OGH 10ObS123/02i

OGH10ObS123/02i16.4.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter OLWR Dr. Peter Hübner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ernst Boran (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz G*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Kriegsgefangenenentschädigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. September 2001, GZ 8 Rs 160/01p-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. Juni 2001, GZ 35 Cgs 122/01d-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

  1. 1. Das Revisionsverfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.
  2. 2. Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

    Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie lauten:

    "Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger ab 1. 1. 2002 eine Kriegsgefangenenentschädigung in Höhe von monatlich EUR 14,53 zu leisten.

    Das Mehrbegehren auf Leistung einer Kriegsgefangenenentschädigung im gesetzlichen Ausmaß im Zeitraum 1. 2. 2001 bis 31. 12. 2001 wird abgewiesen."

    3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 333,12 (darin EUR 55,52 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 30. 1. 1927 geborene Kläger befand sich von April 1945 bis August 1945 in amerikanischer Kriegsgefangenschaft und anschließend bis November 1945 in englischer Kriegsgefangenschaft. Er wurde in dieser Zeit zunächst in Heilbronn/Neckar, dann in Linz und schließlich in Graz-Wetzelsdorf angehalten.

Der Kläger stellte am 7. 2. 2001 bei der beklagten Partei, von der er eine Pensionsleistung bezieht, den Antrag auf Gewährung der Kriegsgefangenentschädigung. Mit Bescheid vom 16. 2. 2001 hat die beklagte Partei den Antrag mit der Begründung abgelehnt, der Kläger sei nicht - wie vom Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz (in der damaligen Fassung) als Anspruchsvoraussetzung gefordert - in die Kriegsgefangenschaft eines mittelost- oder osteuropäischen Staates geraten.

Das Erstgericht wies das vom Kläger gegen diesen Bescheid erhobene, auf die Gewährung der beantragten Leistung gerichtete Klagebegehren unter Hinweis auf die (damals) geltende Rechtslage ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es könne als allgemeinkundig angesehen werden, dass eine Kriegsgefangenschaft in dem in § 1 Z 1 Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz angeführten "östlichen Bereich" Europas wesentlich härter geween sei als eine Kriegsgefangenschaft im Bereich der westlichen Alliierten; dies zeige schon ein oberflächlicher Vergleich der Zeiten der Anhaltung als Kriegsgefangener in den beiden genannten Bereichen, wie auch ein Vergleich der Todesfälle im Verlauf der Kriegsgefangenschaft nach dem

2. Weltkrieg. Es sei daher davon auszugehen, dass die im Machtbereich der UdSSR angehaltenen Kriegsgefangenen wesentlich größeren physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt gewesen seien als die im Bereich der westlichen Alliierten angehaltenen Kriegsgefangenen. Die Einschränkung der Kriegsgefangenenentschädigung auf Kriegsgefangene, die in "mittelost- und osteuropäischen Staaten" angehalten worden seien, sei daher sachlich und geographisch nachvollziehbar, weshalb eine Gleichheitswidrigkeit nicht vorliege. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt. In der Revision macht der Kläger im wesentlichen die Gleichheitswidrigkeit der Differenzierung in § 1 Z 1 Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz geltend.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat mit seinem Beschluss vom 19. Dezember 2001, 10 ObS 417/01y, beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 B-VG den Antrag gestellt, im Budgetbegleitgesetz 2001, BGBl I 2000/142, Artikel 70 (Bundesgesetz, mit dem eine Entschädigung für Kriegsgefangene eingeführt wird [Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz]), in § 1 Z 1 die nachstehende Wortfolge als verfassungswidrig aufzuheben: "mittelost- oder osteuropäischer Staaten (wie Albaniens, Bulgariens, Polens, der ehemaligen Sowjetunion, Rumäniens, der ehemaligen Tschechoslowakei, des ehemaligen Jugoslawiens)". Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wurde gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 13. März 2002, G 21-26/02-3, G 34/02-3, G 38, 39/02-3, G 53/02-3, G 47-49/02-4 und G 79/02-3, den Antrag mit dem Hinweis darauf zurückgewiesen, dass die vom Obersten Gerichtshof sowie von den Oberlandesgerichten Graz und Wien in ihren Gesetzesprüfungsanträgen vorgebrachten Bedenken mit jenen übereinstimmen, über die der Verfassungsgerichtshof bereits mit Erkenntnis vom 8. 3. 2002, G 308, 312/01, über Anträge des Oberlandesgerichts Innsbruck entschieden hat.

Mit dem genannten Erkenntnis vom 8. 3. 2002, G 308/01-7, G 312/01-8, hat der Verfassungsgerichtshof die auf Aufhebung des § 1 Z 1 KGEG gerichteten Gesetzesprüfungsanträge des Oberlandesgerichts Innsbruck abgewiesen und dies in der Sache (Punkt 2.) wie folgt begründet:

"III. ... 2.1. Das antragstellende Oberlandesgericht macht geltend, die in § 1 Z 1 KGEG getroffene Differenzierung zwischen 'Ost-' und 'Westgefangenen' sei sachlich nicht gerechtfertigt. Die Bundesregierung hat dem im wesentlichen die Begründung der Regierungsvorlage zum Budgetbegleitgesetz 2001 (311 BlgNR XXI. GP, zu Art. 70 Budgetbegleitgesetz 2001) entgegengehalten, worin ausgeführt wird, daß österreichische Staatsbürger, die während des Zweiten Weltkrieges in Kriegsgefangenschaft osteuropäischer Staaten gerieten oder während der Besetzung Österreichs von einer ausländischen Macht festgenommen und in osteuropäischen Staaten angehalten wurden, dadurch vielfältige Nachteile erlitten hätten.

Angesichts dessen sei aus budgetären Erwägungen (vorerst) davon abgesehen worden, auch Kriegsgefangenen der Westalliierten einen Anspruch auf Entschädigung einzuräumen. Eine Neuregelung dahin, daß künftig auch diesem Personenkreis eine Entschädigung zuerkannt werden könne, sei aber in Aussicht genommen, allerdings erst mit Wirkung vom 1. 1. 2002 (s. nunmehr das Bundesgesetz, mit dem das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz geändert wird, BGBl. I Nr. 40/2002, mit dem ua. § 1 Z 1 Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz dahin neu gefaßt wurde, daß künftig im Verlauf des Ersten oder Zweiten Weltkriegs als Kriegsgefangene Angehaltene - ohne jede Differenzierung - eine Entschädigung erhalten.

2.2. Dem Gesetzgeber des KGEG ging es - im zeitlichen Zusammenhang mit der Gewährung von Entschädigungsleistungen an ehemalige Zwangsarbeiter des NS-Regimes -, wie den Materialien zum Budgetbegleitgesetz 2001 (EB 311 BlgNR XXI. GP, zu Art. 70) entnommen werden kann, vorrangig darum, auch eine finanzielle Anerkennung bzw. Entschädigung für vergleichbare Anhaltungen von Kriegsgefangenen unter besonders erschwerten Bedingungen vorzusehen, wie sie nach Einschätzung des Gesetzgebers in den genannten mittelost- oder osteuropäischen Staaten bestanden haben.

2.2.1. Das antragstellende Oberlandesgericht räumt hiezu selbst ein, daß es besonders schwierig sei, die (unterschiedlichen) Bedingungen der Anhaltung als Kriegsgefangener durch einzelne Staaten in aussagekräftiger Weise miteinander zu vergleichen.

Nun mag es zutreffen, daß (auch) die Kriegsgefangenen der Westalliierten - wie das Oberlandesgericht ausführt - jedenfalls im unmittelbaren Anschluß an die Kapitulation und Internierung 'heute wohl kaum mehr vorstellbare Strapazen und Schwierigkeiten zu erleiden' hatten.

Demgegenüber durfte der Gesetzgeber aber davon ausgehen, daß insbesondere für die durch die ehemalige UdSSR Inhaftierten auch über die unmittelbar der Kapitulation und dem Beginn der Internierung nachfolgende Zeit hinaus wegen der kriegsbedingt auf längere Zeit hindurch extrem schlechten Versorgungslage in den mittelost- und osteuropäischen Staaten besonders ungünstige Anhaltebedingungen für die Kriegsgefangenen bestanden haben, unter denen jene, die sich in der Gewahrsame der Westalliierten befunden hatten, (im allgemeinen und Ausnahmen auf Grund besonderer Verhältnisse außer Betracht lassend) nicht zu leiden hatten.

2.2.2. Dem Gesetzgeber kommt in der Frage, in welchem Umfang er die unterschiedlichen Erscheinungsformen kriegs- und verfolgungsbedingter Haft und Anhaltung im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg als entschädigungswürdig erachtet, ein weiter - letztlich auch wohl von politischen Bewertungen geprägter - Beurteilungsspielraum zu. In welchem Ausmaß die der zur Prüfung gestellten Entschädigungsregelung allenfalls zugrunde liegende politische Bewertung geteilt wird, ist jedenfalls keine Frage der Verfassungsmäßigkeit der Norm. Es kann dem Gesetzgeber daher aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn er vorweg - mit Blick auf die Entschädigung für die Sklaven- und Zwangsarbeiter des nationalsozialistischen Regimes (vgl. hiezu AB 255 BlgNR XXI. GP, Allgemeiner Teil, zum Versöhnungsfonds-Gesetz) - nur jenen Kriegsgefangenen eine Entschädigung zukommen lassen wollte, die typischerweise unter vergleichbaren menschenunwürdigen Bedingungen angehalten wurden. Es läßt sich auch nicht sagen, daß der Gesetzgeber die historischen Gegebenheiten grob verkannt hätte, wenn er davon ausgegangen ist, daß eine derartige Vergleichbarkeit in erster Linie bei den ehemaligen Kriegsgefangenen der ost- und mittelosteuropäischen Staaten besteht.

Für welchen Zeitpunkt es dem Gesetzgeber unter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten gestattet wäre, eine Begünstigung der hier zu beurteilenden Art für bloß eine Gruppe der ehemaligen Kriegsgefangenen zu gewähren, muß aus Anlaß dieses Verfahrens nicht abschließend geklärt werden, weil mittlerweile die Entschädigungszahlungen mit Wirkung vom 1.1.2002 auf alle Kriegsgefangenen ausgeweitet wurden (s. oben Pkt. III.2.1.) und der Gesetzgeber durch diese Art der stufenweisen Einführung seinen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum - vor dem Hintergrund seiner oben wiedergegebenen Motive - keinesfalls überschritten hat.

2.2.3. Es begegnet daher auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der Gesetzgeber eine Regelung getroffen hat, die - ohne Bedachtnahme auf die besonderen Bedingungen der Anhaltung in jedem Einzelfall - nur daran anknüpft, von welchem Staat der Betroffene als Kriegsgefangener angehalten wurde:

Nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofs ist es nämlich mit dem Gleichheitssatz vereinbar, wenn der Gesetzgeber von einer Durchschnittsbetrachtung ausgeht (zB VfSlg. 3595/1959, 5318/1966, 8457/1978, 11.615/1988 uva.) und dabei auch eine pauschalierende Regelung trifft, insbesondere wenn dies der Verwaltungsökonomie dient (VfSlg. 9258/1981, 10.089/1984). Es wird ein solches Gesetz nicht schon deshalb gleichheitswidrig, weil dabei Härtefälle entstehen (zB VfSlg. 3568/1959, 9908/1983, 10.276/1984).

Unter diesem Aspekt trifft es auch nicht zu, wenn das antragstellende Oberlandesgericht meint, die durch das KGEG zuerkannte Entschädigungsleistung sei allein von dem rein zufälligen (und damit als sachliches Differenzierungskriterium untauglichen) Umstand abhängig gemacht, von welcher kriegsführenden Macht der Betroffene in Kriegsgefangenschaft genommen wurde. Soweit - auch zufällig eintretende - Ereignisse typischerweise zB grundlegend voneinander abweichende Kriegsgefangenenschicksale zur Folge hatten, ist es nicht von vornherein unsachlich, wenn der Gesetzgeber an diese Unterschiede im Tatsächlichen bie einer Entschädigungsregelung der vorliegenden Art anknüpft.

2.3. Die Anträge waren daher abzuweisen."

Nach Zustellung des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes war das unterbrochene Revisionsverfahren von Amts wegen fortzusetzen. Aufgrund der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes erweist sich die Revision des Klägers aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Berufungsurteils insoweit als unberechtigt, als die Gewährung einer Kriegsgefangenenentschädigung für den Zeitraum von 1. 2. 2001 bis 31. 12. 2001 begehrt wird. Hingegen kommt der Revision im Sinne des Zuspruchs von Kriegsgefangenenentschädigung für den Zeitraum ab 1. 1. 2002 Berechtigung zu.

Mit dem Bundesgesetz BGBl I 2002/40 wurde das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz ua dahin geändert, dass der § 1 (Personenkreis) seit 1. 1. 2002 lautet:

"§ 1. Österreichische Staatsbürger, die

1. im Verlauf des Ersten oder Zweiten Weltkrieges in Kriegsgefangenschaft gerieten, oder

2. im Verlauf des Zweiten Weltkrieges oder während der Besetzung Österreichs durch die Alliierten Mächte von einer ausländischen Macht aus politischen oder militärischen Gründen festgenommen und angehalten wurden, oder

3. sich auf Grund politischer Verfolgung oder drohender politischer Verfolgung im Sinne des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947, außerhalb des Gebietes der Republik Österreich befanden und aus den in Z 2 angeführten Gründen von einer ausländischen Macht festgenommen und nach Beginn des Zweiten Weltkrieges angehalten wurden, haben Anspruch auf eine Leistung nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes."

Anspruchsberechtigten gebührt nach § 4 Abs 1 KGEG zwölfmal jährlich eine monatliche Geldleistung in Höhe von

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