OGH 6Ob2394/96v

OGH6Ob2394/96v13.2.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Michael W*****, vertreten durch die Mutter Margit W*****, diese vertreten durch Dr.Burkhard Hirn, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei Stadt D*****, vertreten durch den Bürgermeister, Rudolf S*****, vertreten durch Dr.Rolf Philipp, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen 5,466.370 S, infolge der Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 29. August 1996, GZ 2 R 156/96z-67, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Teilurteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 17. April 1996, GZ 10 Cg 263/93f-53, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 12.195 S (darin 2.032,50 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erlitt infolge Sauerstoffmangels beim Geburtsvorgang am 23.11.1989 im Krankenhaus der Beklagten eine nicht reparable Gehirnschädigung sowie weitere schwere Körperschäden. Die Haftung der Beklagten steht nach ihrem Anerkenntnis fest (Anerkenntnisurteil ON 19).

Mit seiner Klage und nach mehreren Ausdehnungen des Klagebegehrens begehrte der Kläger neben geltend gemachten Heilungskosten ein Schmerzengeld von insgesamt 2 Mill S und eine Verunstaltungsentschädigung von 400.000 S.

Die Beklagte zahlte bisher 1,5 Mill S an Schmerzengeld und 200.000 S an Verunstaltungsentschädigung.

Mit Teilurteil vom 17.4.1996 sprach das Erstgericht unter Berücksichtigung der erwähnten Zahlungen dem Kläger einen weiteren Schmerzengeldbetrag von 500.000 S und für die Verunstaltung eine weitere Entschädigung von 150.000 S zu und wies das Mehrbegehren für die Verunstaltung von 50.000 S ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten, die eine gänzliche Abweisung des Schmerzengeld- und Entschädigungsbegehrens anstrebt, teilweise Folge. Es sprach dem Kläger nur einen weiteren Schmerzengeldbetrag von 250.000 S zu, bestätigte den Zuspruch der Verunstaltungsentschädigung und wies das Mehrbegehren von insgesamt 300.000 S (250.000 S Schmerzengeld und 50.000 S Verunstaltungsentschädigung) ab. Das Berufungsgericht übernahm die erstinstanzlichen Feststellungen und zitierte diese wie folgt:

"Das Gehirn des mj. Michael W***** weist seit seiner Geburt am 23.11.1989 als Folge einer schweren perinatalen Asphyxie ausgedehnte postischämische Schäden in den Grenzzonen der cerebralen Arterien und im Stammganglienbereich auf. Es besteht somit der Folgezustand einer sehr schweren Gehirnschädigung bei Geburt, zunächst zu beschreiben als cerebrale Bewegungsstörung im Sinne einer spastischen Tetraplegie. Dies bedeutet eine vom Gehirn ausgehende Lähmung aller 4 Extremitäten. Diese äußert sich einerseits in einer starken Reduktion der Muskelkraft und andererseits in einem erhöhten Muskelgrundtonus.

Folge davon ist eine nahezu vollständige Bewegungslosigkeit des Patienten und eine abnorme Liegehaltung, aus der sich der Kläger selbst nicht herausbewegen kann. Weder ein aktives Drehen des Kopfes, noch ein aktives Bewegen der Hände, ein gezieltes Greifen mit den Armen, ein Umdrehen oder Aufsitzen aus der unnatürlichen Liegeposition ist möglich.

Der gesteigerte Muskeltonus bewirkt eine Grundhaltung, in der das Kind mit einer Kopfbewegung und Drehung zur linken Seite in einer insgesamt re-konvexen Körperhaltung auf dem Rücken liegt. Das Kind kann deshalb nicht gerade liegen.

Die Steigerung des Muskeltonus und der Muskeleigenreflexe durch die vom Gehirn ausgehende Lähmung führt zu Kontrakturen. Dies sind sog. Gelenksversteifungen im Bereich der Schultern, der Ellbogen (wobei hier eine Beugekontraktur von ca. 20 Grad besteht), Kontrakturen im Bereich der Hände zeigen sich als Plantarbeugung im Handgelenk, Ulnardeviation im Handgelenk mit ständig gebeugten Fingergrundgelenken und Interphalangealgelenken und einem ständig eingeschlagenen, bewegungslosen Daumen.

Nur von einer Hilfsperson unterstützt, kann der Kläger sitzen und dabei derzeit (zum Untersuchungszeitpunkt im Alter von 5 Jahren und 3 Monaten) den Kopf recht gut kontrollieren, aus der Linkshaltung in die gerade Position bringen und über einige Zeit mit dem Blick nach vorne gewendet halten.

Bedingt durch die Muskelschwäche der Gesichtsmuskulatur steht der Mund ständig offen und vermag der Kläger den im Mund produzierten Speichel nicht zu schlucken. Dieser rinnt daher nahezu ständig aus dem Mund heraus.

Die gestörte Motorik und Koordination des Schluckens erlaubt nur verzögerte und verminderte Nahrungsaufnahme, bei der es immer wieder zu Aspirationen kleiner Nahrungsmengen kommt. Folge davon ist eine ständige chronische Bronchitis, welche mit dauernder Inhalationstherapie behandelt werden muß. Immer wieder kommt es zu akuten Verschlechterungen des Zustandes des Klägers durch Verschlucken von Speisen und Speichel, wobei nur durch sofortiges Eingreifen und Absaugen des Schleims mit einem speziellen Gerät im Bereich des Mundes und Halses ein Ersticken verhindert werden kann. Ständig drohen schwere Infektionen der Lunge.

Die problematische Nahrungsaufnahme führt zu weiteren Beschwerden.

Der Kläger kann keine normale Nahrung zu sich nehmen, sondern muß ständig mit Breikost und Flüssigkeit ernährt werden. Dabei muß ihm die Flasche gehalten werden. Die Nahrungsaufnahme dauert wesentlich länger als bei einem gesunden Kind, da ständig Schluckstörungen auftreten.

Eine Zahnpflege ist sehr schlecht möglich. Unvermeidlich leidet der Kläger deshalb an einem extrem kariösen Milchgebiß.

Die verminderte Nahrungsaufnahme ist teilweise Ursache des auftretenden Kleinwuchses (12,2 kg Gewicht, Länge 100 cm im Alter von 5 Jahren und 3 Monaten).

Die Art der Nahrung führt auch zu chronischer Verstopfung. Während das Wasserlassen spontan erfolgt, muß der Stuhl aufgrund der Muskelschwäche unter Zuhilfenahme eines Fieberthermometers oder durch alle 2 oder 3 Tage erfolgende Einläufe produziert werden.

Weitere Folge der Zerstörung des Gehirns ist ein cerebrales Anfallsleiden in Form einer Epilepsie. Diese manifestierte sich erstmals im Jahre 1990 als sog BNS-Epilepsie mit über 100 kurzen cerebralen Anfällen täglich. Nach erfolgreicher Medikamententherapie dauerte dieses schwere Anfallsleiden nur bis zum Juni 1991. Seither treten derzeit ungefähr dreimal täglich, vor allem in der Einschlafphase, sog. myoklonische Anfälle auf, mit kurzen, generalisierten, Sekundenbruchteile dauernden Zuckungen des gesamten Körpers. Große epileptische Krampfanfälle sind weiterhin möglich. Ein solcher trat zuletzt im September 1994 mit einer Dauer von ungefähr 1/2 Stunde auf.

Die Hirnschädigung bedingt einen schweren geistigen und motorischen Entwicklungsrückstand. Grob- und Feinmotorik zeigten zum Untersuchungszeitpunkt im Alter von 5 Jahren und 3 Monaten einen Entwicklungsstand, der maximal dem eines gesunden Kindes im Alter von 2 bis 3 Monaten entspricht.

Auch die vorhandenen Möglichkeiten wie die Kopfkontrolle im gehaltenen Sitz sind lediglich Erfolge einer sehr ausgeprägten Physiotherapie und Hippotherapie.

Sprachlich entspricht der Entwicklungsstand dem eines gesunden Kindes im maximalen Alter von 4 bis 5 Monaten. Möglich sind nur ein Augenzuwenden nach der Stimme, ein Lächeln und einige reibende Laute.

Ob die nächsten physiotherapeutischen Ziele, nämlich das Erreichen eines aktiven Greifens und das Hebeiführen eines Hand-Mund-Kontaktes zum eventuellen Ermöglichen eines selbständigen Trinkens erreicht werden können, ist fraglich.

Ein freies Sitzen, selbständiges Aufrichten oder ein selbständiges Gehen sind mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten.

Die Lebenserwartung des Klägers ist stark eingeschränkt.

Komplikationen im Sinne eines Erstickens bei der Nahrungsaufnahme oder cerebrale Krampfanfälle können ständig auftreten. Aspirationen bei der Nahrungsaufnahme oder ansonsten banale Infekte können durch die gestörten Lungenfunktionen zum Auslöser schwerer Lungenentzündungen werden, die wegen der an sich geschwächten Atemmuskulatur lebensbedrohend sind.

Das Dasein des Klägers ist ein schmerzhaftes:

Der gesteigerte Muskelgrundtonus führt zu einer beständigen und vom Kläger nicht selbst korrigierbaren unnatürlichen Verkrümmung des gesamten Körpers, welche an sich schmerzhaft ist. Daß der Kläger seine Lage nicht selbst verändern kann, führt zu Druckstellen. Die Gelenksversteifungen müssen durch schmerzhafte gymnastische Bewegungen immer wieder gelöst werden. Mehrfach erforderten die Gelenkskontrakturen schon operative Eingriffe.

Die beeinträchtigte Lungenfunktion hat laufend Bronchitis zur Folge. Unkontrollierbarer Speichelfluß und nur eingeschränkt mögliche Mundhygiene führen zu schmerzhaftem Kariesbefall der Zähne und zu häufigen Entzündungen im Bereich von Mund und Rachen. Chronische Verstopfung als Folge der Schwäche des Verdauungstraktes verursacht zusätzliche Beschwerden.

Wenn auch der Kläger aufgrund seiner geistigen Beeinträchtigung nicht in der Lage ist, eingehendere Überlegungen über seine Lebenssituation anzustellen und intellektuell zu erfassen, was ihm an Annehmlichkeiten eines normalen Lebens entgeht, so ist er doch fähig, physische Schmerzen zu empfinden. Wie das Kind bei Zuwendung zu einem Lächeln imstande ist, so reagiert es auf Schmerzreize durch Weinen. Es reagiert positiv auf die Anwesenheit der Mutter und ist in deren Nähe deutlich ruhiger, während ungewohnte Situationen Aufregung und Unruhe verursachen.

Insgesamt ist davon auszugehen, daß der Kläger zur Empfindung von Schmerzen in derselben Weise fähig ist wie ein gesundes fünfjähriges Kind, wenn auch Wahrnehmungsstörungen vorhanden sind, die für eine gesunde Person nicht bis ins letzte nachvollziehbar sind.

Von der Art und dem Ausmaß der Beschwerden her befindet sich der Kläger praktisch ständig in einem Zustand, der für einen gesunden Erwachsenen schon rein physisch mit nahezu unerträglichen ständigen Schmerzen verbunden wäre.

Der Kläger wird seit der Geburt von der Mutter aufopfernd gepflegt. Er ist auf deren Pflege vollständig angewiesen. Seine Betreuung, insbesondere die sehr schwierige Nahrungsaufnahme, die erforderlichen gymnastischen Übungen und das immer wieder vorzunehmende Absaugen von Speichel aus dem Mund und Rachen erfordern Spezialkenntnisse, wie sie sonst nur eine ausgebildete Krankenschwester oder ein Krankenpfleger aufweisen.

Die Betreuung hat wegen der ständigen Komplikationen und der Gefahr akut bedrohlicher Situationen täglich über 24 Stunden zu erfolgen bzw muß die betreuende Person beständig zu sofortigem Eingreifen bereit sein.

Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß zu einer nahezu vollständigen Zerstörung der menschlichen Persönlichkeit des Verletzten andauernd schwere - zumindest körperliche - Schmerzen hinzutreten, die einer gesunden erwachsenen Person beständig nahezu unerträglich erscheinen würden."

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht zur Höhe des Schmerzengeldes aus, daß der Oberste Gerichtshof bisher Höchstbeträge von 1,5 Mill S zugesprochen habe. Dabei seien schwerste Schädelverletzungen mit einer völligen Querschnittslähmung und dauernden Pflegebedürftigkeit der Betroffenen zu beurteilen gewesen. Diesen Sachverhalten sei der vorliegende durchaus vergleichbar. Das Krankheitsbild des Klägers sei - soferne Vergleiche überhaupt noch möglich seien - als noch schlechter zu bezeichnen. Auch im Hinblick auf die seit der Entscheidung 2 Ob 65/93 eingetretene Kaufkraftminderung sei ein Schmerzengeld von 1,750.000 S gerechtfertigt. Zur Verunstaltungsentschädigung verwies das Berufungsgericht zunächst darauf, daß der Oberste Gerichtshof bisher einen Höchstbetrag von 300.000 S zugesprochen habe. Unter Berücksichtigung des vom Erstgericht festgestellten Zustandsbildes des Klägers und ebenfalls unter Bedachtnahme auf die eingetretene Kaufkraftminderung seit der Entscheidung 2 Ob 65/93 sei eine Verunstaltungsentschädigung von 350.000 S gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil es über die bisher vom Obersten Gerichtshof zugesprochenen Höchstbeträge nicht unerheblich hinausgegangen sei.

Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen beider Parteien. Der Kläger beantragt die Abänderung dahin, daß ein weiterer Schmerzengeldbetrag von 250.000 S zugesprochen werde.

Der Beklagte beantragt die Abänderung dahin, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt ferner, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Angemessenheit von Schmerzengeld und Entschädigung für Verunstaltung hängt zwar regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab. Zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung ist aber immer ein objektiver Maßstab anzulegen. Der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen darf im Einzelfall nicht gesprengt werden (ZVR 1993/150). Ob das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung den ihm eingeräumten Ermessensrahmen überschritten hat, ist im Hinblick auf die Höhe des zugesprochenen Schmerzengeldbetrages, der die bisher in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung zuerkannten Beträge übersteigt, eine erhebliche Rechtsfrage. Die Revisionen sind daher zulässig. Sie sind aber nicht berechtigt.

Zu beurteilen sind die Angemessenheit des Schmerzengeldes (der Kläger erachtet 2 Mill S für angemessen, die Beklagte 1,5 Mill S, das Berufungsgericht 1,750.000 S) und die Angemessenheit der Verunstaltungsentschädigung (350.000 S).

Der aufgrund seiner Fachzuständigkeit häufig mit Schmerzengeldforderungen in besonders schweren Fällen (verbunden mit Dauerfolgen) befaßte 2.Senat des Obersten Gerichtshofs hat bereits mehrfach ein Schmerzengeld von 1,5 Mill S zugesprochen (2 Ob 66/92 = ZVR 1993/150; 2 Ob 57/93; 2 Ob 65/93). Der hier zu beurteilende Sachverhalt läßt sich am ehesten mit dem vergleichen, der der Entscheidung vom 14.1.1993, 2 Ob 66/92 = ZVR 1993/150, zugrundelag. Dort wurde ein ein Monat altes Kind bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Die Schädelverletzungen bewirkten eine Lähmung sämtlicher Gliedmaßen und des Körperstamms. Die nicht besserungsfähigen Unfallsfolgen bestanden weiters darin, daß das Kind in einem speziellen Bett liegen mußte, sich nicht bewegen konnte und an spastischen Lähmungen litt. Sehnerven waren partiell geschädigt. Die Kopf- und Rumpfkontrolle fehlte. Es kam zu einer Wasserkopfbildung. Das Kind begehrte ein Schmerzengeld von 1,7 Mill S. Der Oberste Gerichtshof sprach 1,5 Mill S zu. Er ging dabei über die in seiner Rechtsprechung bei besonders schweren Verletzungen mit Dauerfolgen zuerkannten Beträge von bis zu 1,3 Mill S hinaus, weil das Kind aufgrund des geringen Alters zum Unfallszeitpunkt und der Schwere der Verletzungen nie in der Lage gewesen sei und nie in der Lage sein werde, die Freuden und Leiden eines normalen menschlichen Lebens zu erfassen und zu erleben. Der von den Vorinstanzen zugesprochene Betrag von 1,7 Mill S gehe jedoch über den ganz allgemein von der Rechtsprechung gezogenen Rahmen hinaus.

Aus der zitierten Vorentscheidung ist zunächst einmal abzuleiten, daß es bei der Bemessung von Schmerzengeld keine starren Obergrenzen gibt, es also im Einzelfall durchaus gerechtfertigt sein kann, über die in der Judikatur schon zugesprochenen Beträge hinauszugehen. Dies hat das Gericht zweiter Instanz hier auch getan. Die Erhöhung um 250.000 S gegenüber den bisher zugesprochenen Höchstbeträgen ist nur zu einem geringen Teil schon aus dem Grund der seit den Vorentscheidungen eingetretenen Geldwertminderung gerechtfertigt. Der darüber erheblich hinausgehende weitere Zuspruch ist nach Ansicht des erkennenden Senats unbedenklich und liegt im Rahmen des dem Gericht eingeräumten Ermessensspielraums. Dem Standpunkt der Beklagten ist zu entgegnen, daß mit der Entscheidung des Berufungsgerichts keineswegs der von der Judikatur gezogene allgemeine Rahmen gesprengt wird. Dazu kann auf die schon zitierten Vorentscheidungen 2 Ob 65/93 und 2 Ob 57/93 verwiesen werden, mit denen jeweils ebenfalls 1,5 Mill S an Schmerzengeld zugesprochen worden waren, obwohl nach den zugrundeliegenden Sachverhalten die Unfallsfolgen als weniger schwerwiegend zu beurteilen sind als die vorliegenden. Insbesondere der Entscheidung 2 Ob 57/93 lag zugrunde, daß der ebenfalls gelähmte Kläger immerhin teilweise mobilisiert werden konnte und eine "volle Rollstuhlfähigkeit" erreicht worden war. Eine Stattgebung des Begehrens des Klägers und eine Bejahung der Angemessenheit eines Schmerzengelds von 2 Mio S setzte allerdings voraus, daß das Berufungsgericht den ihm eingeräumten Ermessensrahmen überschritten hätte. Nur in diesem Fall läge eine aufgreifbare rechtliche Fehlbeurteilung vor. Dies ist nicht der Fall. Das Berufungsgericht hat ohnehin und aus den dargelegten Gründen zu Recht den in einem vergleichbaren Fall zugesprochenen Höchstbetrag in erheblicher Weise überschritten. Ob ein noch weitergehenderer Zuspruch allenfalls auch noch als im allgemeinen Rahmen liegend angesehen werden könnte, ist nicht mehr zu prüfen, weil sich die Prüfung der Rechtsfrage - wie schon ausgeführt - darauf zu beschränken hat, ob der Ermessensspielraum verletzt wurde, ob also die angefochtene Entscheidung einen Ermessensmißbrauch bedeutet.

Der vom Berufungsgericht zuerkannte Schmerzengeldbetrag ist nicht zu beanstanden. Beiden Revisionen ist daher in diesem Punkt nicht Folge zu geben.

Die Beklagte strebt im Revisionsverfahren überdies die Abweisung des auf eine Verunstaltungsentschädigung gerichteten Klagebegehrens an. Auch bei der Verunstaltungsentschädigung kommt es auf die zum Schmerzengeld angeführten Grundsätze an, daß dem Gericht bei der Bemessung der Entschädigung ein Ermessensspielraum eingeräumt ist, daß es aber nicht zu einer Sprengung des allgemeinen Rahmens, wie er sich aus der Vorjudikatur ergibt, kommen darf. Der Oberste Gerichtshof hat erst in jüngerer Zeit eine Verunstaltungsentschädigung von 350.000 S bei wesentlichen Gang-, Haltungs- und Bewegungsstörungen sowie beträchtlichen Sprachstörungen für angemessen erachtet (2 Ob 57/91). Mit dem bekämpften Zuspruch wird daher der angeführte Rahmen nicht verlassen. Deshalb ist die Revision der Beklagten auch in diesem Punkt nicht berechtigt.

Die Parteien haben die Kosten ihrer erfolglosen Revisionen selbst zu tragen. Der Kläger hat der beklagten Partei für die erfolgreiche Revisionsbeantwortung Kostenersatz zu leisten (§§ 41, 50 ZPO).

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