OGH 2Ob248/01m

OGH2Ob248/01m18.10.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. Walter M*****, und 2. Dr. Michael P*****, beide vertreten durch Dr. Heinz Knoflach und Dr. Eckart Söllner, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. Josef K*****, und 2. DI Peter K*****, beide vertreten durch Dr. Erwin Köll, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Entfernung (Streitinteresse S 100.000), über die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 14. März 2001, GZ 2 R 495/00h-43, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 25. Juli 2000, GZ 16 Cg 1545/97b-37, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Rekurse beider Parteien werden zurückgewiesen.

Die Kosten der Rekursbeantwortungen werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Begründung

Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer einer Liegenschaft in I*****. Ihr Haus liegt gegenüber dem unterhalb in Hanglage gebauten Hotel der Beklagten (als Miteigentümer) etwas höher. Zwischen beiden Gebäuden verläuft die Dorfstraße sowie ein von hohen Laubbäumen gesäumter Feldweg. Die Höhe der Dachtraufe des Hotels befindet sich etwa auf dem Niveau der Dorfstraße. Das Grundstück der Beklagten ist zugunsten jenes der Kläger grundbücherlich mit der "Dienstbarkeit des Nichthöherbauens gemäß Punkt 3, 4 der Vereinbarung vom 6. 10. 1966" belastet. Kernpunkt dieser Vereinbarung war, dass die Beklagten auf dem belasteten Grundstück nur ein Gebäude mit einem Erdgeschoß und zwei Stockwerken errichten durften, wobei eine Zone von 9 m (gemessen von der nördlichen Grundgrenze zur Liegenschaft der Kläger hin) überhaupt von Baulichkeiten frei zu verbleiben hatte. 1981 wurde diese Vereinbarung dahingehend einvernehmlich abgeändert, dass den Beklagten die Errichtung bzw Fertigstellung gewisser Baulichkeiten innerhalb dieser 9m-Zone doch ermöglicht werden sollte, nämlich ein Hallenschwimmbad, zwei Kellerräume und ein dazwischen befindliches Stiegenhaus. Die zwischen den Klägern und dem Erstbeklagten (dieser auch mit Rechtswirksamkeit für den Zweitbeklagten) getroffene Vereinbarung war sodann Grundlage der Verbücherung einer "Reallast, die Dächer der in einem Ausmaß von 9 m von der nördlichen Grundgrenze errichteten bzw noch zu errichtenden Baulichkeiten zu humusieren und zu begrünen und in diesem Zustand zu erhalten" sowie der "Dienstbarkeit, in einem Abstand von 9 m zur nördlichen Grenze das Abstellen von Fahrzeugen und das Benützen der Dächer von Baulichkeiten in diesem Grundstreifen zu unterlassen".

Im Zeitpunkt der Vereinbarung vom 21. 8. 1981 waren nur die Fundamente eines Zubaus in der 9 m-Zone vorhanden, die das umgebende Erdreich nicht überragten. Bereits 1982, spätestens 1983 haben die Beklagten ein Stiegenhaus bis zur Dachtraufe des Hotelneubaus aufgeführt, welches das umgebende Erdreich um 2,9 m überragte. 1995 haben die Beklagten den Zubau neuerlich um einen Dachaufbau erweitert, dessen Dachtraufe 3,26 m über dem Erdboden liegt, samt Blechdach sogar 5,45 m.

Durch den vorgenommenen Aufbau wird den Bewohnern des Hauses der Kläger die freie Sicht auf eine vor der dortigen Patscherkofelbahn gelegene Busstation bzw auf den Eingangsbereich der Seilbahn nur geringfügig genommen, wobei diese geringfügige Beschränkung dadurch "stark relativiert" wird, dass sich zwischen den Grundstücken der Streitteile eine Reihe hoch aufragender Laubbäume befindet, von denen eine weit gravierendere Sichtbehinderung ausgeht.

Mit der am 1. 8. 1997 eingebrachten Klage stellten die Kläger zunächst zwei Haupt- und zwei zugehörige Eventualbegehren auf Entfernung des im Norden des Hotels errichteten Zubaus (Stiegenhaus) einerseits und des Dachaufbaues andererseits. Diese Begehren wurden im Laufe des Verfahrens mehrfach neu gefasst, modifiziert und präzisiert (zuletzt laut Schriftsatz ON 34, wobei die Klageänderung mit in seinem Urteil aufgenommenen Beschluss des Erstgerichtes zugelassen wurde und dieser Beschluss unbekämpft in Rechtskraft erwuchs).

Die beklagten Parteien bestritten sämtliche Klagebegehren und wendeten ua Verjährung, Freiheitsersitzung und Schikane ein.

Das Erstgericht wies sämtliche Haupt- und Eventualbegehren ab. Nach dem Willen der Streitteile anlässlich ihrer getroffenen Vereinbarungen sollte den Beklagten zwar jegliches Höherbauen über Erdbodenniveau generell untersagt werden, jedoch hätten sich die Kläger zwischen 1983 bis 1996 nie dagegen ausgesprochen, sodass die Voraussetzungen für eine Freiheitsersitzung nach § 1488 ABGB vorlägen. Das zweite Begehren (betreffend den Dachaufbau) erweise sich überdies als schikanös, weil - ausgehend von einer mit dem Überbau verbundenen Kostenbelastung zwischen S 100.000 und S 200.000 - für die Kläger hiemit (weil ihnen die freie Sicht durch die Bäume wesentlich mehr genommen sei als durch diesen Aufbau) "kein nennenswerter Vorteil" verbunden wäre und damit ein krasses Missverhältnis im Sinne des § 1295 Abs 2 ABGB gegeben wäre.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach weiter aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 52.000, nicht jedoch S 260.000 übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Ohne die Beweisrüge der Beklagten in ihrer Berufungsbeantwortung zu behandeln, führte es in rechtlicher Hinsicht aus, dass § 1488 ABGB nach herrschender Meinung auch bei bloßen negativen Servituten (gerichtet auf eine Unterlassung) Anwendung finde; die Frist hiefür sei bei Klageeinbringung längst abgelaufen gewesen. Jedoch habe das Erstgericht zu Unrecht eine Rechtsmissbräuchlichkeit der erhobenen Begehren unterstellt; hiebei sei ein strenger Maßstab angebracht, verbunden mit einer umfassenden Interessenabwägung, welche Bewertung (noch) nicht zu Lasten der Kläger ausschlage. Allerdings seien die unterschiedlichen Begehren der Kläger (auch nach ihrer "Präzisierung") spruchmäßig zu allgemein gehalten und damit nicht exequierbar; der Ausspruch, einen Zu- bzw Aufbau zu entfernen, müsste zweckmäßigerweise durch einen dem Urteil anzuschließenden Plan verdeutlicht werden, wobei die derzeit vorliegenden Pläne eine konkrete, für jeden Dritten leicht fassbare Formulierung der Leistungsbefehle nicht zuließen; darüber hinaus umfasse das erste Hauptbegehren (hinsichtlich dessen teilweise Verjährung zu bejahen sei) die im Jahr 1995 vorgenommenen Aufbauten nur hinsichtlich des Stiegenhausaufbaus, nicht aber des weiteren Aufbaus im Bereich zwischen den Dachflächen zwischen dem Altbestand des Hotels und dem Neubau. Alle diese Fragen seien mit den Parteien noch näher zu erörtern.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde mit der Begründung für zulässig erklärt, dass "einerseits die Frage, ob die Verjährungsbestimmung des § 1488 ABGB auch bei Dienstbarkeiten anwendbar ist, die nur in einer Unterlassungspflicht bestehen, nicht gänzlich einhellig beurteilt wird, und andererseits die Interessenabwägung bei der Beurteilung der Frage, ob eine Rechtsdurchsetzung 'missbräuchlich' ist, zwar grundsätzlich an den Verhältnissen des Einzelfalles gemessen werden muss, eine Judikatur für den Fall, dass eine geringfügige Beeinträchtigung in offenkundig bewusster Missachtung vertraglicher oder verbücherter Rechte herbeigeführt wurde, aber nicht aufgefunden wurde".

Gegen diese Entscheidung richten sich die Rekurse beider Parteien, jeweils wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (das Rechtsmittel der beklagten Parteien überdies auch wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens), verbunden mit den Anträgen auf Abänderung im Sinne einer Klagestattgebung bzw Klageabweisung (Wiederherstellung des Ersturteils), hilfsweise auch mit Aufhebungsanträgen. Beide Parteien haben auch Rekursbeantwortungen erstattet, in denen wechselseitig der Antrag gestellt wird, die Rechtsmittel der jeweiligen Gegner mangels Vorliegens der Zulässigkeitsvoraussetzungen zurückzuweisen bzw ihnen keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse sind mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 (§ 519 Abs 2) ZPO nicht zulässig. Der Oberste Gerichtshof ist an den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Die Begründung des Obersten Gerichtshofes kann sich hiebei gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz iVm § 528a ZPO auf die Zurückweisungsgründe beschränken.

a) Zur ersten vom Berufungsgericht formulierten Rechtsfrage liegt bereits eine gefestigte und seit Jahrzehnten (ausgehend von SZ 28/94) gesicherte Rechtsprechung vor (zuletzt 3 Ob 207/98g; RIS-Justiz RS0034381). Danach verjähren auch Servituten, die nur ein Unterlassen zum Gegenstand haben, gemäß § 1488 ABGB, wenn auf dem dienenden Grundstück der Verpflichtung entgegen gehandelt wird, ohne dass von den Eigentümern des herrschenden Grundstückes dagegen (trotz Kenntnis der Widersetzlichkeit: RIS-Justiz RS0034271) innerhalb der hierin normierten Frist von drei aufeinander folgenden Jahren eingeschritten und richterliche Hilfe (RIS-Justiz RS0034241) in Anspruch genommen wird - wie dies von den Vorinstanzen für die Zeit der ersten verpönten Baumaßnahme ab 1983 bejaht wurde. Diese Rechtsauffassung wird auch vom Schrifttum (Schubert in Rummel, ABGB**2 Rz 2 zu § 1488; Mader in Schwimann, ABGB**2 Rz 2 zu § 1488; vgl auch Koziol/Welser I11 385 f, wonach die bloße Errichtung eines Hindernisses - hier der sichtschmälernden Höherbauten -, das die Ausübung der Servitut - hier der freien Aussicht - hindert bzw unmöglich macht und von dem der Berechtigte Kenntnis hat, jedoch dagegen nichts unternimmt, tatbildlich ist) geteilt.

Die Frage, ob eine (die Freiheitsersitzung hinreichend auslösende) Widersetzlichkeit vorliegt, ist stets von den Umständen des Einzelfalles abhängig (Schubert, aaO; 7 Ob 146/01y; RIS-Justiz RS0034241).

b) Die Interessenabwägung im Zusammenhang mit der Beurteilung einer Rechtsdurchsetzung als missbräuchlich ist ebenfalls typisch einzelfallabhängig. Von einer gegen die guten Sitten verstoßenden missbräuchlichen Rechtsausübung kann nur gesprochen werden, wenn demjenigen, der sein Recht ausübt, jedes andere Interesse abgesprochen werden muss als eben das Interesse, dem anderen Schaden zuzufügen (RIS-Justiz RS0026271, 0026265, 0025230). Auch eine nur geringfügige, aber dauernd wirkende Störung kann - bei drohender Wiederholung - jedenfalls zum Gegenstand einer servitutenrechtlichen Unterlassungsklage gemacht werden (RIS-Justiz RS0037140). Wenn das Berufungsgericht - abweichend vom Erstgericht - die aus der besonderen Lage der Örtlichkeit der betroffenen Grundstücke (Hanglage; Feldweg mit hohen Laubbäumen, welche die Sicht weit mehr einschränken als der verfahrensgegenständliche Höherbau, allerdings naturgemäß nur während der laubtragenden Jahreszeiten) abgeleitete Situation der Streitteile so interpretierte, dass es den Klägern keinen derartigen Rechtsmissbrauch unterstellte, lag dies im Beurteilungs- und Ermessensspielraum, der einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof nicht zugänglich ist. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO liegt damit (ebenfalls) nicht vor.

c) Die von den beklagten Parteien gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt - wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat - nicht vor, was gemäß § 510 Abs 3 dritter Satz ZPO keiner weitergehenden Begründung bedarf. Dass durch den von den Beklagten vorgenommenen Aufbau "keine relevante" Beeinträchtigung der Aussicht der Kläger erfolgt, wurde von den Vorinstanzen ohnedies festgestellt.

d) Die dem Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichtes zugrundliegenden Rechtsansichten sind somit richtig, sodass nicht weiter zu überprüfen ist, ob die Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist (Kodek in Rechberger, ZPO**2 Rz 5 zu § 519; RIS-Justiz RS0043814; 2 Ob 9/96). Wenn das Berufungsgericht die Formulierung der fraglichen Klagebegehren für erörterungs- und ergänzungsbedürftig hielt und dabei insbesondere die Beschaffung weiterer planmäßiger Urkunden zur topographischen Eingrenzung und Präzisierung für unentbehrlich hielt, kann dem der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten.

e) Beide Rekurse sind damit als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 Abs 1 ZPO. Zufolge gleich hoher Rechtsmittelinteressen heben sich die beiderseits erstatteten Rekursbeantwortungen kostenmäßig auf. Beide Parteien haben auf die Unzulässigkeit des Rekurses der jeweiligen Gegner (zutreffend) hingewiesen.

Stichworte