Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Beklagte wird von der klagenden Gebietskrankenkasse aus einer Bürgschaft in Anspruch genommen, die sie für eine Gesellschaft mbH, deren Hauptgesellschafter und Geschäftsführer ihr Ehemann war, zur Sicherung von rückständigen und neu auflaufenden Sozialversicherungsbeiträgen übernahm.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Ausgehend von der einschlägigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs verneinte es die eingewendete Sittenwidrigkeit dieser "Angehörigenbürgschaft".
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten dahin Folge, dass es dieses Urteil aufhob und die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwies. Im fortzusetzenden Verfahren seien insbesondere die näheren Umstände der Bürgschaftsübernahme sowie die Motivation der Beklagten festzustellen, weil sich erst in einer Gesamtschau beurteilen lasse, ob bzw inwieweit die Bürgschaftsverpflichtung der Beklagten unwirksam sei. Wie bereits im Schrifttum erwogen worden sei (Th. Rabl, Sittenwidrige Bürgschaften vermögensschwacher Angehöriger, ecolex 1998, 8 ff) käme durchaus auch eine Teilunwirksamkeit in Betracht, so dass die Haftung unter Umständen nicht zur Gänze wegfalle, sondern auf ein vertretbares Maß zu reduzieren sei, was im Ergebnis auch der aktuellen, auf den vorliegenden Fall aber noch nicht anwendbaren Rechtslage (§ 25d KSchG) entspräche.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der (ordentliche) Rekurs gegen diesen aufhebenden Beschluss zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage der Teilungültigkeit vergleichbarer Angehörigenbürgschaften und zur Anwendbarkeit der entwickelten Grundsätze auf Bürgschaften für fällige und künftige Sozialversicherungsbeiträge nicht Stellung genommen habe.
Der Rekurs der klagenden Partei gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichtes ist zulässig (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO), jedoch nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die rechtlichen Darlegungen des Berufungsgerichtes zur Sittenwidrigkeit von sogenannten Angehörigenbürgschaften sind zutreffend, weshalb es ausreicht, auf deren Richtigkeit hinzuweisen (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO). Die drei maßgeblichen Kriterien sind die inhaltliche Missbilligung des Bürgschaftsvertrages, die Missbilligung der Umstände seines Zustandekommens infolge verdünnter Entscheidungsfreiheit des Bürgen und die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers von diesen Faktoren. Nur wenn im Zeitpunkt der Haftungsübernahme Umstände vorliegen, die sich in dieses dreistufige Schema einfügen lassen, ist die Bürgschaft ausnahmsweise sittenwidrig und damit nichtig (SZ 68/64; SZ 71/117; 8 Ob 320/99p ua; vgl die Nachweise bei Th. Rabl, Die Bürgschaft, 62; G. Graf, ÖBA 1995, 776). Der Oberste Gerichtshof hat insbesondere in seinen Entscheidungen SZ 71/117 und 8 Ob 320/99p klargestellt, dass das Vorliegen eines krassen Missverhältnisses des Haftungsumfanges und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Interzedenten auslösendes Moment für die weitere Inhaltskontrolle ist. Die Beurteilung des Verhältnisses zwischen Haftung und Leistungsfähigkeit ist daher nicht Teil des beweglichen Systems und wird durch die Intensität der dort zu berücksichtigenden Faktoren nicht berührt (so ausdrücklich 8 Ob 253/99k).
Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis beizustimmen, dass die Sittenwidrigkeitskontrolle von Bürgschaften nicht auf Haftungen gegenüber Banken beschränkt ist. In der überwiegenden Zahl der bisherigen einschlägigen Entscheidungen war Gläubiger ein Kredit gewährendes Geldinstitut, das sich im Rahmen der Inhaltskontrolle regelmäßig seine strukturell ungleich größere Verhandlungsstärke und sein damit starkes wirtschaftliches Übergewicht anrechnen lassen musste. Der Oberste Gerichtshof hat aber eine Inhaltsprüfung unter Anwendung der angeführten Grundsätze auch schon in solchen Bürgschaftsverhältnissen vorgenommen, bei denen der Gläubiger keine Bank war (4 Ob 354/98g, zust. Th. Rabl, ecolex 1999, 461). Die oben dargestellten Grundsätze gelten auch für Bürgschaften, die zur Sicherung fälliger oder künftiger Sozialversicherungsbeiträge eingegangen wurden, ohne dass auch die in der Regel strukturell ungleich größere Verhandlungsstärke und damit das wirtschaftliche Übergewicht eines Krankenversicherungsträgers besonders betont werden müssen.
Zu der im Schrifttum erörterten Frage einer Teilungültigkeit von Angehörigenbürgschaften hatte der Oberste Gerichtshof im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichtes (aber auch der Rekurserhebung) noch nicht Stellung genommen. Inzwischen liegt aber eine solche Stellungnahme des Höchstgerichtes vor. In der Entscheidung vom 11. 5. 2000, 8 Ob 253/99k (noch unveröff.) wurde ausgeführt:
"Im Lichte dieses Verständnisses sieht sich der erkennende Senat nicht gehindert, vorerst auf die von der Rechtsprechung zu § 879 Abs 1 ABGB herausgearbeiteten Fälle der Teilnichtigkeit zu verweisen. Hiebei wurde jeweils auf den Zweck der Verbotsnorm abgestellt, um beurteilen zu können, ob der Vertrag teilweise gültig oder zur Gänze ungültig sei. Dabei ist der Restgültigkeit möglichst der Vorzug gegeben, wie dies etwa bei verbotenen Ablösen (SZ 63/23), gesetzwidrig überhöhtem Mietzins (SZ 52/170; WoBl 1991/125), unwirksamer Wertsicherungsklausel (JBl 1991, 44) oder übermäßiger Bindungsdauer bei einem Bierbezugsvertrag (SZ 56/144; ÖBl 1993, 220; SZ 66/138) gehandhabt wurde (weitere Nachweise siehe Krejci in Rummel ABGB2 Rz 250 zu § 879; Apathy in Schwimann ABGB2 Rz 37 zu § 879).
Der wucherische Vertrag ist zwar gemäß § 7 Abs 1 WuchG zur Gänze nichtig, doch wird durch den durch § 35 KSchG angefügten Abs 2 dieser Gesetzesstelle in Ansehung von Darlehens- oder Kreditverträgen - ohne dies ausdrücklich auszusprechen - im Ergebnis bloße Teilnichtigkeit normiert. Der Bewucherte kann die vertraglichen Rückzahlungsfristen in Anspruch nehmen, er schuldet aber nur geminderte Zinsen in der Höhe des doppelten Eskomtzinsfußes (Krejci in Rummel ABGB2 Rz 2 zu § 35 KSchG; Apathy in Schwimann ABGB2 Rz 6 zu § 7 WuchG).
Es bestehen somit dogmatisch keine Bedenken, auch im Bereich der Sittenwidrigkeitskontrolle von Bürgschaftsverträgen auf die Form der Teilnichtigkeit zurückzugreifen. Auch Rabl aaO 84 befürwortet diese Lösung, weil im Fall der Sittenwidrigkeit wegen wirtschaftlicher Überforderung der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit durch die Reduktion zum Durchbruch verholfen werde. Er erkennt allerdings auch das damit verbundene Problem, nämlich dass anders als im Bereich des § 1336 Abs 2 ABGB eindeutige Kriterien zur Beantwortung der Frage, was denn im Regelfall eine angemessene Haftung sei, fehlen. Die Lösung sieht der Autor in dem Rekurs auf den hypothetischen Parteiwillen, der in der Regel darauf abzielen werde, dem Bürgen eine Verpflichtung aufzuerlegen, die er realistischerweise erfüllen kann und die zugleich das Sicherungsinteresse des Gläubigers befriedigt. Dabei komme der Vertragsausgestaltung besondere Bedeutung zu, weshalb man bei der Minderung der Haftung nach § 879 Abs 1 ABGB - wie auch nach § 25d KSchG - alle Umstände und Gestaltungsmöglichkeiten der Haftungs- übernahme ins Kalkül zu ziehen habe. Das schließe selbstverständlich nicht aus, dass in krassen Fällen der Überforderung ein völliger Haftungsentfall gerechtfertigt sei.
Dieser Ansicht schließt sich der erkennende (8.) Senat an und hält dazu fest, dass ihm das Herausarbeiten starrer Formeln - wie dies der BGH tut (vgl Rabl aaO 77) - nicht zweckmäßig scheint, zumal der Gesetzgeber durch den - wenngleich auf den hier zu beurteilenden Vertragsabschluss nicht anwendbaren - § 25d KSchG deutlich den Vorrang einer Gesamtschau zu erkennen gegeben hat. Es ist daher ein vernünftiger Interessensausgleich zwischen Gläubiger einerseits und Interzedenten andererseits anzustreben. Weil Bürgschaften im Allgemeinen nach Verzug des Hauptschuldners schlagend werden, ist bei dieser Interessenabwägung neben dem Kapitalbetrag auch die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartende Zinsbelastung zu berücksichtigen. Ausgehend von dieser Basis ist nun vorerst danach zu fragen, ob die Voraussetzungen für die Gesamtnichtigkeit des Vertrages vorliegen. Dies wird immer dann der Fall sein, wenn eine Gegenüberstellung des Haftungsumfangs mit der Leistungsfähigkeit die Sinnlosigkeit der Bürgschaft für den Gläubiger ergibt, d. h. dass ein nach wirtschaftlichen Kriterien vernünftig denkender Gläubiger sich mit einer derartigen Sicherstellung jedenfalls nicht begnügt hätte.
Verfügte allerdings der Bürge im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses über Vermögen und/oder Einkommen, das seine Gutstehung nicht schlechthin als wertlos erscheinen lässt, kommt eine Beschränkung seiner Verpflichtung im Wege der Teilnichtigkeit in Frage. Hiebei ist vordergründiges Ziel, die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit des Schuldners zu erhalten und den Eintritt der Insolvenz zu vermeiden (vgl Rabl aaO 73). Der in Anspruch genommene Bürge wird zwar die Verwertung seines Vermögens zu dulden und sein Einkommen zur Schuldtilgung einzusetzen haben, jedoch nur so weit, dass ihm nicht die notwendigen Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen entzogen werden. Umfang und Dauer der Inanspruchnahme wird nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles entschieden werden können, wobei jedoch die im § 25d Abs 2 KSchG genannten Kriterien entsprechende Anhaltspunkte bieten. Nicht unerwähnt soll in diesem Zusammenhang bleiben, dass auch dieser Beurteilung selbstverständlich die eingangs wiedergegebenen von der Judikatur herausgearbeiteten Kriterien zu Grunde zu legen sind und insbesondere die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis des Kreditgebers von diesen Faktoren zu prüfen ist."
Der hier zur Entscheidung berufene 10. Senat hält die soeben wörtlich wieder gegebenen Ausführungen für zutreffend und schließt sich der Rechtsansicht des 8. Senats an.
Zu Unrecht meint die klagende Partei in ihrem Rekurs, die Parteien hätten den Sachverhalt außer Streit gestellt, auf die Parteienvernehmung verzichtet und kein weiteres Vorbringen erstatten wollen, weshalb ihnen eine "gar nicht gewollte Tatsachenergänzung" nicht "aufgedrängt" werden dürfe; insoweit liege eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens vor. Dem hat schon das Berufungsgericht völlig richtig entgegen gehalten, die Rückziehung des betreffenden Beweisanbots habe ersichtlich auf der unrichtigen - offenbar auch vom Erstgericht geteilten - damaligen Rechtsauffassung beruht, dass der "gesamte entscheidungswesentliche Sachverhalt" außer Streit stehe, was sich jedoch als unzutreffend erwiesen habe.
Hält das Berufungsgericht von einer richtigen Rechtsansicht ausgehend den Sachverhalt für weiter erörterungsbedürftig, so kann der Oberste Gerichtshof dem nicht entgegentreten. Mangels Spruchreife der Sache ist dem Rekurs ein Erfolg zu versagen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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