OGH 9Ob504/95

OGH9Ob504/9522.2.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier, Dr.Petrag, Dr.Bauer und Dr.Steinbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Maria M*****, Geschäftsfrau, ***** und 2. Dalida M*****, Angestellte, ***** beide vertreten durch Dr.Martin Eder, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Eleonore K*****, Geschäftsfrau, ***** vertreten durch Dr.Gustav Etzl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Entfernung und Unterlassung (Streitwert 60.000 S sA), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 10.Oktober 1994, GZ 21 R 349/94-17, womit das Urteil des Bezirksgerichtes St.Gilgen vom 17.Mai 1994, GZ C 104/92 g-12 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerinnen sind je zur Hälfte Eigentümer der EZ 244 Grundbuch ***** mit dem Grundstück 197/33. Die Beklagte ist Eigentümerin der EZ 239 desselben Grundbuches mit dem Grundstück 197/3. Nach der im Jahr 1971 erstellten Vermessungsurkunde (Teilungsplan) befand sich zwischen den Grundstücken 197/3 und 197/33 noch das Grundstück 197/19. Dieses war ursprünglich als Zufahrtsweg zu dahinter liegenden Grundstücken gedacht und wies daher an der Straßengrenze eine trompetenförmige Ausbuchtung auf. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde diese Absicht aufgegeben und das Grundstück 197/19 mit dem Grundstück 197/33 vereinigt, das im Jahr 1980 die Erstklägerin und ihr Ehegatte erwarben. Die Beklagte erwarb die Liegenschaft im Jahr 1983. Im selben Jahr gab sie die Planung eines Hauses in Auftrag. In dem dabei erstellten Einreichplan ist das Grundstück der Klägerinnen als Nachbargrundstück der Beklagten dargestellt, allerdings ist die trompetenförmige Aufweitung nicht eingezeichnet, sondern der Grenzverlauf gerade bis zur Straßengrenze der beiden Grundstücke durchgezeichnet. Im Bauakt betreffend dieses Bauvorhaben erliegt die Bauplatzerklärung, in der aufgrund einer im Jahre 1973 erstellten Vermessungsurkunde die trompetenförmige Aufweitung des Grundstückes der Klägerinnen im Bereich der Straßengrenze eingezeichnet ist. Aufgrund der im Zusammenhang mit dem Bauansuchen vorgelegten Pläne wurde der Beklagten mit Bescheid vom 7.12.1983 die Baubewilligung erteilt. Bei der Bauverhandlung wurde der Grenzverlauf nicht erörtert. Eigentümer der Liegenschaft 244 waren damals noch die Erstklägerin und ihr Ehemann. Sie waren zur Bauverhandlung geladen und ließen sich durch Adolf M***** vertreten, der keine Einwendungen erhob. Die Beklagte ging daher von der Richtigkeit und Erlaubtheit der bewilligten Baumaßnahmen aus. Bei einer baupolizeilichen Überprüfung am 19.3.1985 wurde die konsensmäßige Herstellung des Wohnhauses und des Einfahrtsbereiches festgestellt. Erst im Jahre 1991 erlangten die Parteien Kenntnis davon, daß sich die Baumaßnahmen zum Teil über die Grenze erstreckten.

Der Bereich der nach den seinerzeitigen Vermessungsurkunden einen Teil des Grundstückes 197/33 bildenden trompetenförmigen Ausweitung wurde von der Beklagten zum Teil gepflastert; in Verlängerung des geraden Grenzverlaufes befindet sich ein auf dem Grundstück der Beklagten errichteter Maschendrahtzaun sowie eine Hecke; ein auf dem Grundstück der Beklagten errichtetes Müllhäuschen ragt 10 -15 cm in die trompetenförmige Ausbuchtung, das 3 m breite Einfahrtstor zum Grundstück der Beklagten wird duch den bogenförmigen Grenzverlauf zu etwa 2/3 überdeckt.

Die Klägerinnen begehren, die Beklagte schuldig zu erkennen, auf dem strittigen Teil (dieser ist auf einer der Klage beigelegten Vermessungsurkunde, auf die im Klagebegehren Bezug genommen wird, bezeichnet) die Hecke, den Pflasterboden und eine Säule mit einem Postkasten zu entfernen und in Hinkunft das Betreten und jede sonstige Inanspruchnahme dieser Fläche zu unterlassen. Sie seien Eigentümer Fläche, die die Beklagte unberechtigt in Anspruch nehme; dies habe die Beklagte auch ausdrücklich zugestanden. Die Grenze zwischen den Grundstücken der Streitteile sei bereits vor der Bauverhandlung im strittigen Bereich vermarkt gewesen, so daß die Beklagte vom tatsächlichen Grenzverlauf Kenntnis haben mußte.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Die strittige Fläche sei zur bestimmungsgemäßen Nutzung ihres Grundstückes unbedingt erforderlich. Die Bauführung sei genehmigt worden und aufgrund dieser Bewilligung erfolgt. Die Klägerinnen könnten die Räumung der strittigen Baufläche nicht begehren, weil sie bei der Bauverhandlung keine Einwendungen erhoben hätten. Im übrigen sei nach Aufgabe des Vorhabens, die ursprünglich geplante Straße zu errichten, die Grenze zwischen den Grundstücken von den Voreigentümern einvernehmlich in gerader Linie bis an die Straße vorgezogen worden. Die Rechtsausübung der Klägerinnen sei auch schikanös, weil die Beklagte bei Durchsetzung des Begehrens der Klägerinnen zur Beseitigung von aufwendigen Bauführungen gezwungen werde und keine Möglichkeit mehr habe, von Richtung St.Wolfgang kommend in das Grundstück einzufahren.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es seine Entscheidung auf § 418 3. Satz ABGB gründete. Beide Parteien hätten den richtigen Grenzverlauf nicht gekannt und die Beklagte habe die Bauführung im Vertrauen auf den dem Bauplan angeschlossenen Lageplan vorgenommen und sei daher gutgläubig gewesen. Auch die im Bauverfahren beteiligten Behörden seien von einem geraden Grenzverlauf ausgegangen. Die Klägerinnen hätten von der Bauführung gewußt, dagegen jedoch keine Einwendungen erhoben. Wohl befänden sich auf der strittigen Fläche nur ein Müllhäuschen, in das eine Säule des Einfahrtstores integriert sei, eine Buschreihe und ein gepflasterter Vorplatz. Diese Einrichtungen seien aber dennoch als Bauwerke von selbständiger Bedeutung im Sinne der zitierten Gesetzesstelle anzusehen. Kriterium für die Beurteilung sei dabei nicht nur die verbaute, sondern auch die zur bestimmungsgemäßen Benützung des Hauses unentbehrliche Fläche. Die nur wenige Quadratmeter große Fläche sei aber als Einfahrtsbereich für die Beklagte unverzichtbar. Ausschließlich mißbräuchliche und damit schikanöse Rechtsausübung könne den Klägerinnen zwar nicht unterstellt werden, doch sei nicht erkennbar, welcher Vorteil für die Klägerinnen mit dem Obsiegen im Prozeß verbunden sei, zumal die derzeitige Situation weder von nachteiligem Einfluß auf die Benützung der Liegenschaft sei noch deren Wert dadurch beeinträchtigt werde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerinnen nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen der gerügten Verfahrensmängel, billigte die Beweiswürdigung des Erstgerichtes und trat dessen rechtlicher Beurteilung bei. Es stehe fest, daß die Beklagte als Bauführerin redlich gewesen sei, seien doch nach dem Inhalt des Bauaktes alle Beteiligten davon ausgegangen, daß der vom Planverfasser dargestellte Grenzverlauf dem tatsächlichen Verlauf der Grenze entspreche. Die Klägerinnen bzw der Rechtsvorgänger der Zweitklägerin hätten bei der Bauverhandlung keine Einwendungen erhoben. Der Verschweigungstatbestand des § 418 letzter Satz ABGB gelte aber auch gegenüber demjenigen, der sich seines Eigentums nicht bewußt sei, wenn er nur zur Bauverhandlung geladen worden sei. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 50.000 S übersteige; die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Entscheidung der einheitlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes folge.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerinnen aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Vorinstanzen bei ihren Entscheidungen von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Auslegung des Begriffes der Redlichkeit im Sinne des § 418 ABGB abgewichen sind.

Die Revision ist auch im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen berechtigt.

Es trifft nicht zu, daß die Revisionswerberinnen, soweit sie ausführen, die Anwendung des § 418 letzter Satz ABGB scheitere schon daran, daß die Beklagte nicht redlich sei, Neuerungen geltend machen. Sie haben vielmehr bereits im Verfahren vor dem Erstgericht vorgebracht, die Beklagte habe den wahren Grenzverlauf gekannt und sich dazu auf den Bauakt berufen, aus dem das Erstgericht dann die Feststellungen über die dort erliegenden Planunterlagen getroffen hat.

Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes ist der Bauführer nur dann redlich, wenn er sich zur Zeit der Bauführung aus wahrscheinlichen Gründen für den Eigentümer oder doch als bauberechtigt halten kann. Es ist jedenfalls seine Pflicht, sich vor Durchführung des Baues zu vergewissern, ob er auf eignem oder auf fremdem Grund baut (vgl 5 Ob 503/79). Diese Vorsichtsmaßnahme ist besonders dann geboten, wenn die Bauführung im engsten Grenzbereich zu einer Nachbarliegenschaft vorgenommen wird. Konnte der Bauführer den Grenzverlauf zur Nachbarliegenschaft den bestehenden öffentlichen Aufzeichnungen (Mappe, Grundkataster) klar entnehmen, so geht die Unterlassung der Einsichtnahme in diese Aufzeichnungen zu Lasten seiner Redlichkeit, wenn er dennoch, ohne sonst Gewißheit über den Grenzverlauf zu haben (etwa aufgrund einer vorgenommenen Grenzvermessung durch einen Zivilgeometer) ohne Herstellung des Einvernehmens mit den Grundnachbarn die Bauführung unternahm. Die Auskunft des Baumeisters über den Grenzverlauf kann den Bauführer nicht entschuldigen (5 Ob 793/81; idS auch 5 Ob 1584/94). Spielbüchler (in Rummel2 Rz 5 zu § 418 ABGB) hält diese Anforderungen für überspannt und vertritt den Standpunkt, an die Redlichkeit des Bauführers dürften keine strengeren Anforderungen gestellt werden, als an die Redlichkeit des Ersitzenden. Eine Auseinandersetzung mit diesen seinen Ausführungen ist jedoch, wie noch dargelegt wird, im vorliegenden Fall entbehrlich.

Hier gründete sich das Vertrauen der Beklagten über den bei der Bauführung angenommenen Grenzverlauf nur auf den dem Bauansuchen angeschlossenen, vom Planersteller angefertigten Lageplan. Im Sinne der obigen Ausführungen ist aber bei Beurteilung der Redlichkeit ein strenger Maßstab anzulegen. Daß die Beklagte von dem von dem von ihr beauftragten Verfasser der Planungsunterlagen für die beabsichtigte Bauführung dargestellten Verlauf der Grenzen zwischen den benachbarten Grundstücken ausging, reicht nicht aus, um sie als redliche Bauführerin im Sinne des § 418 letzter Satz ABGB zu qualifizieren. Es bedurfte nämlich nicht einmal umfangreicher Nachforschungen in Katasterunterlagen, um den tatsächlichen Grenzverlauf festzustellen, lag doch im Bauakt selbst die nur wenige Jahre zuvor anläßlich des Ansuchens um Bauplatzerklärung erstellte Vermessungsurkunde, aus der sich der Grenzverlauf mit der trompetenförmigen Ausweitung ergibt. Selbst wenn man der großzügigeren Auslegung des Begriffes der Redlichkeit in § 418 ABGB, wie sie von Spielbüchler (aaO) vertreten wird, folgte, fiele der Beklagten im Hinblick auf die dargestellen Umstände die Unkenntnis des Grenzverlaufes zur Last. Es steht nämlich fest, daß sie durch bloße Einsicht in den ihr Bauvorhaben betreffenden Akt volle Kenntnis über den Verlauf der Grenze hätte gewinnen können. Wenn die Beklagte dennoch, ohne den weiteren Inhalt des Bauaktes zu prüfen, der Bauführung nur den dem Bauplan angeschlossenen Lageplan zugrunde legte, handelte sie fahrlässig. Redlichkeit wird bereits durch leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen (JBl 1980, 589 mwH uva).

Ein Eigentumserwerb der Beklagten durch Bauführung gemäß § 418 letzter Satz ABGB scheidet daher schon deshalb aus, weil sie nicht redlich war. Damit ist es entbehrlich, darauf einzugehen, ob die im Bereich des strittigen Streifens durchgeführten Baumaßnahmen überhaupt den Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle entsprechen. Im Hinblick auf die mangelnde Redlichkeit der Beklagten kommt auch dem Umstand, daß die Klägerinnen gegen die Bauführung keine Einwände erhoben, keine Bedeutung zu.

Auch der soweit sich die Beklagte darauf beruft, das Begehren der Klägerinnen sei schikanös, kommt ihren Ausführungen keine Berechtigung zu. Als schikanös ist eine ausschließlich oder doch weit überwiegend zum Zweck der Schädigung eines anderen erfolgende Rechtsausübung zu verstehen. Bei der Wahrung und Verfolgung der sich aus der Freiheit des Eigentums ergebenden Rechte ist die Annahme einer schikanösen Rechtsausübung allerings schon im Hinblick auf die Verhinderung der Ersitzung eines allfälligen Rechts auszuschließen (vgl MietSlg 30.060). In der Rechtsprechung wurde zum Beispiel eine schikanöse Klageführung verneint, wenn der Nachbar den Luftraum des benachbarten Grundstückes um nur 5 cm überschreitet (vgl SZ 34/49 und SZ 28/133). Es wurde auch die Meinung vertreten, daß selbst eine ganz unerhebliche Inanspruchnahme des Luftraums über einer Liegenschaft durch an der Mauer des Nachbargrundstücks angebrachte Automaten vom Eigentümer ohne Berücksichtigung des Schikaneeinwandes abgewehrt werden könne (vgl JBl 1977, 485). Zu 7 Ob 593/94 wurde im Falle des Begehrens auf Entfernung eines Überbaues auf einer Grundfläche von 1,1 m2 die schikanöse Rechtsausübung verneint.

In der Lehre (vgl. Mader, Rechtsmißbrauch und unzulässige Rechtsausübung, 127 ff) wurde dazu zustimmend ausgeführt, daß derjenige, der sich ein Recht unrechtmäßig anmaßt, sich nicht dennoch auf die gültige Entstehung dieses Rechtes durch Erhebung des Schikaneeinwandes berufen könne. Ausgehend von diesen Grundsätzen kann die Geltendmachung des Begehrens der Klägerinnen auf Räumung der von der Beklagten beanspruchten, mehrere Quadratmeter großen Grundfläche nicht als schikanös bezeichnet werden, mag auch die Benützung dieser Fläche für die Beklagte größere Vorteile bringen als für die Klägerinnen.

Da die Beklagte als unredliche Bauführerin anzusehen ist, kommt auch dem Beseitigungsbegehren grundsätzlich Berechtigung zu (SZ 51/143).

Dennoch ist die Sache nicht entscheidungsreif. Die Klägerinnen haben nämlich begehrt, die Beklagte zu verpflichten, eine Hecke, den Pflasterboden und eine Säule mit einem Postkasten von der strittigen Fläche zu entfernen. Die Beklagte hat bestritten, daß sich die Säule mit dem Postkasten in diesem Bereich befindet. Festgestellt wurde, daß sich dort eine Hecke und eine gepflasterte Fläche befindet; bezüglich der Säule mit dem Postkasten wurden jedoch keine Feststellungen getroffen. Zur Entscheidung über das gesamte Begehren ist es aber eine Entscheidungsgrundlage auch zu diesem Punkt erforderlich. Hiezu erweist sich das Verfahren ergänzungsbedürftig.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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