OGH 8Ob65/01v

OGH8Ob65/01v13.9.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer, Dr. Rohrer, Dr. Spenling und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Doralt, Seist, Csoklich, Rechtsanwalts-Partnerschaft in Wien, wider die beklagte Partei S***** Gesellschaft m.b.H., ***** vertreten durch Dr. Longin Josef Kempf und Dr. Josef Maier, Rechtsanwälte in Peuerbach, wegen S 1,944.053,30 s.A., infolge außerordentlicher Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 24. Jänner 2001, GZ 4 R 221/00y-56, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen beider Parteien werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Zur außerordentlichen Revision der Klägerin:

Die Wertung, ob ein Verhalten zum groben Verschulden zu rechnen ist, erfolgt immer nur auf Grund der Umstände des Einzelfalls. Eine erhebliche Rechtsfrage könnte nur dann vorliegen, wenn dem Berufungsgericht eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (RIS-Justz RS0044262; 7 Ob 376/97p u.a.). Dies ist hier nicht der Fall: Die Vorinstanzen haben die einzelnen Sachverhaltselemente sehr sorgfältig abgewogen. Das Berufungsgericht hat zudem die österreichische und deutsche Lehre und Rechtsprechung eingehend analysiert und gelangte zu dem Schluss, dass diesen Quellen nicht zu entnehmen sei, die "Benelux-"Staaten hätten bisher in Bezug auf LKW-Diebstähle als besonders gefährlich gegolten. Es verwies auch auf eine Entscheidung des OLG Köln, wonach das Abstellen eines unbewachten Sattelauflegers auf einem grenznahen niederländischen Autobahnparkplatz nicht als grob fahrlässig gewertet wurde. Bedenkt man, dass der Fahrer seinen LKW an den Wochenenden in einer - wenngleich nicht beleuchteten - Nebenstraße hinter seinem Wohnhaus, von welchem er - wenngleich eingeschränkte - Sicht auf das Fahrzeug hatte, abstellte und dass es dort bislang zu keinen Diebstählen gekommen ist, sowie dass die Vorinstanzen eine besondere Diebstahlgefährdung für den Wohnort des Lenkers nicht feststellen konnten, liegt in der Verneinung grober Fahrlässigkeit keine Fehlbeurteilung, die eine Korrektur durch den Obersten Gerichtshof erforderlich machte.

Das Berufungsgericht hat die Versäumung des für einen Teil der Ladung vereinbarten (vor dem Wochenende liegenden) Ablieferungstermins als kausal für den durch den Diebstahl dieses Ladungsteils verursachten Schadens gesehen und diesbezüglich wegen Vorliegens grober Fahrlässigkeit vollen Ersatz gewährt. Die Revisionswerberin meint, diese Überlegungen müssten auch für jenen Teil der gestohlenen Waren gelten, die vereinbarungsgemäß erst nach dem Wochenende abzuliefern gewesen wären. Bereits die dazu vorgetragenen Hypothesen über den bei rechtzeitiger Ablieferung des ersten Ladungsteils möglichen weiteren Ablauf der Geschehnisse zeigen die Einzelfallabhängigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage, die vom Berufungsgericht jedenfalls nicht offenkundig unrichtig gelöst wurde.

Zur außerordentlichen Revision der Beklagten:

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Entgegen der von der Revisionswerberin vetretenen Ansicht hat die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren ausdrücklich vorgebracht, dass der Diebstahl vermieden worden wäre, wenn die Beklagte vertragskonform den Ablieferungstermin eingehalten hätte (AS 29 = S 7 in ON 4). Es kann auch keine Rede davon sein, der Oberste Gerichtshof hätte sich noch nie mit Fragen der verspäteten Ablieferung der Ladung beschäftigt. Der Ersatz kausaler Schäden auf Grund verspäteter Lieferung wurde etwa in SZ 60/64; ZfRV 1999, 65 und 5 Ob 74/99i ausführlich behandelt.

Die vom Schutzzweck eines Vertrages umfassten Interessen, deren Verletzung schadenersatzpflichtig macht, sind aus dem Sinn und Zweck des Vertrages im Wege der Auslegung zu ermitteln. Es ist eine am konkreten Vertragszweck ausgerichtete individualisierende Betrachtung vorzunehmen (RIS-Justiz RS0017850). Wie weit der Schutzzweck eines singulären Vertrages geht, berührt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0042761; 9 Ob 28/00h). Dass die Vereinbarung eines vor dem Wochenende liegenden Entladetermins auch die Verminderung der Diebstahlsgefahr während der Stehzeit bezwecken kann, bedarf keiner weiteren Erörterung. Eine grobe Fehlbeurteilung ist dem Berufungsgericht daher im Ergebnis bei Zuspruch des vollen Ersatzbetrages für die vereinbarungsgemäß vor dem Wochenende zu liefernde Ware nicht unterlaufen.

Die Revisionswerberin missversteht die Entscheidung 1 Ob 621/90, wenn sie daraus ableiten will, die Beurteilung, ob Vorsatz, grobe oder leichte Fahrlässigkeit vorliege, sei Tatfrage und daher vom Berufungsgericht nicht ohne Beweiswiederholung abänderbar. Vielmehr ist bei Beurteilung des Verschuldens nur die - allein Gegenstand der Rechtsausführungen in der zitierten Entscheidung bildende - Feststellung, welches Verhalten jemand an den Tag gelegt hat, welche persönlichen Eigenschaften, Fähigkeiten und Kenntnisse er gehabt und unter welchen Umweltbedingungen er gehandelt hat, Tatsachenfeststellung. Ob das festgestellte Verhalten in der konkreten Situation als vorsätzlich, grob oder leicht fahrlässig oder als entschuldbare Fehlleistung zu beurteilen ist, gehört demgegenüber zur rechtlichen Beurteilung (Fasching LB2 Rz 1926). Dem Berufungsgericht war es daher nicht verwehrt, auf Grundlage der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen das Nichteinhalten des vereinbarten Ablieferungstermins im Rahmen der Behandlung der Rechtsrüge der Klägerin als grob fahrlässig zu beurteilen.

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