OGH 7Ob184/99f

OGH7Ob184/99f13.10.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich, Dr. Tittel, Hon-Prof. Dr. Danzl und Dr. Schaumüller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz G*****, vertreten durch DDr. Helwig Torggler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Josefine S*****, 2. Edmund S*****, vertreten durch Dr. Helfried Rustler ua Rechtsanwälte in Wien, wegen S 53.113,27, über den Revisionsrekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 2. Februar 1999, GZ 37 R 965/98f-19, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hernals vom 8. September 1998, GZ 27 C 114/98z-14, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.871,04 (darin S 811,84 USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Unstrittig ist, daß der Kläger und seine Gattin, seine Tochter und deren Gatte sowie die beiden Beklagten am 22. 5. 1995 in Wien standesamtlich und in Mariazell kirchlich heirateten. Im Verfahren ***** des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien (im folgenden kurz als Vorverfahren bezeichnet) wurde gegenüber dem dort beklagten Kläger mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil ausgesprochen, daß der zugunsten der Beklagten erlassene Wechselzahlungsauftrag über S 62.000 sA aufrecht bleibe. Der Kläger hatte dort eingewendet, die dort klagenden Beklagten hätten ihm einen Barbetrag von S 55.000 mit dem Auftrag übergeben, damit sämtliche mit den Hochzeitsfeierlichkeiten verbundenen Kosten bezahlen und danach mit den dort klagenden Beklagten anteilig abzurechnen. Tatsächlich habe er für die Hochzeit der beiden dort klagenden Beklagten über S 65.000 aufgewendet. Die (hier beklagten) Kläger des Vorverfahrens brachten hiezu vor, sie hätten den hier klagenden Beklagten zur Finanzierung der "Dreierhochzeit" ein Darlehen von S 55.000 gewährt. Er habe versprochen, sich für die Gewährung dieses Darlehens insofern erkenntlich zu zeigen, als er sämtliche Hochzeitsunkosten für die Heirat der beiden hier beklagten Kläger übernehmen würde sowie eine Taxirechnung in der Höhe von S 7.000 für die Fahrt nach Mariazell zu begleichen. Aus diesem Grunde sei auch der vom Beklagten des Vorverfahrens akzeptierte Wechsel über einen Betrag von S 62.000 ausgefüllt worden. Das Vorurteil wurde im wesentlichen damit begründet, daß dem hier klagenden Beklagten von den dort klagenden Beklagten ein Darlehen gewährt worden sei, das mit der Annahme des Wechsels über den Klagebetrag bekräftigt worden sei. Eine Gegenverrechnung mit den Hochzeitskosten der Kläger sei nie vereinbart worden, sondern der Beklagte habe sich aus Freundschaft und Dankbarkeit für die Darlehensgewährung zur Tragung dieser Kosten verpflichtet. Diese Entscheidung wurde vom Handelsgericht Wien als Berufungsgericht bestätigt. (Der vom Kläger dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs wurde zu 8 Ob 405/97k am 13. 1. 1998 zurückgewiesen.)

Der Kläger begehrt mit seiner am 1. 4. 1998 erhobenen Klage von den Beklagten die Zahlung von S 53.113,27 sA und brachte vor, es sei vereinbart worden, daß die anfallenden Kosten für die beiden Hochzeitsessen, Blumenschmuck, Fotos, Abendessen und Nächtigung in Mariazell zwischen dem Kläger und den Beklagten je zur Hälfte getragen werden sollten. Der Kläger habe im Zusammenhang mit der standesamtlichen Hochzeit der drei Brautpaare in Wien und mit der kirchlichen Trauung in Mariazell insgesamt S 83.771,89 ausgegeben. Von den gesamten Kosten entfielen S 15.000 auf eine Spende an die Basilika Mariazell, welche notwendig gewesen sei, um den Beklagten eine Segnung ihrer Eheringe zu ermöglichen, diese Kosten seien daher nicht der Kostenvereinbarung zuzurechnen und ausschließlich von den Beklagten zu tragen. Gleiches gelte für die Kosten der Taxifahrt, da das Taxi ausschließlich von den Beklagten benützt worden sei und der Kläger mit seinem eigenen Auto angereist sei. Dasselbe gelte für die Kosten, die für die nach der Hochzeit in Auftrag gegebene Nachbestellung von Hochzeitsfotos angefallen seien.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten ein, der Kläger habe sich verpflichtet, die Kosten der Dreierhochzeit allein zu tragen. Sein Versuch, im Vorverfahren gegenüber der Klageforderung eine Gegenforderung von S 65.000 in Aufrechnung zu bringen, habe zum Ausspruch geführt, daß ein derartiger Anspruch nicht zu Recht bestehe. Es liege daher res iudicata vor. Sollte der Anspruch des Klägers dennoch berechtigt sein, wendeten die Beklagten dagegen die im Vorverfahren zugesprochene Summe von S 62.000 sA compensando gegen die Klageforderung ein.

Das Erstgericht wies die Klage zurück. Die von der materiellen Rechtskraft der Vorentscheidung ausgehende Präklusionswirkung erlaube es dem nunmehrigen Kläger nicht, all die Einwendungen, die er im Vorverfahren bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandllung geltend hätte machen können, zum Gegenstand einer neuen Klage zu machen. Einem in einem Vorprozeß auf Grundlage eines bestimmten rechtserzeugenden Sachverhaltes erfolgreich verwirklichten Anspruch könne in einem Folgeprozeß zwischen denselben Parteien nicht mit anspruchsvernichtenden Tatsachen entgegengetreten werden, die im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz im Vorprozeß bereits entstanden gewesen seien, aber nicht ausgeführt wurden. Die im vorliegenden Verfahren erhobenen Behauptungen erwiesen sich letztlich nur mehr als Präzisierung der Tatsachenbehauptungen des vorangegangenen, rechtskräftig abgeschlossenen Wechselverfahrens; sämtliche den Anspruch der Beklagten allenfalls vernichtenden Tatsachen seien bei Schluß der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses schon vorhanden gewesen. Der Klage stehe somit das Prozeßhindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegen.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluß dahin ab, daß es die von den Beklagten erhobene Einrede der entschiedenen Sache zurückwies. Es erklärte die Erhebung des ordentlichen Revisionsrekurses für zulässig. Die materielle Rechtskraft wirke nur bei Identität des Anspruches, Identität der Parteien und Identität des rechtserzeugenden Sachverhaltes. Im vorliegenden Fall sei ohne Zweifel eine Identität der Parteien gegeben und werde wohl auch der rechtserzeugende Sachverhalt gleich sein. Es liege allerdings keine Identität des Anspruches vor. Diese sei nämlich nur dann gegeben, wenn das neu gestellte Begehren gegenüber dem des Vorverfahrens sowohl inhaltlich dieselbe Leistung, Feststellung oder Rechtsgestaltung oder ein bloß quantitatives Minus derselben fordere. Darüber hinaus erstrecke sich die materielle Rechtskraft auch auf später geltend gemachte Ansprüche, die das begriffliche Gegenteil des rechtskräftig entschiedenen Anspruches darstellten. Das sei dann der Fall, wenn die (meist bei Parteirollenumkehr) begehrte neue Entscheidung die Wirkungen der bereits ergangenen rechtskräftigen Entscheidung ganz oder teilweise aufheben müßte. Handle es sich beim zweiten Begehren um die reine Negation des ersten Begehrens, dann sei wegen voller Identität auch der streitigen Rechtsfolge die zweite Klage mit Beschluß als unzulässig zurückzuweisen. Seien dagegen die Rechtsfolgebegehren miteinander nur deshalb unvereinbar, weil durch die Vorentscheidung die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für das neue Begehren verneint würden, dann liege keine Identität der Begehren, sondern ein Sonderfall der Präjudizialität vor. Das Gericht müsse zwar über die zweite Klage mit Sachurteil entscheiden, diesem aber die rechtskräftige Entscheidung zugrunde legen. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung sei der Streitgegenstand zweigliedrig, er werde durch das Begehren und das tatsächliche Vorbringen, aus dem das Begehren abgeleitet werde, bestimmt. Daraus folge, daß der Beklagte im Rahmen des vom Kläger bestimmten Streitgegenstandes verpflichtet sei, alle Tatsachen vorzubringen und alle ihm zur Verfügung stehenden Gestaltungsrechte auszuüben, die dem Klageanspruch die Grundlage entzögen. Einem in einem Vorprozeß auf Grundlage eines bestimmten rechtserzeugenden Sachverhaltes erfolgreichen Anspruch könne daher in einem Folgeprozeß zwischen denselben Parteien nicht mit anspruchsvernichtenden Tatsachen entgegengetreten werden, die in dem für die Vorentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt, nämlich dem Schluß der Verhandlung erster Instanz, bereits entstanden waren, aber nicht ausgeführt worden seien. Das Begehren des Klägers im gegenständlichen Verfahren sei nicht auf Abwehr des den Klägern des Vorprozesses Zugesprochenen gerichtet, sondern der Kläger mache einen eigenen Anspruch geltend, der auch nicht als reine Negation des Begehrens der Kläger des Vorverfahrens anzusehen sei. Nur dann, wenn es sich beim Begehren des Klägers im gegenständlichen Verfahren um die reine Negation des Begehrens des Vorverfahrens handelte, wäre die zweite Klage aufgrund der Einmaligkeitswirkung mit Beschluß als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Dies sei aber nicht der Fall. Ob die Ergebnisse des Vorverfahrens allenfalls Bindungswirkung für das gegenständliche Verfahren haben, brauche im derzeitigen Verfahrensstadium nicht geklärt zu werden.

Der von den Beklagten erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Sind die Parteien des Vorprozesses sowie der dort geltend gemachte Anspruch mit jenen des später erhobenen Prozesses ident bzw deckungsgleich, äußert sich die materielle Rechtskraft als Einmaligkeitswirkung (Wiederholungsverbot, ne bis in idem) und führt dies zur Zurückweisung der später eingebrachten Klage. Welches Vorbringen aufgrund der materiellen Rechtskraft dann von einer neuerlichen Geltendmachung in einem neuen Prozeß ausgeschlossen ist (sog Präklusionswirkung), hängt vom zugrundegelegten Streitgegenstandsbegriff ab. Durch den Eintritt der materiellen Rechtskraft ist im Folgeprozeß das Vorbringen aller Tatsachen ausgeschlossen, die zur Vervollständigung oder Entkräftung des rechtserzeugenden Sachverhaltes, wie er dem Vorprozeß zu Grunde lag, dienen und aus denen auch im Folgeprozeß das geltend gemachte Urteilsbegehren abgeleitet wird (vgl Fasching, LB2 Rz 1514 ff sowie 1535 sowie Rechberger in Rechberger, ZPO vor § 390 Rz 24 ff).

Dem Rekursgericht ist zunächst darin beizupflichten, daß in Lehre und neuerer Judikatur (vgl die Hinweise in Fasching, Zivilprozeßrecht2 Rz 1519 und Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 10 zu § 411) neben der unmittelbaren Rechtskraftwirkung eine inhaltliche Bindungswirkung des Vorprozesses für den Folgeprozeß anerkannt wird, wenn zwar keine Identität der Begehren vorliegt, aber gewisse Fälle der Präjudizialität gegeben sind. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der rechtskräftig entschiedene Anspruch überhaupt Vorfrage (bedingendes Rechtsverhältnis) für den neuen Anspruch ist, also der Inhalt der rechtskräftigen Entscheidung zum Tatbestand der mit der neuen Klage begehrten Rechtsfolge gehört (RZ 1989/96; Fasching aaO Rz 1518). Häufigster Fall der bindenden Wirkung der materiellen Rechtskraft von Präjudizialentscheidungen ist in diesem Zusammenhang die Wirkung des Urteils über einen Zwischenantrag auf Feststellung (§§ 236, 259 Abs 2 ZPO) auf das Endurteil über das Klagebegehren (vgl Fasching aaO).

In der Judikatur (RIS-Justiz RS0041157) wird allerdings auch die Meinung vertreten, daß auch bei fehlender Identität des Begehrens ein Urteil eines Vorprozesses zufolge seiner materiellen Rechtskraft zur inhaltlichen Bindung des später entscheidenden Gerichtes führen könne, insbesondere wenn Parteien und rechtserzeugender Inhalt identisch seien und beide Prozesse in einem so engen inhaltlichen Zusammenhang stünden, daß die Gebote der Rechtssicherheit und der Entscheidungsharmonie eine widersprechende Beantwortung derselben in beiden Fällen entscheidenden Rechtsfrage nicht gestatteten. Diese von der überwiegenden Lehre (Deixler/Hübner JBl 1996, 467; Frauenberger JBl 1996, 484; Oberhammer JAP 1996/97, 28 f; derselbe JBl 1995, 461; Fasching aaO Rz 1519; Rechberger aaO; derselbe in FS Nakamura 477, 483 f) abgelehnte Ansicht wird von der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (9 Ob 501/95 = SZ 68/2 = JBl 1995, 458 [Oberhammer]; 5 Ob 2152/96y = MietSlg 48.646; 5 Ob 2267/96k = MietSlg 48.645; 2 Ob 10/96 = SZ 69/54; 9 ObA 205/98g; zuletzt 5 Ob 12/99x) nur sehr eingeschränkt aufrecht erhalten bzw in Frage gestellt. Danach reicht es nicht aus, daß eine im Vorprozeß relevante Vorfrage auch eine solche des späteren Prozesses ist. Wenn eine bestimmte Tatsache aber im Vorprozeß nicht den Hauptgegenstand des Verfahrens bildete, sondern lediglich eine Vorfrage darstellte, kommt der Entscheidung dieser Vorfrage im Vorprozeß keine bindende Wirkung im folgenden zu (RZ 1989/96; 5 Ob 2152/96y).

Im vorliegenden Fall stelle die vom nunmehrigen Kläger im Vorprozeß erhobene Einrede, es liege keine Darlehensgewährung durch die nunmehrigen Beklagten an ihn, sondern nur die Übergabe eines Geldbetrages zur Verrechnung mit deren Hochzeitskosten vor, für die dortige Stattgebung des Klagebegehrens lediglich eine Vorfrage dar. Die Frage einer Darlehensgewährung, wie sie der Entscheidung im Vorprozeß zugrundegelegt worden ist, steht nicht in einem unmittelbaren rechtlichen Zusammenhang mit der vom Kläger hier seiner Klageführung zugrundegelegten Behauptung einer Abrechnungszusage der beiden Beklagten dar, weil beide Sachverhalte grundsätzlich auch nebeneinander denkbar wären. Die Vorfrage der in der Vorentscheidung verneinten Abrechnungszusage, wie sie nunmehr wieder behauptet wird, ist lediglich den Entscheidungsgründen zu entnehmen, die für sich allein nicht in Rechtskraft erwachsen können (vgl Fasching aaO Rz 1520 und 1523; Klicka, Bindungswirkung, RZ 1990, 2 ff [4]). Im Schrifttum (s etwa Rechberger in Nakamura FS 477, 485) wird zutreffend darauf hingewiesen, daß die österreichische ZPO mit dem Zwischenantrag auf Feststellung ein Institut kennt, das - ausnahmsweise - die Möglichkeit einer rechtskräftigen Feststellung von Vorfragen eröffnet. Die Annahme, daß auch die Feststellungen über eine Vorfrage im Vorprozeß selbständig rechtskräftig werden können, würde den Zwischenantrag auf Feststellung völlig entwerten und überdies dem Wortlaut des § 411 ZPO widersprechen, wonach präjudizielle Rechtsverhältnisse dann rechtskräftig entschieden werden, wenn sie zum Inhalt eines Zwischenfeststellungsantrages gemacht wurden. Würden Vorfragen ohnehin bindend festgestellt, wäre dieser Halbsatz überflüssig (JBl 1995, 458 [Oberhammer]; Frauenberger JBl 1994, 483 f mwH; Rechberger in Nakamura FS aaO; 9 ObA 205/98g; zuletzt 5 Ob 12/99x).

Auch der in SZ 70/60 in einem obiter dictum gemachten Andeutung, die erwähnten, zu "Rechtssicherheit und Entscheidungsharmonie" ergangenen Entscheidungen könnten durch die Art 21 Abs 1 und 22 Abs 3 LGVÜ neue Bedeutung erlangen und im vollen Umfange aufrecht zu halten sein, kann aus den in 9 ObA 205/98g angestellten Erwägungen nicht vorbehaltlos gefolgt werden (vgl allerdings 1 Ob 60/97y = SZ 70/261). Danach läßt sich solches auch aus der zu den parallelen Bestimmungen der Art 21 und 22 EUGVÜ ergangenen Rechtsprechung nicht ableiten. Der EuGH hat zu Art 21 EUGVÜ ausgesprochen (Slg der Rechtsprechung 1987 S 4861 Gubisch/Palumbo), daß dieser Artikel dann Anwendung zu finden hat, wenn die Parteien der beiden Prozesse diesselben sind und wenn beide Klagen wegen desselben Anspruchs anhängig gemacht worden sind. Dies sei insbesondere dann anzunehmen, wenn beide Rechtsstreitigkeiten den gleichen Gegenstand hätten, wobei dieser Begriff nicht auf die formale Identität der beiden Klagen beschränkt werden könne. Insbesondere müsse vermieden werden, daß die Anerkennung einer in einem Vertragsstaat ergangenen gerichtlichen Entscheidung, durch die die Verurteilung zur Erfüllung eines Vertrages ausgesprochen werde, im ersuchten Staat abgelehnt werde, wenn eine Entscheidung eines Gerichts dieses Staates vorläge, die die Unwirksamkeit oder die Auflösung desselben Vertrages ausspreche. Ein solches Ergebnis, das die Wirkung jeder gerichtlichen Entscheidung auf das nationale Hoheitsgebiet beschränke, liefe den Zielen des Abkommens zuwider, das auf eine Verstärkung des Rechtsschutzes innerhalb der gesamten Gemeinschaft und eine Erleichterung der Anerkennung der in jedem Vertragsstaat ergangenen gerichtlichen Entscheidung in jedem anderen Vertragsstaat gerichtet sei. Unabhängig von der strittigen Frage, inwieweit das LGVÜ überhaupt anzuwenden, d h zur ergänzenden Interpretation inländischen Rechtes heranzuziehen ist (siehe SZ 70/60), kann die gegenständliche Fallkonstellation dem Begriff "desselben Anspruchs" im Sinn des Art 21 Abs 1 LGVÜ im Hinblick auf die obigen Darlegungen nicht gleichgehalten werden. Gleiches gilt für Art 22 LGVÜ, wonach dann, wenn bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Klagen, die im Zusammenhang stehen, erhoben werden, das später angerufene Gericht das Verfahren aussetzen kann, solange beide Klagen im ersten Rechtszug anhängig sind (Abs 1). Klagen stehen im Sinne dieses Artikels im Zusammenhang, wenn zwischen ihnen eine so enge Beziehung gegeben ist, daß eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, daß in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten (Abs 3). Dabei kann jedoch nicht übersehen werden, daß das Ergebnis des ersten Prozesses die zweite Partei und den Richter im zweiten Prozeß nicht formell bindet. Sinn dieser Bestimmung ist es vielmehr, die Möglichkeit offenzuhalten, daß das Gericht, welches sein Verfahren aussetzt, einen Erkenntnisgewinn ziehen kann, der später zur Entlastung des Verfahrens oder aber auch zu einer kohärenten Entscheidung führen kann (Schack in IPRax 1996, 80 zur Entscheidung des EuGH vom 6. 12. 1994, RSC 406/92 Tatry/Maciej Rataj). Auch eine Interpretation unter dem Blickwinkel des LGVÜ, das auf innerstaatlich geregelte Bindungswirkungen keinen unmittelbaren Einfluß nimmt, vermag daher jene Entscheidungen, die eine Bindung an den Vorprozeß aus Gründen der Rechtssicherheit und Entscheidungsharmonie annehmen, nicht wirklich zu stützen (s auch 5 Ob 12/99x).

Auch der erkennende Senat ist der Auffassung, daß "Entscheidungsharmonie" zwar grundsätzlich erstrebenswert ist, die Grenzen der materiellen Rechtskraft allein deshalb aber nicht ausgeweitet werden können. Mit dem Gedanken der Rechtssicherheit ist es durchaus vereinbar, bei der Beurteilung eines neuen Anspruchs Konsequenzen aus einer allenfalls erkannten Unrichtigkeit einer Vorentscheidung zu ziehen und jene nicht einfach "fortzuschreiben" (2 Ob 10/96 = SZ 69/54; RIS-Justiz RS0102102; zuletzt 5 Ob 12/99x).

Da die vom Rekursgericht zutreffend verneinte Bindungswirkung der Vorentscheidung nicht besteht, war die Einrede der entschiedenen Sache zurückzuweisen und dem Erstgericht die Verfahrensfortsetzung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Die Entscheidung über die Kosten des Zwischenstreites gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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