OGH 10ObS12/01i

OGH10ObS12/01i8.5.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Fellinger sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Karl Heinz Kux (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Claus Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ramazan C*****, vertreten durch Dr. Stefan Köck, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. September 2000, GZ 10 Rs 193/00a-44, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 25. Jänner 2000, GZ 10 Cgs 35/99f-32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 1. 1. 1948 geborene Kläger begehrt die Gewährung der Berufsunfähigkeitspension.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

Der Kläger kann alle leichten und mittelschweren Arbeiten im Sitzen, Stehen und Gehen in der üblichen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen verrichten. Nicht möglich sind Überkopfarbeiten, Arbeiten in hockender oder kniender Stellung, Arbeiten mit tiefem Nachvornebücken. Einschränkungen bezüglich Arbeitsplatzmilieu oder Anmarschwege bestehen nicht. Krankenstände sind bei Kalkülseinhaltung nicht prognostizierbar. Arbeiten mit durchschnittlichem psychologischen Anforderungsprofil sind möglich. Vorübergehender Zeit- und Leistungsdruck bis 50 % der Arbeitszeit ist zumutbar. Eine durchschnittliche Mengenleistung kann erbracht werden. Der Kläger ist einordenbar. Hinsichtlich der Fingerfertigkeit ergeben sich keine Einschränkungen. Es besteht eine funktionelle Stimmbandstörung, die derzeit dazu führen kann, dass der Kläger bei längerem Sprechen früher heiser wird. Durch entsprechendes Stimmtraining kann der Kläger erlernen, seine Stimme wieder richtig einzusetzen, was dazu führen würde, dass diesbezüglich keine Behinderung mehr besteht. Eine gegenseitige Leidenspotenzierung besteht nicht. Dieser Zustand besteht seit Antragstellung.

Der Kläger hat eine siebenjährige Koranschule absolviert und war bisher als Imam bzw Vorbeter in einer Moschee bei einer kurdischen Organisation in Österreich tätig. Diese Tätigkeit kann der Kläger nicht mehr ausüben (tiefes Nachvornebücken ist nicht möglich). Üblicherweise besuchen Vorbeter nur eine drei- bis vierjährige Koranschule. In der Türkei beispielsweise ist die Tätigkeit des Imam nicht zwingend mit dem Besuch einer mehrjährigen Koranschule verknüpft. Unter Berücksichtigung der Koranschulausbildung kommt für den Kläger eine inhaltsverwandte Tätigkeit in allen mit der administrativen Führung einer Moschee in Verbindung stehenden Verwaltungstätigkeiten in Frage. Er ist für Archiv- und Bibliotheksverwaltung geeignet. Es handelt sich dabei um kalkülskonforme Arbeiten, die in Moscheen vorkommen, wobei es sich aber um einen ausgesprochenen Spezialarbeitsmarkt handelt. Nach einer zumutbaren Therapie und logopädichen Behandlung seiner funktionellen Stimmstörung könnte der Kläger auch die Tätigkeit eines Lehrers für den islamischen Religionsunterricht ausüben. Dazu wäre eine sechsmonatige Zusatzausbildung erforderlich.

Das Erstgericht wies das auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab 1. 7. 1998 gerichtete Klagebegehren ab. Da für den Kläger noch Verweisungsberufe in Frage kämen, sei Berufsunfähigkeit nicht gegeben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln erster Instanz und führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass der Kläger den bisher ausgeübten Beruf als islamischer Vorbeter aufgrund seines Leistungskalküls nicht mehr ausüben könne. Dem Kläger habe bei Eintritt in das österreichische Versicherungsverhältnis bewusst sein müssen, dass in Österreich ein allgemeiner Arbeitsmarkt für Imams bzw Vorbeter nicht vorhanden ist. In Anlehnung an die Entscheidung SSV-NF 12/146 (Berufsfußballer) führte das Berufungsgericht aus, dass der Kläger nicht unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig gewesen sei, weil er mit einer zeitlichen Beschränkung seiner Tätigkeit für die Dauer seines Dienstverhältnisses zur kurdischen Kulturunion habe rechnen müssen, und dass er nach Auflösung des Dienstverhältnisses zur weiteren Ausübung eines einschlägigen Berufes in seine Heimat zurückkehren müsse und in Österreich keinen Arbeitsplatz finden werde. Müsse aber ein Versicherungsnehmer schon von vornherein mit einem späteren allfälligen Berufswechsel rechnen, so könnten derartige Risken nicht versichert sein. Ein solcher Versicherter wäre ansonsten pensionsrechtlich ungerechtfertigt besser gestellt als andere Versicherte mit einem kraft beruflicher Qualifikation weiteren Verweisungsspektrum. Infolge der Besonderheit des Berufsbildes eines Imams bzw Vorbeters sei es nicht entscheidend, ob die Zahl der Verweisungsarbeitsplätze zumindest 100 Verweisungsarbeitsplätze in Österreich betrage. Diese Judikatur sei bei Berufen, wo von vornherein keine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen am Arbeitsmarkt vorhanden seien, nicht anwendbar. Der Beruf des Vorbeters werde am österreichischen Arbeitsmarkt nicht in nennenswerter Zahl angeboten, sondern es sei ein ausgesprochener Spezialarbeitsmarkt. Da der Kläger auf dem Spezialarbeitsmarkt verweisbar sei, bestehe keine Berufsunfähigkeit.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, in Abänderung der Urteile der Vorinstanzen das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Bei der Pensionsversicherung der Angestellten nach § 273 Abs 1 ASVG handelt es sich um eine Berufsgruppenversicherung, deren Leistungen bereits einsetzen, wenn der Versicherte infolge seines geistigen oder körperlichen Zustandes einen Beruf seiner Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann. Es ist dabei im Allgemeinen von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den der Versicherte zuletzt ausgeübt hat. Dieser Beruf bestimmt, soferne er nicht mehr ausgeübt werden kann, grundsätzlich das Verweisungsfeld, das sind alle Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen (RIS-Justiz RS0084867; SSV-NF 5/34; 10 ObS 100/99z).

Fest steht, dass der Kläger, wenn er sich der zumutbaren logopädischen Therapie unterzieht nach einer im österreichischen Pflichtschullehrersystem notwendigen 6-monatigen Zusatzausbildung als Lehrer für den islamischen Reigionsunterricht tätig sein kann. Soweit der Revisionswerber die diesbezüglichen auf dem berufskundlichen Gutachten beruhenden Feststellungen als unrichtig und ergänzungsbedürfig ansieht, wendet er sich in Wahrheit gegen die in dritter Instanz nicht mehr revisible Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen.

Nach der von der islamischen Glaubensgemeinschaft erstellten, beim Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Kultusamt) aufliegenden Statistik gab es im Jahre 1999 mit steigender Tendenz 210 islamische Religionslehrer. Damit ist aber die von der Judikatur für Verweisungsberufe geforderte Voraussetzung einer Mindestanzahl von rund 100 Arbeitsplätzen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erfüllt (SSV-NF 3/70, 8/43; 12/72).

Es entspricht der Judikatur, dass Maßnahmen der Weiterentwicklung oder Spezialisierung im bisherigen Beruf (= Nachschulung) in der Dauer von sechs Monaten kein Verweisungshindernis bilden (RIS-Justiz RS0050891; SSV-NF 12/70) und dass der Versicherte gehalten ist, sich unter Umständen einer diesen Zeitraum nicht übersteigenden Zusatzausbildung zu unterziehen, um die Voraussetzungen für die Einsetzbarkeit am Arbeitsmarkt herzustellen. Hier steht fest, dass der Kläger nach einer ergänzenden Schulung von 6 Monaten - die Ausführungen des Revisionswerbers, dass eine solche von drei Jahren notwendig sei, geht nicht von den Feststellungen aus - in der Lage wäre, als islamischer Religionslehrer in Österreich tätig zu sein, sohin einen Beruf auszuüben, für den in Österreich mehr als 100 Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Soweit der Revisionswerber ins Treffen führt, dass er der deutschen Sprache nicht mächtig sei und schon dies einer Unterrichtstätigkeit in Österreich entgegenstehe, ist ihm entgegenzuhalten, dass Umstände, die mit dem Gesundheitszustand aber auch mit den berufsspezifischen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht im Zusammenhang stehen, Berufsunfähigkeit nicht begründen können (SSV-NF 6/26; 8/102; 10 ObS 332/99t).

Da bereits ein Verweisungsberuf die Annahme der Berufsunfähigkeit verhindert, nach den obigen Ausführungen der Kläger jedoch den Beruf eines Religionslehrers unter Berücksichtigung des erhobenen Leistungskalküls ausüben kann, kommt der Revision im Ergebnis keine Berechtigung zu. Es erübrigt sich daher auch ein Eingehen auf die Frage, ob die Tätigkeiten als Bibliothekar oder Administrator in einer Moschee ungeachtet der offenbar unter 100 liegenden Anzahl von Arbeitsplätzen für den Kläger zumutbare Verweisungsberufe bilden bzw inwieweit ein solcher geringer "Spezialarbeitsmarkt" im Hinblick darauf, dass der Kläger einen auf dem österreichischen Arbeitsmarkt sehr seltenen Beruf ausübte, bei der Verweisung zu berücksichtigen wäre (siehe dazu 10 ObS 233/00p).

Die Kostenentscheidung gründet auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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