission nicht verbindliche Zusagen eines bestimmten Abstimmungsverhaltens zu werten seien. Auch eine Betriebsübung liege nicht vor. Ebenso wenig sei der Gleichheitsgrundsatz verletzt worden, weil der Arbeitgeber in zeitlicher Hinsicht differenzieren dürfe und die Kläger zum Zeitpunkt der letzten Anrechnungen die Voraussetzungen noch nicht erfüllt hätten.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und vertrat folgende Rechtsauffassung:

Für die Arbeiterkammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts gelte § 867 ABGB, wonach die in ihren Organisationsvorschriften enthaltenen Handlungsbeschränkungen der zur Vertretung berufenen Organe grundsätzlich auch im Außenverhältnis wirksam seien. Zuständig für die Entscheidung über die Vordienstzeitenanrechnung sei zunächst der Vorstand gewesen, dann die Personalkommission. Die von den Klägern ins Treffen geführten Zusagen der einzelnen Mitglieder der Personalkommission könnten einen Beschluss dieses Gremiums nicht ersetzen und seien als unverbindliche Verwendungszusagen zu qualifizieren. Die Kläger könnten sich auch nicht darauf berufen, dass der Vorstand bzw die Personalkommission einen Tatbestand geschaffen hätten, der bei den Klägern den Anschein einer entsprechenden Beschlussfassung hätte erwecken können. Auch das Vorliegen einer Betriebsübung sei zu verneinen, weil kein Verhalten der Beklagten feststehe, dass dahin gedeutet werden könne, sie habe sich generell dazu verpflichten wollen, Vordienstzeiten mit betriebsrätlicher Tätigkeit im von den Klägern begehrten Ausmaß anzurechnen. Der Anrechnungspraxis der Beklagten sei kein generalisierendes Prinzip zugrunde gelegen. Es gebe eine nennenswerte Zahl von Mitarbeitern der Beklagten, die zum Zeitpunkt der letzten Anrechnungen die damals maßgebenden Voraussetzungen erfüllt hätten und dennoch nicht berücksichtig worden seien. Aus eben diesem Grund könne auch nicht gesagt werden, dass die Beklagte zum Nachteil der Kläger willkürlich und ohne sachlichen Grund von einem generalisierenden Prinzip abgegangen sei, sodass auch von einem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nicht gesprochen werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision sei nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG nicht gegeben seien.

Gegen dieses Urteil richtet sich die (sowohl als ordentlich als auch als außerordentlich bezeichnete) Revision der Kläger mit dem Antrag, die Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Erstkläger 60 Monate und dem Zweitkläger 120 Monate Vordienstzeiten für die Berechnung der Abfertigungs- und Pensionsansprüche anzurechnen seien. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragte, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist unabhängig vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig, weil das Feststellungsbegehren der Kläger ua die Bemessung des vertraglichen Ruhegenusses betrifft - die DBPO der beklagten Arbeiterkammer hat den Charakter einer Vertragsschablone (SZ 61/106; SZ 63/227; zuletzt 8 ObA 2312/96z) - und daher § 46 Abs 3 Z 3 ASGG zum Tragen kommt. Der Ausspruch des Berufungsgerichtes, dass die ordentliche Revision nach § 46 Abs 1 ASGG nicht zulässig sei, ist daher gesetzwidrig. Er gilt als nicht beigesetzt. Das Rechtsmittel der Kläger ist als ordentliche Revision zu behandeln (RIS-Justiz RS0085794; Arb 10.782 mwH).

Die Revision ist auch - im Sinne des darin enthaltenen Aufhebungsantrags - berechtigt.

Die Kläger wiederholen in ihrer Revision den schon in erster Instanz vorgebrachten Hinweis auf die Entscheidung 8 ObA 85/99d (= ARD 5073/19/99), aus der sie ableiten, dass ihnen - weil die Voraussetzungen des § 8 Abs 2 DBPO verwirklicht seien - ihre Vordienstzeiten unabhängig von den ihnen erklärten Zusagen, unabhängig vom Bestehen einer Betriebsübung und unabhängig von der Frage einer allfälligen Ungleichbehandlung durch den Arbeitgeber anzurechnen seien.

Diesem Einwand kommt Berechtigung zu.

In der zitierten Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof unter Hinweis auf eigene Vorjudikatur (SZ 63/228; 9 ObA 16/91) und auf die gleichlautende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 12 Abs 3 GehG (siehe die Nachweise in SZ 63/228) die Rechtsauffassung vertreten, dass ein Vertragsbediensteter dann, wenn die in § 26 Abs 3 VBG genannten Anrechnungsvoraussetzungen zutreffen, einen Anspruch auf Anrechnung der vollen Vordienstzeit hat. Zwar sei § 26 Abs 3 VBG als "Kann-Bestimmung" formuliert; das Wort "kann" drücke in Rechtsnormen aber oft auch ein "Müssen" oder "Dürfen" aus, und sei hier dahin zu verstehen, dass bei Vorliegen der normierten Anrechnungsvoraussetzungen angerechnet werden müsse, wobei es auf einen Vergleich mit Laufbahnen anderer Bediensteten nicht ankomme. Entscheidend sei vielmehr, ob die Vortätigkeit von einer derart qualifizierten Bedeutung ist, dass der durch sie verursachte Erfolg der Verwendung ohne die Vortätigkeit nur in einem beträchtlich geringeren Ausmaß gegeben wäre.

In der Tat kann nicht unbeachtet bleiben, dass den Anrechnungsbestimmungen des § 26 Abs 3 VBG und des § 6 DBPO eine weitgehend idente Regelungstechnik zu Grunde liegt und dass sie auch ähnlich formuliert sind. Bei beiden handelt es sich um "Kann-Bestimmungen", wobei in § 26 Abs 3 VBG darauf abgestellt wird, dass die anzurechnenden Vortätigkeiten "für die erfolgreiche Verwendung des Vertragsbediensteten von besonderer Bedeutung" sind, während in § 8 Abs 2 DBPO verlangt wird, dass die Tätigkeit der "Verwendung im Kammerdienst einschlägig oder förderlich" ist. Anders als das VBG ist die DBPO aber kein Gesetz, sondern eine Verordnung des österreichischen Arbeiterkammertages, deren Geltung für den einzelnen Arbeitnehmer sich daraus ergibt, dass sie von den Arbeiterkammern - wozu diese verpflichtet sind - als Vertragsschablone den einzelnen Arbeitsverträgen zugrunde gelegt wird (SZ 61/106; SZ 63/227; zuletzt 8 ObA 2312/96z). Der Grund für die Geltung im Verhältnis zum jeweiligen Arbeitnehmer liegt daher im Einzelvertrag, was aber im Ergebnis keinen Anlass bietet, § 8 Abs 2 DBPO anders zu verstehen, als die im Wesentlichen gleichartige Bestimmung des § 26 Abs 3 VBG:

Da Geltungsgrund der DBPO im Verhältnis zum einzelnen Arbeitnehmer der Einzelvertrag ist, ist zu fragen, wie die in Rede stehende Bestimmung bei Vertragsabschluss von einem redlichen Arbeitnehmer verstanden werden musste.

Dabei ist zwar in Betracht zu ziehen, dass § 8 Abs 2 DBPO zumindest auch den Zweck verfolgt, die Praxis innerhalb der Arbeiterkammern zu vereinheitlichen und deren Befugnisse zu beschränken. Dies gilt aber auch für § 26 Abs 3 VBG, dessen Zweck ua ebenfalls ist, die Möglichkeiten des Arbeitgebers, Anrechnungen vorzunehmen, zu reglementieren und zu beschränken. Dies schließt es aber - wie ja auch § 26 Abs 3 VBG zeigt - nicht aus, § 8 Abs 2 DBPO auch Regelungscharakter im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zuzubilligen. Entscheidend ist, dass die zitierte Bestimmung von einem redlichen Vertragspartner wohl dahin verstanden werden muss, dass dadurch die Voraussetzungen der Anrechnung von Vordienstzeiten in einer auch für das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verbindlichen Weise geregelt werden soll. Der durchschnittliche Arbeitnehmer als Erklärungsempfänger wird diese Bestimmung dahin verstehen, dass unter den dort angeführten Voraussetzungen eine Anrechnung erfolgen kann und auch wird, wobei die hier festgestellten Erklärungen des Kammeramtsdirektors anlässlich des Abschlusses der Arbeitsverträge der Kläger durchaus geeignet waren, dieses Verständnis zu bekräftigen. Insofern können die für die Rechtsprechung zu § 26 Abs 3 VBG maßgebenden Überlegungen durchaus auf § 8 Abs 2 DBPO übertragen werden. Die in Rede stehende Norm im Sinne des Standpunktes der beklagten Kammer zu verstehen, würde hingegen bedeuten, dass ihr im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer überhaupt keine Funktion zukäme, zumal im Verhältnis zum Arbeitnehmer die Befugnis des Arbeitgebers, nach seinem Gutdünken Anrechnungen vorzunehmen, ohnedies selbstverständlich ist. Auch mit der von der Rechtsprechung schon im Zusammenhang mit § 26 Abs 3 VBG betonten Fürsorgepflicht des Arbeitgebers wäre die von der Beklagten vorgenommene Auslegung des § 8 Abs 2 DBPO nicht vereinbar, weil sie zum Ergebnis führen würde, dass im Verhältnis zum Arbeitnehmer - ungeachtet der Normierung von Anrechnungsvoraussetzungen im Arbeitsvertrag - die Anrechnung der Willkür des Arbeitgebers anheim gestellt wäre. Wozu dies führt, zeigt gerade der Fall der Kläger besonders deutlich, in dem die jahrelangen Verhandlungen um die Anrechnung der Vordienstzeiten - trotz positiver Regelung der Anrechnungsvoraussetzungen im Arbeitsvertrag - in keiner Phase von Diskussionen um die Erfüllung dieser Voraussetzungen, sondern von der "Anrechnungsfreundlichkeit" der jeweils tonangebenden Funktionäre der Beklagten geprägt war und in dem - im Zusammenhang mit dem Antizulagenmodell der Beklagten - die Anrechnung als Druckmittel zur Erreichung eines dem Arbeitgeber genehmen Verhaltens des Arbeitnehmers eingesetzt wurde. Dass dabei den Arbeitnehmern von Funktionären der Beklagten gegebene Zusagen unter Hinweis auf deren Unverbindlichkeit letztlich nicht eingehalten wurden, obwohl vorher Betriebsratstätigkeit wiederholt angerechnet worden war, zeigt, dass das von der Beklagten vertretene Verständnis der in Rede stehenden Norm zu einer Position des Arbeitnehmers führt, die mit dem Grundsatz von Treu und Glauben und der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht nicht in Einklang zu bringen ist.

Der Oberste Gerichtshof ist daher der Auffassung, dass § 8 Abs 2 DBPO dahin zu verstehen ist, dass dieser Norm Regelungscharakter auch im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zukommt und dass daraus das Recht des Arbeitnehmers abzuleiten ist, dass bei Vorliegen der normierten Voraussetzungen eine Anrechnung von Vortätigkeiten stattzufinden hat.

Zur Frage, in welchem Umfang Vortätigkeiten anzurechnen sind, weist § 8 Abs 2 DBPO gegenüber § 26 Abs 3 VBG aber einen entscheidenden Unterschied auf. Während nämlich § 26 Abs 3 VBG ausdrücklich normiert, dass die Vortätigkeiten "zur Gänze" anzurechnen sind, enthält § 8 Abs 2 DBPO, der lediglich von einer Anrechnung "bis zu 10 Jahren spricht", keinerlei vergleichbare Anordnung. Dies bedeutet, dass § 8 Abs 2 DBPO dem Arbeitgeber einen erheblich weiteren Ermessensspielraum hinsichtlich des Umfangs der Anrechnung einräumt. Dies erscheint auch sachgerecht, weil dadurch dem Umstand Rechnung getragen werden kann, dass Vortätigkeiten der Verwendung im Kammerdienst in unterschiedlichem Maße "einschlägig oder förderlich" sind.

Im hier zu beurteilenden Fall ergeben sich aus all diesen Überlegungen nachstehende Konsequenzen:

Die Feststellungen der Vorinstanzen zeigen deutlich, dass Vortätigkeiten als Betriebsrat (auf die Vortätigkeit des Zweitklägers als Elektriker kommt er in der Revision nicht mehr zurück) in vielen Fällen zu Anrechnungen führten, sodass die Eignung der Betriebsratstätigkeit, die Anrechnungsvoraussetzungen zu erfüllen, ganz offenkundig nicht bezweifelt wurde. Dies steht im Einklang mit der Feststellung, dass die Beklagte auf Arbeitnehmer mit Betriebsratserfahrung Wert gelegt und etwa die Kläger gerade auch aus diesem Grund geworben hat. Auch die Zusagen von Funktionären der Beklagten zeigen, dass die Eignung der Betriebsratstätigkeit nie strittig war; das Unterbleiben der Anrechnung wurde demgemäß vor diesem Rechtsstreit auch nie mit Nichterfüllung der Anrechnungsvoraussetzungen begründet.

Im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtsausführungen geht der Oberste Gerichtshof daher davon aus, dass den beiden Klägern ein Anspruch auf Anrechnung ihrer Betriebsratstätigkeit grundsätzlich zusteht. Auf die Ausführungen der Vorinstanzen und der Parteien zur Rechtsverbindlichkeit der den Klägern abgegebenen Zusagen sowie zur Frage einer Betriebsübung bzw. eines allfälligen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz braucht daher nicht mehr eingegangen zu werden.

Wie schon ausgeführt, steht jedoch der Beklagten - was den Umfang der Anrechnung betrifft - ein Ermessensspielraum offen. Auch in diesem Zusammenhang kann aber daraus nicht geschlossen werden, dass die Beklagte zu willkürlichem Vorgehen berechtigt wäre. Das Ausmaß der tatsächlich vorgenommenen Anrechnung muss vielmehr sachlich begründbar und - dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechend - im Einklang mit den schon bisher vorgenommenen Anrechnungen von Betriebsratstätigkeiten seien. Den wiederholt diskutierten Vorschlägen, insofern eine Höchstgrenze von 60 Monaten einzuziehen, mag in diesem Zusammenhang eine gewisse Indizwirkung zukommen; dies reicht aber - zumal eine entsprechende Einigung darüber nicht erfolgte - zur abschließenden Beurteilung nicht aus. Es ist daher notwendig, klarzustellen, in welchem Ausmaß in den bisher erfolgten Anrechnungsfällen Betriebsratstätigkeiten angerechnet wurden. Soweit sich die daraus ersichtliche Anrechnungspraxis der Beklagten nicht als offenkundig unsachlich erweist, stellt sie eine taugliche Grundlage dar, den Anspruch der Kläger auf Anrechnung ihrer Betriebsratstätigkeit abschließend zu beurteilen.

Den bisher getroffenen Feststellungen ist aber nicht zu entnehmen, in welchem Ausmaß Betriebsratstätigkeit in den früheren Anrechnungsfällen berücksichtigt wurde. Damit erweisen sich die Feststellungen als ergänzungsbedürftig, sodass in Stattgebung der Revision die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Arbeitsrechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen war. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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