OGH 1Ob218/99m

OGH1Ob218/99m21.6.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Charlotte G*****, vertreten durch Dr. Konrad Faulhaber, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Alfred R. G*****, vertreten durch Dr. Klaus Griensteidl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 30. April 1999, GZ 44 R 44/99t-64, womit infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom 2. November 1998, GZ 1 C 47/96b-55, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil einschließlich seiner Kostenentscheidung wieder hergestellt wird.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.871,04 (darin S 811,84 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Parteien haben am 21. 10. 1977 die beiderseits erste Ehe geschlossen. Der Ehe entstammen zwei in den Jahren 1977 und 1982 geborene Kinder. Ehepakte wurden nicht errichtet.

Der Beklagte war im Zeitpunkt der Eheschließung im Hafnerbetrieb seiner Eltern beschäftigt. Seit dem Jahre 1979 arbeitet er bei der Gemeinde Wien als Amtsdiener im Allgemeinen Krankenhaus. Nachdem er dort anfangs nur Tagdienste verrichtet hatte, übernahm er in der Folge zusätzlich sogenannte "Springerdienste", um mehr Geld zu verdienen. Dies bedeutete, dass er keine fixe Dienstplaneinteilung hatte, sondern kurzfristig Vertretungen für Kollegen übernehmen musste. Seit fünf bis sechs Jahren hat der Beklagte nun eine fixe Diensteinteilung, er verrichtet sogenannten "Radldienst" und arbeitet monatlich zwischen 300 bis 320 Arbeitsstunden. Das Motiv für den Beklagten, diesen belastenden Dienst zu übernehmen, war abermals die Möglichkeit, mehr Einkommen zu erzielen.

Auch die Klägerin trug zum gemeinsamen Einkommen der Eheleute bei und arbeitete, abgesehen von den Karenzzeiten, in Wäschereien und sodann als Bedienerin. Etwa seit Ende der Achtzigerjahre geht sie keiner "offiziellen" Beschäftigung mehr nach.

Die finanzielle Situation der Ehegatten war seit Beginn der Ehe angespannt. Die Klägerin hatte einen offenen Kredit von S 70.000 in die Ehe eingebracht. Der Beklagte hatte vor der Ehe für einen Freund eine Bürgschaft übernommen, die mit ca S 70.000 bis 80.000 wirksam wurde. Er hatte außerdem seinen Eltern für einen Kredit gut gestanden und im Zuge des Konkurses des elterlichen Hafnereibetriebes eine weitere Haftung von S 30.000 übernehmen müssen. Auch musste er für ein von ihm für Arbeiten angemietetes Magazin rückständige Monatsmieten von rund S 30.000 bezahlen. Auch für Güter des täglichen Bedarfs, so etwa Heizkosten oder Kosten für Lieferungen von Versandhäusern, die von Anbeginn der Ehe an durch Mahnklagen geltend gemacht wurden, bestanden Schulden. Im Jahr 1983 kam es zu einer Umschuldung, bei der alle Verbindlichkeiten der Eheleute zusammengefasst wurden und für die derzeit monatliche Rückzahlungsraten von S 4.500 zu leisten sind. Der Klägerin war diese finanzielle Situation während der gesamten Dauer der Ehe bewusst.

Die Ehegatten unerhielten ein gemeinsames Girokonto, auf das vor allem das Gehalt des Beklagten überwiesen wurde. Über dieses Konto war die Klägerin während der Ehe verfügungsberechtigt. Zwischen den Streitteilen herrschte Einverständnis, dass Geldangelegenheiten nahezu ausschließlich durch die Klägerin besorgt wurden. Der Beklagte selbst hob nur dann Geld vom Konto ab, wenn er es für seinen persönlichen Bedarf benötigte. Der Beklagte pflegte einen bescheidenen Lebenswandel, sodass diese Ausgaben nur einen geringen Teil der Gesamtausgaben ausmachten.

Wegen der finanziellen Situation kam es öfters zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Streitteilen, wenn etwa die Klägerin den Kindern Geschenke kaufte, die nach Ansicht des Beklagten nicht notwendig gewesen wären. Vor etwa 10 Jahren setzte die Klägerin die Anschaffung eines Lexikons um ca S 20.000 durch, was ebenfalls zu einem Streit führte. Wenn es um die Anschaffung neuer Sachen ging, handelte die Klägerin im Allgemeinen autonom und informierte den Beklagten nicht. Obwohl der Beklagte den Ankauf bestimmter Sachen nicht verbot, war die Klägerin der Meinung, gewisse Besorgungen, wie etwa die Anschaffung neuer Kleidungsstücke, müssten vor dem Beklagten verborgen bleiben, weshalb sie diese vor ihm versteckte. Der Beklagte war jedoch weder geizig, noch missgönnte er den Familienmitgliedern - insbesondere den Kindern - irgend welche Anschaffungen. Er stellte vielmehr die ganze Ehe hindurch sein gesamtes Einkommen der Familie zur Verfügung, ohne ihr irgend welche Beträge vorzuenthalten.

Der Beklagte hat mit seinen beiden Kindern ein gutes Verhältnis, doch wurden Entscheidungen über Pflege und Erziehung der Kinder ausschließlich von der Klägerin getroffen. Ebenso oblag dieser überwiegend die Haushaltsführung. Soweit es dem Beklagten angesichts seiner beruflichen Situation möglich war, beteiligte er sich jedoch an den Hausarbeiten, so etwa an Fensterputz-, Aufräum- und Geschirrabwascharbeiten.

Zwischen den Ehegatten herrschte von Anfang an eine gewisse Kommunikationsarmut. Die Eheleute legten ihr Eheleben schon bald so an, dass die Klägerin sich hauptsächlich um die Kinder kümmerte, während der Beklagte seiner Arbeit nachging. Auch während der gemeinsam zugebrachten Zeit zeigten sie aneinander kein besonderes Interesse. Die Eheleute lebten mehr oder weniger nebeneinander her, was sie allerdings längere Zeit hindurch auch akzeptierten. Oft lag der mangelnde Gesprächskontakt der Ehepartner daran, dass der Beklagte abends müde von der Arbeit heimkam und sich früh ins Bett legte, weil er am nächsten Tag wieder früh in die Arbeit musste. Der Beklagte ist eher als Morgenmensch zu charakterisieren, während die Klägerin lieber abends länger aufbleibt.

Vor etwa 10 Jahren begann die Klägerin, den Zustand des Ehelebens als derart störend zu empfinden, dass sie dem Beklagten gegenüber mehrmals die Möglichkeit der Scheidung andeutete.

Die gegenseitige Interesselosigkeit der Streitteile aneinander führte schon in einem frühen Stadium der Ehe dazu, dass sie wenig Freizeit gemeinsam verbrachten. Die Klägerin war an sich unternehmungslustiger als der Beklagte. Es kam bisweilen vor, dass sie mit der ganzen Familie Spaziergänge unternehmen oder Ausflüge machen wollte, während der Beklagte lieber zu Hause blieb oder sich dem gemeinsamen Schrebergarten widmete, den er vor der Ehe erworben hatte und der nach übereinstimmenden Vorstellungen der Streitteile der gemeinsamen Freizeitgestaltung dienen sollte. Als ihr Sohn im Alter von 7 oder 8 Jahren einem Fußballverein beitrat, wohnten die Eltern an den Wochenenden Fußballspielen manchmal gemeinsam oder allein bei. Im Anschluss an derartige Spiele kam es öfter zu gemeinsamen Heurigenbesuchen. Aus schulischen Gründen schied der Sohn in seinem 12. oder 13. Lebensjahr aus dem Fußballverein wieder aus.

Der Beklagte wurde in der Regel nicht gefragt, ob er an gemeinsamen Aktivitäten überhaupt teilnehmen wollte. Die Klägerin hat vielmehr schon in frühen Ehejahren sehr selbständig über die Art der Freizeitgestaltung entschieden. Die Klägerin kannte den Dienstplan des Beklagten schon im Voraus, sodass es ihr ein Leichtes gewesen wäre, gemeinsame Aktivitäten mit Rücksicht auf dessen Zeiteinteilung abzustimmen. Dass es dazu in der Regel nicht kam, scheiterte am guten Willen beider Seiten.

In den ersten 10 Jahren der Ehe fanden überhaupt keine Urlaubsreisen statt. Erst danach kam es zu Familienausflügen in die Bundesländer gemeinsam mit einer Freundin der Klägerin. Der Beklagte kam zu diesen Urlauben insgesamt zweimal auf einen Tag nach. Im Jahr 1992 verbrachte die Familie auf Einladung eines Onkels einen Urlaub in Mariazell, wo sie der Beklagte ebenfalls auf einen Tag besuchte. Der einzige wirkliche Familienurlaub fand 1995 auf Einladung desselben Onkels in Tirol statt und dauerte acht Tage. Den Streitteilen waren allerdings größere Urlaube aus finanziellen Gründen nicht möglich. In der Regel war es so, dass die Klägerin dem Beklagten solche Unternehmungen nicht rechtzeitig mitteilte, sodass es ihm schon aus dienstlichen Gründen unmöglich war, sich den Terminwünschen anzupassen.

Vor rund neun Jahren kam es zu einer neuerlichen Schwangerschaft der Klägerin. Nach einer von beiden Ehegatten gemeinsam beschlossenen Abtreibung verschlechterte sich der psychische Zustand der Klägerin erheblich und es traten bei ihr Angstzustände auf. Der Beklagte konnte sich auf diese Situation nur sehr schlecht einstellen, kümmerte sich also wenig um die Gefühle der Klägerin, doch auch die Klägerin brachte dem Beklagten in diesem Zeitraum im Wesentlichen nur Hass und Vorwürfe entgegen, was eine vernünftige Aufarbeitung der Situation beträchtlich erschwerte.

Seit den Geschehnissen rund um die Abtreibung reagierte die Klägerin gegenüber dem Beklagten vermehrt mit aggressivem Verhalten. Im Zuge einer derartigen Streitigkeit, in deren Verlauf meist die Klägerin den Beklagten beschimpfte, kam es vor Jahren dazu, dass der Beklagte die Klägerin in der Aufregung damit bedrohte, sie vom Balkon hinunterzuwerfen. Dies wurde von der Klägerin allerdings nicht als ernstliche Bedrohung empfunden. Das Erstgericht konnte nicht feststellen, dass der Beklagte die Klägerin ganz allgemein ohne Anlass beschimpfte oder bedrohte.

Das aggressive Verhalten der Klägerin war vor allem in den letzten Jahren auf ihren oftmaligen Alkoholkonsum zurückzuführen. Ab einer gewissen Trinkmenge war sie für jedes Familienmitglied unansprechbar und machte allen ungerechtfertigte Vorwürfe. Zwar trank der Beklagte schon seit jeher am Abend Bier, jedoch nicht in einem derartigen Ausmaß, dass er davon betrunken gewesen wäre. Das Erstgericht konnte nicht feststellen, dass der Beklagte häufig trinke und dann unerträglich sei.

Zwischen den Streitteilen ist es seit ca drei Jahren zu keinem sexuellen Kontakt mehr gekommen. Der Beklagte schläft im Zimmer seines Sohnes, die Klägerin bei der Tochter in einem anderen Zimmer. Dass der Beklagte die Klägerin sexuell belästigt habe, konnte das Erstgericht nicht feststellen.

Mit ihrer am 12. 3. 1996 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Die Ehe kranke seit Jahren aus dem Alleinverschulden des Beklagten an dessen Interesselosigkeit in finanzieller, häuslicher sowie sexueller Hinsicht. Der Beklagte verweigere der Klägerin seit etwa acht Jahren den Geschlechtsverkehr. Er überlasse die Haushaltsführung und die Erziehung der Kinder gänzlich der Klägerin und kümmere sich um nichts. Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke, Verwandten- und Bekanntenbesuche im üblichen Ausmaß sowie gemeinsames Essen lehne er ab. Die Klägerin habe die Freizeit immer ohne den Beklagten verbringen müssen. Seit der Eheschließung habe es nur einen gemeinsamen Urlaub gegeben. Trotz sparsamer Wirtschaftsführung komme die Klägerin mit dem Geld nicht aus und müsse regelrecht betteln gehen. Der Beklagte drohe, das gemeinsame Konto zu sperren bzw es zu Lasten der Klägerin über Gebühr zu überziehen. Der Beklagte trinke häufig, sei in diesem Zustand unerträglich und beschimpfe und bedrohe die Klägerin.

Der Beklagte, der primär die Klagsabweisung beantragte, stellte im Zuge des Verfahrens für den Fall der Scheidung der Ehe den Antrag, das Mitverschulden der Klägerin an der Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft festzustellen. Er habe im Zeitpunkt der Eheschließung als Hafnergeselle im Betrieb seines Vaters gearbeitet. Infolge der Insolvenz dieses Unternehmens sei er durch übernommene Haftungen für Kredite verschuldet. Die Klägerin verfüge über das Einkommen des Beklagten sehr großzügig. Er habe die vierköpfige Familie nur mit enormen Überstundenleistungen erhalten können. Er habe weder mit einer Kontosperre gedroht noch die Klägerin beschimpft, sondern bloß berechtigterweise ihre mangelhafte Haushaltsführung kritisiert. Der Hauptgrund für das Erkalten der Gefühle liege darin, dass es ihm nicht gegeben sei, nach Vorwürfen intim zu werden. Seine Enthaltsamkeit könne in Anbetracht der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Tatsache, dass der Ehe bereits zwei gesunde Kinder entstammen, keine Eheverfehlung darstellen. Allfällige dem Beklagten anzulastende Verfehlungen seien verfristet. Der Beklagte habe sich immer um den Zusammenhalt der Familie bemüht und sei bestrebt gewesen, dieser ein angemessenes Auskommen zu ermöglichen. Die Klägerin habe die Freizeit so geplant, dass der Beklagte an den Aktivitäten nicht habe teilnehmen können. Dies sei auch dadurch bedingt gewesen, dass er aus Rücksicht auf die finanzielle Lage zu Gunsten der übrigen Familienmitglieder zurückgestanden sei. Die Klägerin habe über die gesamten Einkünfte verfügt, diese aber nicht so eingeteilt, dass ihr gleichmäßig den ganzen Monat hindurch Geld zur Verfügung gestanden wäre. Die Klägerin habe dem Beklagten durch ihr gehässiges Verhalten das Zusammenleben erschwert. Nicht er bedrohe die Klägerin, sondern sie wolle sich scheiden lassen und den Beklagten zum Verlassen der Wohnung bewegen.

Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile aus deren gleichteiligem Verschulden. Es traf die eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Feststellungen und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, dass beide Ehegatten Eheverfehlungen begangen hätten. Der Beklagte habe die Pflicht zur anständigen Begegnung gegenüber dem Ehepartner dadurch verletzt, dass er mit der Klägerin gemeinsame Probleme nicht besprochen und sie in der Freizeit überwiegend allein gelassen habe. Doch auch die Klägerin habe entscheidenden Anteil an jenem Zustand der Gesprächslosigkeit gehabt, durch den es verhindert wurde, dass die Ehegatten ihre gemeinsamen Probleme besprechen konnten. Es sei der Klägerin durchaus recht gewesen, eine gewisse Unabhängigkeit vom Beklagten zu haben, wobei sie sich auch nicht mit dem in einer Ehe zu erwartenden Einfühlungsvermögen um eine Besserung der Situation bemüht habe. Auch sei es ihr zu einem nicht unerheblichen Teil zuzurechnen, dass die Familie aus den finanziellen Problemen nicht heraus gekommen sei. Die Ehe sei zumindest seit der Zeit nach dem Schwangerschaftsabbruch zerrüttet. Tendenziell sei das Verschulden der Klägerin daran gewichtiger als jenes des Beklagten, jedoch nicht so erheblich schwerer, dass dies einen überwiegenden Schuldausspruch zu Lasten der Klägerin gerechtfertigt hätte.

Das Berufungsgericht änderte es dahin ab, dass es das überwiegende Verschulden des Beklagten an der Zerrüttung der Ehe aussprach. Es erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichts führte es zur Rechtsrüge aus, dass dem Beklagten als Eheverfehlungen das persönliche Desinteresse und das Alleinlassen der Klägerin in der Freizeit vorzuwerfen seien. Dem Beklagten könne zwar in finanzieller Hinsicht ein hohes Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Klägerin und der gesamten Familie zugestanden werden, doch habe er mit seinem Verhalten nicht einer umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft entsprochen und seine Beistandspflicht nicht zur Gänze erfüllt. Das Verhalten der Klägerin sei mehr oder minder eine Reaktion auf die Einstellung des Beklagten gewesen, den bloß seine Arbeit interessiert habe und der offenbar gar nicht in der Lage gewesen sei, an Problemen anderer Anteil zu nehmen. Der Klägerin sei vom Erstgericht ein Anteil an der Gesprächslosigkeit vorgeworfen worden, insbesondere dass sie die fehlende Kommunikation nicht verbessert habe, sowie die schlechte Einteilung des Geldes. Dass die Klägerin die finanzielle Situation der Streitteile in erster Linie zu vertreten habe, könne aus dem festgestellten Sachverhalt aber nicht geschlossen werden. Trotz der Bescheidenheit in persönlichen Angelegenheiten habe der Beklagte durch die ihn treffende Haftung für Schulden seiner Eltern, durch Übernahme einer Bürgschaft für seinen Freund und erhebliche "Magazinkosten" einen beträchtlichen Beitrag zu den schlechten finanziellen Verhältnissen der Streitteile geleistet, wodurch auch sein extensiver Arbeitseinsatz erforderlich geworden sei. Der Klägerin sei zwar die mangelhafte Einteilung des ihr zur Verfügung gestandenen monatlichen Einkommens vorzuwerfen, dies habe aber der Beklagte nicht als ehezerstörend empfunden. Auch die Hassgefühle der Klägerin gegenüber dem Beklagten seien auf dessen fehlendes Verständnis für die psychischen Probleme seiner Ehegattin nach der Abtreibung zurückzuführen. Das Desinteresse des Beklagten habe nicht nur die persönlichen Probleme der Klägerin, sondern auch die Freizeitgestaltung betroffen. Warum es dazu gekommen sei, brauche nicht weiter hinterfragt zu werden. Selbst wenn es aus finanzieller Sicht nicht möglich gewesen wäre, dass die gesamte Familie auf Urlaub fährt, wäre doch die Freizeit gemeinsam zu gestalten gewesen. Letztlich müsse auch die Kommunikationslosigkeit der Streitteile auf das Desinteresse des Beklagten an persönlichen Problemen zurückgeführt werden. Er habe damit den entscheidenden Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe geleistet. Der Klägerin sei als Verschulden neben der schlechten Einteilung der vorhandenen finanziellen Mittel anzulasten, dass sie die Kommunikationslosigkeit zwischen den Streitteilen nicht verbessert und den Beklagten letztlich nicht mehr in die Freizeitplanung mit einbezogen habe. Der Beklagte habe jedoch durch seine Lebenseinstellung, in der er lediglich Arbeit hoch bewertete, jedoch kein Verständnis für Probleme der Ehegattin und kein Interesse an gemeinsamer Freizeit aufgebracht hat, den entscheidenden Beitrag zur Zerrüttung der Ehe geleistet. Seine Einstellung zur Beschaffung finanzieller Mittel sei zwar löblich, jedoch mit dem Wesen der Ehe als umfassender Lebensgemeinschaft unvereinbar. Da das Verhalten der Klägerin eher als Reaktion zu sehen sei, treten ihre Eheverfehlungen in den Hintergrund, während das Verschulden des Beklagten überwiege.

Die dagegen erhobene Revision des Beklagten ist zulässig und teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Berufungswerber geltend gemachte Aktenwidrigkeit liegt vor. Sie stellt einen Verstoß gegen den tragenden Verfahrensgrundsatz des § 498 Abs 1 ZPO dar und ist daher auch über außerordentliche Revision wahrzunehmen (SZ 59/92; SZ 63/178; RZ 1994/45; 1 Ob 503/94 ua).

Das Erstgericht traf unter anderem folgende Feststellungen:

"Zwischen den Eheleuten herrschte von Anfang an eine gewisse Kommunikationsarmut vor. Die Eheleute legten ihr Eheleben schon bald so an, dass die Klägerin sich hauptsächlich um die Kinder kümmerte, während der Beklagte seiner Arbeit nachging. ... Das führte dazu, dass die Eheleute schon bald in ihrem jeweils eigenen Trott miteinander bzw mehr oder weniger nebeneinander herlebten, was sie allerdings längere Zeit hindurch so akzeptierten. ... Die gegenseitige Interesselosigkeit der Streitteile aneinander führte schon in einem frühen Stadium der Ehe dazu, dass die Streitteile wenig Freizeit gemeinsam verbrachten" (AS 279 f = S 7 f der Urteilsausfertigung).

Demgegenüber kam das Berufungsgericht im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu dem Schluss, dass die Kommunikationslosigkeit der Streitteile auf das Desinteresse des Beklagten an persönlichen Problemen zurückzuführen sei, wodurch er den entscheidenden Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe geleistet habe. Damit werden aber im Ergebnis der rechtlichen Beurteilung Tatsachenannahmen zugrunde gelegt, die in den Feststellungen des Erstgerichtes nicht gedeckt sind (vgl 1 Ob 530/88), dies auch unter Beachtung der weiteren erstinstanzlichen Feststellung, der mangelnde Gesprächskontakt der Ehepartner sei oft daran gelegen, dass der Beklagte abends müde von der Arbeit heimkam und sich sehr früh ins Bett legte, weil er am nächsten Tag wieder früh in die Arbeit musste. Aus dieser Feststellung allein kann nämlich ein Desinteresse des Beklagten an persönlichen Problemen der Klägerin nicht herausgelesen werden. Ein derartiges Desinteresse hat das Erstgericht erst im Zusammenhang mit den Ereignissen nach dem Schwangerschaftsabbruch festgestellt, indem es das Verhalten des Beklagten wie folgt beschrieb: "Der Beklagte konnte sich auf diese Situation nur sehr schlecht einstellen, kümmerte sich also sehr wenig um Gefühle der Klägerin. Gemeint sind hier die Gefühle, ein Kind getötet zu haben, und die Vorstellung, eine Familie mit drei Kindern haben zu können." Dieses zweifellos als Eheverfehlung zu wertende Verhalten kann jedoch in diesem relativ späten Stadium der Ehe nicht mehr als die Zerrüttung einleitendes Verhalten gesehen werden und wird außerdem durch die weitere Feststellung des Erstgerichts relativiert, dass auch die Klägerin dem Beklagten in diesem Zeitraum im Wesentlichen nur Hass und Vorwürfe entgegengebracht habe.

Es ist zwar zutreffend, dass die Ehegatten bei der Wahl und Ausübung einer Erwerbstätigkeit auf die Belange des Partners und der Familie Rücksicht zu nehmen haben, weil sich die zum Wesen der Ehe gehörende Gemeinsamkeit der Lebensführung keineswegs auf räumliche Gemeinsamkeit beschränkt, sondern auch ein geistig-seelisches Miteinanderleben erfordert (EvBl 1973/179; 1 Ob 540/81; 7 Ob 536/90 ua), doch hat das Berufungsgericht die zum überdurchschnittlichen Arbeitseinsatz des Beklagten führende finanzielle Belastung der Familie und deren Ursachen nicht entsprechend den erstinstanzlichen Feststellungen wiedergegeben. So ließ es unerwähnt, dass die Klägerin S 70.000 an Schulden in die Ehe mitgebracht hatte, dass die einen etwa gleich hohen Betrag betreffende Bürgschaft für einen Freund vom Beklagten ebenfalls vor der Ehe eingegangen worden ist (somit in beiden Fällen eine Eheverfehlung nicht vorliegen kann) und dass schließlich die Klägerin in Vermögensangelegenheiten während der Ehe autonom vorging und etwa auch den Ankauf eines Lexikons um den im Vergleich zur finanziellen Ausstattung der Familie unverhältnismäßig hohen Preis von S 20.000 durchsetzte. Aktenwidrig ist die Annahme, der Beklagte habe übermäßige Ausgaben für ein Monatsmagazin gehabt (AS 377 = S 11 der Ausfertigung des Berufungsurteils), weil nach den Feststellungen des Erstgerichts (AS 275 = S 5 der Urteilsausfertigung) ein Mietzinsrückstand für ein vom Beklagten in Bestand genommenes Magazin, in welchem er Arbeiten verrichten wollte, aufgelaufen war. Auch hat das Erstgericht an dieser Stelle ausdrücklich festgestellt, beide Ehegatten seien gemeinsam Schulden für Güter des täglichen Bedarfs eingegangen, was zu Mahnklagen geführt habe. Obgleich mangels entsprechender Feststellungen nicht beurteilt werden kann, ob die Übernahme der Haftung für einen Kredit an das elterliche Unternehmen einer sittlichen Pflicht entsprach, kann doch insgesamt aus den dargestellten Feststellungen nicht der Schluss gezogen werden, der Beklagte habe einen (im Vergleich zur Klägerin) "beträchtlichen Beitrag für die schlechten finanziellen Verhältnisse der Streitteile geliefert" (AS 383 = S 14 der Ausfertigung des Berufungsurteils). Der daran anschließende Hinweis des Berufungsgerichts, das in der schlechten Verwaltung der Finanzen durch die Klägerin liegende Fehlverhalten sei vom Beklagten nicht als ehezerstörend empfunden worden, negiert dessen Ausführungen zum Mitverschuldenseinwand auf AS 213 (Verhandlung vom 6. 5. 1998, ON 47), mit denen er ausdrücklich vorbrachte, die Klägerin habe, "obwohl sie über die vorhandenen Finanzen frei verfügen habe können, diese nicht so eingeteilt, dass sie während des ganzen Monats gleichmäßig zur Verfügung gestanden seien". Dem Berufungsgericht kann auch nicht darin gefolgt werden, dass nicht weiter hinterfragt zu werden brauche, warum es zum Desinteresse des Beklagten an einer gemeinsamen Freizeitgestaltung gekommen sei, hat doch das Erstgericht dazu festgestellt, dass zwischen den Streitteilen über die Planung der gemeinsamen Freizeit nicht viel gesprochen worden sei, "insbesondere wurde der Beklagte in der Regel nicht gefragt, ob er an gemeinsamen Aktivitäten überhaupt teilnehmen wolle. Die Klägerin hat vielmehr schon in den frühen Ehejahren sehr selbständig über die Art des Verbringens von Freizeit entschieden, was vor allem daran lag, dass sie an den kommunikationsarmen Umgang mit dem Beklagten schon gewöhnt war" (AS 281 = S 8 der Urteilsausfertigung).

Geht man von den vom Berufungsgericht nach seiner ausdrücklichen Bekundung übernommenen Feststellungen des Erstgerichts aus, erweist sich aber die von diesem vorgenommene Abwägung der Verschuldenskomponenten der Verfehlungen der beiden Ehegatten als lebensnah und durchaus gerechtfertigt. Sowohl die angespannte finanzielle Lage wurde von beiden Ehegatten - wenngleich auch teils auf Grund vor der Eheschließung eingegangener Schulden - herbeigeführt als auch das schlechte Gesprächsklima in der Ehe. Die Klägerin hat im Verfahren niemals vorgebracht, dass der überdurchschnittlich hohe Arbeitseinsatz des Beklagten nicht erforderlich gewesen wäre, um das finanzielle Auskommen der Familie zu sichern, und darauf ihr Scheidungsbegehren auch nicht gestützt. War aber der Arbeitseinsatz auf Grund der auch der Klägerin bekannten schlechten finanziellen Situation erforderlich und diente er nur zum geringsten Teil der Deckung der Bedürfnisse des Beklagten, wäre es zweifelsohne Sache der Klägerin gewesen, sich auf diese Situation einzustellen, auf den Beklagten Rücksicht zu nehmen und etwa Freizeitaktivitäten so zu planen, dass der Beklagte zumutbarerweise an ihnen teilnehmen konnte. Mag somit auch der Beklagte oftmals müde nach Hause gekommen und zu Gesprächen nicht bereit gewesen sein, kann darin keineswegs ein die Zerrüttung einleitendes überwiegendes Verschulden gesehen werden. Das würde nämlich nach ständiger Rechtsprechung bedeuten, dass das Verschulden der Klägerin fast völlig in den Hintergrund treten müsste (EFSlg 57.228; EFSlg 60.249; 1 Ob 637/89; 4 Ob 563/95 ua), wovon aber auf Grund der nun bereits mehrfach wiedergegebenen Feststellungen des Erstgerichts keine Rede sein kann. Es mag sein, dass der Grad des Verschuldens jedes der beiden Ehegatten unterschiedlich gesehen werden kann, doch ist - wie bereits das Erstgericht zutreffend hervorgehoben hat - jedenfalls ein derart erheblicher Unterschied, der den Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens rechtfertigen könnte, nicht zu erkennen.

Den darüber hinausgehenden Ausführungen in der Revision, die darauf abzielen, dass den Beklagten schon deshalb kein Verschulden treffen könne, weil das neurologische-psychiatrische Gutachten ON 42 zu dem Ergebnis gekommen sei, dem Beklagten könne wegen seiner neurotischen Persönlichkeitsstruktur ein schuldhaftes Fehlverhalten nicht angelastet werden, kann allerdings nicht gefolgt werden. Nach dem weiteren Inhalt des Gutachtens weist nämlich die Persönlichkeit des Beklagten keine krankheitswertigen Störungen auf, weshalb es ihm ohne weiteres zumutbar gewesen wäre, gegen seine resignative Neigung zu depressivem Rückzug und innerer Immigration anzukämpfen und das Gespräch mit seiner Gattin zu suchen.

Der Revision ist daher teilweise Folge zu geben und das Ersturteil wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 43 Abs 1, 41 ZPO.

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