OGH 4Nd514/98

OGH4Nd514/9812.11.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Julia P*****, geboren am *****, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die mit Beschluß des Bezirksgerichtes Pottenstein vom 10. September 1998, 1 P 44/98x-19, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache der mj. Julia P*****, geboren am *****, an das Bezirksgericht Mondsee wird genehmigt.

Text

Begründung

Die mj. Julia P***** ist das eheliche Kind des Alexander P***** und der Gabriele W*****. Die Ehe der Eltern wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 24. 1. 1989 einvernehmlich geschieden. Die mj. Julia P***** verblieb ebenso wie ihr Bruder, der am ***** geborene mj. Nikolaus Florian P*****, in Pflege und Erziehung der Mutter. Die Mutter wohnte mit den Kindern zuerst in Wien, dann in Mödling, danach in Baden; zur Zeit lebt sie in Lienz. Die Pflegschaft wurde von den jeweils zuständigen Bezirksgerichten geführt.

Am 23. 3. 1998 teilte die Mutter dem Bezirksgericht Lienz als dem damals zuständigen Pflegschaftsgericht mit, daß sich die mj. Julia P***** nunmehr ständig beim Vater in Berndorf befinde. In der Folge übertrug das Bezirksgericht Lienz die Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Pottenstein. Der Vater stellte beim Bezirksgericht Pottenstein den Antrag, ihm die Obsorge für seine Tochter zu übertragen. Mit seinem Antrag legte er ein Schreiben der Mutter vom 21. 3. 1998 vor, mit dem sie der Übertragung der Obsorge zustimmte.

Am 17. 6. 1998 teilte die Mutter der Bezirksgericht Pottenstein mit, daß sich die Situation in der Zwischenzeit etwas geändert habe. Ihre Tochter habe ihr mitgeteilt, erst nach der beabsichtigten Übersiedlung mit ihrem Vater nach Mondsee entscheiden zu wollen, ob sie beim Vater bleiben oder doch zur Mutter zurückkehren möchte.

Mit Schreiben vom 9. 9. 1998 informierte der Vater das Pflegschaftsgericht von seiner Übersiedlung nach Mondsee. Er ersuchte, die Zuständigkeit an das Bezirksgericht Mondsee zu übertragen.

Mit Beschluß vom 10. 9. 1998 übertrug das Bezirksgericht Pottenstein die Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache dem Bezirksgericht Mondsee. Das Kind habe den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen nach Mondsee verlegt.

Das Bezirksgericht Mondsee lehnte die Übernahme der Pflegschaftssache ab. Es sei nicht sicher, ob die Minderjährige endgültig beim Vater bleiben wolle. Ein Situationsbericht über die Wohnverhältnisse der Minderjährigen beim Vater könne auch im Rechtshilfeweg eingeholt werden. Solange über die Zuteilung der Obsorge nicht entschieden sei, sei eine Zuständigkeitsübertragung unzweckmäßig.

Das Bezirksgericht Pottenstein legte die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Bezirksgericht Pottenstein vorgenommene Übertragung der Zuständigkeit ist gerechtfertigt.

Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint. Dies ist in der Regel der Fall, wenn die Pflegschaftssache an jenes Gericht übertragen wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes liegt (Mayr in Rechberger, ZPO § 111 JN Rz 2 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Offene Anträge hindern die Übertragung grundsätzlich nicht (stRsp ua EFSlg 75.992; 79.124; zuletzt etwa 2 Nd 502/98). Entscheidend ist immer das Wohl des Pflegebefohlenen, das nach den im Einzelfall gegebenen Umständen zu beurteilen ist (stRsp ua EFSlg 72.838; 75.993; 79.111; 79.112). Solange noch keine Obsorgezuteilung erfolgt ist, kann die Zuständigkeit grundsätzlich nicht übertragen werden (stRsp ua EFSlg 75.991).

Grund dafür ist, daß vor Entscheidung über den Obsorgeantrag noch nicht feststeht, ob das Kind im Sprengel des Gerichtes bleiben wird, an das die Zuständigkeit übertragen werden soll. Eine Entscheidung über den Obsorgeantrag durch das bisher zuständige Gericht ist aber nur dann sinnvoll, wenn das Gericht bereits über entsprechende Sachkenntnisse verfügt oder jedenfalls in der Lage ist, sich diese Kenntnisse leichter zu verschaffen als das andere Gericht. Nur dann ist es für den Pflegebefohlenen von Vorteil, daß das bisher zuständige Gericht über den Obsorgeantrag entscheidet.

Im vorliegenden Fall sind die für die Entscheidung über den Antrag auf Übertragung der Obsorge notwendigen Erhebungen erst durchzuführen. Zum Sprengel des bisher zuständigen Gerichtes bestehen keinerlei Berührungspunkte mehr, weil die Minderjährige vor ihrer Übersiedlung zum Vater nach Berndorf mit der Mutter im Sprengel des Bezirksgerichtes Lienz gewohnt hat. Im Sprengel des Bezirksgerichtes Pottenstein hat sie sich nur kurze Zeit aufgehalten. Bei dieser Sachlage ist nicht zu erkennen, daß es für die Minderjährige von Vorteil wäre, wenn das Bezirksgericht Pottenstein über den Obsorgeantrag entschiede.

Die Übertragung war daher zu genehmigen.

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