OGH 1Ob68/99b

OGH1Ob68/99b27.4.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria Luise N*****, vertreten durch Dr. Stefan Prokop, Rechtsanwalt in Perchtoldsdorf, wider die beklagte Partei Peter B*****, vertreten durch Dr. Udo Kaiser, Rechtsanwalt in Wien, und die Nebenintervenientin Margarethe H*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Waldeck und Dr. Rudolf Hasenauer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Abgabe einer Willenserklärung (Streitwert S 100.000,- -), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 19. November 1998, GZ 21 R 520/98p-39, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Hainburg a. d. Donau vom 1. August 1998, GZ C 47/96 d-35, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und der Nebenintervenientin binnen 14 Tagen die je mit S 6.086,40 (darin S 1.014,40 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ 2743 KG H*****. Sie hat diese Liegenschaft nach ihrem am 27. 6. 1991 verstorbenen Bruder geerbt. Der Beklagte ist Eigentümer der Nachbarliegenschaft EZ 2742 KG H*****. Das Eigentum an dieser Liegenschaft erwarb er von seiner Schwägerin, der Nebenintervenientin, im Wege eines Übergabsvertrags vom 4. 10. 1991. Die Nebenintervenientin war die langjährige Lebensgefährtin des verstorbenen Bruders der Klägerin. Noch zu Zeiten, als die Nebenintervenientin und der Bruder der Klägerin Eigentümer der beiden Liegenschaften waren, wurde auf der nunmehr im Eigentum der Klägerin stehenden Liegenschaft ein Wohnhaus errichtet, das über die Grundgrenze in das Nachbargrundstück des Beklagten (EZ 2742) hineinragt.

Die Klägerin begehrte vom Beklagten die Abtretung eines genau bezeichneten, sich aus dem Teilungsplan eines Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen ergebenden Teils der Liegenschaft EZ 2742 zwecks Einbeziehung in die Liegenschaft EZ 2743. Die Nebenintervenientin sei als Grundeigentümerin der EZ 2742 zur Bauverhandlung geladen gewesen. Sie habe keinen Einwand dagegen erhoben, daß ein geringfügiger Teil ihres Grundstücks bei der Bauführung in Anspruch genommen werden sollte. Damit habe sie in diese Bauführung eingewilligt und der Beklagte sei als Rechtsnachfolger der Nebenintervenientin demnach verpflichtet, den von der Bauführung betroffenen Teil am ursprünglich der Nebenintervenientin gehörigen Grundstück an die Klägerin abzutreten. Der Beklagte habe von der Bauführung (auf fremdem Grund) gewußt; er sei von der Nebenintervenientin "voll informiert" worden.

Der Beklagte wendete ein, beim Erwerb der EZ 2742 sei ihm nicht bekannt gewesen, daß das auf dem Grundstück der Klägerin errichtete Wohnhaus auf die ihm gehörige Liegenschaft herüberreiche. Er habe das Grundstück gutgläubig lastenfrei erworben. Im übrigen wendete er Verjährung bzw Verschweigung des Anspruchs der Klägerin ein.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es stellte fest, das vom Bruder der Klägerin errichtete Haus hätte zur Gänze auf der EZ 2743 gebaut werden sollen. Zu den Bauverhandlungen sei auch die Nebenintervenientin als Grundnachbarin geladen worden. Mit Bescheid vom 1. 3. 1976 sei von der Baubehörde die Errichtung eines Wohnhauses auf der EZ 2743 bewilligt worden. Das in der Folge errichtete Haus sei aber nicht zur Gänze auf der EZ 2743 gebaut worden, sondern habe auch in die Grundfläche der EZ 2742 hineingeragt. Dies sei weder dem Bruder der Klägerin noch der Nebenintervenientin bekannt gewesen. Zwischen den beiden Grundstücken habe es keinen Zaun gegeben. Weder die Nebenintervenientin noch der Bruder der Klägerin hätten den Verlauf der Grenze gekannt. Erst im Verlassenschaftsverfahren nach dem am 27. 6. 1991 verstorbenen Bruder der Klägerin sei hervorgekommen, daß das Haus nicht zur Gänze auf der EZ 2743 errichtet worden sei. Dieser Umstand sei "im Zuge der Verlassenschaftsabhandlung" zumindest seit 14. 8. 1991 bekannt gewesen. Der Beklagte habe zum Zeitpunkt der Unterfertigung des Übergabsvertrags gewußt, daß das großteils auf dem Grundstück EZ 2743 errichtete Haus zum Teil auf dem ihm nunmehr gehörigen Grundstück EZ 2742 stehe.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, sowohl der Bauführer (= Bruder der Klägerin) wie auch die Nebenintervenientin als Eigentümerin des Nachbargrunds seien insoweit einem Irrtum unterlegen, als beide angenommen hätten, daß das Haus auf dem Grundstück des Bruders der Klägerin errichtet werde. Dieser sei gemäß § 418 dritter Satz ABGB außerbücherlicher Eigentümer des Teils der EZ 2742 geworden, auf dem er das Haus errichtet habe, weil die Nebenintervenientin trotz ihrer Beiziehung zur Bauverhandlung gegen die Bauführung keinen Einspruch erhoben habe; ihre Untätigkeit sei als unentschuldbarer Irrtum zu werten. Der Beklagte sei im Zeitpunkt des Erwerbs der Liegenschaft nicht gutgläubig gewesen, sodaß er die Rechtsfolge des § 418 dritter Satz ABGB auch gegen sich gelten lassen müsse.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es sprach aus, daß der Entscheidungsgegenstand zwar S 52.000,- -, nicht aber S 260.000,-- übersteige und daß die ordentliche Revision zulässig sei. Die Feststellungen des Erstgerichts seien überzeugend begründet und uneingeschränkt zu übernehmen. § 473a ZPO sei nicht anzuwenden, weil die Klägerin die entscheidungswesentliche Feststellung, daß weder dem Bauführer noch der Grundeigentümerin der Überbau bekannt gewesen sei, unbekämpft gelassen habe. Das "Redlichkeitsmerkmal des Bauführers" müsse durch ein "Unredlichkeitsmerkmal des Grundeigentümers" aufgewogen werden. Es sei nicht festgestellt worden, daß die Nebenintervenientin im Zuge der Bauverhandlung die Bebauung ihres Grundstücks hätte erkennen können; ein unentschuldbarer Irrtum der Grundeigentümerin sei somit nicht gegeben. Auf fahrlässige Unkenntnis der Nebenintervenientin könne der Bauführer aber den originären Eigentumserwerb gemäß § 418 dritter Satz ABGB nicht stützen. Zumal sowohl der Bauführer wie auch die Grundeigentümerin des Nachbargrunds im gleichen Maß als redlich anzusehen seien, könne sich der Bauführer nicht auf § 418 dritter Satz ABGB berufen. Die Schlechtgläubigkeit des Beklagten beim Erwerb des Grundstücks der Nebenintervenientin sei demnach nicht entscheidungswesentlich.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht berechtigt.

"Außerbücherlicher Eigentumserwerb" des Bauführers an einer Baufläche gemäß § 418 dritter Satz ABGB tritt nur ein, wenn der Grundeigentümer vom Bau weiß, ihn vorwerfbar dennoch nicht untersagt (sich also verschweigt) und der Bauführer redlich ist (Spielbüchler in Rummel ABGB2 Rz 4 zu § 418 mwN). An die Redlichkeit des Bauführers dürfen keine strengeren Anforderungen gestellt werden als an die Redlichkeit eines Ersitzenden (Spielbüchler aaO Rz 5 zu § 418). Ein Bauführer ist im Sinne des § 418 ABGB als redlich anzusehen, wenn er aus plausiblen Gründen über die Eigentumsverhältnisse am verbauten Grund irren durfte und irrte (1 Ob 38/97p mwN). Dieser Irrtum muß in dem allein maßgeblichen Zeitpunkt der Bauführung vorgelegen sein. Für den Beweis seiner Redlichkeit ist stets der Bauführer beweispflichtig; durch leichte Fahrlässigkeit wird Redlichkeit bereits ausgeschlossen. Ein Bauführer hat die Pflicht, sich vor Durchführung des Baus zu vergewissern, ob er auf eigenem oder fremdem Grund baut. Diese Vorsichtsmaßnahme ist insbesondere dann geboten, wenn die Bauführung im Grenzbereich zu einer Nachbarliegenschaft stattfinden soll. Kann der Bauführer den Grenzverlauf den bestehenden öffentlichen Aufzeichnungen eindeutig entnehmen, so geht die Unterlassung der Einsichtnahme in diese Aufzeichnungen zu Lasten seiner Redlichkeit, wenn er dennoch, ohne über den Grenzverlauf Gewißheit zu haben, und ohne Herstellung des Einvernehmens mit dem Grundnachbarn die Bauführung vornimmt (SZ 69/50; 7 Ob 2352/96z; 9 Ob 504/95; 7 Ob 646/92 uva).

Im vorliegenden Fall wurde von den Vorinstanzen unbekämpft festgestellt, daß der Grenzverlauf weder dem Bauführer (= Bruder der Klägerin) noch der Nebenintervenientin bekannt gewesen sei. Der Bruder der Klägerin hat somit nicht einmal im Vertrauen auf einen von ihm angenommenen Grenzverlauf gehandelt, sondern ließ das Bauwerk - ausgehend von einem Bauplan, der das zu errichtende Haus auf seiner Liegenschaft auswies - errichten, ohne etwa eine Grenzvermessung durch einen Zivilgeometer vorzunehmen oder - insoweit mangelt es an jeder Behauptung - das Einvernehmen mit der Nebenintervenientin als Grundnachbarin herzustellen. Errichtete der Bauunternehmer das Bauwerk, ohne sich an den Grenzverlauf, der gewiß leicht festzustellen gewesen wäre, zu halten, so kann das den Bauführer nicht entschuldigen. Ließ der Bruder der Klägerin als Bauherr das Bauwerk aufführen, ohne Kenntnis vom Grenzverlauf zu haben, sodaß es geschehen konnte, daß das Bauwerk zu einem Teil auf dem Grundstück der Nebenintervenientin errichtet wurde, so handelte er sorglos und ist schon deshalb als nicht mehr redlich anzusehen (9 Ob 504/95 mwN; 7 Ob 646/92; MietSlg 34.049; 5 Ob 503/79; Mader, Der Grenzüberbau in der neueren Judikatur, in BBl 1998, 111 [113]).

Der Bruder der Klägerin hat deshalb mangels Redlichkeit im Zuge der Bauführung nicht Eigentum an der strittigen Grundfläche der Liegenschaft des Beklagten gemäß § 418 dritter Satz ABGB erworben, sodaß das Begehren der Klägerin als Rechtsnachfolgerin nach ihrem Bruder auf Abtretung dieser Grundfläche zufolge Eigentumserwerbs nach dieser Gesetzesstelle schon deshalb nicht berechtigt ist.

Die von der Klägerin erhobene Rüge der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens deshalb, weil das Gericht zweiter Instanz die Mitteilung nach § 473a Abs 1 ZPO unterlassen habe, bedarf somit keiner Erörterung. Die Klägerin führt dazu lediglich aus, sie hätte bei entsprechender Aufforderung gerügt, daß die Nebenintervenientin sehr wohl von der Bauführung auf ihrem Grund gewußt und sich ganz bewußt zu dieser Tatsache nicht geäußert habe. Damit wird aber nur die Redlichkeit der Rechtsvorgängerin des Beklagten bekämpft, nicht aber auch behauptet, die Klägerin hätte (auch) die Feststellung über die mangelnde Kenntnis des Rechtsvorgängers der Klägerin von der Lage der Grundgrenze gerügt. Der von der Klägerin vermißte Ortsaugenschein wurde im Verfahren erster Instanz nie beantragt. Soweit die Einwilligung ("Tolerieren") der Nebenintervenientin in die Bauführung unter Mitbenützung deren Grundstücks ins Treffen geführt wird, ist der Klägerin entgegenzuhalten, daß sie derartiges in erster Instanz gar nicht behauptet hat. Im übrigen wäre eine solche Behauptung wohl auch nicht bewiesen, steht doch fest, daß weder die Nebenintervenientin noch der Bruder der Klägerin den Grenzverlauf gekannt haben; bei einem solchen Kenntnisstand war aber ein Anlaß zu einer derartigen Willensbildung bei der Nebenintervenientin gar nicht gegeben. Weitere Ausführungen zur Rügepflicht des Berufungsgegners in der Rechtsmittelbeantwortung gemäß § 468 Abs 2 zweiter Satz iVm § 473a Abs 1 ZPO (vgl hiezu 1 Ob 41/99g) erübrigen sich demnach.

Daher muß auch nicht zur Frage der Unredlichkeit der Nebenintervenientin als Grundeigentümerin, die den Bauführer habe bauen lassen, obwohl sie gewußt habe, daß dieser auf fremdem Grund baue, Stellung genommen werden, wenngleich es nicht unerwähnt bleiben soll, daß das Gericht zweiter Instanz diese Frage im Einklang mit der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs gelöst hat, insbesondere wenn in Rechnung gestellt wird, daß - wie von der Klägerin selbst zugestanden - bei der Bauverhandlung keinerlei Umstände aufgedeckt wurden, aus denen man darauf hätte schließen können, daß die Bauführung Eingriffe in die Eigentumsrechte der Nebenintervenientin mit sich bringen werde (siehe hiezu 1 Ob 38/97p; SZ 70/185; 7 Ob 2352/96z; 7 Ob 610/94; 1 Ob 28/93; SZ 59/38; JBl 1985, 741; MietSlg 36.031; 7 Ob 537/82; 7 Ob 548/79; EvBl 1975/261; Klicka in Schwimann ABGB2 Rz 8 zu § 418; Mader aaO 114). Im Hinblick auf die mangelnde Redlichkeit des Beklagten kommt nämlich dem Umstand, daß die Nebenintervenientin gegen die Bauführung keine Einwände erhoben hat, keine Bedeutung mehr zu (9 Ob 504/95; SZ 29/60).

Der Revision der Klägerin ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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