OGH 7Ob593/94

OGH7Ob593/9423.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. KR Hans A*****, und 2. Edith A*****, beide vertreten durch Dr.Johannes Hübner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Prof.Mag.Maria T*****, vertreten durch Dr.Helmut Winkler ua Rechtsanwälte in Wien, wegen Räumung, infolge Rekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 4.Mai 1994, GZ 48 R 226/94-38, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Klosterneuburg vom 2.Dezember 1993, GZ 2 C 35/92y-33, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und durch Urteil in der Sache selbst erkannt, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.504,76 (darin S 40,-- Barauslagen und S 744,12 USt.) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit S 11.358,14 (darin S 6.000,-- Barauslagen und S 893,02 USt.) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Grundstück der Kläger - sie sind seit 20.9.1985 je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft K*****, Adalbert S*****-Gasse 50 - grenzt an das ca. 2,5 m tiefergelegene Grundstück der Beklagten mit der Adresse Adalbert S*****-Gasse 48; die Beklagte ist seit 30.12.1976 Eigentümerin ihres Grundstückes. Die seit den frühen Achtzigerjahren bestehende Stützmauer, die das höhergelegene Grundstück der Kläger absichert, entspricht nur an ihrem Ausgangspunkt bei der Adalbert S*****-Gasse der Grundgrenze; in ihrem weiteren Verlauf springt sie auf einer Länge von 6,64 m gleichmäßig bis auf 0,32 m auf das Grundstück der Kläger zurück, um nach weiteren 12,81 m auf einer Länge von 8,83 m um 0,17 m auf das Grundstück der Beklagten zurückzuspringen. Die Beklagte verfügt über eine rechtskräftige Baubewilligung der Stadtgemeinde Klosterneuburg vom 4.10.1976 zur Errichtung einer Kleingarage an der Grundstücksgrenze. Dabei wurde auf den Grenzverlauf entgegen dem Mauerverlauf Bedacht genommen. Im Jahr 1986 wurde die Liegenschaft der Kläger im Auftrag der Zweitklägerin vermessen und die Grenze zur Liegenschaft der Beklagten vermarkt. Dabei war die Beklagte anwesend. Es wurde ihr in der Folge eine Ausfertigung des vom Zivilgeometer Dipl.Ing.Ulf R***** hergestellten Planes überlassen. Im Sommer 1990 begann die Beklagte mit dem Garagenbau. Sowohl vor Baubeginn - der Erstkläger erkannte, daß der Aushub für das Fundament der Garage teilweise auf seinem Grundstück durchgeführt wurde - als auch noch während des Baues trat der Erstkläger an die Beklagte heran und wies sie darauf hin, daß sie auf seinem Grund baue und hiefür über keine Baubewilligung verfüge. Von der Beklagten wurde die Garage trotzdem bis an die Stützmauer hingebaut. Der von ihr in Anspruch genommene Anteil am Grundstück der Kläger umschreibt ein Dreieck, dessen Seiten zwei Mal 6,64 m und ein Mal 0,32 m betragen; die Gesamtfläche beträgt 1,1 m2.

Beide Liegenschaften wurden bisher noch nicht in den Grenzkataster aufgenommen.

Die Kläger begehren von der Beklagten die Räumung des von ihr durch den Bau der Garage benützten Teiles des klägerischen Grundstückes. Die Beklagte habe beim Bau gewußt, daß sie fremden Grund verbaue, und sei daher unredliche Bauführerin gewesen. Die Kläger hätten der Inanspruchnahme ihres Grundes sofort widersprochen. Die Stützmauer für das klägerische Grundstück sei bei Beginn der Bauführung durch die Beklagte fehlerfrei und stabil gewesen; möglicherweise habe die Beklagte durch ihre Bauführung deren Fundament untergraben.

Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung. Sie habe bei ihrem Garagenbau die Grundgrenze nicht überschritten. Die konsenslos errichtete Stützmauer des klägerischen Grundstückes befinde sich in einem äußerst desolaten Zustand, sie habe sich um 10 bis 15 cm in Richtung Grundstück der Beklagten hin verschoben. Es bestehe Einsturzgefahr. Die Beklagte wendete für den Fall, daß sie tatsächlich die Grundgrenze überbaut habe, ein, daß dies aufgrund baubehördlicher Bewilligung erfolgt sei. Die Stützmauer der Kläger würde beim Abtragen des an sie angebauten Garagenteiles in diesem Bereich einstürzen; möglicherweise könnte der Hang nachrutschen. Zumindest müßte im Bereich der abgetragenen Garagenteile die Stützmauer durch zusätzliche Stützen stabilisiert werden. Aus diesem Grund sei die Klagsführung schikanös.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren unter Verlängerung der Leistungsfrist auf zwei Monate statt. Die Beklagte habe sich vor Beginn ihres Bauvorhabens nicht über den richtigen Grenzverlauf vergewissert und die ihr zur Verfügung stehenden Pläne, aus denen dieser hervorgehe, unberücksichtigt gelassen. Sie habe in Kenntnis des richtigen Grenzverlaufes und trotz Widerspruches des Erstklägers die Überbauung fortgesetzt und vollendet. Ein wie die Beklagte unredlicher Bauführer habe das auf fremdem Grund errichtete Bauwerk wieder zu entfernen.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil über Berufung der Beklagten mit dem angefochtenen Beschluß auf und trug dem Erstgericht eine nach Verfahrensergänzung zu treffende neue Entscheidung auf. Es erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Es erachtete die Mängelrüge sowie die Rüge der unrichtigen Sachverhaltsfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung für unbeachtlich. Die Beklagte habe sich nicht auf ihre Redlichkeit berufen; den Klägern stehe daher ein Beseitigungsanspruch zu. Das Ungleichgewicht zwischen dem Vorteil, den die Kläger aus der Durchsetzung ihres Rechts ziehen, und dem für die Beklagte damit verbundenen Nachteil lege aber nahe, daß die Rechtsverfolgung der Kläger schikanös im Sinne des § 1295 Abs.2 ABGB sein könne. Der Abbruch jener Garagenteile, die sich auf klägerischem Grund befänden, sei bautechnisch schwierig. Der Kostenaufwand stehe in keinem Verhältnis zum Grundverlust von 1,1 m2 durch die Kläger. Das Erstgericht habe daher zu prüfen, ob die Kläger überhaupt imstande seien, den begehrten Grundstreifen faktisch zu nutzen, zumal sich dieser viel tiefer als der übrige Teil des Grundstückes der Kläger befinde. Auch wenn die Wahrung der sich aus dem Eigentum ergebenden Rechte grundsätzlich nicht schikanös sei, sei eine Klagsführung zur Beseitigung eines ganz unwesentlichen Nachteiles der Schikane gleichzuhalten. In diesem Zusammenhang komme der Behauptung der Beklagten, es bestünde die bautechnische Notwendigkeit, die Grenzmauer abzustützen, eine Funktion, die nunmehr die Garagenmauer erfülle, Relevanz zu. Treffe diese Behauptung der Beklagten zu, so erfolge das Beharren der Kläger auf ihrem Beseitigungsanspruch nur in Schädigungsabsicht und stünde einer solchen Rechtsdurchsetzung das Schikaneverbot des § 1295 Abs.2 ABGB entgegen. Das Erstgericht werde daher nach Einholung eines bautechnischen Sachverständigengutachtens ergänzende Feststellungen über die örtliche Situation, insbesondere über die Notwendigkeit einer Abstützung der klägerischen Stützmauer, zu treffen haben.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß von den Klägern erhobene Rekurs ist berechtigt.

Revisionsgegenstand ist allein, ob das Begehren auf Entfernung eines im Wissen um den tatsächlichen Grenzverlauf errichteten Überbaues auf einer Grundfläche von 1,1 m2 mit den dargestellten Maßen schikanös ist.

Selbst wenn man das Vorbringen der Beklagten, die Stützmauer der Kläger sei sanierungsbedürftig gewesen und werde jetzt durch die Garage gestützt, als zutreffend annehmen wollte, liefe doch die Vorgangsweise der Beklagten auf eine unerlaubte Selbsthilfe hinaus; stünde doch der Beklagten in diesem Fall nur ein Anspruch auf Sanierung der Mauer zu.

Als schikanös ist eine ausschließlich oder doch überwiegend zum Zweck der Schädigung eines anderen erfolgende Rechtsausübung zu verstehen. Bei der Wahrung und Verfolgung der sich aus der Freiheit des Eigentums ergebenden Rechte ist die Annahme einer schikanösen Rechtsausübung allerdings schon im Hinblick auf die Verhinderung der Ersitzung eines allfälligen Rechts auszuschließen (vgl MietSlg 30.060). In der Rechtsprechung wurde zum Beispiel eine schikanöse Klageführung verneint, wenn der Nachbar den Luftraum des benachbarten Grundsückes um nur 5 cm überschreitet (vgl SZ 34/49 und SZ 28/133). Es wurde auch die Meinung vertreten, daß selbst eine ganz unerhebliche Inanspruchnahme des Luftraums über einer Liegenschaft durch an der Mauer des Nachbargrundstücks angebrachte Automaten vom Eigentümer ohne Berücksichtigung des Schikaneeinwandes abgewehrt werden könne (vgl JBl 1977, 485).

In der Lehre (vgl. Mader, Rechtsmißbrauch und unzulässige Rechtsausübung, 127 ff) wurde dazu zustimmend ausgeführt, daß derjenige, der sich ein Recht unrechtmäßig anmaßt, sich nicht dennoch auf die gültige Entstehung dieses Rechtes durch Erhebung des Schikaneeinwandes berufen könne. Stellt man das bewußt rechtswidrige Vorgehen der Beklagten in den Vordergrund, kann in der eigenmächtigen Aneignung einer Fläche von 1,1 m2 des Nachbargrundstückes von keiner geringfügigen und daher allenfalls dem Schikaneverbot unterliegenden Fehlhandlung der Beklagten gesprochen werden. Einen ihr durch den Abbruch von Garagenteilen entstehenden Schaden hat die Beklagte durch ihr eigenmächtiges rechtswidriges Verhalten daher selbst zu verantworten.

Es war daher dem Rekurs der Kläger Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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