OGH 4Nd501/94

OGH4Nd501/9431.1.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek und Dr.Niederreiter als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Marlen G*****, geboren am 19.Dezember 1991, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 17.März 1993, 3 P 26/93-29, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache der mj. Marlen Gruber an das Bezirksgericht für ZRS Graz wird gemäß § 111 Abs 1 JN nicht genehmigt.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Mit der Behauptung, daß sie mit ihrem Gatten Dr.Ernst G***** in Scheidung lebe und mit ihm nicht mehr über gemeinsame Angelegenheiten sprechen könne, beantragte Barbara G*****, die Mutter der Minderjährigen, am 10.April 1992, ihr die alleinige Obsorge für das Kind zuzuweisen (ON 1).

Der Vater sprach sich gegen diesen Antrag aus (ON 3).

Unter Hinweis auf verschiedene auffallende Verhaltensweisen des Vaters beantragte die Mutter am 20.Mai 1992, ihr möglichst rasch die Obsorge zu bewilligen (ON 5).

Am 28.Oktober 1992 beantragte die Minderjährige durch ihre Mutter, dem Vater ab 1.August 1992 eine monatliche Unterhaltsleistung von S 5.000 aufzuerlegen (ON 15).

Der Vater sprach sich dagegen aus (ON 18).

Am 15.März 1993 beantragte die Mutter der Minderjährigen mit der Behauptung, sie wohne seit Anfang Jänner 1993 mit ihrer Tochter in Graz, die Abtretung des Pflegschaftsaktes an das zuständige Gericht in Graz (ON 27).

Mit Beschluß vom 17.März 1993 übertrug hierauf das Bezirksgericht Innere Stadt Wien die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache der mj. Marlen G***** an das Bezirksgericht für ZRS Graz. Im Hinblick auf den nunmehrigen Wohnsitz des Kindes sei es zweckmäßiger, wenn das Grazer Gericht die Pflegschaftssache führe (ON 29).

Die dagegen vom Vater erhobenen Rechtsmittel (ON 30 und 32) blieben erfolglos; mit Beschluß vom 29.Juli 1993, 43 R 361, 499/93, bestätigte das Rekursgericht die Übertragung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht für ZRS Graz (ON 43).

Der Oberste Gerichtshof wies den dagegen vom Vater erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG mit Beschluß vom 28.Oktober 1993, 2 Ob 1573, 1574/93, zurück (ON 49).

Das Bezirksgericht für ZRS Graz hat die Übernahme des Pflegschaftsverfahrens unter Hinweis auf die noch offenen Anträge - insbesondere den nach Fassung, aber vor Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses gestellten Antrag der Minderjährigen vom 25. Mai 1993 auf einstweiligen Unterhalt (ON 34) - und mehrere zwischen den Eltern der Minderjährigen beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien anhängige Rechtsstreitigkeiten mit Beschluß vom 22. Dezember 1993 verweigert (ON 52).

Die vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien verfügte Übertragung der Zuständigkeit ist nicht gerechtfertigt.

Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere, wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes voraussichtlich befördert wird. Diese Voraussetzungen liegen in der Regel vor, wenn die Pflegschaftssache dem Gericht übertragen wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes liegt (EFSlg 46.620; 57.691; 60.723; 66.880 uva). Auch offene Anträge sind kein grundsätzliches Übertragungshindernis (EFSlg 43.978; 57.698;

66.885 uva); es hängt von den Umständen des einzelnen Falles ab, ob die Entscheidung über einen solchen Antrag durch das bisherige Gericht zweckmäßiger ist (EFSlg 41.628; 54.970; 66.886 uva). Ist - wie hier - über den Antrag eines Elternteils, ihm allein die Obsorge über das Kind zuzuweisen, noch nicht entschieden, dann ist die Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht in aller Regel unzweckmäßig (OLG Wien EFSlg 43.982; 57.703; 60.739; LGZ Wien EFSlg 66.890). Da im vorliegenden Fall das Scheidungsverfahren zwischen den Eltern der Minderjährigen beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien (4 C 52/91 und 4 C 101/91) noch anhängig ist, erscheint es besonders zweckmäßig, wenn dasselbe Gericht auch die Obsorge für die Minderjährige regelt.

Die Übertragung der Zuständigkeit war daher nicht zu genehmigen. Sache des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien wird es sein, nun ehestens über den schon vor fast zwei Jahren gestellten Obsorgeantrag ON 1, vor allem aber auch über den Antrag auf einstweiligen Unterhalt (ON 34) zu entscheiden.

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