OGH 8Ob232/01b

OGH8Ob232/01b28.3.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer, Dr. Rohrer, Dr. Kuras und Neumayr als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers Dr. Rudolf H*****, vertreten durch Dr. Josef Hofer und Dr. Thomas Humer, Rechtsanwälte in Wels, wider den Antragsgegner Ing. Friedrich H*****, vertreten durch Mag. Andreas Meissner, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, wegen Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Antragsgegners, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 9. Juli 2001, GZ 2 R 149/01x-9, mit dem der Rekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichtes Wels vom 13. Juni 2001, GZ 20 Se 288/01f-4, zurückgewiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Rekursgerichtes wird aufgehoben und diesem die Entscheidung unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung

Der Antragsteller begehrt die Eröffnung des Konkursverfahrens über den Antragsgegner, der persönlich haftender Gesellschafter der Fritz H*****& Co sei, und stützt sich in seinem Konkursantrag vom 5. 6. 2001 darauf, dass ihm die Hälfte der Forderung einer Bank in Höhe von insgesamt S 5,285.539,20 sA, sohin S 2,642.679,60 sA abgetreten worden sei. Der Antragsgegner sei zahlungsunfähig; es behänge gegen ihn ein Exekutionsverfahren. Aus einem Brandschadensfall sei zwischen der Fritz H*****& Co und der Versicherung ein Deckungsprozess anhängig, bei dem nunmehr das Versicherungsunternehmen einen Betrag von über S 48 Mio zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche im Rahmen eines mit 18. 6. 2001 befristeten Vergleichsangebotes angeboten habe. Ein allenfalls zu bestellender Masseverwalter könne dieses Vergleichsanbot annehmen.

Der Antragsgegner wendete in seiner Einvernahme zu dem Konkursantrag ein, dass er weder überschuldet noch zahlungsunfähig sei. Mit Beschluss vom 13. 6. 2001 wies das Erstgericht den Antrag auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Antragsgegners, als offenbar missbräuchlich gestellt, ab. Es stützte sich dabei darauf, dass in einem Schreiben des Antragstellers vom 9. 6. 2001 unter Bezugnahme auf die offene Forderung für den Fall der Annahme eines Anbotes zur Bereinigung angekündigt worden sei, dass die Konkursanträge "obsolet" werden. Der Antragsteller verfolge offenbar einen konkursfremden Zweck, und zwar den Antragsgegner durch den Konkursantrag so unter Druck zu setzen, dass er dem vom Antragsteller unterbreiteten Anbot zustimme. Dies stelle einen Missbrauch des Konkursverfahrens dar.

In seiner Stellungnahme vom gleichen Tag wies der Antragsteller unter anderem darauf hin, dass die Zahlung der Versicherung nur gegen Abgabe einer Zahlungsgarantie erfolgt sei. Außerdem sei die Forderung wirksam an ihn abgetreten worden, sodass eine Befriedigung durch die Zahlung an die Bank nicht mehr schuldbefreiend wirken könne. In seinem Rekurs gegen den Beschluss über die Abweisung des Konkursantrages relevierte der Antragsteller, dass für den Fall der Befriedigung eines Gläubigers in § 70 Abs 3 und 4 KO die Zurückziehung des Konkursantrages ausdrücklich vorgesehen sei und daher die Ankündigung, dass in diesem Fall die Konkursanträge "obsolet" werden, nicht rechtsmissbräuchlich sei. Entscheidend sei vielmehr, ob er Antragsgegner zahlungsunfähig sei. Die Voraussetzungen für die Konkurseröffnung lägen vor. Nach erfolgter Abtretung sei eine Befriedigung der Forderung durch die Leistung an den Zedenten nicht mehr schuldbefreiend. Auch ergebe sich, dass mehrere andere Gläubiger Exekution führen würden. Im Übrigen sei der Anspruch auf die Versicherungsleistung aus dem Brandschaden bereits zu Gunsten der titulierten Forderung gepfändet. Die Annahme des Vergleichsanbotes der Versicherung würde die Gesellschaft bzw den Antragsgegner in die Lage versetzen, ihren/seinen Verbindlichkeiten nachzukommen. Der Antragsteller habe sich vermittelnd eingeschaltet. Die Versicherungsleistung sei der einzig taugliche Haftungsfonds für die Forderung. Die Stellung eines Konkursantrages könne dann keinen Rechtsmissbrauch darstellen, wenn sie die einzige Maßnahme sei, um Befriedigung für die eigene betriebene Forderung zu erlangen. Das Rekursgericht wies diesen Rekurs wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses zurück. Der Rekurswerber habe sowohl das wirtschaftliche als auch das rechtliche Interesse an einer positiven Erledigung verloren, da das außergerichtliche Vergleichsanbot der Versicherung mit 18. 6. 2001 befristet gewesen sei und daher auch von einem etwaigen Masseverwalter nicht mehr angenommen werden könnte. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nicht zu, weil die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses im Rechtsmittelverfahren gesichert und einhellig sei. Eine Entscheidung dazu zitierte das Rekursgericht nicht.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss erhobene außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers ist zulässig; er ist auch berechtigt. Der erkennende Senat hat zur Frage der Zweiseitigkeit eines solchen Verfahrens erst kürzlich, nämlich in seiner Entscheidung vom 24. 1. 2002, 8 Ob 282/01f, wie folgt Stellung genommen:

"Gemäß § 171 KO sind auf das Konkursverfahren - soweit in der Konkursordnung nichts anderes angeordnet ist - die Jurisdiktionsnorm, die Zivilprozessordnung und ihre Einführungsgesetze sinngemäß anzuwenden. Mangels anderslautender Bestimmungen kommen daher die Normen der ZPO über das Rekursverfahren zum Tragen, die die Zweiseitigkeit des Rechtsmittels nur in den in ihrem § 521a ZPO genannten Fällen normiert, von denen jedoch hier keiner gegeben ist. Der EGMR sprach allerdings erst vor kurzem in seinem Urteil vom 6. 2. 2001 Beer gegen Österreich (= ÖJZ 2001, 516) aus, dass der aus Art 6 Abs 1 EMRK herleitbare Grundsatz der Waffengleichheit in einem Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen für jede Partei eine angemessene Gelegenheit erfordere, ihren Fall unter Bedingungen zu präsentieren, die keinen wesentlichen Nachteil gegenüber dem Verfahrensgegner realisierten. Jede Partei müsse daher die gegnerischen Stellungnahmen zur Kenntnis nehmen und kommentieren können. Das gelte sogar in untergeordneten Angelegenheit wie bei Bestimmung der Verfahrenskosten, weil das Recht zur Stellungnahme als elementarer Grundsatz jedes kontradiktorischen Verfahrens zu wahren sei. Die Partei habe die Notwendigkeit der Stellungnahme zu einem Schriftstück selbst zu beurteilen. Das Vertrauen auf die Funktionsfähigkeit der Justiz sei unter anderem auf das Wissen der Parteien gegründet, Gelegenheit gehabt zu haben, ihre Ansichten zu jedem Schriftstück im Akt darzulegen. Die unterbliebene Zustellung eines Kostenrekurses und die mangelnde Möglichkeit, ihn zu beantworten, seien daher eine Verletzung des durch Art 6 Abs 1 EMRK garantierten Grundsatzes der Waffengleichheit.

Der Gesetzgeber hat in der Folge das Verfahren über Kostenrekurse wegen des soeben referierten Urteils des EGMR gemäß § 521a Abs 1 Z 4 ZPO und § 521a Abs 1 vorletzter Satz idFd Art 94 Z 20 lit c und d des 1. Euro-Umstellungsgesetzes - Bund BGBl 2001 I 98 zweiseitig gestaltet. Diese Novelle ist gemäß Art 96 Z 26 des 1. Euro-Umstellungsgesetzes - Bund am 8. 8. 2001 in Kraft getreten und auf nach diesem Zeitpunkt ergangene Kostenentscheidungen anzuwenden. Durch diesen Akt der Gesetzgebung aus Anlass eines vom EGMR entschiedenen Falls (siehe dazu RV 621 BlgNR 21. GP, 82) wurde zwar die vorherige Konventionswidrigkeit des Kostenrekursverfahrens im Zivilprozess beseitigt, den weitertragenden Implikationen des vom EGMR erläuterten Erfordernisses der Waffengleichheit durch die Ermöglichung einer Stellungnahme der Parteien zu jedem (für die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung bedeutsamen) Schriftstück im Akt als Voraussetzung eines fairen Verfahrens über zivilrechtliche Ansprüche auch in anderen Bereichen der Verfahrensgesetzgebung wurde hingegen noch nicht entsprochen.

Der Oberste Gerichtshof äußerte sich schon mehrmals zur Tragweite der Urteile des EGMR im innerstaatlichen Bereich (1 Ob 260/01v; SZ 70/243; SZ 68/102). Diese gelten nicht gleichsam als generelle Rechtsnormen. Die Staatsgewalt darf jedoch entgegen einem Ausspruch des EGMR (auch) im Rahmen von Akten gerichtlicher oder verwaltungsbehördlicher Vollziehung nicht die Auffassung vertreten, das staatliche Verhalten sei im entschiedenen Fall konventionsgemäß gewesen. Abgesehen davon unterliegen die Urteile des EGMR der Auslegung, um dadurch deren über den entschiedenen Fall hinausreichende Bedeutung zu ergründen (1 Ob 260/01v) und die innerstaatliche Rechtsordnung auf dieser Grundlage konventionskonform auszulegen (zuletzt: Oberste Rückstellungskommission vom 28. 11. 2001; Rkv 1/01).

Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat zwar befunden, dass die in einem Konkursverfahren getroffenen Entscheidungen nicht unter Art 6 EMRK fallen und die Auffassung vertreten, dass der Konkursrichter nicht dazu berufen sei, einen Streit über "zivilrechtliche Ansprüche" zu entscheiden, sondern nur darüber zu wachen, dass die Konkursmasse im besten Interesse der Gläubiger verwertet wird. Hinsichtlich der Entscheidung über die Konkurseröffnung hat sie jedoch die Anwendbarkeit des Art 6 bejaht (Peukert in Frowein/Peukert, EMRK² 187f), was im Hinblick auf den Umstand, dass der Gemeinschuldner durch die Konkurseröffnung die Verfügungsfähigkeit über sein Vermögen verliert, ohne Zweifel auch zutreffend ist.

Damit ergibt sich aber aus der wiedergegebenen Rechtsprechung des EGMR die Notwendigkeit, dass im Verfahren über die Eröffnung des Konkurses dem Rechtsmittelgegner die Möglichkeit zur allfälligen Widerlegung der Rechtsmittelgründe geboten wird, um eine Entscheidung zu seinen Lasten durch die Überzeugungskraft seiner Gegenargumente zu verhindern. Diesem Gesichtspunkt kommt gerade in letzter Instanz besonderes Gewicht zu, weil der Rechtsmittelgegner nach einer Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu seinen Lasten keine Möglichkeit mehr hat, dem Standpunkt des Verfahrensgegners mit überzeugenden Argumenten entgegenzutreten (Oberste Rückstellungskommission v. 28. 11. 2001; Rkv 1/01). Dem Gebot zur verfassungskonformen Auslegung entsprechend ist daher davon auszugehen, dass im hier zu beurteilenden Streit um die Eröffnung des Konkursverfahrens der Antragstellerin die Gelegenheit gegeben werden muss, zum Revisionsrekurs der Antragsgegnerin Stellung zu nehmen."

Dies muss auch im umgekehrten Fall gelten.

Es muss daher im Konkurseröffnungsverfahren auch dem Antragsgegner die Möglichkeit eingeräumt werden, zum Revisionsrekurs des Antragstellers Stellung zu nehmen; dieser ließ jedoch die hiefür eingeräumte Frist ungenützt verstreichen.

Zum Rechtsmittel selbst ist auszuführen:

Grundsätzlich ist auch im Rekursverfahren das Rechtsschutzinteresse eine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rekurses (vgl RIS-Justiz RS0043852 mzwN etwa JBl 1974, 104 = SZ 45/106).

Die Beschwer wird dabei grundsätzlich dann bejaht, wenn der Rechtsmittelwerber in seinem Rechtsschutzbegehren durch die angefochtene Entscheidung beeinträchtigt wird, also ein Bedürfnis auf Rechtschutz gegenüber der angefochtenen Entscheidung hat (vgl RIS-Justiz RS0041746 mzwN etwa SZ 51/153, SZ 62/122 oder SZ 67/230). Auch im Konkursverfahren ist jeder zum Rekurs befugt, der in seinen Rechten beeinträchtigt wird (vgl RIS-Justiz RS0065135 mzwN). Dies gilt auch für die Beeinträchtigung der Rechte der Konkursgläubiger durch Unterbleiben der Konkurseröffnung (OGH 18. 8. 1988, 8 Ob 27/88 mwN). Von diesen Entscheidungen ist aber das Rekursgericht abgewichen. Es steht dem Konkursgläubiger auch dann das Recht zu, einen Rekurs gegen die Abweisung eines Konkursantrages zu erheben, wenn dieser als missbräuchlich abgewiesen wurde. Die Argumente zur Frage, ob nun ein Missbrauch vorliegt oder nicht, können nicht zur Verneinung der Rekurslegitimation herangezogen werden. Daher war dem Rekursgericht die Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

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