OGH 6Nd508/00

OGH6Nd508/0021.6.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber und Dr. Prückner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Sarah R*****, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 28. März 2000, GZ 4 P 94/99g-68, verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Döbling wird genehmigt.

Text

Begründung

Die mj. Sarah ist das eheliche Kind der österreichischen Staatsbürgerin Maria Rebekka R***** und des italienischen Staatsbürgers Raffaele R*****. Die in Italien geschlossene Ehe ihrer Eltern ist nach wie vor aufrecht. Sarah lebte seit ihrer Geburt bis zum 6. 4. 1999 gemeinsam mit ihren Eltern in P*****, Italien. Am 6. 4. 1999 reiste die Mutter mit Sarah unter dem Vorwand, das Kind in Österreich ärztlich untersuchen zu lassen, nach Österreich und kehrte nicht mehr zu ihrem Mann zurück. Sie wohnte zunächst kurzfristig in Wien und in weiterer Folge in Innsbruck. Am 24. 6. 1999 stellte sie beim Bezirksgericht Innsbruck den Antrag auf Übertragung der Obsorge betreffend Sarah an sie. Der Vater sprach sich dagegen aus und stellte mehrere Besuchsrechtsanträge. Der inzwischen ebenfalls gestellte Antrag der Mutter auf Übertragung der einstweiligen Obsorge wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 19. 7. 1999 abgewiesen. Ebenso abgewiesen wurde der Antrag des Vaters auf sofortige Rückführung des Kindes nach dem Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung BGBl 1988/512. Letzterer Beschluss wurde vom Rekursgericht bestätigt; ein dagegen erhobener Revisionsrekurs des Vaters wurde vom Obersten Gerichtshof am 11. 11. 1999 mangels erheblicher Rechtsfrage zurückgewiesen. Der Beschluss des Bezirksgerichtes Innsbruck, mit dem der Vater antragsgemäß zu Unterhaltsleistungen für Sarah verpflichtet wurde, wurde mit Beschluss des Rekursgerichtes aufgehoben; dem Erstgericht wurde eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung über die am 8. 6. 1999 und am 26. 7. 1999 eingebrachten Unterhaltsfestsetzungsanträge aufgetragen.

Im Jänner 2000 erfuhr das Bezirksgericht Innsbruck, dass die Mutter mit dem Kind nach Wien verzogen ist. Am 1. 2. 2000 beantragte die Mutter, den Pflegschaftsakt an ihr nunmehriges Wohnsitzgericht für den 18. Wiener Gemeindebezirk zu überweisen.

Mit Beschluss vom 28. 3. 2000 übertrug das Bezirksgericht Innsbruck die Zuständigkeit zur Besorgung dieser Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Döbling, weil sich das Kind jetzt ständig in 1180 Wien, C*****gasse *****, aufhalte. Es sei daher zweckmäßiger, wenn das Bezirksgericht Döbling diese Pflegschaftssache führe. Dieser Beschluss wurde inzwischen den Parteien zugestellt und ist in Rechtskraft erwachsen.

Am 4. 4. 2000 lehnte das Bezirksgericht Döbling die Übernahme dieser Pflegschaftssache ab und stellte den Akt mit dem Hinweis auf den offenen Unterhaltsantrag zurück. Im Hinblick auf die bislang durchgeführten Erhebungen erscheine eine Erledigung der offenen Anträge durch das bisher zuständige Gericht offensichtlich zweckmäßiger.

Das Bezirksgericht Innsbruck legt nunmehr den Akt zur Entscheidung über den Kompetenzkonflikt vor.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint. Dies ist in der Regel der Fall, wenn die Pflegschaftssache an jenes Gericht übertragen wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes liegt (EFSlg 46.620; 60.723; 66.880 uva). Auch offene Anträge sind nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich kein Übertragungshindernis (EFSlg 79.124 ua). Entscheidend ist immer das Wohl des Pflegebefohlenen, das nach den im Einzelfall gegebenen Umständen zu beurteilen ist (4 Nd 501/94 mwN).

Es wurde zwar bereits auch mehrmals ausgesprochen, dass die Zuständigkeit grundsätzlich nicht übertragen werden kann, solange noch keine Obsorgezuteilung erfolgt ist (EFSlg 75.991; 4 Nd 514/98 ua). Grund dafür ist aber vor allem, dass vor Entscheidung über den Obsorgeantrag noch nicht feststeht, ob das Kind im Sprengel des Gerichtes bleiben wird, an das die Zuständigkeit übertragen werden soll (4 Nd 514/98). Bliebe etwa der eine Elternteil im Sprengel des bisher zuständigen Gerichtes wohnen, könnte die Übertragung der Zuständigkeit an jenes Gericht, in dessen Sprengel das Kind mit dem anderen Elternteil verzieht, bei Zuteilung der Obsorge an den verbleibenden Elternteil zu einem gleich mehrmaligen Wechsel des Pflegschaftsgerichtes führen. Im vorliegenden Fall wohnt nun aber keiner der Beteiligten im Sprengel des Bezirksgerichtes Innsbruck.

Eine Entscheidung über den Obsorgeantrag durch das bisher zuständige Gericht ist nur dann sinnvoll, wenn das Gericht bereits über entsprechende Sachkenntnisse verfügt oder jedenfalls in der Lage ist, sich diese Kenntnisse leichter zu verschaffen als das andere Gericht. Nur dann ist es für den Pflegebefohlenen von Vorteil, dass das bisher zuständige Gericht über den Obsorgeantrag entscheidet (4 Nd 514/98).

Das Bezirksgericht Innsbruck hat zwar bereits ein Sachverständigengutachten zur Frage der Obsorgezuteilung eingeholt und die Parteien einvernommen. Diese Erhebungen liegen allerdings wegen inzwischen durchgeführter Rechtsmittelverfahren längere Zeit zurück. Die aktuelle Lebenssituation der Mutter und ihre derzeitigen Zukunftspläne sind unbekannt. Diese für die Obsorgeentscheidung besonders bedeutsamen Umstände können effizienterweise aber nur vom nunmehrigen Wohnsitzgericht der Mutter und des Kindes erhoben werden. Auch das Argument, dass sich der bisherige Pflegschaftsrichter bereits einen persönlichen Eindruck von sämtlichen Beteiligten verschaffen konnte, kann hier nicht ausschlaggebend sein, weil - wie anlässlich der Vorlage des Aktes zur Entscheidung des Kompetenzkonfliktes mitgeteilt wurde - inzwischen beim Bezirksgericht Innsbruck ein Richterwechsel in dieser Pflegschaftssache eingetreten ist.

Der offene Unterhaltsantrag steht der Übertragung er Zuständigkeit ebenfalls nicht entgegen, weil bisher noch keine umfassenden Erhebungen zu den finanziellen Verhältnissen der Beteiligten gepflogen wurde und der - inzwischen aufgehobene - Unterhaltsfestsetzungsbeschluss des Bezirksgerichtes Innsbruck im Wesentlichen mit der Säumnissanktion des § 185 Abs 3 AußStrG begründet wurde.

Das für die Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN maßgebende Kindeswohl ist daher bei Übertragung der Pflegschaftssache an das Gericht, in dessen Sprengel es jetzt mit seiner Mutter wohnt, besser gewahrt. Die Übertragung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Döbling war daher zu genehmigen.

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