OGH 6Ob199/01k

OGH6Ob199/01k29.11.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichtes Wiener Neustadt zu FN ***** eingetragenen B***** mit dem Sitz in W*****, wegen Verhängung von Zwangsstrafen nach § 283 HGB, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft und der Vorstandsmitglieder Wolfgang W***** und Geza A*****, alle vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 26. März 2001, GZ 28 R 248/00x-20, womit über den Rekurs der Gesellschaft und ihrer Vorstandsmitglieder der Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 24. August 2000, GZ 1 Fr 1597/99h-15, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtenen Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass über die Vorstandsmitglieder Wolfgang W***** und Geza A***** Zwangsstrafen von je 10.000 S verhängt werden.

2. Die Anträge auf Einholung einer Vorabentscheidung gemäß Art 234 EG durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 89 iVm Art 140 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof werden zurückgewiesen.

Text

Begründung

Das Erstgericht forderte die Vorstandsmitglieder der Aktiengesellschaft mit Beschluss vom 8. 3. 1999 vergeblich auf, den Jahresabschluss zum 28. 2. 1998 einzureichen und verhängte mit Beschluss vom 24. 8. 2000 über die Vorstandsmitglieder die angedrohten Zwangsstrafen von je 50.000 S (ON 15). Schon zuvor hatte das Erstgericht am 23. 3. 2000 Anträge der Gesellschaft und ihrer Vorstandsmitglieder auf Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zurückgewiesen (ON 13). Am 19. 9. 2000 wies das Erstgericht die Anträge, dem Rekurs gegen die Strafverhängung aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und die Zwangsstrafe auf je 2.000 S herabzusetzen, ab (ON 18).

Das Rekursgericht gab dem Rekurs gegen den Strafbeschluss ON 15 nicht Folge (und wies - im Revisionsrekursverfahren unbekämpft - den Rekurs gegen den Beschluss ON 13 zurück, ebenso den Rekurs gegen die Abweisung des Aufschiebungsantrages und hob die Entscheidung des Erstgerichtes über den Herabsetzungsantrag als nichtig auf). Es folgte mit eingehender Begründung der oberstgerichtlichen Rechtsprechung zur Unbedenklichkeit der österreichischen Offenlegungsvorschriften der §§ 277 ff HGB und erachtete die Ausschöpfung des gesetzlichen Strafrahmens für zulässig.

Gegen die Bestätigung der Zwangsstrafen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Aktiengesellschaft und ihrer Vorstandsmitglieder. Die Rekurswerber stehen nach wie vor auf dem Standpunkt, dass die Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien durch die österreichischen Rechnungslegungsvorschriften grundrechtswidrig sei und dass die Richtlinien selbst mit verschiedenen Grundrechten im Widerspruch stünden. Sie beantragen, beim Verfassungsgerichtshof einen Normprüfungsantrag über die Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen des § 277 Abs 1 und 4 HGB zu stellen und eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs einzuholen. Weiters beantragen sie eine Herabsetzung der verhängten Strafe, weil es den Rekurswerbern um ein "erstes Anliegen" des Gemeinschaftsrechts gehe, das nicht durch überhöhte Beugestrafen "effektiv behindert werden" dürfe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs berührt nur zur Frage der Höhe der Zwangsstrafen eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG und ist nur in diesem Punkt berechtigt.

Eines Ausspruchs des Rekursgerichts über den Wert des Entscheidungsgegenstandes bedurfte es nicht. Firmenbuchsachen sind im Regelfall keine rein vermögensrechtlichen Angelegenheiten, die das Rekursgericht gemäß § 13 Abs 2 AußStrG (§ 15 FBG) zu bewerten hat. Das Rechtsmittel ist als außerordentlicher Revisionsrekurs zu behandeln (6 Ob 214/98h; 6 Ob 188/99m; RIS-Justiz RS0110629).

Der Oberste Gerichtshof hat schon mehrfach die österreichischen handelsrechtlichen Offenlegungsvorschriften und ihre Durchsetzung mit Zwangsstrafen als verfassungskonform und dem Gemeinschaftsrecht entsprechend beurteilt und in der Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien (1. Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 - Publizitätsrichtlinie; 4. Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. 7. 1978 - Bilanzrichtlinie) nach mehreren Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (vor allem der Entscheidung vom 4. 12. 1997, Slg 1997 I-6843 - Daihatsu) keinen Eingriff in Grundrechte der MRK oder Grundwerte der Europäischen Gemeinschaft erblickt (RS0113282). Die Rekurswerber bekämpfen diese Auffassung überwiegend mit Argumenten, die der Oberste Gerichtshof schon behandelt und abgelehnt hat. Die gesetzlichen Offenlegungspflichten nach dem Bezügebegrenzungsgesetz BGBl 1997/64 und die zu diesem Gesetz vom Verfassungsgerichtshof gestellten Fragen in dem anhängig gemachten Vorabentscheidungsverfahren zur Klärung der Vereinbarkeit der Offenlegung von Gehältern mit dem Datenschutz wurden als nicht vergleichbar beurteilt. Entscheidend sind die Verschiedenheit der Materien und der Umstand, dass im Falle der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien eine die Umsetzung der Richtlinien einfordernde Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bereits vorliegt (6 Ob 54/01m; zuletzt 6 Ob 101/01y; 6 Ob 172/01i). Gleiches gilt für den von den Rekurswerbern für ihren Standpunkt ins Treffen geführten Schlussantrag des Generalanwalts in einem beim EuGH anhängigen Verfahren, in dem die Einschränkung von Wirtschaftsgrundrechten durch eine Werberichtlinie (Tabakwerberichtlinie) insbesondere im Hinblick auf das Recht auf freie Meinungsäußerung zu prüfen ist (6 Ob 215/00m).

Dem vom Landesgericht Wels an den EuGH im Sinne der Rekurswerber gestellten Vorabentscheidungsersuchen kommt für andere Verfahren keine Bindungswirkung zu (6 Ob 305/00x und 6 Ob 306/00v = RdW 2001/372 ua; RIS-Justiz RS0114648).

Der Hinweis der Revisionsrekurswerber auf die EU-Grundrechtscharta zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die noch rechtlich unverbindliche Charta der Grundrechte (Schubarth, Die EU-Grundrechtscharta - Ein Paradigmawechsel? JBl 2001, 205), die noch keine europäische Verfassung (Hirsch, Grundrechtscharta für Europa - Anspruch - Wirklichkeit, European Law Reporter 2001, 2), sondern eine Deklaration der Staaten der Gemeinschaft darstellt (vgl die Präambel und den Text der Charta abgedruckt in Hummer/Obwexer, Der Vertrag von Nizza 305 ff) bringt im hier interessierenden Zusammenhang keine neuen Gesichtspunkte. Es ist nicht zweifelhaft, dass sowohl der nationale Gesetzgeber als auch der Gemeinschaftsrechtsgesetzgeber Eingriffe in Grundrechte nach den auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klargestellten Kriterien der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des gesetzlichen Eingriffs zu rechtfertigen haben und dass dem EuGH die Prüfungskompetenz zukommt. Im Gegensatz zur Auffassung der Rekurswerber ist von einer schon erfolgten Prüfung des EuGH auszugehen.

Der Revisionsrekurs vermag keine Umstände darzutun, die eine Änderung der oberstgerichtlichen Rechtsprechung rechtfertigen könnten. Die neben dem Rekursantrag wiederholt gestellten Anregungen auf Einholung einer Vorabentscheidung gemäß ARt 234 EG durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und auf Einleitung eines Normprüfungsverfahrens beim Verfassungsgerichtshof wurden nicht aufgegriffen. Die formellen Anträge sind zurückzuweisen (6 Ob 54/01m).

Die Vorinstanzen haben wegen Verletzung der Offenlegungsvorschrift des § 277 HGB die im § 283 HGB vorgesehene Höchststrafe verhängt. Diese Gesetzesstelle sieht Zwangsstrafen "bis zu 50.000 S" vor. Nach § 283 Abs 2 HGB ist bei weiterer Säumigkeit der Geschäftsführer innerhalb von zwei Monaten nach Rechtskraft des Strafbeschlusses eine weitere Zwangsstrafe bis zu 50.000 S zu verhängen und der Strafbeschluss zu veröffentlichen. Eine wiederholte Verhängung von Zwangsstrafen ist zulässig. Grundsätzlich hängt die Ausmessung der Strafhöhe von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (6 Ob 306/00v). Ob eine Ausschöpfung des Höchstmaßes schon anlässlich der Erstverhängung zulässig ist (ablehnend Zehetner, Folgen der Nichtoffenlegung des Jahresabschlusses, ecolex 1998, 482), muss hier nicht abschließend beurteilt werden. Jedenfalls müssten besondere Gründe für eine solche Ausschöpfung vorliegen. Aus dem gebotenen stufenweisen Vorgehen zur Erzwingung der Offenlegung und dem primären, nach Meinung des Verfassungsgerichtshofs (G 60/99 ua) sogar ausschließlichen Beugezweck der Zwangsstrafen ist das Prinzip des gelindesten Mittels abzuleiten (6 Ob 177/00y; 6 Ob 275/00h). In vielen Fällen wird schon die Androhung der Zwangsstrafe genügen, um die Kapitalgesellschaft zur Offenlegung zu veranlassen. Bei ihrer Säumigkeit hat das Firmenbuchgericht eine Strafe innerhalb des gesetzlichen Rahmens so zu bemessen, dass einerseits die Gesellschaft und ihre Geschäftsführer (Vorstandsmitglieder) nicht über Gebühr belastet werden, die Zwangsstrafe aber andererseits doch so hoch bemessen wird, dass die Erzwingung der Offenlegung wahrscheinlich erscheint. Für die Verhängung der Höchststrafe schon bei der Erstverhängung müssen daher ebenfalls besondere Gründe für die Einschätzung vorliegen, dass nur die sofortige Ausschöpfung des Strafrahmens und die Androhung der Wiederholung der Höchststrafe den Druck ausüben könnten, den die stufenweise zu verhängenden Beugemittel erzeugen sollen, damit der gesetzlichen Offenlegungspflicht entsprochen wird. Derartige Gründe sind derzeit aber nicht aktenkundig. Die Strafen sind daher zu reduzieren.

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