OGH 6Ob203/01y

OGH6Ob203/01y8.11.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichtes Wiener Neustadt zu FN ***** eingetragenen B*****, wegen Verhängung von Zwangsstrafen nach § 283 HGB, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft und ihrer Geschäftsführer Franz N***** und Robert W*****, alle vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 26. März 2001, GZ 28 R 17/01b-14, womit der Rekurs der Gesellschaft und ihrer Geschäftsführer gegen den Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 23. März 2000, GZ 1 Fr 4407/99s-8, zurückgewiesen und der Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 27. November 2000, GZ 1 Fr 4407/99s-10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Anträge der Revisionsrekurswerber auf

a) Einholung einer Vorabentscheidung gemäß Art 234 EG durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und

b) Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 89 Abs 2 iVm Art 140 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof werden zurückgewiesen. Der Unterbrechungsantrag wird abgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Eines Ausspruchs des Rekursgerichts über den Wert des Entscheidungsgegenstandes bedurfte es nicht. Firmenbuchsachen sind im Regelfall keine rein vermögensrechtlichen Angelegenheiten, die das Rekursgericht gemäß § 13 Abs 2 AußStrG (§ 15 FBG) zu bewerten hat. Das Rechtsmittel ist als außerordentlicher Revisionsrekurs zu behandeln (6 Ob 214/98h; 6 Ob 188/99m; RIS-Justiz RS0110629).

Der Oberste Gerichtshof hat schon mehrfach die österreichischen handelsrechtlichen Offenlegungsvorschriften und ihre Durchsetzung mittels Zwangsstrafen als verfassungskonform und dem Gemeinschaftsrecht entsprechend beurteilt und in der Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien (1. Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 - Publizitätsrichtlinie; 4. Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. 7. 1978 - Bilanzrichtlinie) unter Hinweis auf mehrere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (vor allem der Entscheidung vom 4. 12. 1997 Slg 1997 I-6843 - Daihatsu) keinen Eingriff in Grundrechte der MRK oder Grundwerte der Europäischen Gemeinschaft erblickt (RIS-Justiz RS0113282). Die Rekurswerber bekämpfen diese Auffassung neuerlich überwiegend mit Argumenten, die der Oberste Gerichtshof schon behandelt und abgelehnt hat. Die gesetzlichen Offenlegungspflichten nach dem Bezügebegrenzungsgesetz BGBl 1997/64 und die zu diesem Gesetz vom Verfassungsgerichtshof gestellten Fragen in dem anhängig gemachten Vorabentscheidungsverfahren zur Klärung der Vereinbarkeit der Offenlegung von Gehältern mit dem Datenschutz wurden als nicht vergleichbar beurteilt. Für diese Beurteilung sind die Verschiedenheit der Materien und der Umstand entscheidend, dass im Falle der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien eine die Umsetzung dieser Richtlinien einfordernde Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bereits vorliegt (6 Ob 54/01m; zuletzt 6 Ob 101/01y, 6 Ob 172/01i). Gleiches gilt für den von den Revisionsrekurswerbern für ihren Standpunkt ins Treffen geführten Schlussantrag des Generalanwalts in einem beim EuGH anhängigen Verfahren, in dem die Einschränkung von Wirtschaftsgrundrechten durch die Tabakwerberichtlinie insbesondere im Hinblick auf das Recht der freien Meinungsäußerung zu prüfen ist (6 Ob 215/00m).

Dem vom Landesgericht Wels an den EuGH im Sinne der Rekurswerber gestellten Vorabentscheidungsersuchen kommt für andere Verfahren keine Bindungswirkung zu (6 Ob 306/00v = RdW 2001/372; 6 Ob 305/00x; RIS-Justiz RS0114648).

Der Hinweis der Revisionsrekurswerber auf die EU-Grundrechtscharta zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf. Diese noch rechtlich unverbindliche Charta der Grundrechte (Schubarth, Die EU-Grundrechtscharta - ein Paradigmawechsel? JBl 2001, 205) stellt noch keine europäische Verfassung (Hirsch, Grundrechtscharta für Europa-Anspruch-Wirklichkeit, European Law Reporta 2001, 2), sondern eine bloße Deklaration der Staaten der Gemeinschaft dar (vgl die Präambel und den Text der Charta abgedruckt in Hummel/Obwexa, Der Vertrag von Nizza, 305 ff) und bringt im hier relevanten Zusammenhang keine neuen Gesichtspunkte. Es ist nicht zweifelhaft, dass sowohl der nationale Gesetzgeber als auch der Gesetzgeber des Gemeinschaftsrechts Eingriffe in das Grundrecht nach den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenreche klargestellten Kriterien der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des gesetzlichen Eingriffs zu rechtfertigen haben und dass dem EuGH die Prüfungskompetenz zukommt. Im Gegensatz zur Auffassung der Rekurswerber ist jedoch von einer schon erfolgten Prüfung des EuGH auszugehen.

Umstände, die eine Änderung der oberstgerichtlichen Rechtsprechung rechtfertigen könnten, werden im Revisionsrekurs nicht dargetan. Die neben dem Rekursantrag wiederholt gestellten Anregungen auf Einholung einer Vorabentscheidung gemäß Art 234 EG durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 89 Abs 2 iVm Art 140 B-VG werden nicht aufgegriffen, die formellen Anträge sind zurückzuweisen (6 Ob 54/01m), der Unterbrechungsantrag ist abzuweisen.

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