OGH 10Ob86/01x

OGH10Ob86/01x8.5.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer, Dr. Fellinger, Dr. Hoch und Dr. Neumayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Sascha S*****, vertreten durch seinen Vater Johann S*****, ebendort, vertreten durch Dr. Peter Steinbauer, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. Irmtraud K*****, Dipl.Hebamme i.R., *****, vertreten durch Dr. Harold Schmid, Rechtsanwalt in Graz, und 2. Dr. Kurt T*****, praktischer Arzt, *****, vertreten durch Dr. Jörg Herzog, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 2,150.000,-- und Feststellung (S 100.000,--), infolge außerordentlicher Revisionen der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 1. Februar 2001, GZ 2 R 1/01m-152, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der Kläger kam am 24. 8. 1988 in dem von der Erstbeklagten geführten Entbindungsheim zur Welt, nachdem die Erstbeklagte - wie auch in früheren Fällen beim Auftreten von Problemen - den Zweitbeklagten beigezogen hatte. Im Hinblick auf die vorhandenen Risikoindikationen erfolgte die Beiziehung eines Arztes verspätet.

Der Kläger war unmittelbar nach der Geburt bewusstlos und schwer deprimiert; er atmete und schrie nicht und machte einen leblosen Eindruck. Er wurde vom Zweitbeklagten mittels eines Ambubeutels beatmet, aber nicht intubiert, wie es medizinisch indiziert gewesen wäre. Der anschließende Transport des ateminsuffizienten Klägers ohne ausreichende Beatmung in das LKH V***** (in Begleitung des Zweitbeklagten) entsprach nicht dem Stand der neonatologischen Medizin des Jahres 1988 und ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Hauptfaktor, der zu der nunmehr vorliegenden schwersten Behinderung des Klägers geführt hat. Obwohl der Kläger bei Ende seiner Geburt schwer deprimiert war, hätte er durchaus Chancen gehabt, die Situation schadlos zu überstehen, wenn ab diesem Moment eine optimale neonatale Versorgung eingesetzt hätte, nämlich eine suffiziente Intubation, ausreichend Wärme und nach Bedarf eventuell eine Bekämpfung der Azidose. Diese Versorgung hätte sofort einsetzen müssen; schon eine zehnminütige Verspätung war katastrophal.

Der Kläger ist praktisch bewegungsunfähig; es kommt jedoch zu unwillkürlichen gekrümmten Körperhaltungen, Stellungen und Bewegungen, die immer wieder Unbehagen und streckenweise auch Schmerzen verursachen. Motorisch ist der Kläger einem drei Monate alten Säugling gleichzusetzen. Es besteht die Gefahr, dass auf Grund der motorischen Schädigung des Klägers eine Verschlechterung seines Zustandes eintritt, die Operationen notwendig machen könnte. In mentaler Hinsicht hat der Kläger den Entwicklungsstand eines Kindes im ersten, höchstens zweiten Lebensjahr.

In seiner am 22. 8. 1991 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte der Kläger zunächst von den Beklagten zur ungeteilten Hand (nur) die Bezahlung eines Schmerzengeldes von S 180.000,-- s.A., das für den Zeitraum vom 24. 8. 1988 bis 24. 8. 1991 zumindest anzusetzen sei, und die Feststellung, die beklagten Parteien hafteten ihm für alle Schäden, Aufwendungen und Nachteile aus der unterlassenen Hilfeleistung bzw mangelnden Betreuung und Versorgung, vor, während und nach seiner Geburt. In der Klage wird unter anderem vorgebracht, dass der Kläger voraussichtlich ständig auf einen Rollstuhl mit Kopfstütze angewiesen sein werde, dass sich die Tetraparese vermutlich nur minimal verbessern werde und dass der Kläger daher nicht in der Lage sein werde, einen ordentlichen Beruf zu erlernen und auszuüben.

Mit der Behauptung, es habe sich nunmehr herausgestellt, dass ganz offensichtlich keine Aussicht auf eine Verbesserung des Zustandes des Klägers bestehe, dehnte der Kläger in der Tagsatzung vom 29. 9. 1999 sein Leistungsbegehren dahingehend aus, dass er - neben dem Feststellungsbegehren - ein Schmerzengeld von S 1,800.000,-- s.A. und eine Verunstaltungsentschädigung von S 350.000,-- begehrte.

Das Erstgericht gab dem ausgedehnten Klagebegehren zur Gänze statt. Das Berufungsgericht bestätigte und ließ die ordentliche Revision nicht zu, weil sich keine erheblichen Rechtsfragen von einer über den Einzelfall hinausgehenden grundsätzlichen Bedeutung gestellt hätten.

Rechtliche Beurteilung

Ob und inwieweit ein schuldhaftes Verhalten des Zweitbeklagten kausal für den Zustand des Klägers war, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, die für den Obersten Gerichtshof nicht überprüfbar sind. Eine unvertretbare Fehlbeurteilung der Vorinstanzen ist nicht zu ersehen.

Dass die Voraussetzungen des § 1326 ABGB auch bei einem Kind vorliegen können, ohne dass feststeht, welchen Beruf das Kind einmal ergreifen und ob es überhaupt ein Alter erreichen wird, in dem es einen Beruf ausüben kann, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (zuletzt 1 Ob 161/00h = ZVR 2001/25). Eine Differenzierung nach dem Geschlecht ist überholt (Schwimann/Harrer, ABGB VII**2, § 1326 Rz 16 und 19).

Mit einem Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung von S 350.000,-- wird der von der Judikatur entwickelte Bemessungsrahmen nicht

gesprengt (vgl 6 Ob 143/98t = ZVR 1999/47 mit einem Zuspruch von S

350.000,-- und 1 Ob 161/00h = ZVR 2001/25 mit einem Zuspruch von S

300.000,-- an Stelle der begehrten S 400.000,--). Dies gilt auch für das Schadenersatzbegehren (vgl 6 Ob 2394/96 = ZVR 1997/66 mit einem Zuspruch von S 1,750.000,-- statt der begehrten S 2,000.000,--).

Die Rechtsprechung lässt eine Ausdehnung von Ansprüchen auf Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung im anhängigen Prozess auch nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist zu, wenn die Leistungsklage mit einer in der Folge erfolgreichen Feststellungsklage verbunden war (SZ 64/51 mwN, 7 Ob 531/91, 2 Ob 2423/96d).

Stichworte