OGH 9ObA295/98t

OGH9ObA295/98t24.2.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Othmar Roniger und Dr. Heinz Nagelreiter als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Alois H*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr. Peter Urbanek und Dr. Christian Lind, Rechtsanwälte in St. Pölten, wider die beklagte Partei D*****-Versicherungs AG, ***** vertreten durch Binder, Grösswang & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 138.284,36 brutto sA (Revisionsinteresse S 73.189,48 sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. Juli 1998, GZ 7 Ra 163/98m-38, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 18. November 1997, GZ 8 Cga 80/95f-32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Arbeitsrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt nach Ausdehnung einen Betrag von S 138.284,36 brutto mit der Begründung, daß bei Beendigung des Dienstverhältnisses mit 31. 7. 1994 noch ein Urlaubsrest von 92 Tagen unverbraucht vorhanden gewesen sei. Unter Berücksichtigung einer Bemessungsgrundlage inklusive Sonderzahlungen von monatlich S 32.045,70 ergebe sich der begehrte Betrag.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Resturlaub betrage lediglich 52 Arbeitstage, wobei der Provisionsentgang nur mit einem Prozentsatz der Abschlußprovision zu berücksichtigen sei. Die Klageforderung sei jedoch verfristet. Eine Unterbrechung der Verfristung durch die Klage sei nicht eingetreten, weil das Verfahren nicht gehörig fortgesetzt worden sei und der Kläger eine ungewöhnliche Untätigkeit bekundet habe. Die Klageforderung sei mit dem ausgedehnten Betrag auch verjährt, selbst wenn der Kläger das Verfahren gehörig fortgesetzt hätte. Kompensando wendete die beklagte Partei einen Betrag von S 30.083 an zu Unrecht an den Kläger ausgezahlten Sonderzahlungsanteilen ein.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit S 73.189,48 brutto statt und sprach aus, daß die Gegenforderung von S 30.083 nicht zu Recht bestehe. Das Mehrbegehren von S 65.094,85 brutto sowie das Zinsenmehrbegehren wies es ab.

Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Das Dienstverhältnis des Klägers als Außendienstmitarbeiter dauerte vom 2. 1. 1975 bis 31. 7. 1994. Auf das Dienstverhältnis findet der Kollektivvertrag für Angestellte für Versicherungsunternehmen -

Außendienst (= KVA) Anwendung. Der Kläger erhielt für die Monate

August 1993 bis inklusive Juli 1994 eine Betreuungsprovision (=

B-Provision) von insgesamt S 242.691. Die durchschnittliche B-Provision beträgt S 20.224,25 pro Monat. Für Abschlußprovisionen ist von einem Betrag von S 5.557,07 brutto monatlich auszugehen.

Grundlage für die Urlaubsentschädigung:

B-Provision S 20.224,45

Abschlußprovision S 5.557,07

Fixum S 2.600,--

1/12 Weihnachtsgeld von S 7.100 S 591,67

1/12 Urlaubsgeld von S 7.100 S 591,67

1/12 Altersvorsorge von S 2.600 S 216,67

1/12 Anschaffungssonderzahlung S 14.183,33

Summe S 30.964,86

Der Resturlaubsanspruch des Klägers für 1991 bis 1993 ohne Anrechnung des Urlaubsanspruches für das Jahr 1994 setzt sich aus 52 Werktagen zusammen. Ab 15. 4. 1993 liegt ein entgeltfreier Zeitraum vor. Der Anspruch des Klägers auf Urlaubsentschädigung beträgt S 73.189,48 brutto (S 30.974,86 : 22 x 52 Werktagen). Sonderzahlungen für den Zeitraum Mitte Juli 1993 bis Ende Juli 1994 in der Höhe von S 30.083 hat der Kläger ausgezahlt erhalten und gutgläubig verbraucht. Im übrigen wurde mit dem Kläger vereinbart, daß seine Urlaubsansprüche nicht verfallen. Die Klage wegen S 99.203,99 brutto wurde am 12. Juni 1995 eingebracht. Am 5. 9. 1995 trat Ruhen des Verfahrens ein. Infolge Schriftverkehr und Vergleichverhandlungen wurde am 30. 5. 1996 ein Fortsetzungsantrag gestellt und das Klagebegehren auf S 138.284,36 brutto ausgedehnt.

In rechtlicher Hinsicht sei der Berechnung des Urlaubsentgelts eines angestellten Provisionsvertreters der Durchschnitt von sämtlichen Provisionsverdiensten, die dem Arbeitnehmer in den letzten 12 Monaten zugeflossen seien, zugrundezulegen. Die Berechnungsgrundlage umfasse daher sowohl die Abschlußprovision als auch die B-Provision. Hinsichtlich des ausgedehnten Klagebetrages sei Verjährung eingetreten, weil die Ausdehnung nicht innerhalb der vom Kollektivvertrag geforderten zwölfmonatigen Frist erfolgt sei. Der Kläger sei als redlicher Empfänger der Sonderzahlungsbeträge anzusehen. Den mangelnden guten Glauben habe die beklagte Partei weder behauptet noch nachgewiesen. Die Gegenforderung bestehe daher nicht zu Recht. Da die Untätigkeit des Klägers nach dem Ruhen des Verfahrens auf Vergleichsverhandlungen bzw Vergleichsanboten beruhte und zum Teil sogar durch die beklagte Partei veranlaßt war, liege keine nichtgehörige Fortsetzung des Verfahrens vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge.

Es trat der Rechtsauffassung des Erstgerichtes bei, daß das Verfahren gehörig fortgesetzt worden sei. Da § 2 Abs 4 des Generalkollektivvertrages der Berechnung des Urlaubsentgelts den Provisionsdurchschnitt der letzten 12 Kalendermonate vor Urlaubsantritt zugrundelege, sei auch die Betreuungsprovision heranzuziehen. Da die Beklagte die Unredlichkeit des Klägers im Zeitpunkt des Erhaltes der Sonderzahlungsanteile nicht behauptet habe, sei an der Gutgläubigkeit des Klägers nicht zu zweifeln.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren vollinhaltlich abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei stellt den Antrag, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Zur gehörigen Fortsetzung des Verfahrens:

Ob das rechtzeitig eingeleitete Verfahren nach dem Ruhenseintritt vom 5. 9. 1995 am 30. 5. 1996 gehörig fortgesetzt wurde, hängt nicht allein von der Dauer, sondern auch von den Gründen der Untätigkeit ab. Ob eine Untätigkeit gerechtfertigt ist, hat der Kläger zu beweisen. (SZ 42/54; 9 ObA 270/97i = DRdA 1998, 139).

Richtig ist, daß weder die von der klagenden Partei präzise angeführten außergerichtlichen Schritte zur Erwirkung einer vergleichsweisen Bereinigung noch die von der beklagten Partei behaupteten im einzelnen festgestellt sind. Ein Verfahrensmangel wird hiedurch aber nicht begründet. Selbst wenn vom Vergleichsanbot des Beklagtenvertreters am 22. 11. 1995 bis zum Schreiben des Klagevertreters am 8. 3. 1996 keine für die beklagte Partei erkennbare Reaktion des Klägers erfolgte, so ist diese noch nicht ungewöhnlich lange Zeit der Untätigkeit kein hinreichender Grund, um auf einen Abbruch der Vergleichsverhandlungen schließen zu können. Der bloßen Untätigkeit kommt wie dem Schweigen in diesem Falle noch kein Erklärungswert zu (SZ 60/52), zumal die Vergleichsverhandlungen anschließend von beiden Seiten fortgeführt wurden. Ob auch eine neue Forderung des Klägers, die vom Erstgericht als verjährt abgelehnt wurde, Gegenstand dieser Vergleichsverhandlungen war, ändert nichts daran, daß ein Abbruch derselben bis zur Ablehnung des Vergleichsanbotes der beklagten Partei vom 15. 4. 1996 (Beilage O) nicht vorlag.

Da der Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens am 30. 5. 1996 einlangte, reicht dieser Zeitraum ungeachtet der auf seiten des Klägers zu vertretenden Untätigkeit noch nicht aus, um eine ungewöhnliche oder unverständliche Untätigkeit annehmen zu können. Ob eine Ausschlußfrist vorlag, hindert die analoge Anwendung der Regelungen über Hemmung und Unterbrechung der Verjährung nicht (SZ 45/80; 8 ObA 250/95).

Zur Betreuungsprovision:

Nach § 6 Abs 3 UrlG ist für die Urlaubsdauer das regelmäßige Entgelt zu zahlen. Das ist jenes, das dem Arbeitnehmer gebührt hätte, wenn der Urlaub nicht angetreten worden wäre. Der Arbeitnehmer soll durch den Urlaubsverbrauch keine wirtschaftlichen Nachteile erleiden und das vor dem Urlaubsantritt bezogene Entgelt in grundsätzlich gleicher Höhe für die Zeit seines Urlaubs weiterbeziehen. Diesen Zweck verfolgt auch die den Entgeltbegriff des § 6 UrlG näher regelnde Bestimmung des § 2 Abs 4 Generalkollektivvertrag, der normiert, daß Entgelte in Form von Provisionen in das Urlaubsentgelt mit dem Durchschnitt der letzten 12 Kalendermonate vor Urlaubsantritt einzubeziehen sind (Arb 11.172; 9 ObA 137/93; 9 ObA 27/98f). Soweit § 4 Abs 2 Z 2 KVA für den Ausgleich des Provisionsentganges während des Urlaubs nur die Abschlußprovision einbezieht, verstößt diese Bestimmung dieses Branchenkollektivvertrages dennoch nicht gegen § 6 UrlG oder dessen näher regelnde Bestimmung des § 2 Abs 4 Generalkollektivvertrag (Arb 11.172 = DRdA 1995/12).

Der Provisionsbegriff des § 2 Abs 4 Generalkollektivvertrag umfaßt nämlich nur Provisionen, die im Sinne des Ausfallsprinzips während der Urlaubszeit entstanden wären, wenn die Arbeitsleistung im erwarteten Ausmaß erbracht worden wäre. Nur die Abschlußprovision ist unmittelbar mit einer akquisitorischen Tätigkeit verbunden, die während des Urlaubes wegfällt, so daß diesbezüglich ein unmittelbarer Ausfall eintritt. Die Betreuungsprovision, deren Zweck die Erhaltung, Erneuerung und Erweiterung des bestehenden Versicherungsbestandes ist, läuft ungeachtet des Urlaubs weiter, so daß bei aufrechtem Dienstverhältnis grundsätzlich kein Entgeltausfall eintritt. Sie ist daher von den Regelungen des § 6 UrlG, die den Ausfall während des Urlaubes ausgleichen sollen, nicht betroffen (Arb 11.172 = DRdA 1995/12 = die in einem besonderen Feststellungsverfahren ergangene Entscheidung 9 ObA 603/93 mwH; 9 ObA 137/93).

Im vorliegenden Fall ist jedoch das Dienstverhältnis beendet worden, bevor der Urlaub verbraucht werden konnte. Die zitierte Rechtsprechung kann daher nur dann zur Anwendung kommen, wenn dem Kläger auch während des Zeitraumes, für den Urlaubsentschädigung begehrt wird, tatsächlich eine Betreuungsprovision weitergezahlt wurde. Hiezu gibt es aber keine Feststellungen. Nach dem Vorbringen der Beklagten lief die Betreuungsprovision unabhängig vom Urlaub auch nach Dienstende weiter (AS 75, 210, 273), was auch vom Sachverständigen im Gutachten bestätigt wurde (AS 141, 147). Da der Kläger nur die Weiterzahlung der B-Provision während des Urlaubes unbestritten ließ (AS 223), bedarf es ergänzender Feststellungen hinsichtlich des Zeitraumes des unverbrauchten Resturlaubes.

Hat der Kläger für den Ausfallszeitraum des Resturlaubes nach Beendigung des Dienstverhältnisses die festgestellten B-Provisionen ausgezahlt erhalten, hat er keinen Entgeltausfall erlitten, so daß die B-Provisionen bei Berechnung der Urlaubsentschädigung auszuscheiden wären. Doppelbezüge sind für den Zeitraum einer Dienstverhinderung oder des Urlaubes nicht zu leisten (Arb 11.172; 9 ObA 603/93 mwH).

Wurde dem Kläger die B-Provision nicht gezahlt, so ist sie keine "Betreuungsprovision" im technischen Sinn (vgl zum Provisionsbegriff 9 ObA 603/93 mwH) und daher in die Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Urlaubsentschädigung einzubeziehen. Ob der Kläger im Sinne des § 6 KVA überhaupt Anspruch auf die Weiterzahlung einer B-Provision nach Auflösung des Dienstverhältnisses hat, ist in diesem Zusammenhang nicht zu prüfen, weil dem dem Grunde nach nicht bestrittenen Anspruch auf Urlaubsentschädigung nur die Höhe des, wie bei einem aufrechten Dienstverhältnis, noch ausstehenden Urlaubsentgeltes zugrundezulegen ist.

In diesem Sinne ist die Sachverhaltsgrundlage noch ergänzungsbedürftig.

Zur Gegenforderung:

Nach der Rechtsprechung ist es Sache der kondizierenden Partei, die Unredlichkeit des Gegners zu behaupten und zu beweisen (Arb 10.639 = SZ 60/136; DRdA 1993/24 [Trost]; 2 Ob 9/96). Dies gelang der beklagten Partei nicht. Soweit die Vorinstanzen daher von der Gutgläubigkeit des Klägers ausgegangen sind, wurde keine Aktenwidrigkeit begründet. Die die Rückzahlung von Sonderzahlungen für entgeltfreie Zeiten kompensando einwendende beklagte Partei (ON 5, ON 8) führte zwar aus, daß dem Kläger nach der Judikatur für entgeltfreie Zeiten keine Sonderzahlungen gebühren und machte geltend, daß sie im Zeitpunkt der Zahlung keine Kenntnis von dieser Rechtsprechung gehabt habe, unterließ es aber ihrerseits zu behaupten, aus welchen Gründen der Kläger unredlich gewesen wäre. Dazu genügt nämlich nicht nur das Vorhandensein einer Rechtsprechung (auch nach dem Sozialrechtsänderungsgesetz BGBl 1995, 832), daß für alle Zeiten, in denen dem Arbeitgeber gegenüber ein Entgeltanspruch nicht mehr besteht - etwa im Fall der Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruches wegen Krankheit - auch ein Anspruch auf Sonderzahlungen nicht gegeben sei, soferne nichts Gegenteiliges vereinbart oder durch Kollektivvertrag angeordnet wurde (9 ObA 2132/96m; 9 ObA 64/97w). Es ist auch nicht ausreichend, den eigenen Irrtum über die Zahlungsverpflichtung und die Unkenntnis dieser Judikatur zu behaupten, ohne Anhaltspunkte für die Unredlichkeit des Dienstnehmers zu liefern. Zweifel des Dienstnehmers an der Redlichkeit der ihm ausbezahlten Sonderzahlungen hat die Rechtsprechung angenommen, wenn Sonderzahlungen im Laufe des Jahres geleistet werden, die für das ganze Jahr gebühren. Der Dienstnehmer muß sich in diesem Falle klar sein, daß ihm dieser Betrag unter der entsprechenden Zweckwidmung nur dann zusteht, wenn das Dienstverhältnis das ganze Jahr dauert (9 ObA 34/94 = Infas 1994 A 41). Daß dem Kläger Sonderzahlungen durch einen Zuschlag zum Krankengeld zugekommen wären und dem Kläger daher ein Doppelbezug hätte auffallen müssen (9 ObA 2132/96m) oder ihm die Judikatur bekannt hätte sein müssen, hat die beweispflichtige beklagte Partei in erster Instanz nicht behauptet, so daß ihre diesbezüglichen Ausführungen in der Berufung und der Revision zu spät kommen.

Der Kostenausspruch beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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